Altlastenbeseitigung: Nur Text

Es hilft nichts. Ich muss endlich mal wieder meinen Schreibtisch aufräumen. Dabei kann ich dann auch einige Werke, die ich teils schon vor Monaten genossen, aber bis jetzt immer noch nicht besprochen habe, endlich, nicht immer in der gebührenden Länge, besprechen.

Kulturwissenschaftler Terry Eagleton versucht in seinem Essay „Das Böse“ zu erklären, was, wir ahnen e bei dem Titel, das Böse ist. Dabei kann er aus seiner eigenen Biographie als überzeugter Katholik und Marxist schöpfen. Denn er versucht das Böse zwischen diesen beiden Extremen und ihren Welterklärungen zu deuten und zu anderen Begriffen wie „das Schlechte“ und „das Gute“ abzugrenzen.

Aber das Essay ist keine soziologische oder psychologische Abhandlung, sondern eine philosophische Schrift, die ihre These vor allem an verschiedenen Romanen wie Graham Greenes „Am Abgrund des Lebens“, William Goldings „Pincher Martin“ oder Flann O’Briens „Der dritte Polizist“ (Geniales Buch!) prüft.

Eagleton meint: „Das Böse, wie ich es verstehe, ist tatsächlich metaphysisch, insofern es sich gegen das Sein als solches wendet und nicht gegen diesen oder jenen seiner Teile. Grundsätzlich will es das Ganze vernichten Womit aber nicht gesagt ist, dass es zwangsläufig übernatürlich ist oder jeglicher menschlichen Kausalität entbehrt.“

Dabei unterscheidet Eagleton zwischen dem Bösen und dem Schlechten: „Böse Menschen lassen sich von ihrem destruktiven Verhalten nicht abbringen, weil ihre Handlungen keine rationale Grundlage haben. Für sie sind die vernünftigen Argumente, die andere in diesem Zusammenhang geltend machen, ein Teil des Problems. Dagegen ist es theoretisch möglich, mit Menschen zu argumentieren, die skrupellose Mittel anwenden, um rationale oder sogar bewundernswerte Zwecke zu erreichen.“ Das gilt auch für Terroristen.

Das gut zu lesende Buch ist eine inspirierende Lektüre voller Geistesblitze und Bonmots, das, wie es sich für einen philosophischen Text gehört, zum Nachdenken über das Böse in seinen verschiedenen Schattierungen einlädt.

Terry Eagleton: Das Böse

(übersetzt von Hainer Kober)

Ullstein, 2011

208 Seiten

18,00 Euro

Originalausgabe

On Evil

Yale University Press, New Haven and London, 2010

Hinweise

Wikipedia über Terry Eagleton (deutsch, englisch)

Die Zeit: Interview mit Terry Eagleton über „Das Böse“ (28. April 2011)

Ich bin kein Freund der Bodensee-“Tatorte“. Genaugenommen finde ich die meisten „Tatorte“ mit Eva Mattes als Kommissarin Klara Blum unerträglich. Die Besten sind gerade so genießbar (und da ist der Konstanz-Bonus schon enthalten. Immerhin habe ich einige Jahre in dieser schönen Stadt, die solche „Tatorte“ nicht verdient hat, verbracht.). Bei „Seenot“ gefielen mir die unendlich langen, atmosphärischen Aufnahmen von Sonnenauf- und -untergängen am See (Man ist ja sooo genügsam.), während ich mich über die episch ausgewaltze falsche Fährte ärgerte und den üblichen kindischen Hickhack unter Kollegen, der anscheinend zu jedem „Tatort“ gehört, tapfer ertrug, während ich mich fragte, wer dieses infantile Gehabe witzig oder auch nur interessant findet.

Susanne Kraft schrieb jetzt in schönstem süddeutschen Barock eine Romanfassung von „Seenot“ und, abgesehen von der gewöhnungsbedürftigen Sprache, gefiel mir die Romanfassung besser als der Film. Ja, im Gegensatz zum Film, erscheint die Konstruktion der Geschichte mit ihren richtigen und falschen Fährten jetzt sogar sehr schlüssig.

Oh, und darum geht es: Zusammen mit ihrem Schweizer Kollegen Reto Flückiger suchen Kommissarin Blum und ihr Adlatus Kai Perlmann den Mörder des Werftbesitzers Urs Stähli. Er wurde auf dem Bodensee ermordet und, wie es sich für einen dieser Whodunit-“Tatorte“ gehört gibt es auch genug Verdächtige, aber wenig Spannung.

Susanne Kraft: Seenot

Emons, 2010

208 Seiten

8,95 Euro

Vorlage

Tatort: Seenot (D 2008, Folge 692)

Regie: René Heisig

Drehbuch: Dorothee Schön

mit Eva Mattes, Sebastian Bezzel, Stefan Gubser, Justine Hauer, Ralph Gassman, Hinnerk Schönemann

Hinweise

Tatort-Fundus über Klara Blum

Genug Verdächtige gibt es auch in dem Frankfurt-“Tatort“ „Bevor es dunkel wird“ mit den Kommissaren Fritz Dellwo und Charlotte Sänger (beide inzwischen im Ruhestand). In einer Armenküche wird eine ehrenamtliche Mitarbeiterin vergiftet. Die beiden Kommissare fragen sich, ob der Anschlag dem Mittagstisch (und damit den Hilfebedürftigen) oder der Toten oder jemand anderes galt und sie einfach von der falschen Frucht gegessen hat.

Nachdem ich mich bei dem Vorgänger des Teams Dellwo/Sänger, Kommissar Brinkmann (aka Der Mann mit der Fliege), immer fragte, ob die Macher eine Parodie auf den konventionellen TV-Krimi (okay, sehr schlechte Parodie) machen wollten oder einfach nur grottenschlechte Krimis abdrehten, war der erste Dellwo/Sänger-“Tatort“ „Oskar“ eine Wohltat. Es ging. Auch die Frankfurter konnten gute Krimis drehen. „Oskar“ ist ein Krimi, der sich mit der deutschen Wirklichkeit beschäftigt, eine Blick auf die Schattenseite der Gesellschaft wirft, ohne in Klischees zu ersticken, die Grenzen des Genres auslotet und auch filmisch in der ersten Liga mitspielt. Zwischen 2002 und 2010 hielten die Frankfurter „Tatorte“ in achtzehn Fällen ein beachtlich hohes Niveau. „Bevor es dunkel wird“ gehört allerdings, weil die Ermittlungen nur den Prinzipien Zufall und Intuition gehorchen, zu den schwächeren Fällen des Teams Dellwo/Sänger.

Diese lasche Konstruktion der Geschichte, die im Film wenigstens teilweise überspielt wurde, fällt bei Uli Aechtners Romanfassung des Films gnadenlos auf.

Uli Aechtner: Bevor es dunkel wird

Emons, 2010

160 Seiten

8,95 Euro

Vorlage

Tatort: Bevor es dunkel wird (D 2007, Folge 680)

Regie: Martin Enlen

Drehbuch: Henriette Piper

mit Andrea Sawatzki, Jörg Schüttauf, Peter Lechbaumer, Sascha Göpel, Ina Weise, Fritz Karl

Hinweise

Homepage von Uli Aechtner

Tatort-Fundus über das Team Dellwo/Sänger

Kriminalakte: Gespräch mit Hejo Emons über die Tatort-Reihe

Kriminalakte: Tatort-Romane – zum Ersten (Oliver Wachlin: Blinder Glaube; Martin Schüller: Die Blume des Bösen)

Kriminalakte: Tatort-Romane – zum Zweiten (Martin Schüller: A gmahde Wiesn, Christoph Ernst: Strahlende Zukunft)

Kriminalakte: Tatort-Romane – zum Dritten (Martin Conrath: Aus der Traum…, Oliver Wachlin: Todesstrafe)

Meine Besprechung von Martin Schüllers „Tatort“-Romanen „Moltke“ und „Tempelräuber“

Die zweite Lieferung der „Suite Noire“ besteht aus vier weiteren, ebenfalls verfilmten, jeweils hundertseitigen Krimis, die gelungen verschiedene Spielarten des Noirs bedienen und immer auch eine Hommage an einen anderen Noir- oder Pulp-Roman sind. Bei Didier Daeninckxs „Nur DJs gibt man den Gnadenschuss“ ist auch für uns offensichtlich, dass es eine Hommage an Horace McCoys „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ (verfilmt von Sydney Pollack mit Jane Fonda) ist. Die von Daeninckx erzählte Geschichte hat dann, wie auch bei den anderen Hommagen, höchstens sehr entfernt noch etwas mit dem anderen Werk zu tun. In „Nur DJs gibt man den Gnadenschuss“ verliebt sich eine Radiomoderatorin bei einem alternativen Radioprojekt in einen gerade entlassenen Häftling. Der erwirbt schnell das Vertrauen der Mitarbeiter und niemand ahnt, dass er seine eigenen Ziele verfolgt.

Marc Villard erzählt in „Die Stadt beißt“ (eine Hommage an „Der Asphalt-Dschungel“ von W. R. Burnett) die Geschichte der aus dem Kongo geflüchteten Sara, die Malerin werden will, sich aber, als Illegale, als Prostituierte durchschlagen muss und, nachdem ihre Mitbewohnerin ermordet wird, von Allen im Viertel gejagt wird.

Die Königin der Pfeifen“ von Laurent Martin beginnt mit einer Irritation, wenn man nach einigen Seiten erfährt, dass die Ich-Erzählerin Annabelle ein Mann ist, der sich mühselig das Geld für eine Geschlechtsumwandlung anspart. Da erhält sie (oder er?) eine Chance, schnell viel Geld zu machen.

Romain Slocombes „Das Tamtam der Angst“ erzählt die Geschichte des Künstler Fridelance Ambroise, der von allen immer unterdrückt und über den Tisch gezogen wird. So soll er für ein Taschengeld einen Schmöker, in dem detailliert magische Rituale der Afrikaner geschildert werden, illustrieren und beim Verkauf eines wertvollen Stuhls beschissen werden. Fridelance probiert die Zaubersprüche aus und, nun, es geschehen seltsame Dinge.

Die vier kurzen Romane zeigen die Bandbreite des zeitgenössischen französischen Krimis auf und machen Lust auf weitere Werke der Autoren. Allerdings wurden bislang nur einige Romane von Didier Daeninckx übersetzt.

Laurent Martin: Die Königin der Pfeifen

(übersetzt von Katarina Grän)

Distel Literaturverlag, 2010

108 Seiten

10 Euro

Originalausgabe

La reine des connes

Éditiones La Branche, Paris, 2007

Hommage an „La Reine des pommes“ (The five cornered square) von Chester Himes

Verfilmung

Die Königin der Pfeifen (La reine des connes, Frankreich 2009)

Regie: Guillaume Nicloux

Drehbuch: Nathalie Leuthreau

Marc Villard: Die Stadt beißt

(übersetzt von Katarina Grän)

Distel Literaturverlag

108 Seiten

10 Euro

Originalausgabe

Quand la ville mord

Éditions La Branche, Paris, 2007

Hommage an „Quand la ville dort“ (The asphalt jungle) von William R. Burnett

Verfilmung

Die Stadt beißt (Quand la ville mord, Frankreich 2009 )

Regie: Dominique Cabrera

Drehbuch: Dominique Cabrera

Romain Slocombe: Das Tamtam der Angst

(übersetzt von Katarina Grän)

Distel Literaturverlag, 2010

108 Seiten

10 Euro

Originalausgabe

Envoyez la fracture

Éditions La Branche, Paris, 2007

Hommage an „Envoyez la soudure“ (The Victim) von Carter Brown

Verfilmung

Das Tamtam der Angst (Envoyez la fracture!, Frankreich 2009)

Regie: Claire Devers

Drehbuch: Jean-Louis Benoît, Claire Devers

Didier Daeninckx: Nur DJs gibt man den Gnadenschuss

(übersetzt von Katarina Grän)

Distel Literaturverlag, 2010

96 Seiten

10 Euro

Originalausgabe

On achève bien les disc-jockeys

Éditions La Brance, Paris, 2007

Hommage an „On achève bien les chevaux“ (They shoot horses, don’t they?) von Horace McCoy

Verfilmung

Nur DJs gibt man den Gnadenschuss (On achève bien les disc jockeys, Frankreich 2009)

Regie: Orso Miret

Drehbuch: Orso Miret

Hinweise

Seite der Éditions La Branche über die „Suite Noire“

Meine Besprechung von Patrick Raynals „Suite Noire“-Buch „Landungsbrücke für Engel“ (Le débarcadère des anges, 2007)

Meine Besprechung von Colin Thiberts „Nächste Ausfahrt Mord“ (Vitrage à la corde, 2007)

Meine Besprechung von José-Louis Bocquets „Papas Musik“ (La musique de papa, 2007)

Meine Besprechung von Chantal Pelletiers „Schießen Sie auf den Weinhändler“ (Tirez sur la caviste, 2007)

Meine Besprechung der Verfilmungen „Serie in Schwarz“

2 Responses to Altlastenbeseitigung: Nur Text

  1. […] Meine Besprechung von Uli Aechtners „Tatort“-Roman „Bevor es dunkel wird“ […]

  2. […] Christiane Schulz, Oliver Bootz, Edda Leesch Hinweise Tatort-Fundus über das Team Dellwo/Sänger Meine Besprechung des Tatort-Romans „Bevor es dunkel wird“ von Uli Aechtner mit Dellwo/Sänger Teilen Sie dies mit:TeilenE-MailDruckenDiggTwitterFacebookStumbleUponRedditGefällt mir:LikeSei der […]

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..