Ich kann mich nur noch sehr dunkel an Trevanians Thriller „Shibumi“ erinnern, aber ich bin mir sicher, dass ich ihn als Teenager verschlungen hatte. Immerhin waren die Agententhriller von Trevanian, ein Pseudonym von Rodney Whitaker, damals ganz oben auf meiner Leseliste.
Jetzt, anlässlich der Veröffentlichung des von Don Winslos als Prequel zu „Shibumi“ geschriebenem Agententhriller „Satori“, las ich Trevanians Roman wieder und ich fragte mich, was mir damals so gut gefallen hat. Wahrscheinlich war es die Vergötterung der japanischen Kultur, die überragenden Fähigkeiten des Helden Nikolai Hel im Beruf (als Killer) und im Bett (James Bond ist gegen ihn ein Wüstling), seine finanzielle und geistige Unabhängigkeit. Kurz, er verkörperte genau das, was einen pubertierenden Jungen anmacht. Das ganze wurde mit einer ordentlichen Portion US-Bashing (nun ja, der Staub von Watergate legte sich so langsam und die Reagan-Jahre wurden geistig vorbereitet) und elitärem Denken, das heute einen seltsamen Geschmack hinterlässt, weil es doch arg nach der Nazi-Herrenmenschideologie schmeckt (Wobei Hel kein Rassist im eigentlichen Sinn ist. Er verachtet nur die westliche Kultur und deren Kaufmannsmentalität abgrundtief und, auch aufgrund seiner Biographie, stehen die US-Amerikaner ganz oben auf seiner Hassliste.) Auch ist Hel aus heutiger Sicht ein ziemlich altmodischer Macho und Trevanian bedient in „Shibumi“ eben solche Macho-Ideale. Nicht ungeschickt, aber das macht es nicht unbedingt besser.
Außerdem erzählt Trevanian seine Geschichte sehr ungeschickt. Denn nachdem auf den ersten Seiten eine CIA-Aktion auf dem Flughafen von Rom aus dem Ruder läuft, es anstatt der geplanten zwei, neun Tote gibt, der CIA-Scherge Mr. Diamond entdeckt, dass die gesamte Aktion schlampig vorbereitet war und mit welcher Gefahr sie es vielleicht zu tun haben, geht die Möchtegern-Terroristinnen Hannah Stern, die den Anschlag überlebte, nach Etchebar. Dort, im Baskenland, hat Nikolai Hel ein großes Anwesen, das er historisch herrichtet, und eine große Schar vertrauter ETA-Widerstandskämpfer (vulgo gute Terroristen; – das ist eine Siebziger-Jahre-Unterscheidung zwischen Terroristen und Freiheitskämpfern, die heute obsolet ist. Wie auch viele der damaligen Terroristengruppen.).
Diamond fräst sich durch die Akte von Nikolai Hel und wir erfahren hunderttausend Dinge über Hel, die interessant, aber für die Geschichte reichlich unwichtig sind.
Erst auf Seite 286 tritt Hel zum ersten Mal leibhaftig auf. Er erkundet mit seinem Freund Benat Le Cagot auf den folgenden sechzig Seiten eine Höhle, die später noch einmal wichtig wird.
Die erste Begegnung zwischen Hel und Hannah Stern ist auf Seite 371. Erst jetzt muss Hel sich fragen, ob er sein Leben als Killer im Ruhestand verlassen will. Bis er dann endlich die Initiative ergreift vergehen weitere Seiten, die sich inzwischen endlos anfühlen. Der Kampf zwischen Hel und den Bösewichtern beschränkt sich dann auf wenige Seiten. Dabei hätten sie eigentlich den größten Teil von „Shibumi“ einnehmen müssen.
Auf der Habenseite bleibt immer noch ein faszinierender Charakter, die Idee einer Muttergesellschaft, die als Verbindung zwischen Politik und Ölindustrie sogar über den CIA befehlen darf und mit allen Mitteln ihre Interessen schützt, eine geradezu prophetische Beschreibung des Einsatzes von Computern und einige Bonmots, wie „Es ist eine Binsenweisheit der amerikanischen Politik, dass der Mann, der eine Wahl zu gewinnen versteht, diesen Sieg nicht verdient.“ oder warum Informationen über die Liberalen von dem Supercomputer auf weißen Karten ausgedruckt werden: „als Fat Boy die Möglichkeit wirksamer Aktionen vonseiten der Liberalen errechnet hatte, erhielten sie wieder weiße Karten, das Kennzeichen politischer Machtlosigkeit.“.
Don Winslow schrieb jetzt, beauftragt von Trevanians Familie, ein Prequel zu „Shibumi“. In „Satori“ erzählt er, wie Nikolai Hel zum Auftragskiller wurde.
Nachdem der sechsundzwanzigjährige Hel drei Jahre in einer kleinen Zelle saß, macht ihm der CIA-Mann Haverford ein Angebot: wenn er für sie einen Mann ermordet, wird er freikommen. Dass der Auftrag ein Himmelfahrtskommando ist, weiß Hel von der ersten Sekunde an. Denn er soll in Peking, getarnt als französischer Waffenhändler, den russischen Botschafter mit bloßen Händen umbringen und so einen Keil zwischen Peking und Moskau treiben.
Dieser Botschafter ist der skrupellose KGB-Mann Juri Woroschenin, der Hels Mutter entehrte und Hel um sein Erbe brachte, und damit hat der junge Mann auch ein persönliches Motiv, um den Auftrag anzunehmen.
Doch wie heißt es so schön: reinkommen ist kein Problem, lebendig rauskommen schon. Zum Glück kann Hel auf die Hilfe von hilfreichen Mönchen (die dann doch gar nicht so harmlos sind) bauen.
Und der CIA und das amerikanische Militär waren bereits vor sechzig Jahren tief in illegale Geschäfte verwickelt und versuchten ihre eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Auch wenn dann dafür eine andere Behörde den schwarzen Peter erhält. In diesem Spiel ist der passionierte Go-Spieler Hel nur ein Bauer, der je nach Opportunität, geopfert werden kann.
„Satori“ ist ein farbiger, im Fernen Osten 1951/1952 spielender Agententhriller, der prächtig unterhält und ein angenehmes Retro-Gefühl verbreitet. Denn einerseits erinnert alles an die Agententhriller aus der Zeit des Kalten Krieges, andererseits legt Don Winslow ein absolut zeitgemäßes Erzähltempo vor und verknappt Beschreibungen und Szenen bis zum Äußersten. Im Tonfall und der damit verbundenen ironischen Darstellung der doch leicht absurden Abenteuer von Nikolai Hel erinnert Winslow dann an die grandiosen Tanner-Romane von Lawrence Block. Gegenüber dem schnellen und pointiert erzähltem Thriller „Satori“ wirkt Travanians „Shibumi“ noch schwerfälliger als es eh schon ist.
Außerdem nimmt Don Winslow gelungen einige Fäden und Episoden aus Trevanians „Shibumi“ (so wird in „Shibumi“ Hels erster Auftrag auf einigen Seiten erwähnt) auf, füllt die Lücken aus und zeichnet ein Bild eines jüngeren Mannes, der das Killerhandwerk erst noch erlernt.
„Satori“ ist ein feiner Schmöker. Fortsetzung nicht ausgeschlossen und willkommen.
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Trevanian: Shibumi
(übersetzt von Gisela Stege)
(vollständig überarbeitete Neuausgabe)
Heyne, 2011
576 Seiten
9,99 Euro
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Originalausgabe
Shibumi
Crown Publishers, New York, 1979
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Deutsche Erstausgabe
Shibumi oder der leise Tod
Droemer Knaur, 1981
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Don Winslow: Satori
(übersetzt von Conny Lösch)
Heyne, 2011
608 Seiten
12,99 Euro
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Originalausgabe
Satori
Grand Central Publishing, New York, 2011
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Hinweise
Martin Compart über Trevanian und „Shibumi“ (Teil 1, Teil 2)
Deutsche Homepage von Don Winslow
Meine Besprechung von Don Winslows „Pacific Private“ (The Dawn Patrol, 2008)
Meine Besprechung von Don Winslows „Bobby Z“ (The Death and Life of Bobby Z, 1997)
Don Winslow in der Kriminalakte
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Vorankündigung
In wenigen Tagen könnt ihr nur in der Kriminalakte mein Interview mit Don Winslow lesen.
[…] „Satori“ erzählte Winslow jetzt spannend und sehr kurzweilig die Vorgeschichte zu „Shibumi“ und wir […]
[…] Bestsellerautors Trevanian mit der Bitte an ihn heran, die würdevolle Aufgabe, das Werk “Shibumi“ fortzusetzen, zu übernehmen: Nikolai Hel soll wieder zum Leben erweckt werden. Nach über 30 […]
Schade dass der Kommentar im Nachgang Shibumi so abwertet. Natürlich hat er mit seinen Bewertungen ansatzweise recht, aber aus Hel einen Rassisten zu machen halte ich für grob übertrieben. Eigentlich ist das Werk doch top aktuell. Die von Hel so verachtete „Kaufmannsdenke“ (nicht Rasse!) wähnte sich doch kurze Zeit nach dem berechtigten Untergang das Kommunismus als Sieger. Das diese Denke aber vielleicht auch nicht unbedingt das Gelbe vom Ei ist erleben wir doch gerade wie machtlos dieses System gegen Fundamentalisten ist. Was Hel verachtet ist die Gesinnungslosigkeit der kalvinistischen Wirtschaftspolitik, die sich selbst als höchste moralische Kraft erklärt. Diese ist natürlich durch die angelsächsische Geschichte durch England und vor allem heute den USA getragen. Der Querschluss zum Rassisten ist aber bezogen auf das feine Netz von shibumi weniger als tumb. Im Gegenteil ist es schon unheimlich, wie Trevanian die Machtlosigkeit der fiktiven „Muttergesellschaft“ mit all Ihrer Technik, ihrem Geld und Ihrem Personaleinsatz gegenüber „Überzeugungstäter“ herausarbeitet. Mit Erinnerung an den 11. Sept. läuft es mir da kalt über den Rücken.
Schade – gerade heute könnte shubumi ein Aufruf dazu sein, dass Werte (Moral) vor Geld kommen. Wenn wir das in der westlichen Welt nicht bald korrigieren, werden wir es schwer haben gegen unsere „Wettbewerber / Gegener“ uns langfristig zu behaupten.
JB
[…] Meine Besprechung von Trevanians “Shibumi” (Shibumi, 1979) […]
[…] Meine Besprechung von Don Winslows „Satori“ (Satori, 2011) […]
[…] Meine Besprechung von Don Winslows „Satori“ (Satori, 2011) […]
Vielleicht ist Shibumi auch eher ein Buch voller melancholischer Betrachtungen über Ästhetik, lediglich für die Masse getarnt als „Thriller“? Denn ein herkömmlicher Action-Thriller ist „Shibumi“ ganz gewiß nicht, eher die – gemäß Shibumi-Grundsätzen – unter der alltäglichen Erscheinung eines Thrillers verborgen liegende Studie über Poetik und Kultur. Prophetisch die nun vier Jahrzehnte alten Worte: „Wir leben im Zeitalter des mittelmäßigen Menschen, der stumpf ist, farblos und langweilig – aber unfehlbar siegreich“.
Hätten sie Millionen gelesen, wenn sie nicht im publikumswirksamen Gewand eines Romans über einen Profikiller erschienen wären? Wäre ein Roman über Nokolai, der „weder die Krücke der Anerkennung noch die Bestätigung der Macht“ braucht, ein Bestseller geworden – heute, wo die Aussage des Autors – „die Massen sind die letzten Tyrannen“ – vor aller Augen Realität ist?
[…] um Plausibilität und Realismus. Dafür gibt es popkulturelle Anspielungen (so liest der Prince Trevanians Profikillerode „Shibumi“), lange Monologe (dank Lemon erfahren wir, wie im Buch, alles über Thomas, die kleine Lokomotive […]