DVD-Kritik: Die „Tropa de Elite“ schlägt zu

Juni 30, 2010

In Brasilien war „Tropa de Elite“ wie „City of God“ ein Kassenhit. Wie „City of God“ erzählt „Tropa de Elite“ ungeschönt aus dem Leben der Slums. Aber während in „City of God“ die Geschichte aus der Perspektive eines Jugendlichen, der nach einigen Wirren zum Fotoreporter wird, erzählt, nimmt „Tropa de Elite“ die entgegengesetzte Perspektive ein. Denn die „Tropa de Elite“ ist eine quasi-militärische Spezialeinheit der Polizei, die bei ihrem Kampf gegen die Verbrecher keine Gefangenen macht. Dabei schrecken sie auch nicht, wie der Film in quälender Ausführlichkeit zeigt, vor Folter von Kindern zurück.

Tropa de Elite“ ist, im Gegensatz zu dem Ghetto-Drama „City of God“, ein rasant geschnittener Cop-Film, der keine Gefangenen macht. Er ist bitter, böse, kompromisslos und verdammt unterhaltsam. Denn Regisseur José Padilha bedient sich der Formensprache des Hollywood-Action-Kinos und von Musik-Clips.

Außerdem distanziert er sich niemals von seinen Polizisten. Er nimmt sogar ausdrücklich die Perspektive der Polizisten ein. Denn er erzählt die Geschichte, oft mit Voice-Over, aus der Perspektive von Captain Nascimento (gespielt von dem brasilianischen Star Wagner Moura), der als Chef einer Einheit der Batalhão de Operações Policiais Especiais (BOPE) seinen Nachfolger sucht. Seine Frau ist schwanger und der Dreißigjährige möchte für sein Kind ein guter Vater sein. Dafür ist allerdings der Einsatz an vorderster Front zu gefährlich. Als mögliche Nachfolger hat er zwei junge Polizisten im Blick: einer ist ein Hitzkopf, einer ist ein Denker, der nebenher Jura studiert und den Blick vor den Drogengeschäften der Studenten verschließt.

Außerdem muss Nascimentos Einheit – der Film spielt 1997 – vor dem Papstbesuch eine Favela verbrecherfrei machen. Denn wenn der Papst an einem bestimmten Ort übernachten will, wird vorher die Umgebung von Verbrechern gesäubert. Dass die eh schon gefährliche Arbeit der BOPE-Polizisten so noch schwieriger wird, interessiert die Regierung nicht.

Dieser Einsatz, bei dem die BOPE über dreißig Drogenhändler tötete, beruht, wie der gesamte Film, auf Tatsachen, die teilweise für den Film abgemildert wurden. So starben bei der BOPE-Ausbildung, die sich an der britischen SAS-Ausbildung orientiert, Bewerber und BOPE-Polizisten ermordeten BOPE-Kollegen, die im Verdacht standen, korrupt zu sein. Denn die BOPE ist, so wird den Bewerbern während der Ausbildung immer wieder eingetrichtert, im Gegensatz zur normalen Polizei, nicht korrupt.

Schonungslos zeigen Regisseur José Padilha (der mit der Dokumentation „Bus 174“ schon die andere Seite beschrieb) und die Autoren Bráulio Mantovani (auch „City of God“), Rodrigo Pimentel (der BOPE-Captain war) und John Kaylin den Kreislauf der Gewalt. Denn einerseits braucht man diese emotionslosen Spezialisten, die wie eine Spezialeinheit des Militärs aufräumen und so die ersten Pfähle von Rechsstaatlichkeit in einer von Gangstern und korrupten Polizisten beherrschten Gesellschaft einzurammen. Andererseits fachen sie mit ihren Handlungen den Kreislauf der Gewalt weiter an. Im Interview sagt Padilha, dass die BOPE zeige, wie krank die brasilianische Gesellschaft sei.

In Brasilien war der Film schon vor der Kinopremiere ein Hit. Zwischen elf und fünfzehn Millionen Brasilianer sahen die von einer während der Produktion geleakten Version gezogenen Raubkopien. Ins Kino gingen dann wieder über 2,5 Millionen Brasilianer und der Film wurde auch ein Kassenhit, der die Jugendkultur beeinflusste. Außerdem initiierte „Tropa de Elite“ eine Diskussion über das Agieren der BOPE.

Bei uns lief der Film auf der Berlinale und erhielt den Goldenen Bären.

Im Kino lief er dann, sicher auch weil er nur in einer untertitelten Version (mit einem Voice-Over des Erzählers Nascimento) und mit sehr wenigen Kopien lief, unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Auf DVD sollte der Film, der sich weit außerhalb der beruhigenden Konventionen des linksliberalen politischen Kinos bewegt, einige interessierte Zuschauer finden, die damit Leben können, dass das Ende nachhaltig verstört.

Denn die Macher bieten keine Lösung an, sondern werfen den Zuschauern einfach das mit BOPE geschaffene Problem vor die Füße. Insofern ist, weil nach „Tropa de Elite“ niemand mehr sagen kann, er habe nichts gewusst, das nihilistische Ende eine Aufforderung zum Handeln. Wobei für uns Europäer der Film nicht die Dringlichkeit hat, die er für sein Publikum in Brasilien hat.

Das Bonusmaterial besteht aus dem Trailer, einem fünfminütigen TV-Beitrag des Kulturmagazins „ttt – titel thesen temperamente“ und einem halbstündigem, sehr informativem Interview mit José Padilha. Er erzählt von den Vorbereitungen, den Dreharbeiten, den Reaktionen und dem Verhältnis von seinem Film zur Wirklichkeit. Padilha wollte ursprünglich einen Dokumentarfilm drehen, aber die Polizisten wollten nicht vor der Kamera sprechen und sich bei ihrer Arbeit filmen lassen. Einiges, wie die Ausbildung der BOPE, ist in der Wirklichkeit sogar noch schlimmer. Das Bonusmaterial ist daher die konzentrierte Ergänzung zu einem grandiosen, Diskussionen auslösendem Film.

In Brasilien startet Mitte August die Fortsetzung des Cop-Thrillers. José Padilha schrieb und inszenierte „Tropa de Elite 2“. Wagner Moura spielt wieder mit. Selbstverständlich gibt es noch keinen deutschen Starttermin.

P. S.: Der Trailer ist Scheiße.

Tropa de Elite (Tropa de Elite, Brasilien/USA 2007)

Regie: José Padilha

Drehbuch: Bráulio Mantovani, José Padilha, Rodrigo Pimentel, John Kaylin (Adaption)

LV: André Batista/Rodrigo Pimentel/Luiz Eduardo Soares: Elite da Tropa

mit Wagner Moura, André Ramiro, Caio Junqueira, Milhem Cortaz, Fernanda Machado, Maria Ribeiro, Paulo Vilela

DVD

Senator-Film

Bild: 1,85:1 (anamorph / 16:9)

Ton: Deutsch, Portugiesisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Interview mit José Badilha, „ttt – titel, thesen, temperamente“-Beitrag, Trailer

Länge: 111 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

Hinweise

Brasilianische Homepage zum Film

Film-Zeit über „Tropa de Elite“

Wikipedia über „Tropa de Elite“ (deutsch, englisch)

Berlinale: Pressekonferenz zu „Tropa de Elite“


TV-Tipp für den 30. Juni: Parole Chicago

Juni 30, 2010

Eins Festival, 21.20

Parole Chicago: Die Sache mit dem Ohrring/Ein todsicherer Trick (D 1980, R.: Reinhard Schwabenitzky)

Drehbuch: Heiner Schmidt

LV: Henry Slesar: Ruby Martinson (Ruby Martinson – 14 Geschichten um die größten erfolglosen Verbrecher der Welt erzählt von einem Freunde)

Mal wieder ein Griff in das Senderarchiv. „Parole Chicago“ ist eine dreizehnteilige Gaunerserie, die wahrscheinlich eher „komisch gemeint“ als „komisch“ ist und an die ich mich absolut nicht erinnern kann.

In der im Berlin der zwanziger Jahre spielenden Serie versuchen die beiden blöden Kleinkriminellen Harry und Ede mit genialen Raubzügen ihr Geld zu verdienen und fallen dabei regelmäßig auf die Schnauze.

Macher Reinhard Schwabenitzky inszenierte auch einige Didi-Filmen (keine Empfehlung) und die beiden Münchner „Tatorten“ „Die Macht des Schicksals“ und „Gegenspieler“ (Empfehlung, weil Ulf Miehe die Bücher schrieb).

Parole Chicago“ war einer der ersten Filmauftritte von Christoph Waltz.

Mit Gottfried Vollmer, Christoph Waltz, Monika John, Susanne Herlet, Joachim Wichmann

Wiederholungen

Samstag, 3. Juli, 17.55 Uhr (beide Folgen)

Sonntag, 4. Juli, 14.15 Uhr (beide Folgen)

Hinweise

Eins Festival über „Parole Chicago“ (wenig Text, aber acht Bilder)

Fernsehserien über „Parole Chicago“

Wikipedia über „Parole Chicago“


Cover der Woche

Juni 29, 2010


TV-Tipp für den 29. Juni: Wenn der Postmann zweimal klingelt

Juni 29, 2010

ARD, 00.35

Wenn der Postmann zweimal klingelt (USA 1981, R.: Bob Rafelson)

Drehbuch: David Mamet

LV: James M. Cain: The postman always rings twice, 1934 (Wenn der Postmann zweimal klingelt, Die Rechnung ohne den Wirt)

Frank Chambers verliebt sich in Cora, die gelangweilte Frau des Tankstellenbesitzers Nick. Gemeinsam planen sie seinen Tod.

Düsteres Drama mit Jack Nicholson und Jessica Lange. – Das schmale Buch von Cain wurde fünfmal verfilmt und mindestens drei Verfilmungen sind Klassiker: „Ossione“ (I 1942, R.: Lucino Visconti), „Die Rechnung ohne den Wirt“ (USA 1946, R.: Tay Garnett) und „Wenn der Postmann zweimal klingelt“.

Hinweis

Wikipedia über James M. Cain (deutsch, englisch)

Kirjasto über James M. Cain

Krimi-Couch über James M. Cain

Mordlust über James M. Cain

Meine Besprechung von David Mamets “Bambi vs. Godzilla – Über Wesen, Zweck und Praxis des Filmbusiness” (Bambi vs. Godzilla – On the Nature, Purpose, and Practice of the Movie Business, 2007)

David Mamet in der Kriminalakte


„Scenario 4“ – Hier spricht der Drehbuchautor

Juni 28, 2010

Auch für die vierte Ausgabe des Film- und Drehbuchalmanachs „Scenario“ änderte Herausgeber Jochen Brunow nichts am bewährten Aufbau. Es beginnt mit einem langen Interview. Es gibt einige verschieden interessante Essays, ein Tagebuch, Erinnerungen von Drehbuchautoren und die Splitter einer Geschichte des Drehbuchs. Es gibt einige ausführliche Buchbesprechungen und es endet mit dem vollständigen Abdruck des „Drehbuch des Jahres“. Dieses Jahr wurde der Deutsche Drehbuchpreis für das beste unverfilmte Drehbuch an „Mein Bruder, Hitlerjunge Quex“ von Karsten Laske verliehen.

Es gibt natürlich auch einige enttäuschende Texte. Aber insgesamt hat Jochen Brunow wieder eine Menge guter Texte zusammengetragen.

Das beginnt schon mit Jochen Brunows Interview mit Michael Gutmann. Gutmann schrieb die Bücher für „Nach Fünf im Urwald“, „23“, „Crazy“, „Lichter“, „Krakat“ und „Mein Leben – Marcel Reich-Ranicki“ und er führte Regie bei „Rohe Ostern“ und den Tatorten „Der oide Depp“, „Das namenlose Mädchen“ und „Der König kehrt zurück“ (dafür schrieb er auch das Drehbuch). In dem Gespräch werden neben den biographischen Stationen auch Gutmanns Zusammenarbeit mit Hans-Christian Schmid und seine Meinung zu den verschiedenen Drehbuchtheorien erörtert. Die dann folgenden Essays sind durchwachsen. Gerhard Midding schreibt über die Zunahme von Filmen, die auf wahren Ereignissen beruhen. Wieland Bauder über Musiker-Biographien. Beide Texte sind nicht uninteressant, aber in erster Linie liefern sie einen Überblick über einige neue Filme und wie die Macher sich ihrem Sujet nähern. Damit könnten die Essays in jedem Filmbuch stehen.

Keith Cunninghams Manifest „Neue Story-Welten“ ist in seinem Glauben an die Kraft fiktionaler Geschichten sympathisch. Denn für ihn ist die Klimakatastrophe eine Tatsache, die, wie der Kalte Krieg, in jeder Geschichte (auch wenn es nur im Hintergrund ist) thematisiert werden muss. Er hofft so die Menschen zum Schutz des Klimas animieren zu können (und ich fürchte schon den nächsten „Tatort“, in dem die Kommissare über den Schutz des Klimas reden). Gewinnbringender ist die Besprechung von Keith Cunninghams „The Soul of Screenwriting“ und seinem Versuch seiner Lösung des Konflikts zwischen Plot und Charakter: „Cunninghams einfache Antwort auf die Gretchenfrage der Dramaturgen besteht darin, den Übergang von der Figur zur Handlung in der Figurenkonstellation zu suchen – das konventionelle binäre Modell (Figur und Plot) also durch ein ternäres Model aus Figur, Figurenkonstellation und Plot zu ersetzen. (…) Der Plot trägt die als Figurenkonstellation externalisierte innere Spannung einer Figur aus. Andere Figuren sind primär Externalisierungen innerer Spannungen unserer Hauptfigur, die sich im Plot entladen.“

Dorothee Schön, die auch etliche „Tatorte“ schrieb, bietet in ihrem 2009 geführtem Tagebuch einen launigen Überblick über die Kämpfe in der Filmakademie und die Verfilmung von ihrem Drehbuch „Frau Böhm sagt nein“. Das ist ein kleiner Blick hinter die Kulisse. Auf ihre Arbeit als Autorin geht sie kaum ein.

Das tut Thomas Knauf, indem er von seinem letzten DDR-Film „Die Architekten“ (der während der Wende an der Kasse natürlich gnadenlos unterging) und seinem Leben zwischen Hollywood und Babelsberg in den vergangenen zwanzig Jahren. Das liest sich ziemlich ernüchternd.

Ernüchternd sind auch die, von Michael Töteberg aufgeschriebenen, Erfahrungen von Drehbuchautor Johannes Mario Simmel. Bevor er Bestsellerautor wurde, schrieb Simmel auch etliche Drehbücher von heute vergessenen Filmen. Damals hatte er immer wieder Probleme mit den Produzenten und Regisseuren über die Bezahlung und die Geschichte. Mit den Verfilmungen seiner Bücher war er auch nicht zufrieden.

Samson Raphaelson liefert einen sehr lesenswerten und amüsant-lebensweisen Rückblick auf seine Zusammenarbeit mit Ernst Lubitsch. Der bereits 1981 geschriebene Text wurde in „Scenario 4“ erstmals auf Deutsch veröffentlicht.

In seinem Drehbuch „Mein Bruder, Hitlerjunge Quex“ erzählt Karsten Laske die Geschichte des jüngeren Bruders von Alfred Norkus von dessen Tod 1932 bis zu den ersten Nachkriegstagen. Erwin ist das vollkommene Gegenteil des Heldenimages von seinem Bruder, der als „Hitlerjunge Quex“ in dem Propagandabuch und -film bekannt wurde. Laske erzählt die Geschichte episodisch und lässt Erwin durch die Nazi-Diktatur treiben. Weil Erwin keine eigenen Ziele hat und er während seiner Jugend, den Jahren zwischen 1932 und 1946 auf keine größeren Probleme stößt, bleibt er uns als Charakter letztendlich gleichgültig.

Jochen Brunow (Hrsg.): Scenario 4 – Film- und Drehbuchalmanach

Bertz + Fischer, 2010

352 Seiten

24 Euro

Hinweise

Homepage zum Buch

Homepage von Jochen Brunow

Meine Besprechung von „Scenario 3 – Film und Drehbuchalmanach“


TV-Tipp für den 28. Juni: Die Brücken am Fluß

Juni 27, 2010

SRTL, 22.10

Die Brücken am Fluß (USA 1995, R.: Clint Eastwood)

Drehbuch: Richard LaGravenese

LV: Robert James Waller: The Bridges of Madison County, 1992 (Die Brücken am Fluß)

Francesca stellt sich auf ihrer abgelegenen Farm auf vier ruhige Tage ohne ihren Mann und die Kinder ein. Da taucht ein Fotograf auf, der sie nach dem Weg zu den titelgebenden Brücken fragt. Sie zeigt ihm den Weg und verliebt sich in den geheimnisvollen Fremden.

Die Vorlage soll furchtbar kitschig sein. Der Film ist es nicht.

Ein meisterhafter Film der Gefühle ohne Duselei, mit Geist, Charme und Lebenserfahrung.“ (Fischer Film Almanach 1996)

mit Clint Eastwood, Meryl Streep, Annie Carley, Victor Slezak

Hinweise

Wikipedia über „Die Brücken am Fluß“ (deutsch, englisch)

Kriminalakte über Clint Eastwood


DVD-Kritik: Ein „Sturm“ wird kommen

Juni 26, 2010

Hans-Christian Schmid fand für seinen neuesten Film „Sturm“ einen ebenso einfachen wie genialen Dreh. Anstatt einfach nur eine weitere Geschichte tränenreiche Geschichte vom Unrecht im ehemaligen Jugoslawien und den Leiden der Opfer zu erzählen (freie Auswahl) oder das Ganze aus der Sicht eines Journalisten (wie zum Beispiel Richard Gere in Richard Shepards „The Hunting Party“) zu zeigen, stellte er eine Anklägerin und die Arbeit des Tribunals in Den Haag in den Mittelpunkt. Damit folgt er zwar oberflächlich den Konventionen eines Gerichtsthrillers, aber weil die Geschichte in einem internationalen Gerichtshof, der noch seine Rolle finden muss, der sich auf juristisches Neuland begibt und dessen Arbeit zwischen Über- und Unterforderung schwankt, liefert „Sturm“ auch den Einblick in eine fremde Welt. Denn dieser Gerichtshof soll Kriegsverbrecher verurteilen, den Opfern Recht geben, die Instanz für fehlende nationale Gerichte sein und gleichzeitig mögliche außenpolitische Verwicklungen beachten.

Gerade die Politik ist Hannah Maynard als Anklägerin egal. Sie übernimmt einen wasserdichten Fall. Sie haben einen Augenzeugen, der vor Gericht aussagen will, wie der serbische Offizier Goran Duric Bosnier umbrachte. Im Zeugenstand zerfetzt die Verteidigung seine Aussage – und, wenn Maynard nicht schnell einen glaubwürdigen Zeugen auftreibt, wird der Kriegsverbrecher freikommen. Damit könnte Maynard leben, wenn ihr Zeuge sich nicht noch in der Nacht nach der Ortsbesichtigung umbringen würde.

Sie besucht die beiden Schwestern des Zeugen, die nicht vor Gericht aussagen wollen. Eine Spur führt Maynard in ein Kurhotel in der Nähe von Kasmaj. Dort wurden im Krieg zahllose Frauen vergewaltigt. Auch die inzwischen in Deutschland lebende Schwester des Kronzeugen war dabei. Maynard kann Mira Arendt zu einer Aussage zu bewegen. Zur gleichen Zeit mahlen die Räder der Justiz und im Hintergrund wir an einem Deal gearbeitet.

Hans-Christian Schmid, der zusammen mit Bernd Lange (der auch das Drehbuch für Schmids vorherigen Film „Requiem“ schrieb), das Drehbuch schrieb, bedient natürlich die Genreerwartungen und wirft einen quasi-dokumentarischen Blick auf die Arbeit einer Institution und wie sie die Menschen formt.

Gleichzeitig wird „Sturm“ immer wichtiger, je länger die Ereignisse zurückliegen. Heute sind die Nachrichtenbilder aus dem ehemaligen Jugoslawien noch sehr gegenwärtig.

In einigen Jahren werden die Nachrichtenbilder vergessen sein. Dann wird „Sturm“ die Erinnerung wach halten. Denn die Jüngeren werden sich lieber einen Spielfilm über diesen Krieg in der Mitte von Europa als eine Dokumentation ansehen. Außerdem ist „Sturm“ eine kritische Liebeserklärung an den Internationalen Gerichtshof, der es gelingt, die Arbeit in einer internationalen Institution mit Leben zu erfüllen.

Das Making-of ist, angesichts des Themas und der Ernsthaftigkeit der Macher, erschreckend dünn. Es unterscheidet sich nämlich kaum von einem typischen Hollywood-Making-of für irgendeinen x-beliebigen Film. In dem Booklet sind lesenswerte Interviews mit den Machern und einige Informationen zum International Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY, wie der Gerichtshof offiziell heißt). Trotzdem ist unverständlich, warum im Making-of Informationen zu Bosnien, zum Kriegsverbrecherprozess und zur Arbeit eines Internationalen Gerichtshofs fehlen. Denn während der Dreharbeiten war sicher die Gelegenheit, auch mit einigen Richtern, Anklägern, Verteidigern, Polizisten und Menschenrechtsaktivisten zu reden. Ebenso hätte man die Berlinale-Pressekonferenz in das Bonusmaterial aufnehmen können.

Sturm (Deutschland/Dänemark/Niederland 2009)

Regie: Hans-Christian Schmid

Buch: Bernd Lange, Hans-Christian Schmid

mit Kerrry Fox, Anamaria Marinca, Stephen Dillane, Rolf Lassgård, Alexander Fehling, Tarik Filipovic, Jesper Christensen

DVD

Piffl Medien/Good Movies

Bild: 1:2,35 (Cinemascope)

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1/2.0)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Making of, Trailer, Booklet, Audiodeskription (Hörfilm-Fassung für Blinde)

Hinweise

Homepage zum Film

Film-Zeit über „Sturm“

Berlinale: Pressekonferenz zu „Sturm“ (beginnt erst nach über zwölf Minuten)

Für Freiluftfanatiker zeigt das Berliner Freiluftkino Rehberge am Sonntag, den 27. Juni, um 21.45 Uhr den Film.


TV-Tipp für den 27. Juni: Die zweigeteilte Frau

Juni 26, 2010

ARD, 00.00

Die zweigeteilte Frau (F/D 2007, R.: Claude Chabrol)

Drehbuch: Claude Chabrol, Cécile Maistre

Weil das Erste vorher den „Tatort“ und „Mankells Wallander“ zeigt, könnte die TV-Premiere von diesem Chabrol-Film (wenige Tage nach seinem achtzigsten Geburtstag) sogar halbwegs pünktlich anfangen. Das ändert aber nichts daran, dass die Uhrzeit eine Frechheit ist – und man auf die Wiederholungen des „Kinohighlights“ (ARD-Selbstbeweihräucherung) in den dritten Programmen und Spartenprogrammen zu einer arbeitnehmerfreundlicheren Zeit hoffen muss.

Als die TV-Wetterfee Gabrielle von ihrem verheirateten Liebhaber, einem deutlich älteren Bestsellerautor, verstoßen wird, nimmt sie sich einen neuen Liebhaber. Dieser hat allerdings einen seelischen Knacks.

In dem ruhigen Krimidrama über eine Frau zwischen zwei verkorksten Männern führt Chabrol wieder einmal die französische Bourgeoisie vor. Sicher nicht sein bester Film und nach dem grandiosen „Geheime Staatsaffären“ eine Enttäuschung.

Mit Ludivine Sagnier, Benoît Magimel, François Berléand, Mathilda May

Hinweise

Wikipedia über Claude Chabrol (deutsch, englisch, französisch)

Film-Zeit über „Die zweigeteilte Frau“

Wikipedia über „Die zweigeteilte Frau“ (deutsch, englisch, französisch)


KrimiWelt-Bestenliste Juli 2010

Juni 26, 2010

Die Bestenliste der KrimiWelt für den Sommermonat Juli:

1 (2) Pete Dexter: God’s Pocket

2 (7) Dominique Manotti: Letzte Schicht

3 (1) Josh Bazell: Schneller als der Tod

4 (-) Richard Price: Cash

5 (-) Christopher Cook: Robbers

6 (4) Henning Mankell: Der Feind im Schatten

7 (-) Benjamin Black: Der Lemur

8 (5) Francisco González Ledesma: Der Tod wohnt nebenan

9 (-) Jiří Kratochvil: Das Versprechen des Architekten

10 (-) John Hart: Das letzte Kind

In ( ) ist die Platzierung vom Vormonat.

Hmhm, wahrscheinlich haben die inzwischen eine 50-Prozent-Neueinsteigerquote.

Und nur Übersetzungen.

Ansonsten: „Schneller als der Tod“ fand ich ziemlich langweilig. Die John-Hart-Begeisterung find ich schwer nachvollziehbar. Henning Mankell muss wohl wirklich nicht mehr empfohlen werden. Richard Price, Pete Dexter, Christopher Cook (zwei Bücher, die im Original bereits vor vielen Jahren erschienen sind) und Benjamin Black (angenehm kurze Lektüre) liegen auf meinem Nachttisch.

Charlie Hustons vierter Joe-Pitt-Roman „Bis zum letzten Tropfen“ ist, vor allem nach Sonnenuntergang, mein ständiger Begleiter.


TV-Tipp für den 26. Juni: Tatort: Frankfurt-Miami

Juni 26, 2010

HR, 21.45

Tatort: Frankfurt-Miami (D 1996, R.: Klaus Biedermann)

Drehbuch: Frédéric Fajardie, Jacques Labib, Simon Michaël

Nachdem im Intercity von Frankfurt nach Paris eine Prostituierte ermordet wird, muss Kommissar Brinkmann (aka “Der Mann mit der Fliege”) zusammen mit einem französischen Kollegen den Mord aufklären. Ihre Ermittlungen führen sie in das Frankfurter Eros-Center “Miami” (was den Titel erklärt).

Der Hessen-Tatort fest in französischer Hand. Damit könnte der selten gezeigte Brinkmann-Fall einen Tick besser als seine anderen Fälle sein.

Mit Karl-Heinz von Hassel, Patrick Chesnais, Ilaria Borrelli, Anne Jacquemin, Martin Semmelrogge

Hinweise

Homepage von Frédéric Fajardie

Krimi-Couch über Frédéric Fajardie

Tatort-Fundus über Kommissar Brinkmann


DVD-Kritik: Sex sells „The Outlaw – Geächtet“

Juni 25, 2010

Bekannt ist der Film wegen der Oberweite von Jane Russell.

Produzent und Regisseur Howard Hughes brachte seine Entdeckung mit einem speziellen BH, den sie nach eigener Aussage nie trug, und einem tiefen Ausschnitt opulent ins Bild – und legte sich mit der Zensurbehörde an. Die brüllte „sittenwidrig“.

Hughes plakatierte „What are the two great reasons for Jane Russell’s rise to stardom?“

Der Streit dauerte von 1941 bis 1946. 1943 kam der Film erstmals, für wenige Tage, ins Kino. Danach verschwand er wieder wegen Problemen mit der Zensur und den damaligen puritanischen Moralvorstellungen, die mit dem Hays-Code durchgesetzt werden sollten. 1946 gab es die offizielle Wiederaufführung und „Geächtet“ wurde wegen der Hauptdarstellerin (Ja, wir Jungs sind so berechenbar.) überall ein Hit. In New York war „Geächtet“ bis zum 11. September 1947 verboten. Der deutsche Kinostart war am 16. März 1951.

Aus heutiger Sicht ist der Skandal nur noch schwer nachvollziehbar. Denn es gibt wirklich nichts zu sehen, was nicht heute auch im Nachmittagsprogramm läuft und auch im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Filmen zeigt Hughes wenig, was es nicht auch in anderen Filmen gab (abgesehen von der Szene, in der Jane Russell zu dem fiebernden Billy the Kid ins Bett steigt, um ihn zu wärmen), aber dafür inszenierte er, nachdem er auf Wunsch der Zensoren eine halbe Minute geschnitten hatte, eine beispiellose Werbekampagne, die aus Jane Russell ein wahres Pin-up-Girl machte.

Dabei spielt sie, obwohl die Werbung für den Film sich nur um sie drehte, nur eine Nebenrolle.

Denn, soweit in „Geächtet“ von einer Geschichte gesprochen werden kann, geht es darum, dass Billy the Kid (Jack Buetel) das Pferd von Doc Holliday (Walter Huston, grandios als lebensweis-amüsierter Revolverheld) gestohlen hat. Doc möchte sein Pferd wieder zurückhaben, aber ihm ist der junge Revolverheld auch irgendwie sympathisch. Jedenfalls balgen sie sich wie zwei kleine Kinder um das Pferd. Docs alter Freund Pat Garrett (Thomas Mitchell, schmierig) verdient inzwischen seine Brötchen als Sheriff und er möchte, nachdem Doc und Billy sich verbündet haben, die beiden aus seiner Stadt haben.

Da versucht Rio McDonald (Jane Russell) in einer Scheune Billy the Kid zu ermorden. Sie prügeln sich und Billy erfährt, dass er vor einiger Zeit ihren Bruder erschoss.

Später wird Billy angeschossen. Doc flüchtet mit ihm zu seiner Freundin Rio McDonald und bittet sie, den Verletzten zu pflegen.

Tja, und da verlieben sich Billy und Rio ineinander. Aber in erster Linie balgen sich Doc und Billy bis zum Filmende um das Pferd. Davor müssen sie wieder vor dem Gesetz flüchten. Pat schnappt sie. Indianer wollen sie umbringen – und dann ist da noch die Sache mit dem Pferd.

Denn unter echten Männern zählt ein Pferd einfach mehr als eine Frau.

Das ist ziemlich frauenverachtend und nur wegen des Spiels von Walter Huston, Jack Buetel und Thomas Mitchell erträglich. Sie versuchen das beste aus ihren Szenen herauszuholen, aber auch sie scheinen die meiste Zeit nicht zu wissen, wo das ganze hinführen soll. Jane Russell ist die damalige Version von Megan Fox: ein Augenschmaus, der bestimmt nicht wegen ihrer schauspielerischen Qualitäten die Rolle erhielt. Die Regie von Howard Hughes in seinem zweiten und letztem Spielfilm, der sich anscheinend öfters vertreten ließ, ist amateurhaft. Nie kommt eine echte Western-Atmosphäre auf. Es gibt keine bemerkenswerten Bilder sondern einfach nur eine funktionale Kamera, die man eher in einem der damals zahllosen Serials (Flash Gordon, „Western von Gestern“) und B-Movie-Serien (Sherlock Holmes, Mr. Moto, Charlie Chan, Tarzan) vermutet.

Es gab zahlreiche Nachdrehs, die sicher nicht die Geschichte runder machten.

Geächtet“ ist, dank der Hauptdarsteller, ein mäßig amüsanter, immer wieder in seine Einzelteile zerfallender Western, der zwar die Heldenimages von Doc Holliday, Pat Garrett und Billy the Kid etwas demontiert ohne sich der historischen Wirklichkeit allzu sehr anzunähern. Stattdessen gibt es eine abstruse und sogar latent homosexuelle Geschichte. Denn die Beziehung zwischen Doc Holliday, Billy the Kid und Pat Garrett kann auch als Liebesgeschichte gesehen werden: dann wären Doc und Pat das alte Liebespaar und Billy der junge Nebenbuhler. Diese Lesart drängt sich, angesichts des offensichtlichen Desinteresses von Doc Holliday und Billy the Kid an den Reizen von Rio McDonald, ihrer Unwilligkeit um sie zu kämpfen und ihrem, eher vorgeschobenen, Interesse an dem Pferd, sogar auf. Aber ob das von Howard Hughes beabsichtigt war?

Der ursprüngliche Regisseur Howard Hawks wollte einen kleinen Western drehen, der in jedem Fall auch ein besserer Film geworden wäre. Als er die höher budgetierte Kriegsheldengeschichte „Sergeant York“ mit Gary Cooper (der dafür seinen ersten Oscar erhielt) drehen konnte, übergab er den Regiestuhl an den Produzenten Howard Hughes. Der tobte sich schon während des Drehs in Richtung Jane Russell aus.

Ohne den Skandal, die gut inszenierte Werbekampagne (Wer kennt nicht die sich im Heu räkelnde Jane Russell?) und den damaligen Kassenerfolg wäre „Geächtet“ heute noch nicht einmal von historischem Interesse.

Auf der DVD ist der Film in Schwarzweiß und einer nachträglich, erst vor kurzem angefertigten kolorierten Version enthalten. Das restaurierte Bild ist durchwachsen. Weitere Extras, wie ein Audiokommentar (auf der US-Fassung enthalten) oder eine Doku, die sich gerade bei diesem Film anbieten würde, fehlen.

The Outlaw – Geächtet (The Outlaw, USA 1940/1943)

Regie: Howard Hughes, Howard Hawks (ungenannt)

Drehbuch: Jules Furthman, Howard Hawks (ungenannt), Ben Hecht (ungenannt) (nach einer Geschichte von Ben Hecht)

mit Jane Russell, Jack Buetel (im Vorspann „Jack Beutel“), Walter Huston, Thomas Mitchell

DVD

HMH Home Entertainment

Bild: 4:3

Ton: Deutsch (DD 5.1), Englisch (DD 2.0)

Untertitel: –

Bonusmaterial: – (außer man zählt eine Fassung des Films dazu), Wendecover

Länge: 113 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Wikipedia über „Geächtet“ (deutsch, englisch)

Turner Classic Movies über „The Outlaw“

Internet Archive: „The Outlaw“ (kompletter Film)


TV-Tipp für den 25. Juni: Das Verfahren ist eingestellt: Vergessen Sie’s!

Juni 25, 2010

WDR, 23.15

Das Verfahren ist eingestellt: Vergessen Sie’s! (I 1971, R.: Damiano Damiani)

Drehbuch: Dino Maiuri, Massimo de Rita, Damiano Damiani

LV: Leros Pittoni: Tante sbarre

Architekt Vanzi landet in U-Haft. Er soll Fahrerflucht begangen haben. Weil er unschuldig ist, hofft er bald wieder entlassen zu werden. Aber die U-Haft zieht sich hin und die Mafia regiert auch den Knast.

Etwas spröder Polit-Thriller, bei dem der Knast nur das Sinnbild für die italienische Gesellschaft ist.

Polit-Thriller, der ein durch und durch korruptes System anprangert.“ (Lexikon des internationalen Films)

Die deutsche Premiere war am 15. Juni 1977 im ZDF.

mit Franco Nero, Riccardo Cucciolla, George Wilson, John Steiner

Auch bekannt als „Die Untersuchung ist abgeschlossen: Vergessen Sie alles“ (DDR-Titel)

Hinweise

Wikipedia über Damiano Damiani (deutsch, englisch, italienisch)


R. i. P. Frank Giering

Juni 24, 2010

R. i. P.: Frank Giering (23. November 1971 – 23. Juni 2010)

Via Zeit Online habe ich erfahren, dass Frank Giering am Mittwochabend gestorben ist. Die Todesursache ist noch nicht bekannt.

Die Berliner Zeitung schreibt:

Giering wurde von dessen Stiefvater in seiner Wohnung an der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg gefunden, der die Polizei alarmierte. In der Wohnung im 6. Obergeschoss diagnostizierten Feuerwehrsanitäter einen Herz- und Kreislaufstillstand und alarmierten einen Notarzt. Dieser versuchte noch eine Stunde und 14 Minuten lang, den Leblosen zu reanimieren. Um 22.13 Uhr gab er schließlich auf.

Die Polizei hat nach Angaben eines Sprechers bisher keine Anhaltspunkte für ein „Fremdverschulden“.

In jedem Fall hat uns einer der beeindruckensten jungen Schauspieler verlassen. Er debütierte in „Ebbies Bluff“. Mit Michael Hanekes „Funny Games“ hatte er seinen Durchbruch als psychopathischer Killer. Später spielte er in „Absolute Giganten“ eine vollkommen andere Rolle. Danach kamen „Gran Paradiso“, „Ein mörderischer Plan“, „Baader“, „Gangster“, „Die Spielerin“, „Störtebeker“, eine Gastrollen in der Crime-Comedy-TV-Spielfilmserie „Blond, Eva Blond“, der Lena-Odenthal-Tatort „Der glückliche Tod“ (über Sterbehilfe) und ein Ensemblepart in der Krimiserie „Der Kriminalist“.

Die ersten Nachrufe gibt es im Tagesspiegel, Die Welt, Süddeutsche Zeitung, Berliner Zeitung, FocusFrankfurter Allgemeine Zeitung und Frankfurter Rundschau.


Kleinkram

Juni 24, 2010

In den vergangenen Tagen hat sich einiges angesammelt:

„Jonah Hex“ ist in den USA gestartet. Der Trailer war schon „naja“. Die Länge ist mit 80 Minuten extrem kurz. Vor allem weil inzwischen der Abspann bei einem normalen Hollywood-Film die Länge eines Kurzfilms hat.


Die Kritiken sind – verheerend.

Bookgasm (Rod Lott) schreibt:

It’s all patched together in a way that it feels not like a major-studio feature, but some straight-to-video thing that used to serve as the Friday-night premiere on Cinemax in the mid-’90s, like, say, FIST OF THE NORTH STAR. Including credits, the movie clocks in at a mere 80 minutes, barely qualifying as a movie. At that length, you wonder why they didn’t just go the TV route, write it off as a “pilot” and call it a day.

Und bei Tor (Genevieve Valentine):

Though I cannot recommend this film in any way as an example of skillful, or even competent, moviemaking, I can confirm that Jonah Hex is Weird West’s answer to LXG; a movie so bad, it’s extraordinary.

Die Zuschauer bleiben auch weg. Damit dürfte der Western bei uns, trotz der guten Besetzung, direkt auf DVD erscheinen.

Die Trailer für „Knight & Day“ versprachen dagegen einen ordentlichen Popcorn-Film dagegen eine ordentliche Action-Komödie, die zwar keine Bäume ausreißt, aber gut unterhält.

Die ersten Kritiken sind auch nicht so toll:

Collider (Matt Goldberg) meint:

It’s amazing what you can do with charisma.  It can elevate a mediocre movie to greatness and elevate a bad movie to mediocrity.  Knight and Day is a case of the latter.  The film’s overly-long, paper-thin plot and misogynistic undertones are combated by Tom Cruise’s sheer force of personality, his chemistry with co-star Cameron Diaz, and James Mangold’s skill for shooting exciting set pieces.  These elements combine to make Knight and Day a better movie than it should be, but unfortunately aren’t enough to make it as good as it could be.

Der startet bei uns am 22. Juli.

Und dann gibt es noch das „A-Team“.

Auch von dem Film sind die Kritiker nicht sonderlich begeistert.Aber den Zuschauern scheint’s zu gefallen.

Deutscher Kinostart ist am 5. August.

Bei Schnittberichte gibt es einen ausführlichen Vergleich zwischen der restaurierten Fassung von 1995 und der von 2005/2006 von Murnaus Stummfilmklassiker „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“.

Im Tagesspiegel schreibt Hagen Haas über „Psycho“ und Robert Bloch, den Autor der Vorlage.

Bei 24 spricht Produzent Stefan Arndt über den von ihm produzierten Michael-Haneke-Film „Das weiße Band“.


BSC unterhält sich mit David Moody (Im Wahn).

Spinetingler unterhält sich mit Victor Gischler (Die Go-Go-Girls der Apokalypse).

All Things Girl mit Michael Koryta (Tödliche Rechnung).

Focus (Henrike Heiland) mit Sebastian Fitzek (Der Augensammler).

Büchertitel mit Horst Eckert (Sprengkraft).

Die taz (Katharina Granzin) mit Martin Cruz Smith (Die goldene Meile).

Lange nichts mehr von Doris Heinze (der ehemaligen NDR-Fernsehspielchefin, die fristlos entlassen wurde, weil sie ihrem Ehemann und sich selbst Drehbuchaufträge verschaffte, sie unter falschen Namen einreichte und sich dafür zu gut bezahlen ließ.) gehört?

Nun, vorm Arbeitsgericht kam es zu einer Einigung: Kündigung war okay, Geld muss zurückbezahlt werden. Damit ist der NDR, soweit man davon sprechen kann, der Gewinner. Denn der Sender muss sinnvolle Kontrollmechanismen, die so etwas verhindern können, installieren.

Der Staatsanwalt ermittelt weiter. Wegen Betrug.

Alte Pulp-Romane bis zum Abwinken gibt es kostenlos bei Munseys.Stöbern lohn sich.

Der Noir of the Week ist Phil Karlsons Georges-Simenon-Verfilmung „Hyänen der Straße“ (The Brothers Rico, USA 1957).

Bei Trailers from Hell lobt Josh Olson den Noir „Die Freunde von Eddie Coyle“ (The Friends of Eddie Coyle, USA 1973).




TV-Tipp für den 24. Juni: Betty

Juni 23, 2010

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Claude Chabrol!

Arte, 20.15

Betty (F 1991, R.: Claude Chabrol)

Drehbuch: Claude Chabrol

LV: Georges Simenon: Betty, 1960 (Betty)

Die vermögende Witwe Laure nimmt die Alkoholikerin Betty bei sich auf. Ein böser Fehler.

Chabrol übernimmt für seine Zustandsbeschreibung die Romanstruktur mit wenigen Ereignissen in der Gegenwart und vielen Rückblenden. Das ist oft schematisch, oft nahe an der Idee eines Filmes ohne Geschichte, und grandios gespielt.

Der Film wurde zuletzt 2005 gezeigt.

Mit Marie Trintignant, Stéphane Audran

Wiederholung: Montag, 28. Juni, 00.45 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Wikipedia über Claude Chabrol (deutsch, englisch, französisch)

Arte über den Programmschwerpunkt


DVD-Kritik: „In the electric mist“ with James Lee Burke, Bertrand Tavernier und Tommy Lee Jones (als Dave Robicheaux)

Juni 23, 2010

Vor vierzehn Jahren hatte Dave Robicheaux seine ersten Kinoauftritt in der zwiespältigen Verfilmung „Mississippi Delta“. Alex Baldwin spielte den trockenen Alkoholiker und Kleinstadtpolizisten. Die Musik war gut. Die Bilder auch. Aber dem Drehbuch fehlte der letzte Schliff.

Jetzt spielt, nein, verkörpert Tommy Lee Jones den von Krimiautor James Lee Burke erfundenen Charakter, der ihm nach langen Jahren als erfolgloser Autor (erfolgreich war er nur im Sammeln von Ablehnungen) in den späten achtziger Jahren den Durchbruch verschaffte. Inzwischen ist der 1936 geborene Texaner ein Bestsellerautor, er erhielt zahlreiche Preise und er wird von Autoren, Kritikern und Lesern als einer der einflussreichen und wichtigen zeitgenössischen Krimiautoren bezeichnet. In Deutschland wurden seine Bücher bei Ullstein und Goldmann veröffentlicht. „Wurden“ weil er schon seit sechs Jahren keinen deutschen Verleger mehr hat.

Der französische Regisseur Bertrand Tavernier, dem wir schon die Jim-Thompson-Verfilmung „Der Saustall“ und den Jazz-Film „Um Mitternacht“ verdanken, wählte den sechsten Dave-Robicheaux-Roman „Im Schatten der Mangroven“ (In the Electric Mist with Confederate Dead) als Vorlage für seinen ersten amerikanischen Film. Dabei wurde die Geschichte des 1993 erschienenen Noirs in die Gegenwart verlegt.

Tommy Lee Jones spielt den in New Iberia, Louisiana, arbeitenden Detective Dave Robicheaux. Er jagt den Mörder einer neunzehnjährigen Prostituierten. Gleichzeitig wird er mit der Südstaatenvergangenheit konfrontiert: eine Filmcrew dreht einen historischen Film und der Star des Films erzählt Robicheaux, dass er in den Sümpfen die verweste Leiche eines Mannes in Ketten gesehen habe. Das löst bei dem trockenen Alkoholiker Robicheaux Erinnerungen an die eigene Vergangenheit aus – und dann trifft er immer wieder den Geist von Konföderierten-General John Bell Hood.

Schnell legt Robicheaux sich bei seinen Ermittlungen mit dem lokalen Paten und alten Kumpel Julie ‚Baby Feet‘ Balboni, der auch Geld in den Film investiert hat, an. Dabei ist nicht immer erkennbar, wie sehr Robicheaux einen persönlichen Rachefeldzug veranstaltet oder wirklich eine Spur verfolgt.

Der bei wiederholtem Sehen immer besser werdende Film ist, wie Burkes Romane, kein konventioneller Krimi. Er ist vor allem das Porträt eines von den Dämonen der Vergangenheit, der eigenen Schuld, Selbsthass und der Suche nach Erlösung getriebenen Charakters, einer korrupten Gesellschaft, in der sich anscheinend alle Charaktere seit Ewigkeiten kennen und oft eine komplexe Mischung aus Freundschaft, Feindschaft, Achtung und Verachtung pflegen, und einer tropisch-schwülen Landschaft, in der die Vergangenheit noch sehr lebendig ist. So tauchen in Burkes Romanen immer wieder Geister auf. Im Film unterhält Robicheaux sich mit Hood, als wären sie alte Freunde – und auch der Hollywood-Schauspieler hat sich mit Hood unterhalten. Die Bilder des immer noch vom 2005er Hurrikan Katrina zerstörten New Orleans verstärken den Eindruck, dass in den Südstaaten die Vergangenheit noch sehr lebendig ist und dass die Zeit stehengeblieben ist. Denn obwohl der Tote in den Sümpfen erst 1965 erschossen wurde, sieht er wie ein Kettensträfling aus einer noch früheren Zeit aus.

Die Besetzung ist eine hochkarätige Versammlung bekannter Namen, Gesichter und Schauspieler, die man immer wieder gern sieht. Neben Tommy Lee Jones spielen John Goodman, Peter Sarsgaard, Kelly Macdonald, Mary Steenburgen, Justina Machado, Ned Beatty, James Gammon, Pruitt Taylor Vince, Levon Helm und Blues-Musiker Buddy Guy mit. Guy spielt mit „Nathan & the Zydeco Cha Chas“ auf einem großen Fest von Balboni einige Songs, die den größten Teil der geschnittenen Szenen ausmachen. Im Film sind sie nur einige Sekunden im Hintergrund zu hören.

In the electric mist“ lief bereits erfolgreich auf der Berlinale und dem Fantasy Filmfest. Aber für einen Kinostart hat es nicht gereicht. In den USA erschien der Film, mit Taverniers Einverständnis, in einer anderen Schnittfassung direkt auf DVD. Für den internationalen Markt wurde dann Taverniers auch auf der Berlinale gezeigte Fassung verwandt. Auch bei uns fand sich letztendlich kein Verleiher und so erlebt ein weiterer Film, der sich nicht an ein jugendliches Multiplex-Publikum und nicht an ein distinguiertes Arthaus-Publikum richtet, seine Premiere auf DVD. Weil inzwischen der Umsatz auf dem DVD-Markt höher als im Kino ist und immer mehr Menschen sich ein kleines Heimkino leisten, wird diese ursprüngliche Zweitverwertung auch für eingefleischte Kinogänger, wie ein Blick auf die DVD-Premieren zeigt, immer interessanter.

Als Bonusmaterial gibt es 16 Minuten „Entfallene Szenen“, elf davon Musik, und ein informatives halbstündiges Making-of. Es gibt sehr entspannte Impressionen vom Dreh, etwas Lobhuddelei, vor allem für Tommy Lee Jones, die dieses Mal sogar ehrlich klingt und sehr viele Statements von Regisseur Bertrand Tavernier. Er erzählt, was ihn an der Vorlage faszinierte, wie er arbeitet und wie er die verschiedenen Arbeitsmethoden der Franzosen und der Amerikaner wahrnimmt.

In the Electric Mist – Mord in Louisiana (In the Electric Mist, USA 2009)

Regie: Bertrand Tavernier

Drehbuch: Jerzy Kromolowski, Mary Olson-Kromolowski (nach dem Roman von James Lee Burke)

mit Tommy Lee Jones, John Goodman, Peter Sarsgaard, Kelly Macdonald, Mary Steenburgen, Justina Machado, Ned Beatty, James Gammon, Pruitt Taylor Vince, Levon Helm, Buddy Guy, John Sayles

DVD

Koch Media

Bild: 1,35:1 (16:9)

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Making of, Geschnittene Szenen, Originaltrailer, Wendecover

Länge: 115 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Vorlage

James Lee Burke: Im Schatten der Mangroven

(übersetzt von Oliver Huzly)

Goldmann, 1996

416 Seiten

(nur noch antiquarisch)

Originalausgabe

In the Electric Mist with Confederate Dead

Hyperion, New York 1993

Hinweise

Französische Homepage zum Film

Berlinale: Pressekonferenz zu „In the Electric Mist“

Film-Zeit über „In the Electric Mist“

Homepage von James Lee Burke

Mein Porträt von James Lee Burke

James Lee Burke in der Kriminalakte

In the Electric Mist“ in der Kriminalakte


TV-Tipp für den 23. Juni: Tatort: Grenzgänger

Juni 23, 2010

WDR, 22.50

TATORT: Grenzgänger (D 1981, R.: Ilse Hofmann)

Drehbuch: Felix Huby

Ein Undercover-Mann (Günther Maria Halmer) hat anscheinend die Seiten gewechselt.

Der zweite Schimanski-Tatort, das erste Drehbuch von Felix Huby („Bienzle“) und immer noch spannend.

Mit Götz George, Eberhard Feik, Ulrich Matschoss, Günther Maria Halmer, Charles Brauer, Michael Lesch

Hinweise

Homepage von Felix Huby

Meine Besprechung von Felix Hubys „Fast wie von selbst – Ein Gespräch mit Dieter de Lazzer“ (2008)

Meine Besprechung von Felix Hubys “Null Chance” (2009)

Meine Besprechung von Felix Hubys “Bienzle und das ewige Kind” (2009)

Horst-Schimanski-Fanseite

Tatort-Fundus über Horst Schimanski

Wikipedia über Horst Schimanski


Cover der Woche

Juni 22, 2010


TV-Tipp für den 22. Juni: Blade Runner – Der Final Cut

Juni 22, 2010

BR, 22.00

Blade Runner – Der Final Cut (USA 1982, R.: Ridley Scott)

Drehbuch: Hampton Fancher, David Peoples

LV: Philip K. Dick: Do Androids dream of Electric Sheep?; Blade Runner, 1968 (Träumen Roboter von elektrischen Schafen; Blade Runner)

LA, 2019: Rick Deckard soll vier Replikanten finden.

Damals kam er bei der Kritik solala an und im Kino lief er auch nicht so toll. Aber seitdem entwickelte „Blade Runner“ sich zu einem der stilbildenden Science-Fiction-Filme und Lieblingsobjekte von Wissenschaftlern für Interpretationen.

Der Final Cut“ ist die von Ridley Scott ursprünglich geplante Version, die sich nur in Details von früheren Versionen (Off-Sprecher, Ende, einige Effekte und minimal andere Schnittfolgen) unterscheidet.

Eine zeitgenössische Kritik: „’Blade Runner’ ist ein Film des Dekors (…) Technische Phantasie und die Story, soweit sie erkennbar wird, liegen weit über dem Standard heutiger Science-fiction-Filme. Dennoch ist auch ‘Blade Runner’ ein eher unerfreulicher Film: Er kokettiert nicht nur mit der Gewalt, er schlachtet sie genussvoll aus, menschliche Werte behauptet er nur zu retten, tatsächlich aber versenkt er sie in einem Meer von Zynismus.“ (Fischer Film Almanach 1983)

Ähnlich Ronald M. Hahn/Volker Jansen in „Lexikon des Science Fiction Films“ (1983): „Mehr jedoch als die zum großen Teil unbekannten Schauspieler sind die Trickspezialisten die wahren Stars dieses Films.“

Heute wird’s anders gesehen: „Der Film, der auf der Handlungsebene einem eher einfachen und klar strukturierten Muster folgt (…), eröffnet bei genauerer Betrachtung vielschichtige Bedeutungsebenen, die vor allem zahlreiche Reflexionen über die neuzeitliche Realitätsauffassung und den damit verbundenen Humanitätsbegriff zulassen.“ (Fabienne Will in Thomas Koebner, Hrsg.: Filmgenres Science Fiction, 2003)

Twenty-five years after its first release Blade Runner is still the benchmark film in tech noir or future noir – a bleak fusion of sci-fi and noir.“ (Alexander Ballinger, Danny Graydon: The Rough Guide to Film Noir, 2007)

Mit Harrison Ford, Rutger Hauer, Sean Young, Edward James Olmos, M. Emmet Walsh, Daryl Hannah, Joanna Cassidy

Hinweise

Homepage zum Film

Wikipedia über „Blade Runner“ (deutsch, englisch)

Schnittberichte: Vergleich Director’s Cut – Final Cut

Homepage von Philip K. Dick


Noch ein Alfred-Hitchcock-Buch…

Juni 21, 2010

…denkt sich der Hitchcock-Fan und wirft einen Blick auf seine deutschsprachigen Hitchcock-Bücher: die dicken Biographien von John Russell Taylor und Donald Spoto, das legendäre Interview von Francois Truffaut, den schönen Bildband von Paul Duncan, das schmale Buch von Enno Patalas, den informativen Sammelband von Lars-Olav Beier und Georg Seeßlen.

Das dürfte doch genug Stoff sein.

Aber für den bekennenden Hitchcock-Fan ist Thilo Wydras in der Suhrkamp-Reihe „BasisBiographie“ erschienenes Büchlein auch nicht gemacht. Es ist für den Einsteiger, der noch nichts über Hitchcock weiß und den Gang in die staubigen Antiquariate scheut. Denn fast alle der eben genannten, empfehlenswerten Bücher sind nicht mehr erhältlich.

Wydras Buch ist in zwei große Abschnitte gegliedert: zuerst gibt es eine Tour de Force durch Alfred Hitchcocks Leben von der Geburt bis zum Tod. Dabei widmet er sich vergleichsweise ausführlich Hitchcocks letzten Jahren und seinem körperlichen Verfall. Hier werden auch alle Filme von Hitchcock kurz angesprochen. Wydras Bewertungen bewegen sich dabei fast immer im Mainstream: die bekannten Klassiker werden gelobt, die Fehlschläge werden als Fehlschläge bezeichnet.

Die Fernseharbeiten von Hitchcock und wie es ihm gelang als Präsentator von „Alfred Hitchcock presents“ und „The Alfred Hitchcock Hour“ zu einer nationalen Berühmtheit zu werden (und dabei war Hitchcock als begnadeter Selbstdarsteller schon immer sehr bekannt gewesen), werden nur gestreift.

Im zweiten großen Abschnitt „Werk“ stellt Wydra elf Hitchcock-Filme vor, „die exemplarisch für einzelne Perioden oder Gattungen stehen“. Es sind „Die 39 Stufen“, „Rebecca“, „Im Schatten des Zweifels“, „Berüchtigt“, „Der Fremde im Zug“, „Das Fenster zum Hof“, „Über den Dächern von Nizza“, „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“, „Psycho“, „Die Vögel“ und „Frenzy“. Obwohl diese Auswahl weitgehend okay ist, fehlen „Der Mieter“ (The Lodger; der erste echte Hitchcock-Film, der bereits alle wichtigen Hitchcock-Topoi enthält), „Ich beichte“ (gerade weil der Katholik Hitchcock hier das Beichtgeheimnis in den Mittelpunkt stellt) und „Der unsichtbare Dritte“ (ein Hitchcock-Cocktail oder die Big-Budget-Variante von „Die 39 Stufen“). „Familiengrab“ hätte ich als letzten Hitchcock-Film, verknüpft mit einem Fan-Bonus, ebenfalls aufgenommen. Dagegen hätte ich auf „Die 39 Stufen“ (zugunsten von „Der unsichtbare Dritte“), „Rebecca“ (nur erwähnenswert als Hitchcocks Hollywood-Debüt) und „Frenzy“ (seine Rückkehr nach London) verzichtet.

Bei den Filmvorstellungen reichert Wydra seine umfangreichen Inhaltsangaben nur spärlich mit Interpretationen an. Dafür gibt es aber viele, den Hitchcock-Fans vertraute, Anekdoten. Teilweise, wie bei „Über den Dächern von Nizza“ (Wirklich einer „der am meisten unterschätzten Hitchcock-Filme“?), wird zu sehr auf den Spitznamen des Juwelendiebes, die „Katze“, eingegangen. Dabei verrät schon der Originaltitel „To Catch a Thief“, was alle in dem Film wollen: jeder will einen Dieb (egal ob einen echten oder einen falschen) fangen. In jeder Szene geht es darum, einen Dieb zu fangen – und am Ende sind die Diebe auch gefangen.

Bei „Psycho“ hätte die Frage, warum ein Film, bei dem nach einem Drittel die Hauptfigur gewechselt wird, beim Publikum funktioniert, beantwortet werden müssen. Die Antwort ist, dass wir uns mit Marion Crane und Norman Bates identifizieren können, weil sie aus einem Gefängnis und dem damit verbundenen Druck auf ihr Leben ausbrechen wollen.

Überhaupt nicht erwähnt werden die von Alfred Hitchcock oft liebevoll inszenierten Trailer für seine Filme. Vor allem der Trailer für „Psycho“ ist grandios:

Thilo Wydra liefert mit „Alfred Hitchcock“ einen schnell zu lesenden, guten Einblick in das Leben und Werk des Regisseurs. Denn auf 160 Seiten, inclusive einem zwanzigseitigem Anhang mit Zeittafel, Biblio- und Filmografie, ist mehr kaum möglich.

Thilo Wydra: Alfred Hitchcock

Suhrkamp, 2010

160 Seiten

8,90 Euro

Hinweise

Wikipedia über Alfred Hitchcock (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 2“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 2“

Alfred Hitchcock in der Kriminalakte