Dreimal Verbrechen für Zwischendurch

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„Kaliber .64“ nennt sich die von Volker Albers in der Edition Nautilus herausgegebene Reihe. „Kaliber“ weil’s um Verbrechen geht. „64“ weil keine Geschichte länger als 64 Seiten ist. Natürlich sind nicht alle Geschichten genau gleich lang. Denn mit dem Layout wird schon etwas geschummelt.

Neben der Länge bietet die „Kaliber .64“-Reihe für Autoren eine weitere Herausforderung: sie müssen eine Geschichte erzählen, die in diesem Format funktioniert. Das ist einfacher gesagt („64 Seiten schreiben? Kein Problem.“) als getan. Zuletzt stellten sich Gunter Gerlach, Susanne Mischke und Gabriele Wolff dieser Herausforderung.

Gabriele Wolff verirrte sich in ihrem langatmigen Psychothriller „Im Dickicht“ hoffnungslos in dem titelgebenden Gestrüpp. Kerstin Schroth zog mit ihrem Mann Bernd und ihrem Sohn Michael aus der Großstadt in die brandenburgische Provinz. Er reist als Architekt um den Globus. Sie verbringt ihre Zeit als Hausfrau mit dem Warten auf ihn, dem Beobachten ihrer Pflanzen und der Angst vor den Nachbarn, die sie beobachten und auf jeden Fehltritt der Zugezogenen achten. Dieses an sich schon seltsam-bedrückende Leben gerät vollends aus den Fugen, als auf ihrer Türschwelle ein Brief liegt, in der eine Nebenbuhlerin sie auffordert, Bernd zu verlassen. Erschreckender als der Inhalt ist für Kerstin, dass offensichtlich sie den Brief geschrieben hat.

„Im Dickicht“ ist der gar nicht so schlechte Titel für eine ziemlich misslungene Geschichte. Das beginnt mit der eigenwilligen Entscheidung, die Geschichte aus zwei Perspektiven zu erzählen, die sich gegenseitig behindert. Einerseits erzählt Wolff aus Kerstins Perspektive in der dritten Person Präteritum, wie Kerstin den Kontakt zur Wirklichkeit verliert und glaubt, dass sich alle gegen sie verschworen haben. In der ersten Person Präsens erzählt Wolff aus der Sicht eines Polizisten, wie dieser immer mehr begreift, dass Kerstin verrückt wird.

Weil beide Perspektiven sich konträr gegenüberstehen, einerseits die einer langsam verrückt werdenden Frau, andererseits die eines objektiven, mäßig-interessierten Beobachters, wird ziemlich schnell offensichtlich, dass hier wahrscheinlich versucht wurde zu zeigen, wie eine Frau sich in eine Wahnwelt hineinsteigert.

Das Ende ist in jedem Fall dann nur noch verwirrend. Oder in den Worten des Polizisten: „Gott, dieses Gespräch werde ich niemals auf die Reihe kriegen fürs Protokoll. (…) Ich bin nicht zu gebrauchen. Das hier ist nicht mein Fall.“

Während „Im Dickicht“ trotz der Kürze zu lang ist, ist es bei Susanne Mischkes „Sau tot“ genau umgekehrt. Denn „Sau tot“ ist ein Whodunit, der keine Zeit für die vielen Tatverdächtigen hat. So ist man mehr damit beschäftigt, die einzelnen Namen zu sortieren, als den Ermittlungen zu folgen. Entsprechend blass bleiben die Verdächtigen.

Nach einer Dorfhochzeit, bei der ein gutes Dutzend Personen vorgestellt werden, ist Jan Lemke, der stinkreiche Sohn, Dorf-Gigolo und Vorsitzende eines Clubs von Junggesellen, tot. Er wurde mit einer Mistgabel erstochen. Kommissar Lars Seehafer hat zahlreiche Verdächtige: die Hochzeitsgäste, die spurlos verschwundene Braut, die örtliche Biobäuerin Kati Lenzen und ihre vom Krieg verwirrte Großmutter. Immerhin ärgerte der Ermordete die Bäuerin immer wieder und er war in der Nacht vor der Hochzeit für den Tot ihres Lieblingsschweines Hermine verantwortlich.

Die Ermittlungen folgen dem üblichen Frage-Antwort-Spiel. Außerdem gibt es immer wieder Beweise, die in die eine, oder die andere Richtung deuten, bis Kommissar Seehafer dann auf Seite 57 einen Geistesblitz hat und den Täter kennt.

Während „Im Dickicht“ in Teilen im Präsens geschrieben wurde, wurde „Sau tot“ vollständig im Präsens geschrieben. Das scheint, Gunter Gerlach tut’s in „Engel in Esslingen“ ebenfalls, eine neue Mode bei deutschen Autoren zu werden. Doch, wie die Geschichten von Wolff und Mischke, zeigen, ist es schwer im Präsens glaubwürdig eine spannende Geschichte zu erzählen. Es ist ein oft nicht sinnvoller Bruch mit den Lesegewohnheiten. Vieles wirkt gekünstelt und klingt einfach unnatürlich. Nicht umsonst werden die meisten Geschichten in der Vergangenheitsform erzählt.

Gunter Gerlachs „Engel in Esslingen“ ist, wie gesagt, ebenfalls im Präsens geschrieben. Aber hier ist das Ergebnis eine stimmige Gaunerkomödie, in der Ich-Erzähler Valerian und sein Kumpel Ebbe zwei Typen sind, die einfach keine fünf Sekunden in die Zukunft denken können. Das zeigen schon die ersten Zeilen: „Ebbe beugt sich zum Bahnsteig herab. (…) Er kommt wieder hoch, zeigt mir die Münze. ‚Fünf Cent. Immerhin.’“

Die beiden Ex-Knackis und, wie wir später erfahren, gerade gefeuerten Geldeintreiber fahren mit dem Zug nach Esslingen zu ihrem Kumpel Rolf. Der hat nämlich den Plan für ein ganz großes Ding. Bereits auf der Zugfahrt werden sie von einem falschen Schaffner bestohlen und Ebbe wird von einer Frau mit einer Lockenfrisur wie eine Mütze mit einer Gabel in die Hand gestochen. Es ging um eine Wurst. Kaum angekommen entdecken Valerian und Ebbe den Dieb, aber bevor sie etwas unternehmen können, schreit die Frau mit der Lockenfrisur, sie hätten sie bestohlen.

Die beiden Ex-Knackis suchen das Weite. Doch damit hat ihre Pechsträhne gerade begonnen. In Rolfs Wohnung entdecken sie seine Leiche und ihr Plan von dem großen Geld scheint sich in Luft aufzulösen. Aber so leicht geben die Beiden nicht auf.

„Engel in Esslingen“ ist eine schwarzhumorige Gaunerkomödie mit absurden Wendungen und einer Handvoll Charaktere, die nicht gerade Geistesgrößen sind und absolut keinen Respekt vor fremdem Eigentum haben. Das ist die Art von Geschichten, die im kurzen „Kaliber .64“-Format ausgezeichnet funktionieren. Gleichzeitig macht „Engel in Esslingen“ Lust auf die anderen Werke von Gunter Gerlach. Und auch das ist eines der Ziele der Reihe: für wenig Geld einen Autor vorstellen.

 

Gabriele Wolff: Im Dickicht

Edition Nautilus, Kaliber .64, 2007

64 Seiten

4,90 Euro

Homepage der Autorin: http://www.gabrielewolff.de/

 

Susanne Mischke: Sau tot

Edition Nautilus, Kaliber .64, 2007

64 Seiten

4,90 Euro

Homepage der Autorin: http://www.susannemischke.de/

 

Gunter Gerlach: Engel in Esslingen

Edition Nautilus, Kaliber .64, 2007

64 Seiten

4,90 Euro

Homepage des Autors: http://www.gunter-gerlach.de/

 

Meine Besprechung der Kaliber .64-Bücher „Horst Eckert: Der Absprung“ (Top), „Frank Göhre: Der letzte Freier“ (Top) und „Regula Venske: Mord im Lustspielhaus“ (Flop):

http://www.alligatorpapiere.de/spurensuche-zwanzigneun.html

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