LV: Scott B. Smith: A simple plan, 1993 (Ein ganz einfacher Plan, Ein einfacher Plan)
Im verschneiten Minnesota finden drei Freunde in einem abgestürzten Flugzeug einen Koffer mit vier Millionen Dollar. Sie wollen das Geld behalten, aber Eifersucht, Paranoia und Dummheit führen zu einem anderen Ergebnis.
Temporeiche, schwarze Komödie, die natürlich an „Fargo“ erinnert, aber über eigene Qualitäten verfügt und von Raimi erstaunlich unblutig und psychologisch glaubwürdig inszeniert wurde. Denn damals war Raimi in erster Linie als der „Tanz der Teufel“-Macher bekannt, heute ist er selbstverständlich der Mann, der Spiderman inszenierte.
Mit Bill Paxton, Bridget Fonda, Billy Bob Thornton, Jack Walsh
„98 Prozent aller Kinder kommen hochbegabt zur Welt. Nach der Schule sind es nur noch zwei Prozent“, sagt Erwin Wagenhofer in seinem neuesten Dokumentarfilm „Alphabet“ und in knapp zwei Stunden versucht er zu erklären, warum die Schule uns und unsere Kinder konsequent verblödet.
Seine Reise beginnt in China. Die dortigen Schüler sind, nach den PISA-Studien, exzellent. Gleichzeitig begehen dort die meisten jungen Menschen Suizid. Und der PISA-Koordinator Andreas Schleicher erzählt voller Bewunderung von den großartigen Leistungen der chinesischen Schüler, denen das Wissen förmlich eingebläut wird, und sagt, dass er seine Kinder nicht in ein solches Leistungssystem stecken würde. Solche erhellenden Momente sind allerdings rar gesät in „Alphabet“.
Nach China besucht Wagenhofer mehrere Länder und verschiedene Bildungssysteme, die alle auf dem westlichen Bildungssystem basieren, und, weil es ihm um eine Metaposition geht, betrachtet er die verschiedenen Schulen auch nicht differenzierter. Bei ihm sind die Unterschiede zwischen China, Deutschland, England, Frankreich und Spanien vernachlässigbar. Das immer als vorbildlich gelobte skandinavische System wird komplett ignoriert. Schule ist Schule und sie sind alle gleichermaßen erfolgreich im Zerstören der kreativen Fähigkeiten unserer Kinder.
Denn Erwin Wagenhofer, der vorher die hochgelobten Dokumentarfilme „We feed the World“ und „Let’s make Money“ drehte, beschränkt sich in seinem neuesten Film auf das Predigen. Danach ist das derzeitige Bildungssystem nur geeignet, um Kinder zu verblöden und es muss durch ein freies Bildungssystem, in dem Kinder tun und lassen können, was sie wollen, ersetzt werden. Zum Beispiel in dem „Malort“ von Arno Stern, Oder indem sie lernen, was ihnen gefällt. Wie Arno Stern Sohn André Stern, der nie eine Schule besuchte und sich das Wissen aneignete, das ihn interessierte. Diese Position, die das freie Lernen vergöttert, wird einem ungefähr zwei Stunden monothematisch um die Ohren gehauen. Argumente für die frohe Botschaft werden nicht geliefert. Gegenpositionen werden ignoriert. Ebenso die offensichtliche Frage, warum denn niemand sich erfolgreich für das im Film als absolut überlegen präsentierte alternative Bildungsmodell einsetzt, das die Kreativität und freie Entfaltung unserer Kinder fördert und zur vollkommenen Entfaltung bringt. Denn eigentlich müsste die Gesellschaft sich doch solche Menschen wünschen.
Und er sagt auch nichts dazu, wie Kinder, die nicht an normalen Schulen einen Abschluss machen, später einen Beruf ergreifen können. Stattdessen gibt es ausgewählte Beispiele, die einfach nur Wagenhofers These bestätigen. Der Sohn ohne Schulbesuch und damit ohne formalen Abschluss, der Gitarrenbauer wurde. Der Junge mit dem Down-Syndrom, der einen Hochschulabschluss machen konnte,
Alle Fragen, die sich aus seiner These ergeben, lässt er links liegen. Stattdessen präsentiert er sich als intellektuelle Ausgabe von Michael Moore. Und genau wie die Michael-Moore-Filme sich primär an ein bereits von der Botschaft überzeugtes Publikum richten, spricht „Alphabet“ auch nur ein bereits überzeugtes Publikum an, das sich, wie in einem Gottesdienst, selbst bestätigt. Die anderen werden sich – bei aller durchaus vorhandenen Sympathie – intellektuell unterfordert und schamlos manipuliert fühlen.
P. S.: Das schön gestaltete Presseheft ist dagegen sehr informativ und bietet das, was der Film hätte bieten müssen.
Teile des Presseheftes sind auch im Schulmaterial, das es auf der Film-Homepage gibt, enthalten.
Alphabet (Österreich/Deutschland 2013)
Regie: Erwin Wagenhofer
Drehbuch: Erwin Wagenhofer
mit Sir Ken Robinson, Yang Dongping, Andreas Schleicher, Gerald Hüther, Arno Stern, Yakamoz Karakurt, Thomas Sattelberger, André Stern, Pablo Pineda Ferrer
„Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt“, der erste Spielfilm über die Enthüllungsplattform, ist kein guter Film und dennoch ist es ein sehenswerter Film.
Die Geschichte von WikiLeaks dürfte in großen Zügen ja bekannt sein: der australische Hacker Julian Assange (grandios gespielt von Benedict Cumberbatch) gründet eine Plattform, auf der er Geheimdokumente online stellt. Daniel Domscheit-Berg (damals Daniel Berg, ebenfalls grandios von Daniel Brühl gespielt) wird sein Vertrauter. Mit ihren Enthüllungen bringen sie die Julius-Bär-Bank in die Bredouille (im Film übergibt ein von Axel Milberg gespielter Banker Domscheit-Berg bei seiner ersten Übergabe von Geheiminformationen im Januar 2008 das Material), leaken Informationen über die isländische Kaupthing Bank, veröffentlichen das „Collateral Murder“ genannte Video über einem US-Militäreinsatz, bei dem mehrere Zivilisten und zwei Reuters-Angestellte ermordet wurden, und stellen Tonnen von US-Regierungsdokumenten online. Diese vom US-Soldaten Bradley Manning beschafften Dokumente werden auch, zeitgleich zur WikiLeaks-Veröffentlichung im Juli 2010 in mehreren Zeitungen, wie „The Guardian“ und „Der Spiegel“, veröffentlicht. Die US-Regierung beginnt gegen den Störenfried vorzugehen. Die Wege von Assange und Domscheit-Berg trennen sich. Fast gleichzeitig werfen zwei Schwedinnen Assange vor, sie vergewaltigt zu haben. Assange will nicht in Schweden aussagen und sitzt seit über einem Jahr, als politischer Flüchtling, in der ecuadorianischen Botschaft in London fest.
Bill Condons Film folgt dieser Geschichte, erzählt dabei von der Freundschaft zwischen Assange und Berg, die als platonische Liebesgeschichte mit all ihren Verwerfungen und Problemen quasi im Mittelpunkt des Films steht, entwirft ein Psychogramm von Assange als charismatisches, von seiner Mission überzeugtes Arschloch und erzählt von der großen Enthüllung der US-Regierungsdokumente und damit der Beziehung zwischen Assange und dem Guardian. Die New York Times und der Spiegel, die daran auch beteiligt waren, bleiben Zaungäste – und den anonymen Whistleblowern gebührt während des gesamten Films kaum ein Halbsatz.
Das ist viel Stoff für einen Film und mit über zwei Stunden ist „Inside WikiLeaks“ auch zu lang geraten. Er franst an allen Ecken und Enden aus, weil Regisseur Bill Condon („Gods and Monsters“, „Kinsey“, „Breaking Dawn – Bis(s) zum Ende der Nacht“) und Drehbuchautor Josh Singer („The West Wing“, „Lie to me“, „Fringe“) alles erzählen wollen; jedenfalls soweit die Geschichte bis jetzt bekannt ist und das innerhalb von zwei Stunden. Man merkt daher auch immer, dass in diesem mit entsprechend heißer Nadel gestricktem Film eine ordentliche Überarbeitung des Drehbuchs, die zu einer eindeutigen erzählerischen Perspektive geführt hätte, fehlt. Ein Mangel, den „Inside WikiLeaks“ mit anderen Filmen, die unmittelbar nach den Ereignissen gedreht wurden, teilt. Denn der historische Abstand, der dazu führt, dass man Fakten von Fiktion trennen kann und dass man die Ereignisse und ihre Bewertung in Ruhe einsortieren kann, fehlt. Die Reflektion über das Ausmaß des Umbruchs fehlt noch. Die Zeit und der Wille, sich für eine Geschichte zu entscheiden fehlt und wahrscheinlich wäre „Inside WikiLeaks“ in der jetzigen Form als drei- oder vierstündiger TV-Film, in dem dann die Zeit gewesen wäre, tiefer in die Materie einzusteigen und man auch ganz anders zwischen Haupt- und Nebenplots wechseln kann, gelungener.
Dennoch und trotz seiner üppigen Laufzeit bleibt „Inside WikiLeaks“ oberflächlich und ist, soweit das bei den sich widersprechenden Statements der mehr oder weniger in die Ereignisse verwickelten realen Personen, die in herzlicher Abneigung miteinander verbunden sind und ihren Streit öffentlich austragen, eindeutig gesagt werden kann, sicher oft historisch nicht besonders akkurat. So ist, um nur ein Beispiel zu nennen, Daniel Domscheit-Bergs damalige Freundin und heutige Ehefrau in Wirklichkeit zehn Jähre älter als er; im Film ist sie deutlich jünger und sie wirkt wie eine x-beliebige, unpolitische Studentin. Julian Assange, dem wahrscheinlich nur ein vom ihm geschriebener und inszenierter Film mit ihm in der Hauptrolle gefallen könnte, hat schon mehrmals sein Missfallen über den Film geäußert und auch andere in die WikiLeaks-Geschichte involvierte Menschen zählen in liebenswerter Genauigkeit die Fehler des Films auf. Als gäbe es nur eine Wahrheit. Als sei ein Spielfilm ein Dokumentarfilm, wie Alex Gibneys kürzlich im Kino gelaufene und demnächst auf DVD erscheinende sehr gelungene Dokumentation „We steal Secrets: Die WikiLeaks-Geschichte“ (We steal Secrets: The Story of WikiLeaks, USA 2013), die auch dem Whistleblower Bradley Manning, der WikiLeaks die zahlreichen US-Dokumente gab, seinen gebührenden Platz gibt. In „Inside WikiLeaks“ wird er nur in einem Halbsatz erwähnt und die Vergewaltigungsvorwürfe, die in Gibneys Doku ausführlich geschildert werden, werden in „Inside WikiLeaks“ mit einer Texttafel abgehandelt, weil er letztendlich die gemeinsame Zeit von Julian Assange und Daniel Domscheit-Berg von Dezember 2007 bis zu ihrer Trennung im Spätsommer 2010 schildert.
Nachdem Condon zunächst die üblichen Bildern von jungen Männern, die enthemmt die Tastatur malträtieren und Buchstaben und Zahlen über den Bildschirm flackern, zeigt, gelingen ihm später zahlreiche sehr gelungene Visualisierungen des Cyberspace. Das erste Privatgespräch von Assange und Domscheit-Berg, nachdem sie sich Ende Dezember 2007 in Berlin auf dem Chaos Commmunications Congress (24C3) kennen lernen, ist so grotesk, dass es wahrscheinlich wahr ist: Assange und Domscheit-Berg ziehen sich im nicht mehr existierendem alternativen Künstlerhaus „Tacheles“ in ein Nebenzimmer, in dem sie allein sind, zurück, um sich, an einem Tisch sitzend, via Computer zu unterhalten. Treffender wurde das Lebensgefühl dieser Computernerds wahrscheinlich noch nie gezeigt. Später springt Condon in den Cyberspace und findet für komplexe Vorgänge grandios einfache und eindrückliche Bilder. Zum Beispiel wenn Domscheit-Berg erkennt, dass hinter den vielen WikiLeaks-Mitarbeitern, mit denen er in den vergangenen Monaten eifrig elektronisch kommunizierte und von denen er nur die Namen kannte, immer Assange steckte. Dann erscheint hinter jedem Schreibtisch und hinter jedem Namen, die in einem anonymen, raum- und fensterlosem Großraumbüro stehen, das Gesicht von Assange.
Trotz aller Fehler, die „Inside WikiLeaks“ hat, gelingt es dem Film, vor allem im letzten Drittel, wenn es um die Veröffentlichung von Dokumenten im Guardian und auf WikiLeaks geht, zum Nachdenken über den Wert und die Gefahren von Transparenz anzuregen. Er erzählt auch von den persönlichen Verwerfungen, die es in Projekten immer wieder gibt und wie ein Charismatiker Menschen begeistern kann.
Damit bietet der sich an ein breites Publikum richtende Film, der definitiv kein Anti-WikiLeaks-Film ist, genug Stoff für eine ordentliche Diskussion nach dem Filmende – und das ist dann wieder mehr, als andere Filme liefern.
Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt (The Fifth Estate, USA 2013)
Regie: Bill Condon
Drehbuch: Josh Singer
LV: Daniel Domscheit-Berg (mit Tina Klopp): Inside WikiLeaks: Meine Zeit bei der gefährlichsten Webseite der Welt, 2011; David Leigh/Luke Harding: WikiLeaks: Inside Julian Assange’s War on Secrecy, 2011 (WikiLeaks: Julian Assanges Krieg gegen Geheimhaltung)
mit Benedict Cumberbatch, Daniel Brühl, Anthony Mackie, Laura Linney, Stanley Tucci, David Thewlis, Peter Capaldi, Alan Rusbridger, Alicia Vikander, Carice van Houten, Moritz Bleibtreu, Axel Milberg, Ludger Pistor, Lisa Kreuzer, Edgar Selge, Alexander Siddig (viele bekannte Namen, aber viele haben nur kurze Auftritte)
The Walking Dead: Die Saat/Rosskur/Zeit der Ernte/Leben und Tod (USA 2012)
RTL II zeigt als nächtliche Event-Programmierung heute, morgen, übermorgen und am Sonntag die sechzehn Folgen der dritten Staffel. In den USA läuft derzeit die vierte Staffel und eine fünfte ist schon bestellt.
Inzwischen haben Rick Grimes und seine Gefährten auf der Flucht vor den Zombies in einem Gefängnis ihr neues Quartier bezogen. Mit der Schwerkämpferin Michonne und dem Governor von Woodbury, einem despotischen Herrscher (der auch eine eigene Romanserie bekam), sind jetzt zwei bei den Fans der Vorlage, der Comicserie „The Walking Dead“, beliebte Charaktere dabei.
Die DVD erscheint am 11. November und wird besprochen.
Der achtzehnte „The Walking Dead“-Comicband „Grenzen“ ist bereits erschienen und wird ebenfalls besprochen.
Wiederholung: Freitag, 1. November, 02.15 Uhr (Taggenau; Yep, direkt im Anschluss.)
„booklet liefert nach, was in den DVD-Boxen fehlt: Lektüren zur Serie“ steht zutreffend auf dem Cover von Ekkehard Knörers „Battlestar Galactica“. Auf wenigen Seiten beschäftigt Knörer sich mit den Ursprüngen der Science-Fiction-Serie, einigen Aspekten der Erzählweise der Serie (wie dem Abschied vom rein episodischen Erzählen), den wichtigsten Charakteren, dem von Glen A. Larson erfundenem Kunstwort „Frak“ (das erstmals in der Originalserie als „Frack“ das im TV nicht gewünschte Schimpfwort „Fuck“ ersetzte) und er gibt Tipps zu einigen besonders sehenswerten Folgen und englischsprachigen Texten über die Serie.
Die US-Serie „Battlestar Galactica“, die im US-Fernsehen von 2003 bis 2009 lief, erzählt die Geschichte der Suche der letzten überlebenden Menschen nach der Erde, dem mythischen Planeten, von dem sie stammen sollen. Sie machten sich, nach einem Angriff der Zylonen (Knörer benutzt, weil er sich nicht an die Übersetzung gewöhnen kann, das englische Wort „Cylon“), mit altersschwachen Raumschiffen auf die Reise.
Serienerfinder Ronald D. Moore übernahm die Prämisse der kurzlebigen von Glen A. Larson erfundenen, kultigen TV-Serie „Kampfstern Galactica“ (Battlestar Galactica, USA 1978 – 1980) und ignorierten den Rest. Während die Originalserie buntes Popcorn ist, ist das Remake eine düstere Allegorie auf die Post-9/11-Paranoia und, sicher auch durch die Pseudo-Doku-Kamera und die Ausstattung, glaubt man sich nie in die Zukunft, sondern immer in eine militärische Kommandozentrale und das Flugzeug des Präsidenten gebeamt.
Denn während im Original die Zylonen glänzende Blechroboter waren, sind die neuen Zylonen immer noch Roboter, aber sie können auch wie Menschen aussehen und einige der Zylonen sind sogar unter den überlebenden Menschen. Einige Menschen arbeiten mit den Zylonen zusammen – und es gehört nicht viel Fantasie dazu, die Zylonen mit islamistischen Terroristen gleichzusetzen. Auch wenn die Macher als Vorbild für „Battlestar Galactica“ in Interviews ausdrücklich die Polit-Serie „The West Wing“ nennen.
Knörers kurzer Text ist teilweise etwas zu akademisch geschrieben und, wegen der Kürze, bleibt er sehr an der Oberfläche. Insofern ist „Battlestar Galactica“ für die Fans der Serie eine durchaus anregende Lektüre. Nicht-Fans können das Buch getrost ignorieren. Aber ein Booklet wird ja auch nur von den Besitzern der DVDs gelesen.
„Zügellos“ beginnt am 9. Juni 1989 und endet am 10. November 1989 – und wer Dominique Manotti kennt, weiß, dass diese Daten nicht zufällig gewählt sind. Denn ihr zweiter Roman, der erst jetzt auf Deutsch erschien, spielt vor dem Hintergrund des deutschen Vereinigungsprozesses, der von multinationalen Unternehmen auch für verschiedene Übernahmepläne benutzt wird.
Dabei beginnt die Geschichte ziemlich harmlos mit brennenden Pferdeställen und dem Tod von mehreren Pferden. Commissaire Daquin vom Pariser Drogenderzenat glaubt, dass über diese Nobel-Pferderennställe ein florierender, staatenübergreifender Drogenhandel abgewickelt wird und es jetzt Probleme in der Szene gibt, die mit Brandstiftung und Pferdemord gelöst werden. Daquin (schwul und härter als Dirty Harry) ergänzt sein eingeschworenes, immer latent gewaltbereites Team um Le Dem, der sich in der Szene auskennt und seinen gewaltfreien Job bei der Reiterstaffel der Polizei liebt.
Zur gleichen Zeit wittert der multinationale Versicherungskonzern PAMA, der auch etwas mit den abgebrannten Pferdeställen und den Pferden zu tun hat, ein gigantisches Geschäft im gerade zusammenbrechendem Ostblock; – wenn die Mitarbeiter nicht gerade mit firmeninternen Intrigen beschäftigt sind.
Am Anfang von Dominque Manottis Noir-Polit-Thriller ziehen die kurzen, im Präsens geschriebenen Kapitel, die sich wie Abhörprotokolle und zufällige Beobachtungen lesen, ergänzt um Zeitungsmeldungen, sogartig in die Geschichte. Gegen Ende langweilt dieser hektisch-abgehackte Stil dann zunehmend – und erinnert damit auch an den zunehmend kryptischen Stil von US-Krimiautor James Ellroy („L. A. Confidential“), den Manotti als einen wichtigen Einfluss für ihr Schreiben nennt. Ein anderer wichtiger Einfluss ist die 68er-Bewegung, von der sie ein aktiver Teil war. Daher verknüpft sie politische Ereignisse mit einem aufklärerischem Projekt im Rahmen einer spannenden Genregeschichte aus dezidiert linker Perspektive.
„Zügellos“ ist, wie Manottis anderen Noirs, pathosfreie Aufklärung im Rahmen eines Thrillers.
Weil seine vermögenden Eltern mit anderen Dingen beschäftigt sind, verbringt der 14-jährige Benny seine Zeit vor dem Videorecorder mit dem Genuss von Gewaltfilmen. Als er ein gleichaltriges Mädchen trifft, demonstriert er an ihr die Wirkung eines Bolzenschussgeräts – und zeigt später das Video seinen Eltern.
„Der Film von Michael Haneke beobachtet nur und kommentiert nicht. Er erzählt die Geschichte in einer Stringenz und Dichte, die zunächst äußerst unbequem wirken, aber dem Thema und dem Anliegen des Films angemessen sind.“ (Fischer Film Almanach 1994)
Und über diese These kann man trefflich streiten. Damals und heute immer noch.
Mit diesem Film, der bereits all die Themen und Stilistiken hat, die seine späteren Filme auch haben, wurde Michael Haneke einem breiteren Publikum bekannt. Danach drehte er „Funny Games“ (und zehn Jahre später ein für uns überflüssiges US-Remake), „Code – Unbekannt“, „Caché“, „Das weiße Band“ und „Liebe“.
Haneke erhielt für „Benny’s Video“ den FIPRESCI Preis.
mit Arno Frisch, Angela Winkler, Ulrich Mühe, Ingrid Stassner
Hollywood Rebellen (Deutschland 2013, R.: Eckhart Schmidt)
Drehbuch: Eckhart Schmidt
Neunzigminütige Doku über unangepasste Filmstars wie Mae West, Humphrey Bogart, Robert Mitchum, James Dean, Marlon Brando und Steve McQueen.
Nach einer Pinkelpause gibt es um 00.25 Uhr mit „Mythos Hollywood“ (Deutschland 1999), einem Blick hinter die Kulissen der Traumfabrik, eine weitere spielfilmlange Doku von Schmidt, der am 31. Oktober seinen 75. Geburtstag feiert.
Thomas Crown ist nicht zu fassen (USA 1968, R.: Norman Jewison)
Drehbuch: Alan R. Trustman
Versicherungsagentin Vicky Anderson glaubt, dass der vermögende und seriöse Geschäftsmann Thomas Crown ein Bankräuber ist. Zwischen beiden entspinnt sich ein erotisch aufgeladenes Katz-und-Maus-Spiel.
Ein Kassenhit und mindestens ein Semi-Klassiker.
„Just the movie to see if you want to see an ordinary, not wonderful, but highly enjoyable movie—of which there have been so few this year.“ (New York Times, 27. Juni 1968)
„‘The Thomas Crown Affair’ ist vornehmlich eine private Fingerübung von Jewison, Michel Legrand (zu dessen Musik der Film geschnitten wurde) und seinem Cutter, bei der die Schauspieler nicht so sehr als wahre Persönlichkeiten mit ihren eigenen Spannungsfeldern auftreten, sondern hauptsächlich als sprechende Köpfe.“ (Derek Elley, Focus on Film, März 1981)
„Beim Publikum der späten sechziger Jahre kam diese etwas klebrige Mischung, deren Unterhaltungswert sich zugestandenermaßen auch aus heutiger Sicht kaum wegnörgeln lässt, außerordentlich gut an, und Jewisons Kunstgewerbe wurde von manchen Kritikern gar als große Filmkunst bezeichnet.“ (Robert J. Kirberg: Steve McQueen, 1985)
mit Steve McQueen, Faye Dunaway, Paul Burke, Jack Weston, Yaphet Kotto
Hinweise
Wikipedia über „Thomas Crown ist nicht zu fassen“ (deutsch, englisch)
Bekannt wurde der Gitarrist und Songwriter mit „The Velvet Underground“. Über die Band wird gesagt, sie habe wenige Fans, aber alle wurden danach Musiker. Nun, das stimmt nicht, weil ich zwar ein „Velvet Underground“-Fan, aber kein Musiker bin. Danach nahm er den Klassiker „Transformer“ auf. Spätere Alben waren immer wieder – auch weil Lou Reed eine beachtliche Drogenkarriere hinlegte – zwiespältige Angelegenheiten. „New York“ und „Songs for Drella“ (mit „Velvet Unterground“-Mitmusiker John Cale) sind ebenfalls Klassiker. Sowieso sind die Lou-Reed-Alben, in denen er sich auf die traditionelle Rockband-Besetzung mit Schlagzeug-Bass-Gitarre konzentrierte, seine guten bis grandiosen Alben. In den letzten Jahren verirrte er sich zunehmend in weniger spannende Kunst- und Theaterprojekte, wie „The Raven“ und „Lulu“, mit Metallica als Backing Band.
Als Kommissarin Sarah Lund (Sofie Gråbøl) vor sechs Jahren ihren ersten Auftritt im dänischen TV hatte, konnte niemand ahnen, dass die Serie zuerst in ihrer Heimat und später ein weltweites Publikum begeisteren würde. Garniert mit einigen wichtigen Nominierungen und Preisen bei den Bafta-, International-Emmy- und britischen Crime-Thriller-Awards. Denn eigentlich geht es in „Kommissarin Lund – Das Verbrechen“ nur um eine Polizistin, die einen Mordfall aufklärt und dabei Probleme mit der Politik hat. Das wird in jedem „Tatort“ in neunzig Minuten erledigt. Frau Lund brauchte für ihren ersten Fall 1100 Minuten oder, im Original, zwanzig gut einstündige Episoden, in denen sie den Mörder der 19-jährigen Schülerin Nanna Birk Larsen suchte.
Die zweite und dritte Staffel waren dann mit jeweils 570 Minuten deutlich kürzer, aber nicht weniger spannend. In der zweiten Staffel sucht Sarah Lund den Mörder der Rechtsanwältin Anne Dragsholm, die kurz vor ihrem Tod eine Videobotschaft verlas, in der sie Rache an in Kriegsgebieten ermordeten Muslimen schwor. In der dritten Staffel soll die Polizistin den Mord an einem Matrosen aufklären. Komplizierter wird der Fall, nachdem – zehn Tage vor den Parlamentswahlen – die Tochter eines vermögenden und entsprechend einflussreichen Reeders entführt wird. Das sind wieder gut zehn spannende Stunden, in denen die Macher souverän zwischen mehreren Plotlinien wechselnd, ein Panorama der dänischen Gesellschaft zwischen den oberen und unteren Zehntausend entwerfen. Nur das Ende der dritten Staffel wirkt seltsam unpassend.
Thriller-Autor David Hewson schrieb 2012 eine auch ins Deutsche übersetzte Romanfassung der ersten Staffel. Seine danach geschriebenen Romanfassungen der zweiten und dritten Staffel sind noch nicht übersetzt.
Und es gab ab 2011 mit „The Killing“ ein US-Remake von „Kommissarin Lund“, das bislang noch nicht im deutschen TV gezeigt wurde und bei weitem nicht so beliebt wie das Original ist.
Jetzt packte Edel die drei Staffeln von „Kommissarin Lund“ in einer limitierten Komplettbox zusammen, übernahm das überschaubare Bonusmaterial der Einzelboxen und ergänzte es um je einen Ausschnitt aus Hewsons Roman und dem Hörbuch, ein neues halbstündiges Interview mit Sofie Gråbøl über Sarah Lund, Sammelkarten, einen Schlüsselanhänger und den Soundtrack von Frans Bak.
Wer also bislang nicht lundifiziert wurde, sollte jetzt zuschlagen und die düstere Krimiserie in einigen langen Nächten genießen.
Kommissarin Lund – Das Verbrechen (Forbrydelsen, Dänemark 2007/2009/2012)
Regie: Kristoffer Nyholm, Hans Fabian Wullenweber, Charlotte Sieling, Henrik Ruben Genz, Birger Larsen, Natasha Arthy, Mikkel Serup, Kathrine Windfeld, Morten Arnfred, Morten Køhlert
Drehbuch: Søren Sveistrup, Torleif Hoppe, Michael W. Horsten, Per Daumiller
Erfinder: Søren Sveistrup
mit Sofie Gråbøl (Sarah Lund), Morten Suurballe (Lennart Brix), Anne Marie Helger (Vibeke Lund), Eske Forsting Hansen (Mark Lund)
–
DVD
Edel
Bild: 16:9 PAL
Ton: Deutsch (teils Dolby Digital 2.0 Stereo, teils Dolby Digital 5.1)
Untertitel: –
Bonusmaterial: Making of, Casting-Szenen, Interview, Booklet
Ich gehöre sicher nicht zum Zielpublikum von „Wolkig mit der Aussicht auf Fleischbällchen 2“, aber während der Vorführung des Kinderfilms lachten die Erwachsenen öfter als die Kinder. Wobei öfter nicht oft bedeutet und das auch nichts über die Qualität des Films sagt. Denn der Trickfilm „Wolkig mit der Aussicht auf Fleischbällchen 2“ ist eine erstaunlich lieblos-langweilige Angelegenheit, die direkt nach dem Ende des ersten Films beginnt.
Die fantastische Erfindung von Flint Lockwood, die aus Wasser Essen machte, wurde vernichtet, auf der Insel feiern alle und Chester V, der Chef des Multis Live Corp, macht Flint ein Angebot, das er nicht ablehnen will: er darf als Erfinder bei ihm arbeiten. Die Realität als kleines Rädchen bei Live Corp ist anders als die Fantasie. Als er einem Wettbewerb nicht gewinnt, begeht er einen blamablen Fauxpas und möchte sich am liebsten umbringen. Da betraut Chester V ihn mit einem Geheimauftrag: er soll auf seine Insel zurückkehren und seine Erfindung endgültig vernichten, die jetzt aus Essen Tiere erschafft, die als Mischwesen, sogenannte Naschtiere (Foodimals), wie Tacodile, Shrimpansen und Nilpfertoffeln, gefräßige Nahrung sind.
Gemeinsam mit seinen Freunden aus dem ersten Film kehrt er zurück.
Der Film wirkt, als habe man einfach die Ideen, die man so hatte, in einer rudimentären Geschichte, die ziemlich egal ist und die daher etliche Möglichkeiten verschenkt, willkürlich aneinandergeklatscht. Denn nichts hat für die Geschichte Konsequenzen. Logisch und unterhaltsam ist das alles auch nicht.
„Wolkig mit der Aussicht auf Fleischbällchen 2“ ist kein guter Kinderfilm und, trotz 3D, ein sehr eindimensional-langweiliger Film mit höchstens funktionalen Animationen.
Im Original sprechen unter anderem Bill Hader, Anna Faris, Will Forte, Benjamin Bratt und James Caan die Charaktere. In der deutschen Fassung haben wir Cindy aus Marzahn.
Wolkig mit der Aussicht auf Fleischbällchen 2 (Cloudy with a Chance of Meatballs 2, USA 2013)
Regie: Cody Cameron, Kris Pearn
Drehbuch: Erica Rivinoja, John Francis Daley, Jonathan Goldstein (nach einer Geschichte von Erica Rivinoja, Phil Lord und Christopher Miller)
Jack Taylor: Der Ex-Bulle (Irland 2010, R.: Stewart Orme)
Drehbuch: Tom Collins, Anne McCabe, Ralph Christians
LV: Ken Bruen: The Guards, 2001 (Jack Taylor fliegt raus)
Galway, Irland: Nachdem Jack Taylor wegen eines gezielten Fausthiebs aus der Polizei fliegt, beginnt er als Detektiv zu arbeiten. Obwohl es in Irland keine Privatdetektive gibt. Jetzt soll er Anne Hendersons verschwundene Tochter suchen – und er wühlt dabei, wenn er nicht gerade trinkt oder zusammengeschlagen wird – ziemlich viel Schmutz auf.
Jack Taylor ist der bekannteste Charakter von Noir-Autor Ken Bruen. Die grandiosen Bücher bestechen vor allem durch Ken Bruens lyrische Sprache, die sich kaum übersetzen lässt. Die Plots sind dagegen eher krude und nebensächlich. Immerhin ist Taylor der erfolgloseste Privatdetektiv, den es gibt und er löst seine Fälle eher zufällig und trotz seiner Ermittlungen.
„The Guards“ war für den Edgar- und Macavity-Preis nominiert und erhielt den Shamus-Preis als bester Roman.
Der erste Jack-Taylor-Film bietet zwar etliche Jack-Taylor-Weisheiten, die bekannten Privatdetektiv-Klischees (die im Buch nicht so sehr auffallen) und ist insgesamt eher fahrig inszeniert. Also eine durchaus zwiespältige Angelegenheit, die nicht die Qualität der Vorlage erreicht, aber mit Iain Glen einen überzeugend kaputten Jack Taylor hat.
Der zweite Jack-Taylor-Film „Auge um Auge“, der kommenden Sonntag läuft, ist als Film gelungener.
Das ZDF zeigt fünf weitere Jack-Taylor-Filme an den kommenden Sonntagen. Die DVD erscheint am 9. Dezember bei edel – und die deutschen Übersetzungen gibt es bei Atrium und dtv.
Mit Iain Glen, Nora-Jane Noone, Ralph Brown, Tara Breathnach, Frank O’Sullivan
Drehbuch: Roland Klick, Georg Althammer (Mitarbeit), Jane Sperr (Mitarbeit)
Der 18-jährige Willi driftet durch Hamburg. Um die Hure Monika zu retten, will er den Geldtransporter eines Supermarktes zu überfallen.
Ein deutscher Gangsterfilm, der damals von der Kritik gelobt wurde, aber sich an der Kasse schwertat.
„Fest steht dass Klick hier unbewusst einige wichtige Komponenten des Neuen Deutschen Films vorweggenommen hat: Jugendkriminalität, die Großstadt als Dschungel und die Entstehung von Gewalt im thematischen Bereich, glaubhafter Realismus und geradliniges Erzählkino im formalen.“ (Robert Fischer/Joe Hembus: Der Neue Deutsche Film 1960 – 1980, 1981)
Als ich den Film das erste Mal sah, war ich begeistert, denn „Supermarkt“ war originäres Kino, das bis auf die Drehorte nichts mit anderen deutschen Filmen gemein hatte.
Der Titelsong „Celebration“ wird von Marius Müller-Westernhagen als Marius West gesungen; die Musik ist von Udo Lindenberg. Und Jost Vacano (Das Boot, Robocop, Total Recall) war der Kameramann.
mit Charly Wierczejewski, Eva Mattes, Michael Degen, Walter Kohut, Witta Pohl, Alfred Edel
Das Buch „Freakonomics“ von Steven D. Levitt und Stephen J. Dubner war vor einigen Jahren ein Überraschungsbestseller, in dem die Autoren auf unterhaltsame Art mit ökonomischem Denken und statistischen Modellen die Welt erklärten und immer wieder zu überraschenden Entdeckungen kamen.
Für den Film wurde dann ein etwas ungewöhnlicher Zugang gewählt, indem man mehrere, teils auch bei uns bekannte Regisseure, wie Morgan Spurlock und Alex Gibney, aufforderte, in ihrem Stil eine kürzere Dokumentation zu drehen. Die so entstandenen Dokumentationen wurden für den Film, ergänzt um lockere, anekdotenreiche Gespräche mit dem Ökonomen Levitt und dem Wirtschaftsjournalisten Dubner, zu einem spielfilmlangen Film zusammengefügt, bei dem die disparaten Elemente überwiegen. Denn die einzelnen, stilistisch verschiedenen Filme sind von unterschiedlicher Qualität, unterscheiden sich oft kaum von einer TV-Dokumentation, bleiben aufgrund ihrer Kürze und den teils notwendigen Vereinfachungen bei dem Übertragen von mit Zahlen gesättigten Sachtexten in eine Dokumentation an der Oberfläche, auch weil alternative Erklärungen oft nicht oder nur knapp angesprochen werden. Daher ist der Erkenntniswert der „Freakonomics“-Kurzfilme oft gering und, über die gesamte Filmlänge, immer mit dem Gefühl verbunden, dass die Macher den Zuschauer manipulieren, um zu Beweisen, dass man mit ökonomischem Denken die Welt erklären kann.
Das mit Abstand beste Segment des Films ist von Alex Gibney: „Betrüger“ (Pure Corruption) über Betrügereien bei japanischen Sumo Ringern, die man, weil die Ringer Teil eines Schweigekartells sind, durch eine statistische Auswertung der Ergebnisse der Kämpfe herausfand. Gibney liefert auch einen informativen Einblick in die Welt der Sumo-Ringer und ergänzt die statistischen Befunde, die ein Nebenaspekt des Films sind, mit Interviews mit Sumo-Ringern und Journalisten.
Dagegen fallen die anderen Filme deutlich ab. In „Erziehung“ (A Roshanda by Any Other Name) fragt Morgan Spurlock, welche Bedeutung der Vorname für den beruflichen Erfolg hat. Weil er sich die meiste Zeit mit den verschiedenen Vornamen beschäftigt, spricht er die wichtigere Verbindung zwischen Ethnie, Einkommen, Ausbildung und damit verbundenen Chancen nur am Rand an.
In „Ursache und Wirkung“ (It’s Not Always a wonderful Life) versucht Eugene Jarecki zu erklären, warum die Kriminalität in den USA in den Neunzigern sank. Er erklärt das mit der umstrittenen These von Steven Levitt, dass die Legalisierung von Abtreibungen in den Siebzigern dazu führte, dass viele Frauen die Kinder, die sie nicht wollten abtrieben und daher zwanzig Jahre später die potentiellen Verbrecher fehlten.
Auch wenn Levitt im Film seine These energisch verteidigt, wirkt sie doch eher nach einer statistischen Zufälligkeit, wie der Verbindung von Störchen und Kindern.
In „Anreize schaffen“ (Can a Ninth Grader Be Bribed to Succeed?) dokumentieren Rachel Grady und Heidi Ewing ein Experiment an einer Schule in Chicago: die Schulleitung will mit geldwerten Belohnungen die Leistungen seiner Schüler steigern. Grady beobachtet zwei Schüler während des Experiments. Während der Afroamerikaner seine Leistungen deutlich steigern kann, bleiben die Noten des Weißen gleichbleibend schlecht – und wir können darüber spekulieren, warum die ökonomische Theorie, nach der Anreize unsere Handlungen bestimmen, so versagte.
Auch wenn einige Teile des Films zum Nachdenken anregen, ist „Freakonomics“ als spielfilmlanger Dokumentarfilm ein enttäuschendes Sammelsurium.
Freakonomics (Freakonomics, USA 2010)
Regie: Heidi Ewing, Alex Gibney, Seth Gordon, Rachel Grady, Eugene Jarecki, Morgan Spurlock
Drehbuch: Peter Bull, Alex Gibney, Jeremy Chilnick, Morgan Spurlock, Eugene Jarecki,
Heidi Ewing, Rachel Grady, Seth Gordon
LV: Steven D. Levitt/Stephen J. Dubner: Freakonomics: A Rogue Economist Explores the Hidden Side of Everything, 2005 (Freakonomics: Überraschende Antworten auf alltägliche Lebensfragen)
Eigentlich wollte ich „Ganz weit hinten“ (The Way Way Back, USA 2013) und „Draußen ist Sommer“ gemeinsam besprechen. Denn beide Filme spielen im Sommer, haben einen 14-jährigen Protagonisten, der sich mit seinen seltsamen Eltern, die nicht zum Vorbild taugen, herumschlagen muss. Aber jetzt startet „Ganz weit hinten“ erst am 5. Dezember und ich muss die Filme getrennt besprechen.
„Draußen ist Sommer“ beginnt mit einem Einzug einer fünfköpfigen Familie in einem anonymen Vorstadthaus irgendwo in der Schweiz. Sie sind aus Berlin und wollen hier neu anfangen. Denn der Vater hatte – wie wir später fast zufällig erfahren – eine außereheliche Beziehung und der Umzug von Berlin in die Schweiz soll der Familie einen Neustart ermöglichen.
Soweit der Plan. Während der Vater sich in hektische Betriebsamkeit und Anfälle von Vater-Sein stürzt, sucht die Mutter erfolglos eine neue Arbeit, fällt, nachdem sich bei einem Anruf die Anruferin nicht meldet und es deshalb nur die Geliebte von ihrem Ehemann sein kann, in tiefe Depressionen und bleibt im Bett liegen. Inzwischen hat sich der Vater häuslich im Keller eingerichtet. Das jüngste Kind der Familie schweigt. Das Mittlere experimentiert. Und die 14-jährige Wanda übernimmt irgendwie die Mutterrolle, sucht und findet in der Schule neue Freunde und versteht sich ganz gut mit einem seltsamen Nachbarjungen, der sie schließlich vergewaltigen will.
In Friederike Jehns „Draußen ist Sommer“ erschließen sich die Geschichte und die Hintergründe hauptsächlich aus den Bildern, die immer eine unnatürlich-kränkliche Blässe haben und die daher den psychischen Zustand der Charaktere reflektieren. Denn geredet wird eher wenig in ihrem Depri-Film, der den Verfall einer Familie, die wohl schon lange keine Familie mehr ist, ohne große Dramatisierungen, fast protokollarisch zeigt.
Das Beobachten der sich seltsam verhaltenden Menschen, die alle mehr oder weniger seelisch gestört und verhaltensauffällig sind, ist allerdings ungefähr so angenehm wie Zähne-ziehen ohne Betäubung und wirkt wie eine hochgradig hypothetische Versuchsanordnung.
Immerhin betrachtet man sein eigenes Leben nach neunzig Minuten mit dieser wohlstandsverwahrlosten Familie, in der nichts funktioniert und die es auch nie lernte, produktiv mit Problemen umzugehen, mit anderen Augen.
Draußen ist Sommer (Deutschland 2012)
Regie: Friederike Jehn
Drehbuch: Lara Schützsack, Friederike Jahn
mit Maria-Victoria Dragus, Nicolette Krebitz, Wolfram Koch, Audrey von Scheele, Nalu Walder, Philippe Graber, Ella Rumpf
„Erleben Sie im Sommer etwas“, rät Dr. Breuer, der Leiter eines Nobelinternats am Anfang von Charlotte Links „Exit Marrakech“ seinem schriftstellerisch begabten Schüler Ben (Samuel Schneider). Der Siebzehnjährige möchte eigentlich die Sommerferien mit seinen Freunden verbringen, aber er muss die Ferien in Marokko bei seinem Vater Heinrich (Ulrich Tukur) verbringen. Der inszeniert in Marrakech ein Theaterstück, hat deshalb auch keine Zeit seinen Sohn vom Flughafen abzuholen und kümmert sich auch sonst kaum um dieses lästige Anhängsel, das gefälligst die Tage auf ihn wartend und lesend am Hotelpool verbringen soll.
Sam beginnt allein, mit Skateboard und Fotoapparat bewaffnet, Marrakech zu erkunden und in diesen Minuten hat „Exit Marrakech“ ein angenehm unbeschwertes Nouvelle-Vague-Gefühl, das schnell zu einer langatmigen Version des gefürchteten Schulaufsatzes „Wie ich meine Sommerferien verbrachte“ wird.
Denn Ben verknallt sich in die Prostituierte Karima (Hafsia Herzi), folgt ihr in ihr abgelegenes Dorf, wird von seinem Vater gesucht, trampt ohne Karima, die spurlos aus der Geschichte verschwindet, durch das Land, wird von seinem Vater gefunden und gemeinsam machen sie sich auf den Weg zur nächsten Aufführung von Heinrichs Inszenierung. Auf dem Weg wird auch ein pompös aufgeblasener Vater-Sohn-Konflikt verarbeitet.
Denn Ben ist ein Scheidungskind, das mit beiden Elternteilen ziemlich gut auskommt und auch die Eltern verstehen sich ziemlich gut. Seine Mutter, eine Musikerin, ist eine sich ständig, per Telefon, besorgt zu Wort meldende Glucke. Sein Vater hat, als Künstler, immer andere Dinge im Kopf. Er ist inzwischen wieder verheiratet und hat vor vier Jahren ein weiteres Kind bekommen, das Ben jetzt auch endlich kennenlernen soll. Ben hat darauf keine Lust. Das alles muss halt bearbeitet werden. Auch wenn diese Familiengeschichte so undramatisch, so langweilig, so konfliktfrei ist, dass das Interesse an Ben und Heinrich schnell erlahmt in einem Reigen bunter Bilder die vor allem Beweisen, dass ein deutscher Film auch vor exotischer Kulisse ein deutscher Film bleibt.
Exit Marrakech (Deutschland 2013)
Regie: Charlotte Link
Drehbuch: Charlotte Link
mit Samuel Schneider, Ulrich Tukur, Hafsia Herzi, Marie-Lou Sellem, Josef Bierbichler, Clara-Marie Pazzini
Insominia – Schlaflos (USA 2002, R.: Christoper Nolan)
Drehbuch: Hillary Seitz (nach dem Drehbuch von Nikolaj Frobenius für Erik Skjoldbjaergs „Insomnia“)
L.-A.-Cop Will Dormer soll zusammen mit seinem Kollegen in Alaska einen Mordfall aufklären. Dabei kämpft er gegen eine interne Korruptionsermittlung und Fehler, die er während der Ermittlungen begeht – und die ihn erpressbar machen.
Gelungenes US-Remake des norwegischen Thrillers „Todesschlaf“, das zwar nicht den rauen Charme des Originals, aber mit Al Pacino und Robin Williams zwei tolle Gegenspieler hat. Und Alaska bietet auch etwas für das Auge.
„Das mag niemanden überzeugen, dem Kinothriller zu formelhaft sind – aber wer solche Genrespiele mag, bekommt hier ein intensives Beispiel geboten.“ (Thomas Klingenmaier, Stuttgarter Zeitung, 10. Oktober 2002)
Das Drehbuch war für den Edgar Allan Poe Award nominiert.
mit Al Pacino, Robin Williams, Hilary Swank, Maura Tierney, Martin Donovan