Das Cover deutet eher auf einen dieser unzähligen vergessenswerten Horrorfilme hin, bei denen man mit einem zugkräftigem Titel ahnungslose Käufer fangen will. Doch das ist ein Etikettenschwindel. Denn „Psycho Legacy“ ist eine spielfilmlange Dokumentation über die vier „Psycho“-Filme mit Anthony Perkins in der Rolle seines Lebens.
Auf der DVD-Rückseite geht der Etikettenschwindel weiter. Denn als „Special Features“ werden „Deleted Scenes“, „Interviews“ und eine „Trailershow“ (Bäh, das ist, als ob auf dem Cover eines Taschenbuches stünde: „mit Hinweisen auf weitere Bücher aus dem Verlag“) angekündigt.
„Interviews“ ist zwar nicht ganz falsch, aber damit wird die schiere Menge der Interviews unterschlagen. Denn Regisseur und Produzent Robert V. Galluzzo packte da, neben den fast zwanzig Minuten geschnittener Szenen (unter anderem ein gut fünfminütiges Abwatschen von Gus van Sants „Psycho“-Remake) einfach alles drauf, was er in der Doku „Psycho Legacy“ nicht verwenden konnte und das sind insgesamt über fünf (!) Stunden weitgehend hochinteressantes Material. In den USA erschien die Doku mit Bonusmaterial als Doppel-DVD – und das hätte man auch hier machen sollen. Vor allem, weil das Bonusmaterial auf der deutschen Ausgabe anscheinend noch umfangreicher ausgefallen ist. Denn die Bildqualität lässt manchmal doch arg zu wünschen übrig und der Ton; – nun, die Doku wurde nicht mit High-End-Equipment aufgenommen.
Wer aber über diese technischen Probleme hinwegsieht, wird vor allem über die in den achtziger Jahren gedrehten „Psycho“-Filme viel Neues erfahren. Diese Filme stehen eindeutig im Schatten von Alfred Hitchcocks „Psycho“ (über Norman Bates, der unter dem Einfluss seiner Mutter stehend, vor allem Frauen mordet), einem Klassiker des Kriminal- und Horrorfilms, dessen Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und über den es auch, im Gegensatz zu den Fortsetzungen, entsprechend viele und umfangreiche Dokumentationen und Bücher gibt.
Als zwanzig Jahre später in „Psycho II“ die Geschichte von Norman Bates, der als geheilt aus der Irrenanstalt entlassen wird, sich kurz darauf wieder mit Morden, die anscheinend von seiner Mutter begangen werden, konfrontiert und als Mörder verdächtigt sieht, weitererzählt wird, waren die skeptischen bis negativen Reaktionen vorhersehbar. Denn natürlich konnte „Psycho II“ nur schlechter als „Psycho“ sein: „nicht ganz ohne Interesse, wenn man sie als Parodie versteht“ (Fischer Film Almanach 1984) „Fortsetzung…grenzt fast an Blasphemie“ und „Kopie des unerreichbaren Vorgängers“ (Meinolf Zurhorst : Lexikon des Kriminalfilms – Völlig überarbeitete Neuausgabe [1993]) und, fast schon überschwänglich positiv „ordentlich inszeniert und gespielt“ (Lexikon des internationalen Films). Begeisterung liest sich anders.
„Psycho II“ war ursprünglich als TV-Film geplant, entsprechend niedrig budgetiert, erhielt dann in den USA doch einen Kinostart und war an der Kasse sehr erfolgreich. In der Doku „Psycho Legacy“ wird „Psycho II“ von den Interviewten immer wieder ein überraschend gutes Sequel genannt.
Auch „Psycho III“ (bei dem Anthony Perkins Regie führte) und „Psycho IV“ kommen gut weg. Denn die als Fanprojekt begonnene Dokumentation war nie als übermäßig kritischer Rückblick auf die Filme geplant. Dafür lieben Regisseur Galluzzo und seine Gesprächspartner, von denen die meisten auch in die „Psycho“-Filme involviert waren, die Filme zu sehr.
Galluzzo sprach unter anderem mit Hilton Green (Assistant Director bei „Psycho“, Produzent bei „Psycho II – IV“), den Drehbuchautoren Tom Holland („Psycho II“) und Charles Edward Pogue („Psycho III“), den Regisseuren Mick Garris („Psycho IV“) und Stuart Gordon (der mit Perkins zusammenarbeitete) und vielen Schauspieler, wie Jeff Fahey, Henry Thomas, Robert Loggia, Lee Garlington, Diana Scarwild, Katt Shea (die später „Carrie 2“ drehte) und Olivia Hussey, die alle in mindestens in einem „Psycho“-Fllm mitspielten. Sie geben gute Einblicke in die Entstehung der Filme und teilen ihr Wissen gerne; – vor allem in den weitgehend ungeschnittenen Interviews im Bonusmaterial. Da reden „Psycho II“-Drehbuchautor Tom Holland fast zehn Minuten, „Psycho III“-Drehbuchautor Charles Edward Pogue fast 25 Minuten und „Psycho IV“-Regisseur Mick Garris eine gute halbe Stunde, ohne zu langweilen, über die Filme.
Es gibt auch Ausschnitte aus einer 42-minütigen Q&A-Panel-Diskussion von 1988 mit Anthony Perkins (der am 12. September 1992 starb) über „Psycho“. Die während der Dreharbeiten entdeckte Diskussion (jaja, Bild und Ton sind lau) ist vollständig im Bonusmaterial der DVD enthalten.
Auch von Richard Franklin, dem Regisseur von „Psycho II“, der kurz vor dem Beginn der Drehbarbeiten für „Psycho Legacy“ starb, ist nur Archivmaterial vorhanden. Er war von Gallazzos Idee, eine Doku über die „Psycho“-Filme zu machen, begeistert und half ihm auch bei den ersten Vorbereitungen.
Diese Interviews, wozu auch mehrere Filmkritiker von Horrorfilm-Zeitschriften und Autoren, wie David J. Schow (ein Hard-Case-Crime-Autor, Horrorschriftsteller und Drehbuchautor) schnitt Galluzo für die Doku „Psycho Legacy“ zu einem kurzweilig-informativem Mix zusammen, in dem aus den Interviews wieder eine eigene Erzählung wird und die vier „Psycho“-Filme mit Anthony Perkins chronologisch, in deutlich getrennten Segmenten, vorgestellt werden.
Wer sich nur für Alfred Hitcoccks „Psycho“ interessiert, dürfte enttäuscht sein. Über „Psycho“ wird nur die ersten zwanzig Minuten gesprochen und auch im Bonusmaterial gibt es eigentlich keine weiteren Informationen zu dem Film.
„Psycho Legacy“ ist ein filmhistorisch sehr interessanter, wertvoller und wichtiger Fanfilm (was sich vor allem im Budget niederschlug), der mit Tonnen an Informationen begeistert – und, obwohl „Psycho II“, „Psycho III“ und „Psycho IV“ nicht gerade die besten Filme sind (sie dürften sicher etwas unterschätzt sein, aber sie sind auch keine Klassiker), macht die Doku Lust darauf, sich die „Psycho“-Filme noch einmal anzusehen.
Psycho Legacy (The Psycho Legacy, USA 2010)
Regie: Robert V. Galluzzo
Drehbuch: Robert V. Galluzzo
mit Hilton A. Green, Tom Holland, Robert Loggia, Kurt Paul, Diana Scarwid, Jeff Fahey, Juliette Cummins, Katt Shea, Charles Edward Pogue, Mick Garris, Henry Thomas, Olivia Hussey, Stuart Gordon, Anthony Perkins (Archivmaterial), Janet Leigh (Archivmaterial), Vera Miles (Archivmaterial), Alfred Hitchcock (Archivmaterial), Richard Franklin (Archivmaterial)
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DVD
Ascot Elite
Bild: 16:9
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: –
Bonusmaterial: Deleted Scenes, Interviews
Länge: 87 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
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Die „Psycho“-Filme
Psycho (Psycho, USA 1960)
Regie: Alfred Hitchcock
Drehbuch: Joseph Stefano
LV: Robert Bloch: Psycho, 1959 (Psycho)
mit Janet Leigh, Anthony Perkins, Vera Miles, John Gavin, Martin Balsam, John McIntire, Simon Oakland
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Psycho II (Psycho II, USA 1982)
Regie: Richard Franklin
Drehbuch: Tom Holland
mit Anthony Perkins, Vera Miles, Meg Tilly, Robert Loggia, Dennis Franz
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Psycho III (Psycho III, USA 1986)
Regie: Anthony Perkins
Drehbuch: Charles Edward Pogue
mit Anthony Perkins, Diana Scarwild, Jeff Fahey, Roberta Maxwell, Hugh Gillin
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Psycho IV – The Beginning (Psycho IV – The Beginning, USA 1990, TV-Produktion)
Regie: Mick Garris
Drehbuch: Joseph Stefano
mit Anthony Perkins, Henry Thomas, Olivia Hussey, CCH Pounder, Warren Frost, John Landis
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Das missglückte 1-zu-1-Remake (das in der Doku nicht erwähnt wird)
Psycho (Psycho, USA 1998)
Regie: Gus Van Sant
Drehbuch: Joseph Stefano
mit Vince Vaughn, Anne Heche, Julianne Moore, Viggo Mortensen, William H. Macy, Robert Forster, Philip Baker Hall, Anne Haney
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Hinweise
MediaMikes: Interview mit Robert V. Galluzzo zu „Psycho Legacy“ (18. Juni 2010)
Wikipedia über „Psycho Legacy“
Der „Psycho Legacy“-YouTube-Kanal
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Und hier das Cover der US-amerikanischen DVD, das mir aus offensichtlichen Gründen besser gefällt.
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