Mit „Archangel“ betritt William Gibson Neuland.
Seit seinem 1984 erschienenem Romandebüt „Neuromancer“ ist er als Science-Fiction-Autor und einer der Erfinder des Cyberpunk bekannt. Davor veröffentlicht er bereits mehrere Kurzgeschichten in Science-Fiction-Magazinen.
Zwei seiner Geschichten wurden auch verfilmt. Die Filme „Vernetzt – Johnny Mnemonic“ und „New Rose Hotel“ waren vor allem interessant, aber nicht wirklich gelungen. In unzähligen anderen Filmen ist sein Einfluss (und der des Cyberpunk) unübersehbar. Zum Beispiel in den „Matrix“-Filmen, „Tron“ und, ab Donnerstag im Kino, „Ready Player One“ in einer sehr jugendfrei-poppigen 80er-Jahre-Retro-Version, die nichts mehr vom nihilistischen Punk-Noir-Gestus des frühen Cyberpunk hat.
Gibson versuchte sich auch als Drehbuchautor. Bis auf zwei verfilmte „Akte X“-Drehbücher allerdings erfolglos. Auch „Archangel“ begann, wie Gibson im Nachwort des Buches erzählt, als Idee für ein Drehbuch. Erstmals stellten Gibson und sein Co-Autor Michael St. John Smith die Geschichte einem deutschen TV-Sender vor. Als der Produzent angesichts der Vorschläge von Gibson und St. John Smith entsetzt abwinkte, formulierten sie ihre Ideen zu Gibsons erstem Comic um. Der wurde dann prompt für den Eisner Award in der Kategorie „Beste abgeschlossene Serie“ nominiert.
2016 wird in einem dystopischen Alternativuniversum Junior Henderson, Vizepräsident der USA, auf eine Zeitreise in das Jahr 1945 geschickt. Er soll seinen Großvater, Mayor Aloysius Henderson, umbringen und die erste Phase des Projekts Archangel, das Zeitreisen und Veränderungen der Realität in Paralleluniversen ermöglicht, einleiten.
Kurz darauf werden von einer Widerstandgruppe zwei Marines ebenfalls in das Jahr 1945 geschickt. Sie landen sechs Monate später, im August 1945, in Berlin. Sie sollen Henderson, der mit seinen Taten eine Katastrophe heraufbeschwören wird, töten und so den Lauf der Geschichte zum Positiven ändern; – okay, wie bei allen Zeitreise-Geschichten sollten wir diesen Punkt wahrscheinlich nicht weiter vertiefen.
In Berlin legen die beiden Soldaten eine ziemlich katastrophale Landung hin. Einer stirbt, der andere wird von den Amerikanern inhaftiert.
Die britische Agentin Naomi Givens glaubt, dass der seltsame Mann wirklich aus der Zukunft gekommen ist. Sie will ihm helfen.
Henderson, der inzwischen ebenfalls in Berlin ist, will den aus der Zukunft kommenden Soldat töten und er ist bei seiner Jagd nach dem namenlosen Marine, Naomi Givens und ihrem Freund, dem US-Army-Captain Vince Matthews, nicht zimperlich. Immerhin könnten die Drei seinen Plan, durch die Zündung einer Atombombe den uns bekannten Lauf der Welt zu verändern, sabotieren.
„Archangel“ ist eine auf zwei Zeitebenen spielender Action-Thriller, der in erster Linie eine atemlose Hatz durch das vom Krieg zerstörte Berlin ist. Mit viel Action und einer spürbaren Freude am Zitat. Als hätte man Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ noch einmal liebevoll durch den Popkultur-Schredder geschickt und mit einer ordentlichen Prise SF-Noir abgeschmeckt.
Wenn am Ende der fünfteiligen Miniserie, die Cross Cult in einem Band mit etwas Bonusmaterial veröffentlichte, die eine Welt gerettet ist, verrät die letzte Seite des Comics, dass unsere tapferen Recken 1945 zwar eine Katastrophe verhinderten, aber die Gegenwart nicht viel besser aussieht.
Da würde ich gerne die Verfilmung sehen.
William Gibson (Text)/Michael St. John Smith (Text)/Butch Guice (Zeichnungen)/Alejandro Barrionuevo (Zeichnungen)/ Wagner Reis (Zeichnungen): Archangel
(übersetzt von Michael Schuster)
Cross Cult, 2017
128 Seiten
22 Euro
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Originalausgabe
William Gibson’s Archangel
IDW, 2017
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William Gibson in seinem angestammten Metier
In seinem letzten Roman „Peripherie“ erzählt William Gibson die Geschichte von Flynne, die an Stelle ihres Bruders ein Computerspiel testet und eine dystopische, virtuelle Welt betritt, die in Wirklichkeit die Zukunft ist. Sie beobachtet einen Mord und Wilf, der das Opfer betreute, ist auf die Hilfe der einzigen Zeugin angewiesen.
Mit 624 Seiten wahrlich keine Gute-Nacht-Lektüre.
Das Taschenbuch erscheint im September bei Knaur.
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William Gibson: Peripherie
(übersetzt von Cornelia Holfelder-von der Tann)
Tropen, 2016
624 Seiten
24,95 Euro
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Originalausgabe
The Peripheral
G. P. Putnam’s Sons, New York, 2014
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Hinweise
Deutsche Homepage von William Gibson
Wikipedia über William Gibson (deutsch, englisch)
Rolling Stone interviewt William Gibson (2007)
De:Bug Magazin redet mit William Gibson (2008 )
Intor redet auch mit William Gibson (2008 )
The Boston Globe macht „Q&A“ mit William Gibson (2007)
Powells telefoniert mit William Gibson (2007)
DShed: Lesung und Diskussion mit William Gibsonüber “Systemneustart” (6. Oktober 2010, 69 Minuten)
Meine Besprechung von William Gibsons „Systemneustart“ (zero history, 2010) (mit einigen Videoclips)
William Gibson in der Kriminalakte
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William Gibson über den Comic (jaja, der Ton ist leise, das Publikum ist hörbar und das Bild…)