Kiss Kiss Bang Bang (Kiss Kiss Bang Bang, USA 2005)
Regie: Shane Black
Drehbuch: Shane Black
LV: Brett Halliday: Bodies are where you find them, 1941
Zuerst stolpert Einbrecher Harry Lockhart auf seiner Flucht vor der Polizei in einen Vorsprechtermin und erhält prompt eine Filmrolle. Als er über eine Hollywood-Party stolpert, trifft er seine Jugendliebe Harmony Faith Lane und, als er zwecks Rollenstudium, mit einem knallharten PI Gay Perry (schwul) durch die Straßen Hollywoods schlendert, stolpern sie alle in einen undurchsichtigen Komplott, der direkt aus einem Film der Schwarzen Serie stammen könnte.
Köstliche Liebeserklärung an die Pulps, die natürlich nur lose auf dem Mike-Shayne-Roman basiert, aber dafür ausführlich Chandler zitiert (Zwischentitel, Voice-Over,…).
“first significant neo-noir of the twenty-first century” (Alexander Ballinger/Danny Graydon: The Rough Guide to Film Noir, 2007)
mit Robert Downey Jr., Val Kilmer, Michelle Monaghan, Corbin Bernsen, Rockmond Dunbar
Lieutenant Danny Roman (Samuel L. Jackson) ist Verhandlungsspezialist der Polizei von Chicago. Jetzt wird er verdächtigt, seinen besten Freund ermordet zu haben. In einem Hochhaus wird er zum Geiselnehmer. Er fordert seinen Kollegen Chris Sabian (Kevin Spacey) als Verhandlungsführer an. Sabian soll seine Unschuld beweisen und dabei einige korrupte Polizisten überführen. Diese wollen das natürlich verhindern.
Spannender Polizeithriller und ein grandioses Schauspielerduell zwischen Samuel L. Jackson und Kevin Spacey.
Drehbuchautor James DeMonaco ist auch für das „The Purge“-Franchise veranwortlich.
mit Samuel L. Jackson, Kevin Spacey, David Morse, Ron Rifkin, John Spencer, J. T. Walsh, Paul Giamatti, Siobhan Fallon, Dean Norris, Tom Bower, Paul Guilfoyle, Robert David Hall
„Im Stil der Pulp Fiction, der Groschenromane und B-Pictures aus den 30er und 40er Jahren, komprimiert Quentin Tarantino eine Handvoll Typen und Storys zu einem hochtourigen Film noir (…) Ein ausgezeichnetes Darsteller-Ensemble, eine intelligente Inszenierung und ein gutes Timung durch flotte Schnitte tragen dazu bei, dass Blutorgien mit Slapstick und bitterer Zynismus mit leichter Ironie so raffiniert ineinander übergehen oder aufeinander folgen, dass die Brüche und Übergänge nicht stören.“ (Fischer Film Almanach 1995)
Tarantino erzählt von zwei Profikillern, die zuerst Glück und dann Pech bei ihrer Arbeit haben, einem Boxer, der entgegen der Absprache einen Boxkampf gewinnt und sich dann wegen einer Uhr in Lebensgefahr begibt, einem Gangsterpärchen, das ein Schnellrestaurant überfällt, einem Killer, der die Frau seines Chefs ausführen soll und in Teufels Küche gerät, einer Gangsterbraut, die eine Überdosis nimmt, einem Killer, der zum Christ wird und von einem Tanzwettbewerb.
Kurz: wir haben mit einem Haufen unsympathischer Leute eine verdammt gute Zeit.
Der Kassenknüller erhielt zahlreiche Preise, aber für Krimifans zählt natürlich nur der gewonnene Edgar.
Mit Tim Roth, Harvey Keitel, Uma Thurman, Amanda Plummer, John Travolta, Samuel L. Jackson, Bruce Willis, Rosanna Arquette, Ving Rhames, Eric Stoltz, Christoper Walken, Quentin Tarantino, Steve Buscemi
Drehbuch: Claude Zidi, Didier Kaminka (Dialoge), Simon Michaël (Adaptation)
Inspektor René Boirond (Philippe Noiret) kennt sich aus in einem Multikulti-Revier in Paris. Er ist die Verkörperung eines Korrumpels. Er nimmt gerne kleine Gefälligkeiten von den örtlichen Händlern an, ahndet nicht jeden Gesetzesverstoss und beklaut Verbrecher. Sein neuer Partner François Lesbuche (Thierry Lhermitte) ist das Gegenteil. Der gerade von der Polizeschule kommende Lesbuche ist anscheinend durch nicht zu korrumpieren. Boirond will das ändern.
Köstliche, ziemlich zynische Krimi-Komödie, die damals in Frankreich ein Kassenhit war und einen César als bester Film des Jahres erhielt.
mit Philippe Noiret, Thierry Lhermitte, Régine, Grace De Capitani, Claude Brosset, Albert Simono, Julien Guiomar, Henri Attal
Auch wenn die ersten Bilder nicht so wirken, sind Signe (Kristine Kujath Thorp) und Thomas (Eirik Sæther) ein Paar aus der Hölle. Weil Signe Geburtstag hat, dinieren sie in einem noblen Restaurant. Er tut alles, um die Aufmerksamkeit des gesamten Lokals auf Signe zu lenken. Jeder soll von ihrem Geburtstag erfahren. Ihr ist das sichtlich peinlich. Bevor sie die Rechnung bezahlen, hauen sie ab. Mit der teuren Weinflasche unterm Arm. Dieser harmlose Spaß ist eine Atempause in der Liebesbeziehung der beiden Extrem-Narzissten, die konstant versuchen, sich zu überbieten und dem anderen die Schau zu stehlen. Und ihn gleichzeitig subtil zu demütigen. Er stiehlt die Stühle für eine Vernissage aus Möbelhäusern zusammen und stapelt sie zu Kunstwerken. Sie erzählt bei seiner Ausstellungseröffnung, nachdem sich die Aufmerksamkeit auf Thomas konzentriert, von ihren erfundenen, aber schrecklichen Krankheiten.
Als Signe im Netz in Russland hergestellte Tabletten entdeckt, die schwere Nebenwirkungen haben sollen, ist sie begeistert. Was kann es besseres geben, als mit den Nebenwirkungen, wie Hautausschlag, Haarausfall und möglicherweise Schlimmerem, die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen? Sie bestellt sie und wirft sich gleich nach dem Erhalt eine massive Überdosis ein. Kurz darauf hat sie einen beängstigenden Ausschlag, den sie auch medial verarbeitet. Natürlich ohne die Pillen zu erwähnen. Endlich steht sie, die wahrlich ‚der schlimmste Mensch der Welt‘ ist, im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses.
„Sick of myself“ ist eine schwarze Komödie und Gesellschaftssatire, die allerdings in der zweiten Hälfte zwischen Wahn und Wirklichkeit, Zeitsprüngen und alternativen Realitäten ihren Fokus verliert.
Sick of myself (Syk Pke, Norwegen 2022)
Regie: Kristoffer Borgli
Drehbuch: Kristoffer Borgli
mit Kristine Kujath Thorp, Eirik Sæther, Fanny Vaager, Fredrik Stenberg Ditlev-Simonsen, Sarah Francesca Brænne, Ingrid Vollan
Länge: 98 Minuten
FSK: ab 12 Jahre (Uhuh, aber „ Eine negative Vorbildwirkung lässt sich ausschließen.“)
LV: James Jones: The Thin Red Line, 1962 (Insel der Verdammten)
Als der Film seine Premiere hatte, waren die Kritiker begeistert und er erhielt auf der Berlinale den Goldenen Bären. Nach zwanzig Jahren präsentierte Terrence Malick seinen dritten Spielfilm: ein meditatives Drama über den Kampf um die Pazifikinsel Guadalcanal, das souverän alle Erfordernisse des Kriegsfilms und Starkinos unterläuft und wahrscheinlich genau deswegen ein äußerst präzises Bild vom Krieg liefert.
Es war auch, obwohl ich verstehen kann, wenn Menschen „Der schmale Grat“ nicht mögen (nachdem wir den Film im Unikino gezeigt hatten, meinten einige, das sei der schlechteste Film, den sie jemals gesehen hatten), Malicks letzter wirklich guter Film.
Nachdem er in dreißig Jahren drei Klassiker drehte – „Badlands – Zerschossene Träume“ (Badlands, 1973), „In der Glut des Südens“ (Days of Heaven, 1978) und „Der schmale Grat“ (The Thin Red Line, 1998) -, ruinierte er in wenigen Jahren seinen legendären Ruf gründlich. „The New World“ (USA 2005) hatte noch etwas, aber mit „The Tree of Life“ (USA 2011) und „To the Wonder“ (USA 2012) verabschiedete er sich endgültig von jeder erzählerischen Fessel zugunsten eines freien Assoziieren für eine überzeugte Gemeinschaft. Die Folgewerke „Knight of Cups“ (2015) und „Song to Song“ (2017) waren nur für seine Fanboys erträglich. Erst mit seinem bislang letztem Film „Ein verborgenes Leben“ (A hidden life, 2019) kehrte er ansatzweise zum Erzählkino zurück.
mit Sean Penn, Adrien Brody, Jim Caviezel, Ben Chaplin, George Clooney, John Cusack, Woody Harrelson, Elias Koteas, Jared Leto, Nick Nolte, John Savage, John Travolta, Nick Stahl, Miranda Otto
LV: Rajiv Chandrasekaran: Imperial Life In The Emerald City, 2006
Bagdad, April 2003: Nach der Invasion suchen US-Offizier Roy Miller und sein Team die Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein, die ja damals der offizielle Kriegsgrund waren.
Gelungener Mix aus Polit-Thriller und Kriegsfilm von Paul Greengrass und Matt Damon, die auch für die „Bourne“-Filme verantwortlich sind.
mit Matt Damon, Jason Isaacs, Amy Ryan, Greg Kinnear, Brendan Gleeson
Die deutsche Kolonialgeschichte ist kurz, aber nicht weniger ausbeuterisch, blutig und menschenverachtend als die anderer Kolonialmächte. Und sie ist, abgesehen von aktuellen, primär in Fachkreisen geführten Restitutionsdebatten, ziemlich vergessen. Literarisch und filmisch erschöpft sich die Beschäftigung mit der deutschen Kolonialgeschichte in Uwe Timms Roman „Morenga“ (1978), Egon Günthers gleichnamiger TV-Verfilmung von 1985, Gerhard Seyfrieds Roman „Herero“ (2003) und jetzt Lars Kraumes „Der vermessene Mensch“.
Kraume erzählt, nach seinem Drehbuch, die Geschichte von Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher). Als junger Ethnologe begegnet er während der Deutschen Kolonialausstellung in Berlin 1896 erstmals aus der Kolonie Deutsch-Südwestafrika (dem heutigen Namibia) kommenden Herero und Nama. Im Rahmen der damals allgemein akzeptierten Rassenlehre, nach der es verschiedene Rassen gibt, die verschieden intelligent sind, beginnen er und seine Kollegen die Köpfe der Schwarzen zu vermessen. Sie wollen so wissenschaftlich beweisen, dass die in Häusern lebenden Weißen größere Köpfe haben und intelligenter als die im Busch lebenden Schwarzen sind.
Im Gegensatz zu seinen Kollegen und seinem Chef, Professor von Waldstätten (Peter Simonischek), zweifelt Hoffmann an der Rassenlehre. Außerdem ist der Junggeselle beeindruckt von Kezia Kambazembi (Girley Charlene Jazama), der eloquenten Dolmetscherin der Besuchergruppe. Sie gefällt ihm viel besser als die Frauen, die ihm seine Mutter als künftige Ehefrauen vorstellt. Und Kambazembi scheint seine Gefühle zu erwidern.
Nach dem Ende der Berliner Kolonialausstellung fährt Kambazembi mit ihrer Reisegruppe zurück in die Kolonie.
Acht Jahre später kommt es in Deutsch-Südwestafrika zu Aufständen der Einheimischen gegenüber den Deutschen. Für Hoffmann ist das die Gelegenheit, als Forscher nach Deutsch-Südwestafrika zu fahren, Schädel und Artefakte für die Forschung zu sammeln und wieder Kambazembi zu treffen. Schnell wird er Zeuge eines gnadenlos und menschenverachtend geführten Vernichtungskrieges der Deutschen gegenüber den Hereros und Namas, die teils massakriert, teils zum Sterben in die Wüste getrieben werden. Diesen Beginn eines Völkermords inszeniert Kraume immer FSK-12-kompatibel und für den Einsatz in der Schule und Bildungsarbeit geeignet.
Hoffmann stolpert durch das Kriegsgeschehen. Er will Kambazembi finden und vor dem Tod retten. Falls er sie überhaupt findet.
Wer jetzt befürchtet, dass „Der vermessene Mensch“ zu einer dieser klebrig-verlogenen White-Savior-Geschichten wird, kann sich beruhigt zurücklehnen. Lars Kraume unterläuft diese Erwartung immer mehr, je länger der Film dauert. Hoffmann ist in Afrika kein Retter, sondern ein ungläubig das Morden beobachtende Wissenschaftler, der an seiner Arbeit zweifelt und Gutes tun möchte. Aber letztendlich ist er nur ein passiver Beobachter, der sich fragt, ob er in der Kolonie seine aussichtsreiche wissenschaftliche Karriere opfern soll.
Kraume erzählt das, ohne seine Figuren zu verurteilen, nah an den historischen Fakten und den damaligen, heute hoffnungslos veralteten und abgelehnten Ansichten entlang. Er fällt kein Urteil über sie. Das überlässt er dem Zuschauer.
Nach „Der Staat gegen Fritz Bauer“ und „Das schweigende Klassenzimmer“, zwei Spielfilme, die sich ebenfalls gelungen mit der deutschen Vergangenheit beschäftigten, hat Lars Kraume einen weiteren sehenswerten Film über einen Teil der deutschen Vergangenheit inszeniert. In dem hübsch doppeldeutig betiteltem Drama „Der vermessene Mensch“, das die Geschichte aus der Sicht der Täter schildert, bringt er ein vergessenes, unrühmliches Kapitel der deutschen Geschichte zurück ins breite gesellschaftliche Bewusstsein. Ob und zu welchen Diskussionen er führt, werden die nächsten Wochen zeigen.
Der vermessene Mensch(Deutschland 2023)
Regie: Lars Kraume
Drehbuch: Lars Kraume
mit Leonard Scheicher, Girley Charlene Jazama, Peter Simonischek, Corinna Kirchhoff, Anton Paulus, Leo Meier, Sven Schelker, Max Koch, Ludger Bökelmann, Alexander Radszun, Michael Schenk, Tilo Werner
Wenige Tage nach seinem überraschenden Tod am 17. März 2023 kommt jetzt einer von von Lance Reddicks letzten Filmen ins Kino – und dieser Kinoabschied (wenn wir die laut IMDb noch kommenden Filme weglassen) ist ein würdiger Abschied. In seiner bekanntesten Rolle. Er spielt, wie in den vorherigen „John Wick“-Filmen, den Concierge des New Yorker Continental Hotels und, soviel kann gesagt werden, er hat im Film eine wichtige Rolle und eine starke letzte Szene.
Im Mittelpunkt des Actionfilms steht natürlich John Wick (Keanu Reeves). Er kämpft immer noch gegen die Hohe Kammer und den gegen ihn ausgesprochenen Tötungsbefehl. Die Hohe Kammer hat jetzt den Marquis de Gramont (Bill Skarsgård) beauftragt, John Wick zu beseitigen. Das Kammermitglied ist ein immer perfekt gekleideter, leicht schnöseliger Adliger, der keine Skrupel kennt. Rücksichtslos jagt er John Wick und lässt jeden töten, den Wick trifft. Schnell sterben Wicks Freunde und immer mehr Menschen wollen ihn töten.
Als die Situation für Wick immer aussichtsloser wird, weist Winston (Ian McShane), der Besitzer des New Yorker Continental Hotels, ihn auf eine alte Regel hin: wenn er den Marquis in einem Duell besiegt, annulliert die Hohe Kammer den Tötungsbefehl. Allerdings kann Wick den Marquis nur herausfordern, wenn er bestimmte Regeln einhält, bestimmte Fürsprecher hat und so in der Position ist, die es ihm ermöglicht, ein anderes Mitglied der Hohen Kammer zum Duell herauszufordern. Das ist die erste Hürde, die Wick überwinden muss. Danach muss er pünktlich zum Duell erscheinen, während der Marquis versucht, ihn auf dem Weg zum Duell zu töten. Er schickt unzählige Killer los. Seine Trumpfkarte ist Caine (Donnie Yen), ein blinder, sich eigentlich im Ruhestand befindender Killer und Freund von John Wick. Caine und Wick respektieren sich, weil sie gleich gut sind und eine gemeinsame Geschichte haben. Die Wildcard des Marquis ist ein namenloser Fährtenleser (Shamier Anderson), der immer von seinem Schäferhund begleitet wird und der ein eigenes Spiel spielt.
Vor zehn Jahren lernten wir John Wick in „John Wick“ kennen. Damals war er ein zurückgezogen lebender, um seine Frau trauernder legendärer Profikiller. Als einige halbstarke Gangster sein Auto klauen und seinen Hund töten, begibt er sich auf einen Rachefeldzug, bei dem mindestens eine halbe Hundertschaft Bösewichter stirbt. Der Actionthriller war ein Erfolg.
In den nächsten beiden „John Wick“-Filmen wurde aus dem kleinen B-Actionthriller, der mit seinen langen, kaum geschnittenen, mit ruhiger Kamera aufgenommenen Actionszenen Actionfans begeisterte, in jeder Beziehung mehr. Autor Derek Kolstad und Regisseur Chad Stahelski erfanden eine Parallelwelt, in der Profikiller ungestört global agieren und es ein labyrinthisches Regelwerk gibt, das die katholische Kirche vor Neid erblassen lässt. Die Action wurde spektakulärer. Die Schauplätze internationaler. Und es spielten noch mehr Stars mit. Jeder neue „John Wick“-Film war länger und teurer als der vorherige. Und erfolgreicher an der Kinokasse.
„John Wick : Kapitel 4“ setzt diese Entwicklung fort. Mit einem offiziellem Budget von hundert Millionen Dollar ist er der bislang teuerste Film der Serie. Die Geschichte spielt in der jordanischen Wüste, New York, Osaka/Japan (eigentlich nur im dortigen Continental Hotel), Berlin und Paris. Mit gut drei Stunden ist der Thriller fast vierzig Minuten länger als der vorherige Film. Mit Donnie Yen, Bill Skarsgård, Scott Adkins und Hiroyuki Sanada gibt es prominente Neuzugänge. Und es gibt mehr Action. Insgesamt nennt das Presseheft vierzehn große Action-Set-Pieces (ich habe jetzt nicht nachgezählt), die alle ziemlich spektakulär sind. Das gilt für die Action an sich – es gibt Nahkämpfe, Schießereien, Schwertkämpfe, Autounfälle, Fenster- und Treppenstürze -, und für die Inszenierung. Wieder schnitt Chad Stahelski nur selten. Wieder wählt er lieber die Totale als die Nahaufnahme. Wieder ist es so möglich, die Action genau zu verfolgen und zu sehen, was die Schauspieler und Stuntmen tun. Wieder überzeugt die Farbdramaturgie.
Die Welt von John Wick war schon immer eine Fantasiewelt, die sich inzwischen eindeutig am Comic orientiert. Aber noch hat die Geschichte einem Fuß in der Realität. Wie die James-Bond-Filme oder „Fast & Furious Five“ (Fast Five, USA 2011; das war die Actionsause, in der ein Safe durch die Straßen von Rio de Janeiro gezogen wird). Das Gezeigte ist unwahrscheinlich, aber nicht vollkommen unmöglich. Wobei die im Film gezeigte Unverletztlichkeit von John Wick, trotz Kevlar-Anzug und mit Kevlar verstärktem Hemd, das alle Kugeln abprallen lässt, mythische Dimensionen hat. Während bei ihm jeder Schuss ein Treffer ist, ist bei den Bösewichtern kein Schuss ein Treffer. Und John Wick wird zwar von Autos angefahren, aber nicht verletzt.
„John Wick: Kapitel 4“ liefert genau das stilvolle Actionfeuerwerk, das Fans erwarten und trotz seiner epischen Laufzeit von gut drei Stunden ist der fast dialogfreie Thriller kurzweilig, aber auch etwas redundant. Da wird geschossen, geschossen und nochmal geschossen. Da kommt noch ein Killer um die Ecke, der von einem weiteren und einem weiteren Killer gefolgt wird. Da rollt John Wick nicht einmal, sondern gleich zweimal eine sehr, sehr lange Treppe runter, ehe er sie, wie Sisyphos, wieder hochläuft. Trotzdem langweilen diese langen Actionszenen nicht. Sie treiben die Handlung voran und sie zeigen eindrucksvoll, was im Bereich des handgemachten Actionfilms möglich ist.
Das fünfte Kapitel ist schon in Arbeit.
John Wick: Kapitel 4(John Wick: Chapter 4, USA 2023)
Regie: Chad Stahelski
Drehbuch: Shay Hatten, Michael Finch (basierend auf von Derek Kolstad erfundenen Figuren)
mit Keanu Reeves, Bill Skarsgård, Donnie Yen, Laurence Fishburne, Lance Reddick, Clancy Brown, Ian McShane, Shamier Anderson, Scott Adkins, Hiroyuki Sanada, Rina Sawayama, Natalia Tena, Sven Marquardt (Berliner Legende)
Drei Tage und ein Leben(Trois jours et une vie, Frankreich 2019)
Regie: Nicolas Boukhrief
Drehbuch: Pierre Lemaitre, Perrine Margaine
LV: Pierre Lemaitre: Trois jours et une vie, 2016 (Drei Tage und ein Leben)
Kurz vor Weihnachten verschwindet in den belgischen Ardennen ein Kind. Die Suche verläuft ergebnislos. Auch weil der zwölfjährige Antoine, der weiß, was passiert ist, schweigt. Fünfzehn Jahre später kehrt er in das Dorf zurück.
Ruhiger Thriller, der an Claude Chabrols schwarzhumorige Abrechnungen mit dem französischen Bürgertum erinnert. Auch wenn die Geschichte in Belgien spielt.
LV: Thomas Berger: Little Big Man, 1964 (Der letzte Held)
Der 121-jährige Exscout Jack Crabb, der als Indianer Little Big Man hieß, erzählt einem Historiker sein Leben zwischen Indianern und Weißen – und man verirrt sich hoffnungslos und extrem kurzweilig im Dickicht zwischen Fakten und Mythen, zwischen Verklärung und Entzauberung des Wilden Westens.
Der satirische Klassiker ist eine grandiose Mythenentzauberung und -bestätigung.
Dustin Hoffman spielte Jack Crabb vom jungen bis zum alten Mann.
mit Dustin Hoffman, Faye Dunaway, Martin Balsam, Richard Mulligan, Chief Dan George, Jeff Corey
Diese zeigte Isabelle Huppert heute in diesem Frühwerk. Für ihr Spiel erhielt sie einen Bafta als Beste Nachwuchsschaupielerin und war für den César als Beste Schauspielerin nominiert.
Arte, 21.35
Die Spitzenklöpplerin (La Dentellière, Schweiz/Frankreich/Deutschland 1977)
Regie: Claude Goretta
Drehbuch: Claude Goretta, Pascal Lainé
LV: Pascal Lainé: La Dentellière, 1974
Die scheue Pomme, ein einfaches Landmädchen, verliebt sich in den Studenten Francois, zieht sogar nach Paris. Als er versucht, aus ihr etwas Besseres zu machen, wird die Beziehung auf eine Probe gestellt.
Selten gezeigter Klassiker des französischen Films. Nach meinen schlampig geführten Unterlagen lief er zuletzt vor zehn Jahren im Fernsehen.
„Eine hervorragend fotografierte, außergewöhnlich eindringliche und subtile Parteinahme für all jene, die ihre Gefühle sprachlich nicht auszudrücken vermögen.“ (Lexikon des internationalen Films)
mit Isabelle Huppert, Yves Beneyton, Florence Giorgetti, Annemarie Düringer, Michel de Ré
Drehbuch: Tyler Burton Smith (basierend auf von Don Mancini erfundenen Figuren)
TV-Premiere des überraschend gelungenen Reboots von Chucky, der Mörderpuppe. Dieses Mal ist Chucky eine falsch programmierte künstliche Intelligenz, die das Texas Chainsaw Massacre nachspielt, weil sein Besitzer und seine Kumpels sich beim Ansehen des Films schlapp lachten. Chucky imitiert den Film, veranstaltet folgerichtig ein wahres Blutbad – und Regisseur Lars Klevberg orientiert sich bis zur letzten Blutfontäne gelungen am 80er-Jahre-Horrorfilm.
mit Gabriel Bateman, Aubrey Plaza, Brian Tyree Henry, Tim Matheson, David Lewis, Trent Redekop, Beatrice Kitsos, Ty Consiglio, Carlease Burke, Mark Hamill (Chuckys Stimme im Original)
Eine Investmentbankerin verbringt mit ihrem Team ein Teambuilding-Wochenende auf dem einsam in den schottischen Highlands liegendem Landsitz eines Lords, der Zimmer vermietet. Alle Banker glauben, dass das Wochenende ein Vorspiel für ihre Entlassung ist. Und dann stirbt auch noch, kurz nach ihrem Eintreffen, der Lieblingspfau des Lords. Schnell versteckt einer der Banker, auf Befehl der Chefin, das Tier, das fortan in den ungünstigsten Momenten immer wieder auftaucht und wieder versteckt wird.
„Der Pfau“ ist eine unlustige Boulevardkomödie, bei der auch nach Filmende nicht geklärt ist, um was es eigentlich ging und wie dieser von Jürgen Vogel tiefenentspannt gespielte Schluffi-Sozialkundelehrer zum Mitarbeiter der Bank wurde. Viel mehr muss über diesen Langweiler, der eine fotogene Location, gute Schauspieler und mindestens zwei gute Ideen, nämlich die Jagd nach dem Pfauenmörder und die Satire über grundsätzlich unsympathische Banker, atemberaubend schnell zugunsten eines vor sich hin plätschernden Nichts verschenkt.
Das ist Zeitverschwendung auf dem Niveau der „Inspektor Jury“-Filme.
Der Pfau(Deutschland/Belgien 2023)
Regie: Lutz Heineking jr.
Drehbuch: Christoph Mathieu, Sönke Andresen, Lutz Heineking jr.
LV: Isabel Bogdan: Der Pfau, 2016
mit Lavina Wilson, Serkan Kaya, Tom Schilling, David Kross, Jürgen Vogel, Svenja Jung, Annette Frier, Philip Jackson, Victoria Carling, Domitila Barros, Linda Reitinger, Peter Trabner
1985 erfährt Ron Woodroof, Rodeoreiter, Frauenheld und Homohasser, dass er HIV-Positiv ist und in wenigen Tagen sterben wird. Er besorgt sich nicht zugelassene Medikamente und verkauft sie an Leidensgenossen, wenn sie Mitglied im titelgebenden „Dallas Buyers Club“ werden.
Regisseur Jean-Marc Vallée inszenierte die auf der wahren Geschichte von Ron Woodroof, der am 12. September 1992 starb, basierende, sehenswerte Charakterstudie mit der Handkamera im Stil des Siebziger-Jahre-New-Hollywood-Kinos. Und Matthew McConaughey überzeugt als bis auf die Knochen abgemagerte Unsympath mit uramerikanischem Unternehmergeist.
Dafür gab es den Oscar als bester Hauptdarsteller; Jared Leto erhielt den Oscar als bester Hauptdarsteller. Beide und der Film erhielten etliche weitere Preise.
mit Matthew McConaughey, Jared Leto, Jennifer Garner, Denis O’Hare, Steve Zahn, Michael O’Neill, Dallas Roberts, Griffin Dunne
In der Nacht springt Nemo (Willem Dafoe) in New York aus einem Hubschrauber. Er landet auf dem Balkon eines noblen Apartments. Aus ihm will er in wenigen Minuten einige wertvolle Gemälde stehlen.
Während er die gesuchten Bilder einsteckt, verschließt der Computer aufgrund einer Fehlfunktion hermetisch alle Ausgänge und alle Verbindungen nach draußen.
Zunächst glaubt Nemo, dass er wenige Stunden eingeschlossen sein wird. Und danach unerkannt mit seiner Beute verschwinden kann. Aber dann wird die Zeit länger. Aus Stunden werden Tage und Wochen. Er beginnt die wenigen Lebensmittel und Getränke zu rationieren. Und er überlegt, wie er aus der Wohnung ausbrechen kann.
„Inside“ ist das gelungene Spielfilmdebüt des Griechen Vasilis Katsoupis und eine Tour de force für den immer grandiosen Willem Dafoe. Der glänzend fotografierte Arthaus-Thriller, der wegen seiner Bilder im Kino gesehen werden sollte, ist auch eine Liebeserklärung an die zeitgenössische Kunst und die Meister der Moderne, die von dem Besitzer der Wohnung gesammelt wurden. Katsoupis konnte etliche Künstler überzeugen, eigene Werke für den Film zu erstellen oder zur Verfügung zu stellen. Selbstverständlich wurden im Film dann nicht die Originale, sondern Kopien benutzt. Denn Nemo zerstört einige der Werke.
Der Thriller selbst ist, auch wenn man das in den ersten Minuten annehmen könnte, kein irgendwie gearteter realistischer Thriller. Dafür gibt es zu viele Unwahrscheinlichkeiten und Unmöglichkeiten. Nemo hinterlässt zu viele Spuren und er lässt sich bei seinen teils amateurhaft ausgeführten Ausbruchversuchen zu viel Zeit. Er lässt sich ablenken und er prokrastiniert mehr als ein Student, der sich auf eine Prüfung vorbereiten sollte. Außerdem ist Nemo kein Parker (so heißt Richard Starks No-Nonsense Profi-Einbrecher, der keine Nacht in dieser Wohnung verbracht hätte), sondern ein Kunstliebhaber, der auch als Einbrecher arbeitet und während seines Ausbruchs aus dem edlen High-Tech-Gefängnis selbst zum Künstler wird.
Katsoupis‘ Ein-Personen-Stück ist ein surrealistisches Werk, das in dieser filmischen Tradition steht. Es ist eine Allegorie. Im Kern geht es in jeder Interpretation um das Überleben und um das Ausbrechen aus einem Gefängnis, das gesellschaftliche Regeln, Konventionen und selbst auferlegte Beschränkungen sein können. Es geht auch um die Frage, wie wichtig Kunst ist. Und auf dieser Ebene und mit dieser Erwartung funktioniert der chronologisch in den MMC Studios in Köln gedrehte Film glänzend. Der Drehort und die Finanzierung machen „Inside“ formal zu einem deutschen Film.
In Südkorea nehmen Sang-hyun und Dong-soo in einer Kirche die Babys aus einer Babyklappe, legen sie in ein Bett und registrieren sie. Anschließend kommen sie in ein Waisenhaus. Einige der von ihren Müttern in der Babyklappe abgegebenen Babys pflegen sie nicht ein. Sie nehmen sie mit und verkaufen sie an Wohlhabende, die zu ihrem Glück noch ein Baby brauchen, aber aus verschiedenen Gründen keine Kinder adoptieren dürfen. Es ist ein illegales Geschäftsmodell, das allerdings niemand wirklich schädigt und von den Tätern rührig unbeholfen ausgeführt wird. Es gerät in Gefahr, als So-young, die in einer regnerischen Nacht ihr Baby in die Babyklappe legte, wider alle Erwartungen zurückkehrt und ihr Baby wieder haben will. Sang-hyun, der Kopf des Unternehmens und Betreiber einer kleinen Wäscherei, erklärt ihr, dass sie die besten Eltern für Woo-sung finden wollen. Nach kurzem Zögern will sie Sang-hyun und Dong-soo in ihrem klapprigen Mini-Van begleiten und ein Wort bei der Adoption mitreden. Die beiden Kindervermittler, die sich mit diesen Geschäften und anderen Arbeiten ein bescheidenes Einkommen erzielen, sind einverstanden. Sie haben auch keine andere Wahl.
Gemeinsam fahren sie los und je länger Hirokazu Kore-eda in seinem neuen Film „Broker – Familie gesucht“ sie bei ihren Versuchen, eine Familie für Dong-soo zu finden, verfolgt, umso mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass Sang-hyun und Dong-soo die untauglichsten Männer für den Job sind, weil sie die besten Ersatzväter sind, die es gibt.
Auf ihrer Odyssee durch das Land werden sie unerbittlich von Su-jin und ihrer jüngeren Kollegin Lee verfolgt. Sun-jin ist eine ständig schlecht gelaunte, ihren Arbeitsplatz Auto mit Essen zumüllende Polizistin, die aus dem Klischeebuch des Hardboiled-Detektivs stammen könnte. Sie treibt die Ermittlungen voran, weil sie San-hyun und Dong-soo für wichtige Mitglieder einer großen Menschenhändlerbande hält.
„Broker – Familie gesucht“ ist kein Hardboiled-Krimi und kein anklagendes Sozialdrama, sondern eine sehr warmherzige Komödie, die von einem sanftem Humor und einer großen Liebe zu den Figuren geprägt ist. Wie sich Sang-hyun, Dong-soo und So-young während des Films näher kommen erzählt Hirokazu Kore-eda gewohnt zurückhaltend und mit einem genauen Blick auf kleine Nuancen. Sein neuester Film ist ein Wohlfühlfilm, der nichts mit den Filmen zu tun hat, die normalerweiser als Wohlfühlfilme gelabelt werden und die vor allem verlogener Kitsch sind.
Wer frühere Filme von Hirokazu Kore-eda, wie „Like Father, like Son“ (Japan 2013), „Unsere kleine Schwester“ (Japan 2015) und „Shoplifters – Familienbande“ (Manbiki Kazoku, Japan 2018) kennt, wird in seinem neuen Film viele vertraute Themen und Motive erkennen. Wieder geht es um Familien, echte und falsche, und die Frage, was eine Familie ausmacht. Es geht um Glück an Orten, an denen man es nicht erwartet.
Dieses Mal erzählt er davon in der Form eines entspannt-humorvollen Roadmovie-Märchen mit einer kleinen Noir-Krimibeigabe. Denn jedes gute Märchen hat eine böse Hexe.
–
„Ich wollte auf keinen Fall, dass mein Film den Kindern am Ende suggeriert, es sei schlecht, geboren zu werden. Oder, dass ihre Mutter die Geburt bereut hätte. Ich wollte, dass der Film ganz klar sagt: ‚Es ist gut, geboren zu werden‘. In dieser Hinsicht ist ‚Broker‘ ein Film über das Leben.“
Bevor er für „Im Westen nichts Neues“ einige Oscars erhielt, inszenierte Edward Berger
Arte, 20.15
Jack(Deutschland 2014)
Regie: Edward Berger
Drehbuch: Edward Berger, Nele Mueller-Stöfen
Als der zehnjährige Jack nicht von seiner Mutter aus dem Heim abgeholt wird, haut er ab. In Berlin wartet allerdings niemand auf ihn. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder beginnt Jack seine, mal wieder, spurlos verschwundene Mutter zu suchen.
Mitreisendes, mehrfach ausgezeichnetes Sozial- und Jugenddrama, das immer auf Jacks Augenhöhe bleibt, während er durch die große Stadt läuft.