Neu im Kino/Filmkritik: Donald Rumsfeld erklärt „The Unknown Known“

Juli 3, 2014

Der Mann ist ein netter Onkel.
Der Mann ist Donald Rumsfeld – und er ist kein netter Onkel. Jedenfalls wenn es um Politik geht. Er ist ein Falke, ein Rechtsaussleger, der nach dem 11. September 2001 seinen mehr als beträchtlichen Teil zum Krieg gegen den Terror beitrug, der Folter rechtfertigte und mehrere Kriege befürwortete. Davor war der 1932 geborene Protestant jahrzehntelang ein wichtiger Mann in Washington, ein Vertrauter von Richard Nixon, Gerald Ford, Ronald Reagan und George W. Bush, zweimal Verteidigungsminister (1975 – 1977, 2001 – 2006) und seit 1954 mit Joyce Pierson verheiratet. Während seines Lebens schrieb er zehntausende Notizen und Memoranden. Allein 20.000 während der Präsidentschaft Bushs als er Verteidigungsminister war. Rumsfeld sagte, er schrieb die Texte, um sich über sein Denken, seine Positionen, klar zu werden. Aus heutiger Sicht sind die Papiere, auch wenn ihr genauer Status für künftige Historikergenerationen und sicher auch für den Verfasser unklar ist, ein Einblick in Rumsfelds Denken und die Geschichte der USA.
Dokumentarfilmer Errol Morris („A Thin Blue Line“ [Der Fall Rachel Adams], „The Fog of War“ und sein Abu-Ghraib-Film „Standard Operating Procedure“) nahm diese Papiere zur Grundlage für sein 33-stündiges Interview mit Donald Rumsfeld, in dem Rumsfeld seine Sicht der Dinge erzählt. Morris konfrontiert ihn dabei fast nie direkt mit seinen früheren Aussagen. Dennoch wird schnell deutlich, dass Rumsfeld wirklich kein Denker ist. Er ist auch kein Mann, der zu seinen Entscheidungen und damit auch Fehlern steht. Sogar wenn er auf widersprüchliche Aussagen von ihm hingewiesen wird, negiert er die älteren Aussagen als ob es sie überhaupt nicht gäbe. Er blendet einfach die ihm ungenehmen und nicht in sein Weltbild passenden Dinge aus. Diese absolut fehlende Selbstkritik wird besonders deutlich, wenn er auf die von ihm damals zunächst negierte, später gerechtfertigte Folter von US-Streitkräften nach 9/11 oder den von ihm forcierten Einmarsch in den Irak angesprochen wird.
Der glänzent inszenierte Film ist auch ein Rückblick auf Rumsfelds Leben. 1962 wurde er erstmals in das Repräsentatenhaus gewählt. Seitdem verbrachte er, mit kurzen Ausflügen in die Wirtschaft, sein Leben in Washington, D. C., und Morris gelingt es in dichten Montagen diese Jahrzehnte Revue passieren zu lassen.
Wie ein musikalisches Leitmotiv zieht sich dabei Donald Rumsfeld Spruch von dem „unbekannte Bekannte“ durch den gesamten Film und am Ende des Films hat mein eine durchaus erschreckende Kenntnis über „jene Dinge, die wir zu wissen glauben, wobei es sich herausstellt, dass dies nicht der Fall ist“. Rumsfeld glaubten wir zu kennen. Wir glaubten auch, dass er eine tiefergehende, uns verborgene Agenda hat. Aber genau das hat er nicht. Er ist wie ein gut verschlossener Tresor, in dem Nichts drin ist.
Errol Morris‘ Frau Julia vergleicht Donald Rumsfeld mit der Grinsekatze aus „Alice im Wunderland“.
Die meisten Deutschen dürften diese gedankliche Leere von Donald Rumsfeld in „The Unknown Known“ nur spüren. Denn Errol Morris erwähnt nur die nötigsten Hintergründe, während er von einem informierten Publikum ausgeht, das den Vietnam-Krieg, die Reagan- und Bush-Präsidentenjahre und die ideologischen Hintergründe der US-Politik kennt. Insofern empfiehlt es sich durchaus, vor dem Filmbesuch ein wenig im Geschichtsbuch zu blättern. Der Film wird dadurch noch besser – und auch erschreckender.

The Unkown Kown - Plakat - 4

The Unknown Known (The Unknown Known, USA 2013)
Regie: Errol Morris
Drehbuch: Errol Morris
mit Donald Rumsfeld
Länge: 109 Minuten
FSK: ab 12 Jahre (Original mit deutschen Untertiteln)

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Berlinale: Pressekonferenz zum Film
Film-Zeit über „The Unknown Known“
Moviepilot über „The Unknown Known“
Metacritic über „The Unknown Known“
Rotten Tomatoes über „The Unknown Known“
Wikipedia über „The Unknown Known“ und Donald Rumsfeld (deutsch, englisch)

Homepage von Errol Morris


Und jetzt – als inoffiziellesMega-Making-of – noch einige Interviews mit Errol Morris über „The Unknown Known“

DP/30 unterhält sich mit Errol Morris

Harvard University: Homi Bhabha, Direktor des Mahindra Humanities Center, unterhält sich mit Errol Morris nach einer Präsentation des Films

Reason TV unterhält sich mit Errol Morris

Vice TV: Reihan Salam unterhält sich mit Errol Morris

 

 


Überwachungsstaat – Was ist das?

Juli 29, 2013

Etwas didaktisch und für Einsteiger, aber informativ


„Du sollst den Wähler für dumm verkaufen“ – Ehrlich?

Juli 1, 2013

Goettges - Häusler - Du sollst den Wähler für dumm verkaufen - 2

Erinnern Sie sich an den Film, den Sie zuletzt wegen des vielversprechenden Plakats ansahen?

Erinnern Sie sich an den Film, den Sie zuletzt wegen des grandiosen Trailers ansahen – und dann enttäuscht waren, weil all die atemberaubenden Szenen aus dem Trailer im Film gar nicht mehr so atemberaubend waren?

Nun, so ähnlich erging es mir mit „Du sollst den Wähler für dumm verkaufen – Die 10 ungeschriebenen Gebote der Politik“ von Ulf C. Goettges und Martin Häusler. Guter Titel, der nach einer ordentlichen Portion Politiker-Bashing klingt.

Auch die „10 ungeschriebenen Gebote der Politik“ stoßen in das gleiche Horn:

  1. Du sollst deine Macht verteidigen – der Parteifreund ist dein bester Feind

  2. Du sollst dir einen Clan suchen – ohne Seilschaft stürzt du ab!

  3. Du sollst nichts können – Minister kann jeder

  4. Du sollst hilfsbereit sein – wer sagt schon gern ‚korrupt‘?

  5. Du sollst Schauspieler sein – allein als Politiker packst du es nicht

  6. Du sollst Journalisten zensieren – Pressefreiheit ist gefährlich

  7. Du sollst nicht denken – die Partei regelt dein Leben schon

  8. Du sollst Steuern verschwenden – es ist ja nicht dein Geld

  9. Du sollst dich dumm stellen – der U-Ausschuss ist nur Theater

  10. Du sollst die Verfassung nicht so ernst nehmen – benutze sie, wie du sie brauchst

Na, das klingt doch nach einer ordentlichen Generalabrechnung mit den Idioten aus dem Bundestag. Aber dann singen das Autorenduo fast schon unverhohlen das Loblied auf den tapferen Abgeordneten, erzählen von den Arbeitsbelastungen eines Politikers, den Anfeindungen, wie der parlamentarische Betrieb funktioniert, wie wichtig Ausschüsse sind, welche Fähigkeiten man für ein Ministeramt benötigt und auch dem Desinteresse des Wählers. So bietet der CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Hardt in seinem Wahlkreis in Solingen einen Diskussionsabend zur damals heftig umstrittenen Griechenlandhilfe an und niemand kommt. So wird in den TV-Talkshows, wie „Günther Jauch“, „Anne Will“ und all den anderen Nachfolgern von „Sabine Christiansen“ durch die Inszenierung das Desinteresse an der Politik befördert. Dummerweise sind, auch durch die Sendezeiten und Ausstrahlungsorte, die Einschaltquoten bei diesen Inszenierungen besser als bei den gehaltvolleren Gesprächen, die zum Beispiel auf Phoenix (haben Sie den Sender schon auf ihrer Fernbedienung entdeckt?) laufen.

Dass das Buch von Ulf C. Goettges und Martin Häusler so differenziert wurde, liegt sicher auch an den zahlreichen von ihnen geführten Interviews, aus denen sie ausführlich zitieren. Auch wenn Gregor Gysi (Linkspartei) und Wolfgang Bosbach (CDU) öfter zitiert werden, haben sie sich mit Politikern aus allen Parteien, gefühlt mit einem leichten Grünen-Bias (viele Gesprächspartner, die aber oft nur ein-, zweimal vorkommen), wenigen FDPlern und Sozialdemokraten, teils aktiv, teils mehr oder weniger freiwillig aus der Politik ausgeschieden, fast immer Bundespolitiker, unterhalten. Dazu kamen noch Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, wie Lobbycontrol und dem Bund der Steuerzahler, und die Wissenschaftler Karl-Rudolf Korte und Arnulf Baring, die man als Allzweckwaffen ja aus diversen TV-Auftritten kennt.

Auch sind viele der Gebote und die von Goettges und Häusler gewählten Beispiele für sich selbst bedienende und die Wähler für dumm verkaufende Politiker auf andere Berufe übertragbar; wobei – und das sagen sie auch – man als Politiker bestimmte Fähigkeiten braucht, die man als Unternehmer nicht benötigt: Verhandlungsgeschick (mit vielen mehr oder weniger gleichberechtigten Akteuren. Denn eine Fraktion ist eine Ansammlung von Profilneurotikern.), Einsatzbereitschaft (auch und vor allem Abends und an Wochenenden) und Leidensfähigkeit. Immerhin müssen Politiker sich von anderen Parlamentariern und den Wählern beleidigen lassen, ohne danach gleich eine Anzeige wegen Beleidigung oder übler Nachrede zu stellen. Sie können, wenn sie ein Amt haben, jederzeit, teils aus nichtigen und sachfremden Gründen, entlassen werden. Und eine Wiederwahl ist nicht wirklich garantiert. Da ist dann die Entlohnung gar nicht mehr so hoch, wie es zunächst scheint.

Das macht dann „Du sollst den Wähler für dumm verkaufen“ als aufklärerische Form des Etikettenschwindels richtig sympathisch.

Allerdings bleibt „Du sollst den Wähler für dumm verkaufen“ im anekdotischen Stecken. Denn es fehlt ein theoretischer Rahmen, der eben die „Gebote“ in eine größere Perspektive einordnet und auch zeigt, wo die neue Qualität (sofern es sie gibt) ist. Colin Crouchs Theorie der „Postdemokratie“ wäre ein möglicher Startpunkt, der dann auch das System Parlament und Parlamentspolitik in einem größeren Kontext verorten würde. So stehen die von Goettges und Häusler formulierten Gebote, obwohl sie sich auf aktuelle Beispiele konzentrieren, als mehr oder weniger ewig gültige Spielregeln der Politik etwas abgehoben im politischen Raum, der nach Ansicht der beiden Autoren höheren moralischen Maßstäben folgen sollte, weil Politiker Vorbilder für die restliche Gesellschaft seien. Darüber könnte treffend diskutiert werden und gerade der derzeitige Trend, dass Politiker sagen, dass sie gegen keine Gesetze verstoßen hätten, hätte auch Goettges und Häusler die Möglichkeit eröffnet, genauer über die Grenze von Legalität und Legimität zu reflektieren. Denn, im Kapitel über Korruption wird es ja explizit angesprochen, nicht alles, was legal ist, ist auch legitim. Aber das ist ein anderes Buch.

Ulf C. Goettges/Martin Häusler: Du sollst den Wähler für dumm verkaufen – Die 10 ungeschriebenen Gebote der Politik

Bastei-Lübbe 2013

240 Seiten

9,99 Euro

Hinweise

Homepage zum Buch

Homepage von Ulf C. Goettges und Martin Häusler

Homepage von Martin Häusler


Leistungsschutzrecht….

Juni 24, 2013

Wir wissen zwar immer noch nicht, wie viel Geld die Verlage gerne für nach dem Leistungsschutzrecht (siehe auch hier) vergebene Lizenzen hätten, aber ich könnte da ja auch einfach einmal eine Rundmail an die Verlage schicken.

Aber wir wissen seit Freitag was Google bereit ist, den Verlagen für die Snippets (das sind diese kleinen Textauszüge die vielleicht, vielleicht auch nicht vom Leistungsschutzrecht erfasst sind) zu bezahlen. Nämlich nix. Oder exakt 00,00 Euro.

Ich denke mal, dass die anderen Suchmaschinen, wie Bing, mit einem ähnlichen Angebot nachziehen werden.

Ob das Leistungsschutzrecht auch für die normale Suche in einer Suchmaschine gilt, ist unklar. Ich denke: nein. Google ebenfalls. Denn in der normalen Suche werden weiterhin kurze Textausschnitte gezeigt; außer es gibt einen robots.txt-Befehl, der eben diese Anzeige unterdrückt. Das ist nicht neu. Das gab es schon immer, aber die Verlage fanden das doof.

Die Verlegerverbände BDZV und VDZ meinen, dass das Leistungsschutzrecht weiter gehe.

Keine Ahnung, was die damit genau meinen, aber wahrscheinlich wollen sie, dass Google und die anderen Suchmaschinen ihnen, aufgrund des Leistungsschutzrechtes, Geld dafür bezahlen, dass auch in der Suche Snippets von Zeitungsartikeln anzeigt werden. Könnte zwar Probleme mit dem Zitatrecht geben. Könnte auch dazu führen, dass dann Google das Angebot, das jetzt nur für „Google News“ gilt, auch auf die normale Suche ausdehnt.

Während einige Zeitungen, wie die „Süddeutsche Zeitung“ (die vorher – besonders unangenehm waren die Beiträge von Heribert Prantl – nicht müde wurde, das Leistungsschutzrecht als genial und notwendig abzufeiern) jetzt doch mitmachen wollen, wird bei „Focus“ schon einmal schöngesoffen von Ole Jani (ein langjähriger Referent der FDP-Bundestagsfraktion):

Das Leistungsschutzrecht verändert den rechtlichen Rahmen für die Nutzung von journalistischen Inhalten im Internet zugunsten der Verlage. Dass Google diese Veränderung mit seiner heutigen Erklärung anerkannt hat, noch bevor das Leistungsschutzrecht am 1. August in Kraft tritt, ist bemerkenswert. Und für den Gesetzgeber und für die Verlage ist dies eine Bestätigung, dass das Leistungsschutzrecht richtig ist.

Okay.

Zum ersten Satz: „zugunsten der Verlage“ – Nicht zugunsten der Autoren oder Presseagenturen, die ja die Artikel schreiben. Ob die Journaliste von dieser Veränderung irgendetwas abbekommen ist unklar, aber – bis zum Beweis des Gegenteils – ungefähr so wahrscheinlich wie ein Mittagessen mit Superman.

Zum zweiten Satz: Dass ein Unternehmen, wenige Wochen bevor ein Gesetz in Kraft tritt, den möglichen Vertragspartnern sagt, wie es mit dem Gesetz umgehen will, ist fair und sicher besser als wenn am 1. August einfach kommentarlos alle deutschen Presseerzeugnisse aus „Google News“ herausgeworfen würden.

Umgekehrt finde ich es bemerkenswert, dass die Verlage, die ja Geld wollen, sechs Wochen vor dem Inkrafttreten des von ihnen so sehnsüchtig herbeigesehnten Leistungsschutzrechtes immer noch nicht Verhandlungen mit ihren potentiellen Kunden über die Lizenzgebühren begonnen haben. Aber wahrscheinlich wollten sie es wie die Gema mit YouTube machen…

Zum dritten Satz: Yeah, klar. Ich als Verlag will etwas verkaufen. Der Kunde sagt mir, dass er für das Produkt nicht bezahlen will. Ich als Verlag weiß jetzt, dass ich ein tolles Produkt habe – und dabei habe ich noch nicht einmal einen Preis für das Produkt genannt.

Fällt so etwas unter Realsatire?

Und jetzt müssen wir nur noch abwarten, wie die Verlage (ist euch schon aufgefallen, dass „Focus“ unglaublich oft bei „Google News“ gelistet wird?) der Reihe nach auf das vorher von ihnen als überlebensnotwendig (hach, in der Rohfassung stand hier noch „überlebensnotwenig“) postulierte Recht freiwillig verzichten.

Ach ja; noch ein Wort zu den Paywalls. Liebe Verlage, warum soll ich für einen fast zehn Jahre alten Artikel des „Hamburger Abendblatt“, der wahrscheinlich die Länge einer Kurzmeldung hat, 7,95 Euro bezahlen (Monatsabo; billiger geht’s nicht)?

Screenshot_4

Oder in der „Morgenpost“ 5,95 Euro bezahlen (ebenfalls Monatsabo, weil es billiger nicht geht)? Vor allem, wenn die Infos aus der Antwort einer parlamentarischen Anfrage zu Körperverletzungen von Polizisten und ihrer Verfolgung stammen?

Screenshot_3

Oder ist das eine geniale Maßnahme, mich zu einem Gang in die nächste Bibliothek zu bewegen?

 


Kleinkram

März 5, 2013

Leistungsschutzrecht: Während in den Qualitätszeitungen noch überlegt wird, was am im Bundestag beschlossen wurde und das schlechte Gesetz bejammert wird, hat Netzwertig sich mal umgehört:

Genau die Unsicherheit, die sich nun über das digitale Deutschland ausbreitet, gehört zu den entscheidenden Kritikpunkten am Leistungsschutzrecht. Eine Gruppe, die ganz besonders unter der neuen Rechtslage leiden wird, sind junge Internetdienste, die sich direkt oder indirekt mit der automatisierten Aufbereitung von Onlineinhalten befassen und dabei zumindest gelegentlich auch Verlagscontent berücksichtigen. Die ersten Reaktionen diverser Startups und Webdienste illustrieren die Probleme, die nun auf die hiesige Onlinebranche zukommen.

Freischreiber, die Vereinigung der freien Journalisten, die das Gesetz von Anfang an ablehnte, weist auf ein spezielles, aber gar nicht so unwichtiges Problem hin:

Weil wir nicht glaubten und bis heute nicht glauben, dass sich dadurch das Problem der Finanzierung von Qualitätsjournalismus im Internet lösen lässt. Und weil wir befürchteten, dass so ein neues Recht für Verlage das strukturelle Ungleichgewicht zwischen freien Journalisten und Verlegern weiter vergrößern würde. (…)

Wirklich innovative Ideen, wie sich Online-Qualitätsjournalismus künftig rechnen kann, stehen dagegen weiter aus.

Viel schlimmer für freie Journalisten aber ist, dass das neue Gesetz die Zweitverwertung von Texten unmöglich machen könnte.

Denn der erstveröffentlichende Verlag hat in Zukunft durch das Leistungsschutzrecht für ein Jahr das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis – also den Text – zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen. Potenzielle Zweitkunden eines solchen Textes könnten deshalb aus Angst, das Leistungsschutzrecht des Verlags zu verletzen, vor einer Zweitnutzung zurückschrecken.

Oh, und einzelne Redakteure und Zeitungen, sagen jetzt, dass sie keine Anwendung des Leistungsschutzrechtes auf ihre Zeitungen und Artikel wünschen. Wobei sich natürlich die Frage stellt, ob ein Journalist das sagen darf, oder man nicht doch auf die Zeitung, bei der die Rechte für den Artikel liegen, hören soll.

Bei Criminal Element hat Brian Greene einen Lost Classic of Noir gefunden: David Goodis: The Blonde on the Street Corner (Ach, allein schon das Cover!).

Die März-Ausgabe von „The Big Thrill“ ist online. Unter anderem mit einem Interview mit Harlan Coben, einem mit Thomas Perry und vielem mehr.

Und der Wortvogel hat mir mit seiner ausführlichen Kommentierung eines „Zeit“-Artikels von Kerstin Kohlenberg über den Kampf gegen Raubkopierer anhand von „Cloud Atlas“ viel Arbeit abgenommen. Denn eine so lange und so einseitige Reportage, die sich nur den Nöten des Filmproduzenten widmet und keine anderen Sicht zulässt (Hey, vielleicht wollte das Publikum den Film einfach nicht sehen. Vielleicht war die Werbung schlecht. Vielleicht ist auch einfach der Film schlecht.) habe ich schon lange nicht mehr gelesen.

Und, bei aller Sympathie für „Cloud Atlas“ (ein gut dreistündiger, milde philosphischer Science-Fiction-Film), dürfte das Zielpublikum für diesen Film nicht das Teenager-Multiplex-Publikum, sondern fünfzigjährige Bildungsbürger sein und ob die wirklich die Kundschaft für verwackelte Bilder sind, bezweifele ich stark.

Ach ja, hier geht’s zum „Zeit“-Artikel.


Leistungsschutzrecht – Meine 2 Cents dazu

März 2, 2013

Wie bekannt verabschiedete der Bundestag am Freitag das Leistungsschutzrecht. Genaugenommen die CDU/CSU/FDP-Regierungskoalition, gegen die Stimmen ihrer Netzpolitiker. Was sagt uns das, wenn ein Gesetz gegen die Mehrheit der Parteifachleute beschlossen wird?

Wie bekannt, sollte das Leistungsschutzrecht zuerst dazu führen, dass Google (und andere Suchmaschinen, die aber in Deutschland alle viel kleiner sind) für die Snippets bezahlen soll. Snippets sind diese kurzen Ausschnitte aus Texten, die dazu führen, dass ich wenigstens eine Ahnung habe, ob sich ein Klick lohnt, ober ob das nicht schon wieder die gleiche DPA-Meldung ist.

Wie bekannt – ich überspringe jetzt die lange Diskussion und die verschiedenen Argumente, weil iRights, Netzpolitik und Wikipedia das schöner aufgearbeitet haben -, wurde das Gesetz in letzter Minute geändert. Jetzt, so dachten fast Alle, sind Snippets doch erlaubt. Also, zum mitschreiben: das Gesetz, das Google betreffen sollte, betrifft Google nicht.

Wie bekannt haben jetzt all die „Qualitätszeitungen“, die vorher parteiischer als ein Lobbyverband pro Leistungsschutzrecht schrieben, Gegenmeinungen ignorierten oder diskreditierten, jetzt gegen das Leistungsschutzrecht, das vom Bundestag verabschiedet wurde, geschrieben, Gegenmeinungen veröffentlicht und ihnen recht gegeben.

Schon davor hat die Süddeutsche Zeitung (für die Jüngeren: für uns ältere Semester ist das eine Qualitätszeitung) einen kleinen Disclaimer (den ich jetzt nicht finde; vielleicht wurde er wegen des hohen Peinlichkeitsfaktors auch gelöscht) vor einige Artikel zum Leistungsschutzrecht gestellt. In ihm sagte die Tageszeitung, dass das Vorhaben umstritten sei und sie möglichst objektiv über das Für und Wider und die Anhörungen im Bundestag berichten wollten.

Das sollte eigentlich für einen Journalisten selbstverständlich sein.

Aber wenn eine Zeitung sich genötigt sieht, das so ausdrücklich zu sagen, dann sagen sie auch, dass sie mit dem kleinen Einmaleins des Journalismus, dem Pressekodex, gerade ein gewaltiges Problem haben.

Aber was steht eigentlich in dem Gesetz? Immerhin sollen Gesetze ja eine bestehende Unsicherheit beseitigen. Rechtsklarheit schaffen.

Nun, Spiegel Online beantwortet die wichtigsten Fragen:

1. Muss Google jetzt zahlen?

Wahrscheinlich nicht. (…)

2. Droht eine Prozesswelle?

Das kann im Moment niemand absehen, ausgeschlossen ist es aber nicht. (…)

3. Ist das Online-Geschäft der Verlage nun abgesichert?

Nein. (…)

4. Was bringt das Leistungsschutzrecht, wenn Google nicht zahlt?

(…)Betreffen könnte das Gesetz auch Apps wie Flipboard, die aus Nachrichten-Feeds unterschiedlicher Quellen personalisierte Tablet- oder Handy-Magazine machen.

5. Wer muss sich wofür um Lizenzen kümmern?

(…) Im Prinzip könnte wohl auch ein kommerzielles Blog von einer Suchmaschine Lizenzen für die Nutzung von längeren Textausschnitten verlangen.

6. Kann ich in meinem Blog weiter aus Artikeln zitieren?

Ja. Das Zitatrecht gilt weiterhin, auch für Verlagsangebote. Auch soziale Netzwerke wie Facebook, auf denen Artikel angerissen und geteilt werden, sind wahrscheinlich nicht betroffen. (…)

Öhem, alles klar?

Sehr schön finde ich diesen Hinweis, der eigentlich sagt, dass das Zitatrecht doch nicht immer gilt:

wann einer Schlagzeile zu viel Kontext beigemischt wird, ist ab sofort Auslegungssache

Also wieder zurück zu Schlagzeilen, die nichts über den Inhalt verraten, dann aber von neugierigen Lesern (Es könnte ja ein spannender Artikel sein.) angeklickt werden sollen.

Stefan Niggemeier hat beim Bundesverband der deutschen Zeitungsverleger (BDZV) nachgefragt, wie das jetzt mit den kleinen und kleinsten Textauszügen sei:

Auf meine Nachfrage widerspricht der BDZV dieser Interpretation:

Der Wille des Gesetzgebers, wie er auch heute in der Bundestagsdebatte ausgedrückt wurde, ist unverkennbar darauf gerichtet, kleinste Textausschnitte wie zum Beispiel Überschriften und einzelne Wörter, nicht vom Leistungsschutzrecht erfassen zu lassen; die längenmäßig darüber hinaus gehenden Auszüge jedoch schon. Die Äußerungen der Koalitionsvertreter in der Bundestagsdebatte dazu waren heute unmissverständlich. Die Google-Suchergebnisse gehen über die nicht erfassten Längen hinaus.“

Meine Frage, ob der BDZV die Art und Länge, in der Google und Google News gegenwärtig Snippets mit Inhalten von Verlagsseiten anzeigen, nach dem neuen Gesetz für zulässig hält, beantwortete der Verlegerverband explizit mit: »Nein.«

Die Suchmaschine Rivva, die ein Kollateralschaden des Leistungsschutzrechtes wäre (denn, wie gesagt, eigentlich ging es irgendwie immer nur um Google) hat schon die ersten Konsequenzen gezogen:

Da ich aber weder einen Rechtsstreit mit den Presseverlagen suche, noch (aus finanzieller Sicht) Lizenzen von ihnen erwerben könnte, stellen sich eigentlich nur zwei Optionen: Zurück zu den Wurzeln und sich allein auf Blogs fokussieren? Dagegen spricht jedoch sofort, dass es mir mit Rivva ungeheuer wichtig ist, eben genau eine Brücke zwischen den verschiedenen Medienformen zu schlagen. Bleibt die andere Möglichkeit …

No Snippet

Durch das Ausschließlichkeitsrecht der Verleger und dabei unvermeidbaren Ansteckungseffekten (wenn der Anreißer eines Blogs schon Verlagstext zitiert), sehe ich mich im Grunde genommen dazu gezwungen, auf Snippets auf rivva.de kategorisch zu verzichten. Die Frage ist, wie stark nehmen Infogehalt und Klickzahlen Schaden dadurch? Vom Anriss weiß man, dass er Interesse für den Beitrag wecken soll. Snippet = Teaser. Im Zweifel verlieren also uninformative Schlagzeilen. Oder gewinnen sie gerade, weil die Leser dann die Neugier treibt? Wer weiß …

Vor zwei Tagen habe ich die Länge der Vorschautexte auf 160 Zeichen beschränkt. Im Code ändere ich dafür zwei Bytes, auf der Titelseite ist der Unterschied dagegen riesig und gar nicht mal negativ. Vielleicht habe ich darüber eine andere Meinung, wenn ich es frisch neu designt vor mir habe, aber „No Snippet“ ist der rechte Weg. (…)

Dass jetzt Google der deutlichste Profiteur und deutsche Startups die deutlichsten Verlierer des heutigen Beschlusses sind, ist der Geburtsfehler dieses Gesetzes.

Im Moment sieht Rivva noch so aus

Screenshot_6

Wenn aber nur noch die Überschriften da stehen, dann wird Rivva – leider – ziemlich überflüssig für mich. Vor allem wenn die Überschriften nicht allzu genau den Textinhalt beschreiben sollen.

Auch einige andere werden sich umstellen. Die Alligatorpapiere können als Überblick über die in Deutschland erschienenen Krimi-Rezensionen quasi dicht machen. Die Krimidepesche und Bildblog können, wie sie es schon weitgehend tun, locker auf Blogs, Beiträge des ÖR-Rundfunks (die Privaten scheinen nichts zu veröffentlichen) und nicht-deutsche Zeitungen verlinken.

Aber vielleicht kommt die Politik doch noch zur Besinnung und wir erleben bei dem Leistungschutzrecht ein Deja Vu. Erinnert ihr euch noch an die Netzsperren gegen Kinderpornographie? Da verabschiedete der Bundestag ein Zugangserschwerungsgesetz, das nach der Bundestagswahl umstandslos eingestampft wurde.

Also: der Kampf geht weiter; – auch wenn ich hier in der Kriminalakte wenig dazu beitrug.