Mord im Orient-Express (Murder on the Orient Express, Großbritannien 1974)
Regie: Sidney Lumet
Drehbuch: Paul Dehn
LV: Agatha Christie: Murder on the Orient Express, 1934 (Mord im Orientexpress)
Millionär Ratchett wird im Orient-Express ermordet. Der Zug bleibt im Schnee stecken und der Mörder muss noch im Zug sein. Hercule Poirot befragt die Passagiere.
Starbesetzer Edelkrimi mit Albert Finney (als Hercule Poirot), Lauren Bacall, Martin Balsam, Ingrid Bergman, Jacqueline Bisset, Jean-Pierre Cassel, Sean Connery, Sir John Gielgud, Anthony Perkins, Vanessa Redgrave, Michael York, Richard Widmark (als Leiche). Wolf Donner meinte: „Kulinarisches Kino, angenehm überflüssig und verwirrend nutzlos.“ (Donner in Die Zeit)
Vor ihrem neuesten Batman-Abenteuer „Batman: Damned“ erzählten Autor Brian Azzarello und Zeichner Lee Bermejo ähnlich bildgewaltig und düster bereits mehrere Geschichten mit Figuren aus dem DC-Universum. Eine dieser DC-Geschichten ist „Nach dem Feuer“ mit Batman und Deathblow. 2003 erschien die dreiteilige Geschichte auf Deutsch in schon lange ausverkauften Einzelheften. Jetzt liegt die Geschichte bei uns erstmals in einem Band vor.
Als an einer Mautstation eine abgehakte Hand mit einer Todeskarte auftaucht, will ‚Batman‘ Bruce Wayne mehr darüber erfahren.
Zur gleichen Zeit wird der Regierungsagent Scott Floyd mit schweren Verbrennungen in das Krankenhaus eingeliefert. Es war ein Anschlag auf sein Leben. Im Krankenhaus sagt Floyd Wayne, dass es sich bei der in der Mautstation gefundenen Todeskarte um die Visitenkarte von Deathblow handelt.
Vor zehn Jahren ging Deathblow, so der Kampfname des staatlichen Auftragskillers Michael Cray, in Gotham seinem blutigem Handwerk nach. Oder hatte er Skrupel bekommen?
Jedenfalls ging damals bei seinem Auftrag aufgrund fehlerhafter Informationen etwas schief und er wurde nicht vollständig ausgeführt. Soll dieser Fehler jetzt korrigiert werden?
Wie der Titel schon sagt, treten mit Batman und Deathblow zwei DC-Serienfiguren auf. Während Batman allgemein bekannt ist, ist Deathblow deutlich unbekannter. Bürgerlich heißt er Michael Cray. Der Soldat gehört zum Team 7 des US-Geheimdienst IO (International Operations), der in den USA nichts zu suchen hat. Durch Mutation erhielt er übermenschliche Widerstandskräfte und einen Gehirntumor. Außerdem plagt ihn sein Gewissen. Die Figur wurde 1993 von Jim Lee und Brandon Choi erschaffen und erlebte seitdem mehrere Neudefinitionen. Eine war ab 2006 von Brian Azzarello.
Bereits 2002 beschäftigte er sich mit Deathblow. Und zwar in „Nach dem Feuer“.
Azzarello und Bermejo erzählen ihre Geschichte auf zwei Zeitebenen, die sich überlagern. Die von Azzarello erfundene und von Bermenjo kongenial gezeichnete Geschichte ist sehr düster mit sehr dunklen Panels, die an die Filme von Hollywoods Schwarzen Serie und „Blade Runner“ ohne Neonoptik erinnern.
„Nach dem Feuer“ ist ein Noir, wie man es von „100 Bullets“-Erfinder Brian Azzarello erwartet. Auch wenn es dieses Mal nicht um verführerische Frauen (Gut, eine ist doch dabei.), sondern um Terrorismus und konkurrierende Geheimdienste geht. Wenn das nicht so zeitlos wäre, könnte man „Nach dem Feuer“ als Kommentar zur US-Politik nach 9/11 lesen.
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Brian Azzarello/Lee Bermejo: Batman/Deathblow: Nach dem Feuer
R. i. P. Sir Thomas Sean Connery (25. August 1930 in Fountainbridge bei Edinburgh, Schottland – 31. Oktober 2020 auf den Bahamas)
James Bond ist tot. Das war jedenfalls die Rolle, mit der Sean Connery zum Weltstar wurde. Schon während seiner Zeit als James Bond spielte er auch andere Rollen, beispielsweise in Alfred Hitchcocks „Marnie“ oder Sidney Lumets „Ein Haufen toller Hunde“. Danach wurde er, dank seiner klugen Rollenwahl, zunehmend auch als Schauspieler akzeptiert. Zu seinen wichtigsten Filmen gehören, neben den Bond-Filmen „007 jagt Dr. No“, „Liebesgrüße aus Moskau“, „Goldfinger“, „Feuerball“, „Man lebt nur zweimal“, „Diamantenfieber“ und „Sag niemals nie“, „Der Anderson-Clan“, „Zardoz“, „Mord im Orient-Express“, „Der Wind und der Löwe“, „Der Mann, der König sein wollte“, „Robin und Marian“, „Der erste große Eisenbahnraub“, „Outland – Planet der Verdammten“, „Highlander – Es kann nur einen geben“ (und dann gab es doch einen zweiten Film), „Der Name der Rose“, „The Untouchables – Die Unbestechlichen“, „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“, „Das Russland-Haus“ und „Forrester – Gefunden“. Um nur einige Filme zu nennen und dabei die Regisseure und Co-Stars ignorierend. 2003, nach den desaströsen Dreharbeiten für „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“, zog er sich vom Filmgeschäft zurück und genoss seinen Ruhestand.
Ausfürhliche Nachrufe wird es überall im Netz geben.
Drehbuch: Adrian Molina, Matthew Aldrich (nach einer Geschichte von Lee Unkrich, Jason Katz, Matthew Aldrich und Adrian Molina)
Der zwölfjährige Miguel würde gerne Musiker werden. Seine Familie ist entschieden dagegen. Am Día de los muertos, dem Tag der Toten, betritt Miguel die Welt der Toten und kann erfahren, warum seine Familie keine Musiker in ihrer Familie haben möchte. Allerdings hat er nur bis zum Sonnenaufgang Zeit, um das Geheimnis zu lösen und wieder in seine Welt zurückzukehren.
TV-Premiere. Gewohnt gelungener Pixar-Film, der einige ernste Themen behandelt.
mit (im Original den Stimmen von) Anthony Gonzalez, Gael García Bernal, Benjamin Bratt, Alanna Ubach, Renée Victor, Jaime Camil, Alfonso Arau, Herbert Siguenza, Ana Ofelia Murguía, Edward James Olmos, Cheech Marin
Das Team von „Stormwatch“ und „The Authority“, Autor Warren Ellis und Zeichner Bryan Hitch, hat sich wieder zusammengetan für die zwölfteilige Batman-Miniserie „Batmans Grab“. Die ersten sechs Hefte sind jetzt in einem Band auf Deutsch erschienen.
Bruce Wayne bekämpft in Gotham City als Batman immer noch das Verbrechen. Mit Hightech, Gewalt und seinem Butler Alfred Pennyworth. Neu ist allerdings, dass Wayne sich in die Opfer von Verbrechen hineinversetzt und er so Hinweise auf den Tathergang und den Täter erhält.
Jetzt entdeckt er in einem billigem Apartment die Leiche eines ehemaligen Mitarbeiters des stellvertretenden Staatsanwalts von Gotham. Über ihn und einige weitere Leichen kommt Batman auf die Spur der Scorn-Armee. Diese geheimnisvolle Organisation ist gut vernetzt und übt einen beträchtlichen Einfluss auf seine Mitglieder aus.
Was sie allerdings wollen ist am Ende des ersten Bands von „Batmans Grab“ noch unklar.
Letztendlich sind die ersten sechs Kapitel dieser Miniserie eine groß angelegte Einführung wichtiger und vermeintlich wichtiger Personen. Erst in den nächsten sechs Kapiteln werden die Geheimnisse gelüftet. Das gelingt Ellis und Hitch gut. Die Story bewegt sich flott voran. Die Actionszenen sind lang und äußerst dynamisch gezeichnet. Die Lesegeschwindigkeit ist entsprechend hoch.
Der zweite Band ist für 2021 angekündigt.
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Warren Ellis/Bryan Hitch: Batmans Grab – Band 1 (von 2)
Hat der angeklagte Puertoricaner seinen Vater ermordet? Die Geschworenen beraten.
Lumets erster Spielfilm ist ein Klassiker des Gerichtsfilms: ein Raum, zwölf Personen, die eine Entscheidung fällen müssen: unerträgliche Spannung. Ausgangspunkt für den Spielfilm war ein einstündiges Fernsehspiel von Reginald Rose, der dafür von eigenen Erfahrungen als Geschworener inspiriert wurde. Beim Start wurde der Film von der Kritik gelobt, für zahlreiche Preise nominiert und floppte – trotz des niedrigen Budgets – an der Kasse. „Sidney Lumets Erstlingsfilm verleiht dem Geschehen durch die Begrenzung des Ortes und der Personen eine große Dichte und Spannung. Die Wahrheitsfindung entsteht aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Menschentypen, Ideologien und Interessen – ein Modellfall ´demokratischer´ Aufklärungsarbeit. Hervorragend besetzt, gespielt und fotografiert (Preis der OCIC in Berlin)“ (Lexikon des Internationalen Films)
Mit Henry Fonda, L. J. Cobb, Ed Begley, E. G. Marshall, Jack Warden, Martin Balsam, Jack Klugman, Joseph Sweeney
Lohnt es sich jetzt noch Kinokritiken zu schreiben und zu veröffentlichen? Schließlich sollen die Lichtspielhäuser ab Montag bis Ende November geschlossen sein und mein Postfach füllt sich mit Absagen von Pressevorführungen und Startterminen. Manchmal wird gleich ein neuer Starttermin genannt. Manchmal nicht.
Aber andererseits laufen die Filme jetzt an und sie können in den nächsten Tagen (und dann ab Dezember) auf der großen Leinwand gesehen werden. Dazwischen gibt es vielleicht wieder Kooperationsangebote, bei denen der Film auf einer speziellen Plattform gezeigt und der Erlös zwischen Verleih und Kino geteilt wird. Bei „Now“ (sehenswerte Doku von Jim Rakete über die aktuelle Umweltbewegung) ist das wahrscheinlich so. Bei „Schlaf“ vielleicht auch. Deshalb:
Marlene hat Alpträume. Jetzt glaubt sie, dass sie für das Hotel, das sie aus ihren Träumen kennt, eine Anzeige gesehen hat. Anstatt ihrer Arbeit als Stewardess nachzugehen, macht sie sich, ohne es ihrer Tochter zu sagen, auf den Weg zu dem Hotel Sonnenhügel in Stainbach.
Kurz darauf erhält Mona die Nachricht, ihre Mutter liege katatonisch in einer Klinik. Mona macht sich auf den Weg nach Stainbach. Sie will herausfinden, was mit ihrer Mutter geschah.
Schnell ist sie in einem Geflecht zwischen Realität und (Alp)traum gefangen, in dem es nicht nur Mona zunehmend schwer fällt zu unterscheiden, ob sie gerade wach ist oder träumt. Für den Genrefan eröffnet sich in diesem Moment in Michael Venus‘ Kinospielfilmdebüt „Schlaf“ die Möglichkeit, die einzelnen Zeichen zu deuten. Das erinnert natürlich an David Lynch; vor allem „Twin Peaks“, aber auch „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“. Venus nennt noch Grimms Märchen, George A. Romeros „Night of the Living Dead“ und Mario Bavas „Operazione paura“ (Die toten Augen des Dr. Dracula) als Einflüsse. Er hätte auch jeden anderen Horrorfilm von Mario Bava oder einen der Klassiker von Dario Argento nennen können. Es sind Filme, die sich einer banalen Erklärung entziehen, während sie sich mit verdrängten Gefühlen, Ereignissen und Wünschen beschäftigen.
Auch in „Schlaf“ haben alle Figuren mindestens ein Geheimnis. Sie verhalten sich immer etwas seltsam. Und wenn Mona als einziger Hotelgast durch das riesige leere, einsam im Wald liegende Hotel streift, sind Gedanken an das Overlook Hotel naheliegend.
Neben diesen Anspielungen, die das Herz der Genrefans erfreuen ohne den Film zu einer reinen Zitat-Parade verkommen zu lassen, enthüllt Michael Venus in seinem Horrorfilm langsam eine mehrfach miteinander verwobene Familiengeschichte zwischen deutscher Gegenwart und Vergangenheit, über die hier nichts verraten werden soll.
„Schlaf“ ist ein gelungener, visuell überzeugender und stilsicherer Horrorfilm aus Deutschland, der wegen seiner Geräuschkulisse auf der richtigen Anlage in der nötigen Lautstärke genossen werden sollte.
Schlaf(Deutschland 2020)
Regie: Michael Venus
Buch: Thomas Friedrich, Michael Venus
mit Gro Swantje Kohlhof, Sandra Hüller, August Schmölzer, Marion Kracht, Max Hubacher, Martina Schöne-Radunski, Katharina Behrens, Agata Buzek, Andreas Anke, Benjamin Heinrich, Josefin Schäferhoff, Samuel Weiss
„Echte Hexen tragen ganz normale Kleider und sehen auch wie ganz normale Frauen aus. Sie wohnen in normalen Häusern, und sie üben ganz normale Berufe aus.
Eine echte Hexe hasst Kinder so glühend, dass es zischt, und dieser Hass ist verzehrender und verheerender als alle anderen Gefühle, die ihr euch selbst in euren ärgsten Träumen vorstellen könntet.“
(der Erzähler in Roald Dahl: Hexen hexen)
1983 veröffentlichte Roald Dahl „The Witches“, das bei uns den viel schöneren Titel „Hexen hexen“ hat. Ein Kinderbuch, in dem Junge gegen eine böse Oberhexe kämpft, die alle Kinder in Mäuse verwandeln will.
Das Buch war ein Erfolg. Bereits vor über dreißig Jahren wurde es von Nicolas Roeg mit Anjelica Huston als böser Hexe und Figuren von „Muppets“-Erfinder Jim Henson verfilmt. Roegs in der Gegenwart spielender Film beeindruckt durch Hensons lebensechte Figuren und erstaunt, jedenfalls für einen Kinderfilm, durch mehrere furchterregend orgiastische Hexenszenen, die an entsprechende Orgien-Szenen aus Siebziger-Jahre-Filme erinnern. Und er besitzt eine ordentliche Portion schwarzen Humors. Da verzeiht man auch das neue Ende.
Jetzt wurde Dahls Buch wieder verfilmt. Dieses Mal von Robert Zemeckis, dem Regisseur von „Zurück in die Zukunft“, „Forrest Gump“, „The Walk“ und, für „Hexen hexen“ besonders wichtig, „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“, „Der Tod steht ihr gut“, „Der Polarexpress“, „Die Legende von Beowulf“ und „Disneys Eine Weihnachtsgeschichte“. Auch in seinem neuesten Film verknüpft Zemeckis reale mit animierten Szenen. Wobei es sich, der Zeit folgend, nicht mehr um gezeichnete Szenen oder traditionelle Spezialeffekte, sondern um computergenerierte Animationen handelt. Und das ist eines der Probleme von seinem Film.
Doch beginnen wir mit der Geschichte, die auch in diesem Film Dahls Geschichte ziemlich genau folgt.
„Ginder sind zum Gotzen! Wir werden sie alle verschwinden lassen! Wir werden sie wegpusten vom Angesicht der Erde. Ginder riechen nach Hündegötteln!“
(die Hoch- und Großmeisterhexe in Roald Dahl: Hexen hexen)
1968 verliert in der Nähe von Chicago ein achtjähriger afroamerikanischer Junge bei einem Autounfall seine Eltern. Seine in Demopolis, Alabama, lebende Großmutter nimmt ihn auf. Sie ist eine strenge, aber auch herzensgute Raucherin, die viel über Hexen weiß. Sie entwickelt einen asthmatischen Husten, der sie zu einem Aufenthalt an der Küste bewegt.
Sie steigen im mondänen Grand Orleans Imperial Island Hotel ab. Der Junge stromert durch das Hotel. In einem leeren Ballsaal, in dem die Königliche Gesellschaft zur Verhinderung von Kindesmissbrauch ihr Jahrestreffen abhalten will, beginnt er seine beiden Mäuse Kunststücke zu trainieren. Währenddessen stürmen die Kinderschützerinnen in den Saal und beginnen ihr Treffen. Erschrocken bemerkt der Junge, als sie ihre Handschuhe und Schuhe ausziehen und ihre Perücken absetzen, dass diese Damen keine Kinderschützerinnen sind. Sie sind Hexen, die ihre nächsten Aktionen planen.
Die Hoch- und Großmeisterhexe, eine extrem herrische, ungeduldige und bösartige Person, will, dass die Hexen alle Kinder mit einem von ihr gebrautem Elixier in Mäuse verwandeln. Die Wirksamkeit ihres Elixiers demonstriert sie an dem ständig essendem Bruno Jenkins, der sich vor ihren Augen schwuppdiwupp in eine Maus verwandelt.
Als sie kurz vor dem Ende ihrer Versammlung den Jungen entdecken, verwandeln sie ihn ebenfalls in eine Maus, die sie sofort töten wollen. Er kann ihnen entkommen.
Jetzt will er den teuflischen Plan der Oberhexe vereiteln. Seine Großmutter und Bruno Jenkins, wenn er nicht gerade mit Essen beschäftigt ist, sollen ihm helfen.
„Kinder sollten niemals baden. Es ist eine lebensgefährliche Gewohnheit.“
(die Großmutter in Roald Dahl: Hexen hexen)
Soweit die Filmgeschichte. Im Roman ist die Großmutter eine Norwegerin, das Hotel ist in England und der Junge ist ein Weißer. Davon abgesehen veränderten die Macher nicht viel.
Trotzdem ist Robert Zemeckis „Hexen hexen“ eine ziemliche Enttäuschung. Der eine Grund sind die schon erwähnten Spezialeffekte. Bei Roeg waren es liebevoll hergestellte Puppen und traditionelle Spezialeffekte. Bei Zemeckis stammt dagegen alles aus dem Computer und das sieht in diesem Fall, vor allem bei den Hexen, sehr künstlich und wenig furchterregend aus. Das kann auch an dem fehlendem schwarzen Humor liegen.
Das zweite Problem ist das Drehbuch. Es dauert zu lange, bis die Oberhexe auftaucht und die eigentliche Filmgeschichte beginnt. Erst ungefähr in der Filmmitte wird der Junge verwandelt. Entsprechend wenig Zeit bleibt dann für seine Versuche, den teuflischen Plan der Hexe zu vereiteln. Die Figuren sind arg eindimensional gezeichnet. Das durch den Handlungsort und -zeit und die Hautfarbe des Jungen und seiner Großmutter angedeutete Thema ‚Rassismus‘ wird nicht weiterverfolgt.
So ist die neueste Version von „Hexen hexen“ eine seelenlose CGI-Schau mit vielen verpassten Chancen, die niemals auch nur den Hauch des Schreckens von Roegs Version versprüht.
Wenige Wochen vor Zemeckis Version erschien Pénélope Bagieus Comicversion von „Hexen hexen“. Auch sie hält sich an Dahls Geschichte. Aber sie verändert das Geschlecht von Bruno Jenkins. Im Comic ist Bruno Jenkins ein Mädchen, das weniger als Bruno isst (was leicht ist) und schlauer ist. Damit verändert sich auch die Beziehung zwischen ‚Bruno‘ und dem Jungen. Diese behutsame Modernisierung und ihre Zeichnungen machen diese Version zu einem witzigen Lesevergnügen.
Hexen hexen (The Witches, USA 2020)
Regie: Robert Zemeckis
Drehbuch: Robert Zemeckis, Kenya Barris, Guillermo del Toro
LV: Roald Dahl: The Witches, 1983 (Hexen hexen)
mit Jahzir Bruno, Octavia Spencer, Anne Hathaway, Stanley Tucci, Charles Edwards, Morgana Robinson, Codie-Lei Eastick, Chris Rock (im Original eine wichtige Stimme)
Länge: 105 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Die Vorlage
Roald Dahl: Hexen hexen
(übersetzt von Sybil Gräfin Schönfeldt)
rowohlt rotfuchs, 2020
240 Seiten
10 Euro
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Deutsche Erstübersetzung 1986
Der aktuellen Ausgabe liegt die Neuausgabe von September 2016 zugrunde
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Originalausgabe
The Witches
Jonathan Cape Ltd., London, 1983
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Der Comic
Pénélope Bagieu: Hexen hexen
(übersetzt von Silv Bannenberg)
Reprodukt,2020
304 Seiten
29 Euro
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Originalausgabe
Sacrées sorcières
Gallimard Jeunesse, 2020
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Die erste Verfilmung
Hexen hexen(The Witches, Großbritannien 1989)
Regie: Nicolas Roeg
Drehbuch: Allan Scott
LV: Roald Dahl: The Witches, 1983 (Hexen hexen)
mit Anjelica Huston, Mai Zetterling, Jasen Fisher, Rowan Atkinson, Bill Paterson
Birds of Passage – Das grüne Gold von Wayuu (Pájaros de Verano, Kolumbien/Dänemark/Mexiko 2018)
Regie: Ciro Guerra, Cristina Gallego
Drehbuch: Maria Camila Arias, Jacques Toulemonde (nach einer Geschichte von Cristina Gallego)
TV-Premiere eines bildgewaltigen Drogendramas, das die Anfänge des kolumbianischen Drogenhandels, beginnend in den späten Sechzigern, erzählt. „Birds of Passage“ bedient dabei selbstverständlich Genrekonventionen. Mit seinen ethnographischen Blick eröffnet er gleichzeitig eine vollkommen neue Perspektive. Er zeigt nämlich, wie sehr Traditionen unser Leben bestimmen, welche wichtige Rolle Frauen bei den Wayuus hatten und wie sich das Leben eines abgeschieden lebenden Volkes durch den Drogenhandel verändert.
Es beginnt mit einer spurlos verschwundenen College-Studentin und endet mit der Aufklärung des Verbrechens. Denn die Studentin verschwand nicht freiwillig.
Aber ein Krimi, in dem ein Ermittler emsig Spuren und falsche Fährten verfolgt, ist „Stadt, Land, Raub“ von Marcie Rendon nicht. Es ist eher die Entwicklungsgeschichte einer jungen Frau mit einer minimalen Krimibeilage. Diese Frau ist Cash Blackbear, eine neunzehnjährige Waise, die quasi von Sheriff Wheaton adoptiert wurde und der sie am Ende von „Am roten Fluss“ nachdrücklich aufforderte, das College zu besuchen.
Am Anfang von „Stadt, Land, Raub“ lernt Cash die für sie sehr ungewohnten und teils abstrusen Regeln des College-Betriebs kennen, während sie weiterhin Rübenlaster fährt, Billard spielt und Bier trinkt. Letztendlich lebt sie das unstudentische Leben, das sie bereits in „Am roten Fluss“ lebte, weiter. Jedenfalls versucht sie das zunächst. Aber dann wird sie gefragt, ob sie im AIM (American Indian Movement) mitmacht, ihr schon vor Ewigkeiten von ihr getrennter Bruder – inzwischen ein Vietnam-Veteran mit postraumatischer Belastungsstörung – klopft bei ihr überraschend an die Tür und ein Professor reicht eines ihrer Essays bei einem Wettbewerb ein. Cash gerät in die Endauswahl und sie muss mit dem Professor und einigen Mitstudenten in die Citys fahren, wie die Städte Minneapolis und St. Paul in Minnesota normalerweise genannt werden. Für Cash, die bislang nie die mehr als ländliche Gegend um Fargo, den Red River und das Valley verließ, sind die wenigen Kilometer von ihrem Revier in die Stadt mehr als eine halbe Weltreise. Immerhin kann sie sich dort die Getreidebörse, die sie bislang nur aus dem Radio kannte, ansehen und sich überzeugen, dass sie wirklich existiert. Und sie trifft auf Prostituierte.
Natürlich gibt es einen Kriminalfall und natürlich hängen Cashs Erlebnisse, Visionen und Beobachtungen ihrer Mitstudentinnen mit der Lösung des Falls zusammen. Auch wenn Cash dieses Mal nicht ermittelt, sondern eher in den Fall hineinstolpert.
Lesenswert ist Marcie Rendons Roman vor allem wegen der Schilderung des Lebens einer deutlich älter wirkenden Frau (Cash ist Neunzehn!), die am Beginn einer neuen Phase ihres Lebens steht. Garniert mit einer ordentlichen Portion Siebziger-Jahre-Zeitkolorit und einer eindrücklichen Beschreibung des damaligen Lebens im US-amerikanischen Hinterland.
Man sollte nur keinen Krimi erwarten; – obwohl „Stadt, Land, Raub“ dann doch ein Krimi ist. Nur halt anders.
Außerdem war Rendons Roman bei den diesjährigen Edgars für den G.P. Putnam’s Sons Sue Grafton Memorial Award nominiert und er steht auf der aktuellen Krimibestenliste.
Rush – Alles für den Sieg (Rush, USA/Großbritannien/Deutschland 2013)
Regie: Ron Howard
Drehbuch: Peter Morgan
Packender Rennfahrerfilm über das legendäre Duell zwischen den beiden gegensätzlichen Formel-1-Fahrern Niki Lauda und James Hunt und ihrem Kampf um die Weltmeisterschaft in den siebziger Jahren.
Amerika hat die Wahl: Trump gegen Biden (The Choice 2020: Trump vs. Biden, USA 2020)
Regie: Michael Kirk
Drehbuch: Mike Wiser, Michael Kirk
Zweistündige PBS-“Frontline“-Doku über die Präsidentschaftskandidaten Joe Biden und Donald Trump.
Danach zeigt Arte von 22.15 Uhr bis 00.55 Uhr die ersten drei Teile der fünfteiligen Dokureihe „Aus der Traum? – Die Amerikaner im Wahljahr“, in der mehrere US-Amerikaner über mehrere Monate begleitet werden. Die abschließenden beiden Teile zeigt Arte kommenden Dienstag, den 3. November, ab 21.45 Uhr.
Ein Film mit Jessica Chastain, Colin Farrell, John Malkovich, Common, Geena Davis und Joan Chen, inszeniert von Tate Taylor, der bei uns direkt auf DVD erscheint. Das wäre zu normalen Zeiten ein deutliches Warnsignal. Aber im Moment sieht das anders aus. Viele Filme, die eigentlich jetzt im Kino laufen sollten, werden auf ein späteres Datum verschoben oder gleich auf DVD und bei den Streamingdiensten veröffentlicht. Das prominenteste Beispiel für diese Politik ist Disneys „Mulan“. Insofern sagt eine Direct-to-DVD-Veröffentlichung im Moment noch weniger als sonst über die Qualität eines Films aus.
Die Story von „Code Ava – Trained to kill“ liest sich wie ein weiterer Frauen-übernehmen-Männerrollen-in-Actionfilmen-Plot: Ava (Jessica Chastain) ist eine eiskalte Profikillerin, die für eine anonym bleibende Organisation, die nur Management genannt wird, Menschen tötet. Sie ist selbstverständlich die beste Killerin der Firma. Allerdings ist sie auch eine trockene Alkoholikerin und sie hat die Marotte, ihre Opfer zu fragen, warum sie sie töten soll. Bevor sie sie tötet. Ihr aktueller Job verläuft aufgrund fehlerhafter Informationen anders als geplant. Anstatt einem als Unfall getarntem Mord, veranstaltet sie notgedrungen ein wahres Schlachtfest an ihrem Opfer und einer halben Hundertschaft flugs herbeigeeilter Soldaten. Danach soll sie eine Auszeit nehmen. Diese will sie in ihrem Geburtsort Boston machen. Dort war sie seit acht Jahren nicht mehr. Ihre Schwester und ihre Mutter leben immer noch in Boston.
In der Stadt ist sie schnell in alte Familien- und Beziehungsprobleme verwickelt. Sie trifft alte Bekannte aus der Halbwelt, was Ärger bedeutet. Das Management, vertreten durch ihren Chef Simon (Colin Farrell), will sie aus bestenfalls halbherzig erklärten Gründen umbringen.
Das klingt nach einer Actionthrillerstory vom Reißbrett. Aber nach Filmen wie „Nikita“, bzw. dem US-Remake „Codename: Nina“ und einer TV-Serie, die uns hier nicht weiter interessieren muss, Luc Bessons überflüssigem de facto „Nikita“-Remake „Anna“ , „Lucy“ (ebenfalls von Besson, aber etwas eigenständiger als „Anna“) und „Atomic Blonde“ kann das Endergebnis ein verdammt guter Film sein.
In diesem Fall sendet der Verleih mit der Werbung für den Thriller schon ein deutliches Signal zur Qualität des Films. Er nennt von Regisseur Tate Taylor prominent nur seinen Thriller „Girl on the Train“. Der ist ein ziemlich banaler ‚Frauenkrimi‘, bei dem Genrefans das Ende von Buch (ein Bestseller) und Film schon nach dem Lesen der Kurzsynopse kennen. Taylors andere Filme – „The Help“, „Get on Up“ und „Ma“ – spielen in einer ganz anderen Liga. Einer Liga, an die „Code Ava“ noch nicht einmal im Ansatz heranreicht.
Denn „Code Ava“ ist ein vermurkster Actionthrillers, der bestenfalls wie ein Torso wirkt, dem irgendwo zwischen der ersten Idee und dem finalen Schnitt die Geschichte abhanden gekommen ist. Jetzt ist es eine missglückte Mischung aus Actionthriller von der Stange (die Organisation will ihren besten Mann umbringen, der wehrt sich) und Familiendrama von der Stange mit aufgesetztem Noir-Touch (das verlorene Schaf kehrt nach Jahren wieder zurück in seine alte Heimat und alte Wunden brechen auf). Die Story wird zunehmend abstrus. Die Dialoge wären sogar in einer TV-Serie bestenfalls funktional. Die Schauspieler sind konsequent unterfordert in diesem B-Picture.
„Code Ava“ ist einer der wenigen Fehlschläge in Jessica Chastains Filmographie.
Code Ava – Trained to kill (Ava, USA 2020)
Regie: Tate Taylor
Drehbuch: Matthew Newton
mit Jessica Chastain, John Malkovich, Colin Farrell, Common, Geena Davis, Jess Weixler, Ioan Gruffudd, Diana Silvers, Joan Chen, Efka Kvaraciejus, Christopher J. Domig
Ein langer Abend mit Filmen von François Truffaut. Denn nach „Der Mann, der die Frauen liebte“ und „Auf Liebe und Tod“ zeigt Arte um Mitternacht „Playland USA“ (hat nichts mit Truffaut zu tun), und danach, um 01.25 Uhr Truffauts „Der Wolfsjunge“ (Frankreich 1969).
Arte, 20.15
Der Mann, der die Frauen liebte (L’homme qui aimait les femmes, Frankreich 1977)
Regie: François Truffaut
Drehbuch: Michel Fermaud, Suzanne Schiffman, François Truffaut
Warum kamen zur Beerdigung von Bertrand Morane so viele Frauen? Lektorin Geneviève Bigey erzählt uns von Moranes Leben, dem titelgebenden Mann, der Frauen liebte.
„Einer der schönsten Filme Truffauts gilt dem eigentlichen Kultobjekt des Kinos: den Frauen.“ (Willi Winkler: Die Filme von François Truffaut)
mit Charles Denner, Brigitte Fossey, Nelly Borgeaud, Genevieve Fontanel, Leslie Caron, Nathalie Baye, Valerie Bonnier
Auf Liebe und Tod (Vivement Dimanche!, Frankreich 1983)
Regie: François Truffaut
Drehbuch: François Truffaut, Suzanne Schiffman, Jean Aurel
LV: Charles Williams: The long saturday night, 1962 (Die lange Samstagnacht, Auf Liebe und Tod)
Sekretärin Barbara versucht zu beweisen, dass ihr Chef nicht den Liebhaber seiner Frau und anschließend sie umgebracht hat. Aber die Beweise sprechen eine andere Sprache.
„Kriminalkomödie, die darüber hinaus formal und inhaltlich wie eine Anthologie eines Vierteljahrhunderts Truffaut wirkt, und das ohne Staubwolken und Nostalgie. ‘Auf Liebe und Tod’ ist ein frischer kleiner Spaß, den der Regisseur sich (um sich von ‘La femme d’à côte’ zu erholen) und den Samstagabendzuschauern gönnt, die sich unterhalten lassen sollen, ohne sich hinterher schämen zu müssen.“ (Fischer Film Almanach 1985)
„Auf Liebe und Tod“ „ist eine Rückbesinnung auf seine Kino-Vorlieben der Zeit, in der er mit dem Filmemachen begann, es ist eine Hommage an den ‘Film Noir’. Allerdings eine, die sich vor allem auf die ästhetischen Muster bezieht und weniger die Figuren und Geschichten umschließt.“ (Meinolf Zurhorst: Lexikon des Kriminalfilms, 1985/1993)
mit Fanny Ardant, Jean-Lous Trintignant, Philippe Laudenbach, Caroline Sihol, Philippe Morier-Genoud
Eine Leiche zum Dessert (Murder by Death, USA 1976)
Regie: Robert Moore
Drehbuch: Neil Simon
Ein Millionär lädt die berühmtesten Detektive der Welt ein. Er behauptet, sie könnten einen Mord nicht aufklären, der um Mitternacht stattfinden wird. Die Detektive sehen das anders.
Neil Simon zieht in seiner Krimikomödie die Images der bekanntesten, literarischen Detektive der Welt (hier: Miss Marple, Hercule Poirot, Sam Spade, Nick Charles aka Der dünne Mann mit Gattin Nora, Charlie Chan) und die Prinzipien des Whodunits durch den Kakao. Ein köstlicher Spaß – nicht nur für Genre-Fans.
Verkörpert werden die Meisterdetektive und Tatverdächtige u. a. von Truman Capote, Peter Falk, Alec Guiness, David Niven, Peter Sellers, Maggie Smith, Eileen Brennan, James Cromwell
Beim DOK.fest München erhielt „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“ den Megaherz Student Award. Beim Saarbrücker Filmfestival den Max Ophüls Preis als bester Dokumentarfilm und jetzt ist er, fast als Film der Stunde, im Kino. Denn im Juni 2020 beherrschte der Coronavirus-Massenausbruch im Tönnies-Stammwerk in Rheda-Wiedenbrück die Schlagzeilen. In dem Moment wurde viel über die Zustände in der Fabrik für Schlachtvieh und Mensch, in den Unterkünften für die Leiharbeiter und der großen Bedeutung der Firma für den Ort und die Region geschrieben.
Yulia Lokshina liefert die Bilder dazu. Für ihren Abschlussfilm von der Hochschule für Fernsehen und Film München recherchierte die 1986 in Moskau geborene Regisseurin, schon Jahre vor dem Coronavirus-Ausbruch, in Rheda-Wiedenbrück. Sie sprach mit den osteuropäischen, nur für wenige Wochen und Monate in der Fabrik arbeitenden Leiharbeitern. Sie nahm sie auch in ihren Quartieren und kärglichen Zimmern, die den Charme einer Jugendherbergsunterkunft haben, auf. Sie filmte den schon lange bestehenden Protest vor Ort gegen die Arbeits- und Vertragsbedingungen. In der Fabrik am Fließband drehte sie nicht und Tönnies verweigerte jede Stellungnahme. Immerhin gibt es eine Szene, in der ein Mitarbeiter der Firma während einer Diskussion auf dem Marktplatz die Firma mit den üblichen Floskeln verteidigt.
Zwischen diese Szenen schneidet Lokshina die Proben einer Münchner Gymnasialklasse für Bertold Brechts Stück „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“. Die zunächst desinteressierten Schüler bemerken schnell, wie aktuell Brechts Stück von 1931 immer noch ist. Am Ende sehen wir Ausschnitte aus ihrer Aufführung des Stücks.
„Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“ ist ein beobachtender Dokumentarfilm. Die Regisseurin schaut zu, lässt die Protagonisten reden und verzichtet auf ein Voice-Over, mit dem Hintergründe, Zusammenhänge und Regeln erklärt werden könnten, die außerhalb des Wissens oder Interesses der Gesprächspartner liegen. Das ist ein generelles Problem dieses Ansatzes, der sich auf das Sichtbare beschränkt. Oder, um es anders zu sagen: die Regeln eines Fußballspiels erschließen sich durch das reine Beobachten des Spiels nicht.
Die Gegenüberstellung von Brecht und der Situation in den Schlachthöfen und der Conclusio, dass Brechts Analyse heute immer noch zutrifft, ist für eine tiefergehende Analyse unseres Kaufverhaltens, kapitalistischer Strukturen und sie verändert werden können, doch etwas platt.
Dabei sind die Situation für Mensch und Tier in Schlachthöfen durchaus einige Dokumentarfilme wert. Nur informativer und analytischer sollten sie dann sein. In „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“ erfährt man, außer dem Blick in die Arbeiterunterkünfte, nicht viel mehr, als man sich sowieso schon gedacht hat.
Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit (Deutschland 2020)
Regie: Yulia Lokshina
Drehbuch: Yulia Lokshina
mit Peter Kossen, Inge Bultschnieder, Alexander Klessinger
Wild at Heart – Die Geschichte von Sailor und Lula (Wild at Heart, USA 1990)
Regie: David Lynch
Drehbuch: David Lynch
LV: Barry Gifford: Wild at Heart: The Story of Sailor and Lula, 1984 (Die Saga von Sailor und Lula)
Sailor und Lula flüchten vor einem Detektiv und einem Killer, die beide im Auftrag von Lulas durchgeknallter Mutter reinen Tisch machen sollen. Und dann treffen sie auf den Gangster Bobby Peru und dessen Komplizin Perdita Durango.
Lynchs wildes Roadmovie, ausgezeichnet mit der Goldenen Palme in Cannes, ist ein hemmungslos übertriebener Trip durch einen Alptraum namens Amerika. Ein Meisterwerk.
Barry Gifford schrieb später das Drehbuch für den Lynch-Film „Lost Highway”. Außerdem publizierte er neben seinen Romanen, wie „Perdita Durango“ (ebenfalls verfilmt), lesenswerte Sachbücher, wie „Out of the past“ über den Film Noir.
Mit Nicolas Cage, Laura Dern, Diane Ladd, Willem Dafoe, Isabella Rossellini, Harry Dean Stanton, Crispin Glover
Die Lincoln Verschwörung(The Conspirator, USA 2010)
Regie: Robert Redford
Drehbuch: James D. Solomon
Nach dem Attentat auf US-Präsident Abraham Lincoln soll dem Täter und den Mitverschwörern schnell der Prozess gemacht werden. Aber ein junger Anwalt wird zum Verteidiger rechtsstaatlicher Prinzipien.
Packendes Gerichtsdrama. „Dank der stimmigen Kameraarbeit und hervorragenden Darsteller entwickelt sich dabei auch eine große emotionale Dichte.“ (Lexikon des internationalen Films)
mit James McAvoy, Robin Wright, Kevin Kline, Tom Wilkinson, Evan Rachel Wood, Justin Long, Danny Huston, James Badge Dale, Colm Meaney, Toby Kebbell, Norman Reedus, Shea Whigham
Sie sind keine normale Familie: Robert (Richard Jenkins), Theresa (Debra Winger) und ihre Tochter Old Dolio (Evan Rachel Wood) sind Diebe am untersten Ende der Futterleiter. Der Film beginnt mit einem ihrer Diebstähle. Old Dolio klaut äußerst gelenkig ein Päckchen, irgendein Päckchen, aus einem Postfach. Danach sind einige Geldbeutel dran. Preisausschreiben werden mitgenommen (auch wenn sie nicht über jeden Gewinn erfreut sind) und natürlich hätte man gerne einen Finderlohn für geklaute Gegenstände. Zum Einsammeln des Finderlohns wird oft die immer noch wie ein Schulmädchen in der Kurt-Cobain-Slacker-Grunge-Phase aussehende Mittzwanzigerin Old Dolio vorgeschickt.
Für ihre gewaltfreien Diebestouren betreiben die Familie Dyne angesichts des realen und des möglichen Gewinns einen absurd hohen Aufwand. Die Gesellschaft mit ihren bürgerlichen Konventionen verachten sie. Sie halten zusammen und teilen alles durch drei. Das war schon immer so; – jedenfalls seitdem Old Dolio sich erinnern kann.
Robert und Theresa sind Verbrecher, die ihre Tochter zu einer Verbrecherin ausbildeten, manipulieren, ausnutzen und ihr den normalen Umgang mit anderen Menschen verwehren. Damit verhalten sie sich wie die Oberhäupter einer Sekte. Trotzdem sind sie nicht vollkommen unsympathisch.
Sie sind einem sogar ziemlich sympathisch. Das liegt an dem offensichtlichem Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Sie schlawinern sich durch das Leben. Sie agieren gewaltfrei und die akribische Vorbereitung ihrer kleinen Coups ist erheiternd.
Die Dynes wohnen in einem schäbigen Büro, das nur deshalb so günstig ist, weil von der Decke zu bestimmten Uhrzeiten Seifenschaum herunterfließt, den sie auffangen müssen. Mit der Miete sind sie schon einige Monate im Rückstand. Um an das Geld für die Miete zu kommen, ersinnen sie einen unglaublich komplizierten Plan mit vertauschten und verlorenen Koffern und einer Erstattung der Fluggesellschaft für verlorenes Gepäck.
Bevor sie diesen Plan ausführen, schicken Robert und Theresa Old Dolio zu einem reichen Ehepaar. Old Dolio bringt ihnen ihren ‚verlorenen‘ Geldbeutel zurück. Der Patriarch Robert erhofft sich einen satten Finderlohn. Aber Old Dolio erhält nur den Gutschein für eine Massage. Ihre Eltern sind enttäuscht. Was sollen sie mit einer Massage anfangen? Also soll Old Dolio versuchen, den Gutschein gegen Geld einzutauschen. Weil die Masseuse damit nicht einverstanden ist, erklärt sich Old Dolio bereit, sich massieren zu lassen. Obwohl sie panische Angst vor Berührungen hat.
Die darauf folgende berührungslose Massage ist der Beginn eines Prozesses, in dem Old Dolio ihr bisheriges Leben und ihre Beziehung zu ihren Eltern hinterfragt. Diese Emanzipation ist für Miranda July („The Future“) das erzählerische Rückgrat, um ihrem weitgehend episodischem und improvisiert wirkendem Film eine gewisse Struktur zu verleihen. Den zweiten, größeren Riss bekommt Old Dolios Leben, als ihre Eltern bei einem Rückflug von New York nach Los Angeles Melanie (Gina Rodriguez) kennen lernen. Sie finden sie sympathisch. Sie wird auch sofort in ihren nächsten Coup, der den Dynes das Geld für ihre Miete einbringen soll, einbezogen und in die Familie aufgenommen. Melanie ist fasziniert von dem gesetzlosen Leben der Dynes und sie zeigt Old Dolio die Möglichkeit eines normalen, eines bürgerlichen Lebens auf.
Für einen kleinen Independent-Film ist „Kajillionaire“ mit Evan Rachel Wood, Richard Jenkins, Debra Winger und Gina Rodriguez in den Hauptrollen erstaunlich hochkarätig besetzt. Denn „Kajillionaire“ sieht immer wie der kleine improvisierte Independent-Film aus, der vor allem mit Freunden des Regisseurs besetzt ist. Aber Multimediakünstlerin Miranda July ist eine bekannte Künstlerin und die Schauspieler verschwinden hinter ihren Rollen.
Kajillionaire (Kajillionaire, USA 2020)
Regie: Miranda July
Drehbuch: Miranda July
mit Evan Rachel Wood, Gina Rodriguez, Richard Jenkins, Debra Winger, Mark Ivanir, Diana Maria Riva, Adam Bartley, Michael Twaine
Länge: 105 Minuten
FKS: ab 0 Jahre (seltsame Bewertung; der Trailer ist „frei ab 6 Jahre“ und der Film ist für ein höheres Alter gedacht)