Das Jahresende ist eine genauso gute Gelegenheit, wie jeder andere Tag, den Schreibtisch aufzuräumen und die ganzen Bücher, die ich in den vergangenen Monaten aus verschiedenen Gründen nicht abfeiern konnte, oder immer noch nicht vollständig gelesen habe (und ich abschätzen kann, dass ich sie die nächsten Tage nicht fertig lesen werde), wenigstens kurz zu besprechen. Immerhin ist mein bisheriger Eindruck von den angelesenen Werken gut.
Apropos „angelesen“. Das ist natürlich, wie Wiglaf Droste in seiner Kolumne „Angedacht“ sagt, die Faulheit etwas selbst zu beenden. Viel lieber überlässt man die Arbeit jemand anderem. In einem Betrieb natürlich den Untergebenen.
Inzwischen habe ich seine neueste Textsammlung „Sprichst du noch oder kommunizierst du schon?“ fast zu Ende gelesen und – natürlich – sind es herrlich pointierte Sprachglossen und treffende Alltagsbeobachtungen.
Sehr empfehlenswert, wobei man die meist zwei- bis dreiseitigen Texte, wohldosiert lesen sollte. Jeden Abend einen. Oder zwei. Oder drei. Ach, einer geht noch.
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Wiglaf Droste: Sprichst du schon oder kommunizierst du schon?
Goldmann, 2013
224 Seiten
8,99 Euro
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Originalausgabe
Verlag Klaus Bittermann, 2012
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Hinweise
Tourmanagement von Wiglaf Droste
Homepage von „Häuptling Eigener Herd“
Homepage von MDR Figaro
Wikipedia über Wiglaf Droste
Meine Besprechung von Wiglaf Drostes „Im Sparadies der Friseure“(2009/2010)
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In kleinen Dosen sollte man auch „Das kleine Buch der Mafia-Weisheiten“ von Wesley Jacques lesen. In ihm sind, hübsch thematisch gebündelt, Weisheiten von echten und falschen Mafiosi (also den bekannt-beliebten Filmgangstern), weitgehend eben den üblichen Verdächtigen, enthalten.
Einige Kostproben:
Der Lauteste in einem Raum ist immer auch der Schwächste. (Frank Lucas)
Trag keine Waffe bei dir. Es ist schön, sie in der Nähe zu haben, aber trage sie nicht bei dir. Du könntest verhaftet werden. (John Gotti)
Du kannst kein Geld machen mit einer Waffe in der Hand. (Lucky Luciano – Bonano: A Godfather’s Story, 1999)
Kapitalismus ist die legitime Gaunerei der herrschenden Klasse. (Al Capone, von dem es auch weitere Gedanken zu dem Thema gibt)
Woher wollen Sie wissen, dass Sie kein Schmiergeld mögen, wenn Sie nie welches angenommen haben? Hier. (Fat Tony – Die Simpsons, 1997)
Eine falsche Entscheidung ist besser als keine Entscheidung. (Tony Soprano – Die Sopranos, 1999)
Mehr..
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Wesley Jacques: Das kleine Buch der Mafia-Weisheiten
(übersetzt von Wolfdietrich Müller)
Lübbe, 2013
192 Seiten
10 Euro
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Originalausgabe
The little black Book of Mafia Wisdom
Skyhorse Publishing, 2012
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Gewohnt umfangreich und informativ fällt „Das Science-Fiction-Jahr 2013“ aus: es gibt längere Nachrufe auf Boris Strugatzki, Harry Harrison und Jack Vance, mehrere Texte über das Verhältnis von Science-Fiction zur Realität, zur Wissenschaft und warum Science -Fiction so selten die Zukunft vorhersagen kann und vertiefende Texte über James Triptree jr., Ridley Scott, Frank Herberts „Der Wüstenplanet“ und die Versuche, es zu verfilmen, ein Interview mit Daniel Suarez, Cory Doctorow schreibt über „Digitale Übermütter“ und beschäftigen sich, topaktuell, mit Datensicherheit und dem Verhältnis von Computerbesitzern und -nutzern zueinander.
Es gibt, wie immer, Buch-, Comic-, Hörspiel-, Film- und Game-Kritiken, eine ausführliche Markübersicht, etliche Preisträgerlisten und mehrere kurze Nachrufe.
Gerade die Nachrufe und Autorenporträts haben die unangenehme Nebenwirkung, dass ich ins nächtsgelegene Antiquariat stürmen will. Denn die deutschen Übersetzungen der meisten Werke von Vance, Harrison („Solyent Green“ ist gerade wieder erschienen), und Triptree jr. (obwohl es da eine neue, noch nicht vollständig erschienene Werkausgabe gibt) sind nur noch dort erhältlich. In den USA sieht die Situation besser aus, aber nicht jeder kann und will die Werke im Original lesen.
Kleines Sonderlob: Am Ende der Texte gibt es erstmals kleine Autorenbiographien.
Kleiner Hinweis: Für den Frühling ist „Das Science-Fiction-Jahr 2014“ bereits angekündigt.
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Sascha Mamczak/Sebastian Pirling/Wolfgang Jeschke (Hrsg.): Das Science-Fiction-Jahr 2013
Heyne, 2013
992 Seiten
36,99 Euro
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Hinweise
Meine Besprechung von Sascha Mamczak/Wolfgang Jeschke (Hrsg.) „Das Science Fiction Jahr 2008″
Meine Besprechung von Sascha Mamczak/Wolfgang Jeschke (Hrsg.) „Das Science Fiction Jahr 2009“
Meine Besprechung von Sascha Mamczak/Wolfgang Jeschke (Hrsg.) „Das Science Fiction Jahr 2010“
Meine Besprechung von Sascha Mamczak/Sebastian Pirling/Wolfgang Jeschke (Hrsg.) „Das Science-Fiction-Jahr 2011“
Meine Besprechung von Sascha Mamczak, Sebastian Pirling, Wolfgang Jeschkes (Hrsg.) „Das Science-Fiction-Jahr 2012“
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Den Antiquariatsbesuch kann ich natürlich mit einem kleinen Stadtbummel verbinden und mir einige mir noch unbekannte Ecken von Berlin ansehen, die ich in „111 Orte in Berlin, die man gesehen haben muss – Band 2“ und „111 Orte in Berlin auf den Spuren der Nazi-Zeit“ entdeckte.
Während Lucia Jay von Seldencek, Carolin Huder und Verena Eidel bei „111 Orte in Berlin, die man gesehen haben muss – Band 2“ nach dem ersten Band und „111 Orte in Berlin, die Geschichte erzählen“ langsam überlegen müssen, welche Plätze sie noch empfehlen, hatte Paul Kohl, mit Fotografien von Nadia Boegli, für „111 Orte in Berlin auf den Spuren der Nazi-Zeit“ das gegenteilige Problem: welche der vielen Nazi-Orte sollte er nicht hineinnehmen?
Aufgebaut sind die beiden Reiseführer gleich und damit auch wie die anderen Emons-Reiseführer: pro Doppelseite wird ein Ort vorgestellt. Links mit Worten. Rechts mit einem Bild, manchmal auch zwei: ein historisches und ein aktuelles, auf dem wir oft sehen, dass die Orte sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr änderten. Gebäude wurden umgebaut, zerstört, neu gebaut, Brachen verwilderten oder wurden bebaut.
Für mich als Neu-Berliner: feine Lektüre. Die gebürtigen Berliner brauchen das Buch nicht, weil sie nie ihren Kiez verlassen.
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Lucia Jay von Seldeneck/Carolin Huder/Verena Eidel: 111 Orte in Berlin, die man gesehen haben muss – Band 2
Emons, 2013
240 Seiten
14,95 Euro
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Paul Kohl: 111 Orte in Berlin auf den Spuren der Nazi-Zeit
Emons, 2013
240 Seiten
14,95 Euro
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Georg Seeßlen schreibt weiter an der Neuveröffentlichung seiner „Grundlagen des populären Films“. Erstmals erschienen die Filmbücher, die sich kundig und chronologisch mit verschiedenen Filmgenres beschäftigen, in den Siebzigern bei rororo. Seitdem gab es erweiterte Neuauflagen, zuletzt in den Neunzigern.
Damals in den Siebzigern waren die Bücher, die sich kundig mit den Filmgenres beschäftigten, für die Filmfans eine rettende Oase. Heute ist es, nach einer Blüte, wieder ähnlich. Denn Bücher, die sich kundig und analytisch mit dem Film beschäftigen, werden eigentlich nur noch von Kleinverlagen verlegt. Bei den großen Verlagen gibt es ab und an eine Starbiographie.
Als vierten Band der „Grundlagen des populären Films“-Neuveröffentlichung erschien jetzt „Filmwissen: Thriller“ und, im Vergleich zur vorherigen Ausgabe von 1995, hat sich der Umfang ungefähr verdoppelt. Das neue Kapitel „1995 – 2013: Globalisierte Stätten der Angst“ umfasst die Seiten 275 bis 508, in der er sich, weitgehend chronologisch und thematisch leicht sortiert, mit dem Thriller-Geschehen der letzten gut zwanzig Jahre beschäftigt.
Der Vorteil der von Georg Seeßlen gewählten Struktur ist, dass sie – nach dem thematischen Eingangskapitel über die mythologischen Grundlagen des Kinos der Angst – leicht erweitert werden kann. Der Nachteil ist, dass sich die chronologische Abhandlung der einzelnen Filme schnell lexikalisch liest und ein Lexikon lädt nun einmal mehr zum herumblättern als zum chronologischen Durchlesen an. Davon abgesehen: beeindruckend, welche Filmmenge der gute Mann sich ansieht.
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Georg Seeßlen: Filmwissen: Thriller
Schüren, 2013
536 Seiten
24,90 Euro
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Hinweise
Meine Besprechung von Georg Seeßlens „Quentin Tarantino gegen die Nazis – Alles über ‘Inglourious Basterds’“ (2009)
Meine Besprechung von Georg Seeßlens „George A. Romero und seine Filme“ (2010)
Meine Besprechung von Georg Seeßlens „Filmwissen: Detektive (Grundlagen des populären Films)“ (2010)
Meine Besprechung von Georg Seeßlens „Filmwissen: Western (Grundlagen des populären Films)“ (2010)
Meine Besprechung von Georg Seeßlens „Filmwissen: Abenteuer (Grundlagen des populären Films)“ (2011)
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Der König des Thrillers war Alfred Hitchcock. In „Hitchcock und die Künste“ sind die während der gleichnamigen Ringvorlesung in Saarbrücken 2011/2012 gehaltenen Vorträge und ein weiterer Text, reichhaltig illustriert, erschienen.
Es geht um Hitchcocks Literaturverfilmungen, das Londoner Theater der zwanziger und dreißiger Jahre, die Architektur in seinen Filmen, die Musik und den Zusammenhang zwischen Essen, Sexualität und Tod in seinen Filmen und aktuelle Auseinandersetzungen von Künstlern mit seinem Werk.
Das ist natürlich etwas speziell und eher für die Hitchcock-Fans, die sich in bestimmte Aspekte von seinem Werk vertiefen wollen. Wie mich, der die fünfte Hitchcock-Biographie nicht so reizvoll findet.
Henry Keazor (Hrsg.): Hitchcock und die Künste
Schüren, 2013
224 Seiten
19,90 Euro
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Hinweise
Wikipedia über Alfred Hitchcock (deutsch, englisch)
Senses of Cinema (Ken Mogg) über Alfred Hitchcock
Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 1“
Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 2“
Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 1“
Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 2
Meine Besprechung von Alfred Hitchcocks “Mr. und Mrs. Smith” (Mr. and Mrs. Smith, USA 1941)
Meine Besprechung von Thily Wydras “Alfred Hitchcock”
Alfred Hitchcock in der Kriminalakte
Meine Besprechung von Sacha Gervasis Biopic “Hitchcock” (Hitchcock, USA 2012)
Meine Besprechung von Robert V. Galluzzos “Psycho Legacy” (The Psycho Legacy, USA 2010 – eine sehenswerte Doku über die “Psycho”-Filme mit Anthony Perkins, mit vielen Stunden informativem Bonusmaterial)
Meine Besprechung von Stephen Rebellos “Hitchcock und die Geschichte von ‘Psycho’” (Alfred Hitchcock and the Making of ‘Psycho’, 1990)
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Irgendwo zwischen Thriller und Horror steht Dario Argento, der „Profondo Rosso“, „Susperia“, „Tenebrae“ und „Opera – Terror in der Oper“ inszenierte, dessen Werke in Deutschland allerdings kaum im Kino liefen und insgesamt, bis auf sein Debüt „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ (einer Pseudo-Bryan-Edgar-Wallace-Verfilmung, die öfters im TV läuft), eine beeindruckende Zensurgeschichte hinter sich haben. Einen ersten Eindruck von dieser Geschichte bieten die Fassungsinformationen in Argentos Filmographie am Ende des von Michael Flintrop und Marcus Stiglegger herausgegebenen Buches „Dario Argento – Anatomie der Angst“. Es ist die erste ausführliche Auseinandersetzung mit dem Werk des Giallo- und Gothic-Horror-Regisseurs, der immer wieder ein Händchen für beeindruckende und einprägsame Bilder hatte.
In dem Buch wird, von verschiedenen Autoren (unter anderem Ivo Ritzer, Dominik Graf, Thomas Groh und Oliver Nöding) jeder Argento-Film besprochen. Es gibt vertiefende Artikel zu bestimmten Aspekten von Argentos Werk, wie Argentos Werk im Spiegel des Grand Guignol, die Musik, seine Räume, Genre und Gender, einen Vergleich zwischen Dario Argentos und Brian De Palmas Werk und natürlich sein Werk im Spiegel der deutschen Justiz.
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Michael Flintrop/Marcus Stiglegger (Hrsg.): Dario Argento – Anatomie der Angst
Bertz + Fischer, 2013 (Deep Focus 16)
304 Seiten
25 Euro
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Hinweise
Wikipedia über Dario Argento (deutsch, englisch)
Meine Besprechung von Marcus Stigleggers “David Cronenberg” (2011)
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Von dem jährlichen Drehbuchalmanach „Scenario“ gibt es inzwischen die siebte Ausgabe und bislang wurde am bewährten Aufbau nichts geändert. Für die nächste Ausgabe verspricht Herausgeber Jochen Brunow einige Neuerungen.
In dem aktuellen Band gibt es, wie immer, ein ausführliches Interview mit einem Drehbuchautor (dieses Jahr Stefan Kolditz [„Dresden – Das Inferno“, Unsere Mütter, unsere Väter“], in „Scenario 5“ war es Dominik-Graf-Autor Rolf Basedow [„Hotte im Paradies“, „Im Angesicht des Verbrechens“]), Essays, Blicke in die Geschichte des Films unter besonderer Berücksichtigung des Drehbuchs (dieses Jahr unter anderem über Tonino Guerra), einige Rezensionen und das Drehbuch des Jahres: „Freistatt – Drehbuch für ein historisches Drama“, von Nicole Armbruster und Marc Brummond.
Insgesamt eine feine Lektüre, auch wenn der Fokus auf deutschsprachigen Autoren liegt und oft Neulinge über ihre ersten Werke berichten; – was nicht uninteressant ist, aber ich würde auch gerne die Gedanken von langjährigen Autoren über ihre Arbeit und vielleicht einigen Einblicken in das Leben eines Serien-TV-Autors irgendwo zwischen „Soko“, „Traumschiff“ und „Tatort“ und einem Blick auf die ökonomischen Bedingungen des Schreibens und Produzierens von Filmen und vielleicht auch einmal ein Artikel, über die Qualitäten des deutschen Fernsehens freuen. Immerhin feiert Jochen Brunow die HBO-Serie „Treme“ ab, die bislang bei uns nicht auf DVD veröffentlicht oder im TV ausgestrahlt wurde.
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Jochen Brunow (Herausgeber): Scenario 7 – Film- und Drehbuchalmanach
Bertz + Fischer, 2013
336 Seiten
24 Euro
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Hinweise
Homepage von Jochen Brunow
Meine Besprechung von Jochen Brunows „Scenario 3 – Film und Drehbuchalmanach“
Meine Besprechung von Jochen Brunows „Scenario 4 – Film und Drehbuchalmanach“
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