Drehbuch: Gillian Flynn, Steve McQueen (basierend auf der gleichnamigen TV-Serie von Lynda La Plante)
Was ihre Männer könne, können Veronica, Linda und Alice auch. Vor allem weil sie tot sind und ihre Witwen Geldprobleme haben. Also ruft Veronica die anderen Witwen zusammen und sie beschließen, den nächsten Einbruch, den ihre Männer geplant hatten, durchzuführen. Mit weiblicher Finesse.
Schnörkellose, top besetzte Genre-Kost von Steve McQueen, der vorher „Hunger“, „Shame“ und „12 Years a Slave“ inszenierte. „Widows – Tödliche Witwen“ ist sein „Inside Man“.
mit Viola Davis, Michelle Rodriguez, Elizabeth Debicki, Cynthia Erivo, Colin Farrell, Daniel Kaluuya, Jackie Weaver, Robert Duvall, Liam Neeson, Brian Tyree Henry, Garrett Dillahunt, Carrie Coon, Jon Bernthal, Manuel Garcia-Rulfo, Lukas Haas
Ein Teil meiner Enttäuschung hängt sicher mit den Erwartungen zusammen. Die Trailer versprachen viel und verrieten wenig. Die offizielle Synopse ebenso: „Emerald ‚Em‘ (Keke Palmer) und OJ (Daniel Kaluuya) sind die Eigentümer einer Farm für Hollywood-Filmpferde. Ihre kalifornische Haywood-Ranch, weitab von den ersten Anzeichen menschlicher Zivilisation, ist bereits seit Jahrzehnten in Familienbesitz. Eines Nachts beobachten sie auf ihrem Land schockierende Phänomene, für die es keinerlei Erklärung zu geben scheint. Dabei ahnen sie nicht, dass es sich nur um die Vorboten eines grauenerregenden Geheimnisses handelt…“
Die Kritiken und Publikumsmeinungen aus den USA sind überaus positiv. Alle, die den Film vor mir gesehen hatten, wollten mit mir über das Ende reden. Das war der Moment, in dem ich immer sagte: „Darüber reden wir, wenn ich ihn gesehen habe.“
Also erwartete ich einen besonderen Film mit einem Shyamalan-Twist am Ende. Außerdem gefielen mir Jordan Peeles vorherige Filme, „Get Out“ gefiel mir sehr gut. „Wir“ weniger. An der Kinokasse waren beide Filme äußerst erfolgreich – und „Nope“ ist das Ergebnis. Der Regisseur erhält ein größeres Budget und freie Hand.
Das benutzt er für eine gewöhnliche Alien-Invasionsgeschichte mit vielen losen Enden, die dazu führen, dass im Internet inzwischen munter spekuliert wird, was was bedeutet und wie das alles miteinander zusammenhängt. Also wer der Motorradfahrer ist, der aus dem Nichts auftaucht als die Geschwister die Aliens anlocken wollen, warum wir so viel über eine 90er-Jahre-Sitcom erfahren und was das damalige Unglück mit den Ereignissen in der Gegenwart zu tun hat. Außer dass Ricky ‚Jupe‘ Park (Steven Yeun) damals als Kinderdarsteller zum Ensemble der Sitcom gehörte und er heute, immer noch von seinem Hollywood-Ruhm zehrend, in der Nähe der Farm der beiden Haywood-Geschwister einen Wilder-Westen-Goldrausch-Themenpark betreibt. Wie der Zusammenhang zwischen Menschen die in oder mit Hollywood Geld verdienen mit den Aliens ist. Undsoweiterundsofort.
Die Story selbst ist ein aufgeblasenes Nichts. In der ersten Hälfte wird angedeutet, dass die Aliens in einer sich nicht bewegenden Wolke am Himmel über der Pferdefarm sind. Ihren Angriffen scheint man, wie schon der Trailer andeutet, entkommen zu können, wenn man sie bei Angriffen nicht ansieht. In der zweiten Hälfte kämpfen dann die Farmbesitzer OJ und seine Schwester Emerald gegen die Aliens. Ihnen helfen der Computerfreak, Slacker und Angestellte der Elektronikkette Fry’s Electronics, Angel Torres (Brandon Perea), der ihre Videoüberwachungsanlage auf den neuesten Stand brachte (was ihnen bei den Angriffen nicht hilft), und der etwas durchgeknallte Dokumentarfilm-Kameramann Antlers Holst (Michael Wincott). Holst ist dabei, weil echte Aufnahmen von Aliens eine Sensation wären.
Das sieht in jedem Moment, auch das zeigt der Trailer, gut aus. Allerdings zieht sich die Story wie Kaugummi. Vieles wird angedeutet. Vieles wird angesprochen, aber fast nichts wird konsequent zu Ende geführt. Das weckt natürlich durchgehend Erwartungen auf eine große Auflösung am Ende. Diese Überraschung gibt es nicht. Und das ist dann auch eine Art von Überraschung. Wie ein Witz ohne Pointe.
So ist „Nope“ ein bildgewaltiger lahmer Schocker, der ein Manifest der Hybris des Regisseurs ist. Hoffentlich fällt Jordan Peeles nächster Film wieder überzeugender aus.
Nope(Nope, USA 2022)
Regie: Jordan Peele
Drehbuch: Jordan Peele
mit Keke Palmer, Daniel Kaluuya, Brandon Perea, Steven Yeun, Michael Wincott, Devon Graye, Keith David, Eddie Jemison, Osgood Perkins, Wrenn Schmidt
mit Daniel Kaluuya, Allison Williams, Catherine Keener, Bradley Whitford, Caleb Landry Jones, Marcus Henderson, Betty Gabriel, Lakeith Stanfield, Stephen Root, Lil Rel Howery,
Drehbuch: Gillian Flynn, Steve McQueen (basierend auf der gleichnamigen TV-Serie von Lynda La Plante)
Was ihre Männer könne, können Veronica, Linda und Alice auch. Vor allem weil sie tot sind und ihre Witwen Geldprobleme haben. Also ruft Veronica die anderen Witwen zusammen und sie beschließen, den nächsten Einbruch, den ihre Männer geplant hatten, durchzuführen. Mit weiblicher Finesse.
TV-Premiere. Schnörkellose, top besetzte Genre-Kost von Steve McQueen, der vorher „Hunger“, „Shame“ und „12 Years a Slave“ inszenierte. „Widows – Tödliche Witwen“ ist sein „Inside Man“.
mit Viola Davis, Michelle Rodriguez, Elizabeth Debicki, Cynthia Erivo, Colin Farrell, Daniel Kaluuya, Jackie Weaver, Robert Duvall, Liam Neeson, Brian Tyree Henry, Garrett Dillahunt, Carrie Coon, Jon Bernthal, Manuel Garcia-Rulfo, Lukas Haas
Nachdem bei einem Routineeinsatz mehrere Kollegen von FBI-Agentin Kate Macer durch eine Sprengfalle sterben, erhält sie das Angebot, in der Spezialeinheit von Matt Graver mitzuarbeiten. Graver und seine Männer sollen die mexikanischen Drogenkartelle bekämpfen. Mit allen Mitteln.
In jeder Hinsicht grandioser, vielschichtiger, zum Nachdenken anregender Thriller über den Drogenkrieg an der amerikanisch-mexikanischen Grenze.
mit Emily Blunt, Benicio Del Toro, Josh Brolin, Victor Garber, Jon Bernthal, Daniel Kaluuya, Jeffrey Donovan, Raoul Trujillo, Julio Cedillo, Hank Rogerson, Bernardo P. Saracino, Maximiliano Hernández
Es ist ihr erster gemeinsamer Abend: in einem Diner treffen sich Queen, eine junge Anwältin, und Slim, ein Supermarktkassierer. Sie unterhalten sich. Sie essen. Danach fährt Slim sie nach Hause. Auf dem Heimweg werden sie von einem Polizisten angehalten Die Situation eskaliert, weil sie Schwarz sind und weil in den USA in den Augen der Polizei Schwarze immer potentielle Schwerverbrecher sind. Auch wenn sie nichts getan haben. Deshalb protestieren Slim und Queen gegen das eindeutig der Situation nicht angemessene Verhalten des weißen Polizisten nur mild. Vor allem Queen kennt ihre Rechte und sie will die übergriffige Machtdemonstration des Polizisten nicht akzeptieren.
Am Ende der Kontrolle ist Queen angeschossen und Slim hat in Notwehr und im Affekt den Polizisten erschossen. Weil ihnen das niemand glauben würde, verlassen sie den Tatort.
Das ist der Beginn einer Flucht durch die USA. Sie beginnt im verschneiten Ohio und endet, sieben Tage später, im sonnigen Florida in den Keys. Damit folgt „Queen & Slim“ der vertrauten Dramaturgie eines Roadmovies in dem die Polizei ein Verbrecherpaar durch das Land verfolgt – und die Sympathien des Publikums eindeutig bei den mehr oder weniger unschuldig Verfolgten liegen.
„Queen & Slim“ ist auch einer der aufregendsten Filme der letzten Monate. Melina Matsoukas überspielt mit ihrer starken Inszenierung die vielen Schwächen des Films locker. So ist „Queen & Slim“ mit über zwei Stunden zu lang geraten. Ein Roadmovie folgt immer einer episodenhaften Dramaturgie. Ab einem bestimmten Zeitpunkt reiht sich dann eine Begegnung an die nächste Begegnung mit Momenten, die zu einem Running Gag werden. Die beiden Flüchtlinge sind gesetzestreue Bürger, aber sie kennen anscheinend nur Menschen, die auf der falschen Seite des Gesetzes stehen oder gute Kontakte zu hilfsbereiten Verbrechern haben oder keine Probleme damit haben, ein landesweit gesuchtes Polizistenmörderpaar aufzunehmen und vor der Polizei zu verstecken, weil sie in ihrem Haus unzählige Verstecke haben. Außerdem werden Queen und Slim von allen Menschen, denen sie auf ihrer Flucht begegnen, sofort erkannt und es wird ihnen in mals stiller, mal begeisterter Solidarität geholfen. Das führt dann zu der ironischen Volte, dass der Film Schwarze in einem positiven Licht zeigen und den Rassismus in der US-Gesellschaft anklagen will, aber, bis auf ein weißes Ehepaar, alle Menschen, die Queen und Slim helfen, Schwarze sind und dass eigentlich alle Schwarze Verbrecher oder gute Bekannte von selbstlos helfenden Verbrechern sind.
Auf dieser Reise durch die USA stellt sich keine Thrillerspannung ein. Im Gegensatz zu ähnlichen Filmen, wie „Sugarland Express“ und „Thelma & Louise“, wechselt die Filmgeschichte nicht zwischen den Flüchtlingen und der sie verfolgenden Polizei. In „Queen & Slim“ bleibt die Geschichte bei Queen und Slim.
Deren Verhalten ist psychologisch kaum nachvollziehbar. Als gesetzestreue Bürger werden sie zu schnell zu Verbrechern auf der Flucht. Weil der Konflikt zwischen Queen, Slim und dem sie drangsalierendem Polizisten von mindestens einer Videokamera aufgezeichnet wurde, hätten sie in einem Prozess durchaus Chancen auf eine milde Strafe oder sogar einen Freispruch gehabt. Stattdessen flüchten sie und verlängern die Liste ihrer Straftaten. Auf ihrer ziellosen Flucht vor der Polizei verhalten sie sich fast wie Teenager, die zum ersten Mal ihre Heimatstadt verlassen und die große, weite Welt erkunden. Dabei befreien sie sich gleichzeitig von den bisher ihr Leben bestimmenden bürgerlichen Zwängen.
Dieses Gefühl von Freiheit vermittelt Regisseurin Melina Matsoukas in ihrem kraftvollen Spielfilmdebüt ausgezeichnet. Bis jetzt inszenierte sie vor allem Musikvideos für Beyoncé, Rihanna, Jennifer Lopez und Lady Gaga. Und das sieht man. Jedes Bild ist auf maximale Wirkung hin komponiert. Die Farben sind satt. Die Kamera scheint sich in jede Hautpore der beiden sympathischen Hauptdarsteller Daniel Kaluuya und Jodie Turner-Smith und der anderen Schauspieler verliebt zu haben. Hier wird eindeutig nach der Methode „mehr ist besser“ und „zu viel des Schönen ist wundervoll“ vorgegangen.
Damit wirkt „Queen & Slim“ wie die Pulp-Version eines Barry-Jenkins-Film („Moonlight“, „Beale Street“). Matsoukas‘ Roadmovie ist ein wilder Trip durch die USA und eine Bestandsaufnahme der US-Gesellschaft, die dann auch an „Easy Rider“ erinnert.
Queen & Slim (Queen & Slim, USA 2019)
Regie: Melina Matsoukas
Drehbuch: Lena Waithe (nach einer Geschichte von James Frey und Lena Waithe)
mit Daniel Kaluuya, Jodie Turner-Smith, Bokeem Woodbine, Chloë Sevigny, Flea, Sturgill Simpson, Indya Moore, Benito Martinez, Gayle King
Steve McQueens neuer Film beginnt mit friedlichen Bildern von Männern, die sich von ihren Frauen verabschieden und zur Arbeit gehen. Ihre Arbeit ist allerdings etwas ungewöhnlich: sie sind Profi-Einbrecher und bei diesem Einbruch geht einiges schief. Sie müssen flüchten, werden von der Polizei quer durch die Stadt verfolgt und als die Polizei sie in einer Lagerhalle verhaften will, explodiert ihr Fluchtfahrzeug im Kugelhagel. Die Beute geht in Flammen auf. Die Diebe sterben.
Ihre Frauen sind die titelgebenden Witwen, die kurz darauf knietief in finanziellen Problemen stecken. Und dann fordert auch noch Jamal Manning (Brian Tyree Henry) sein Geld zurück. Denn Harry Rawlins (Liam Neeson, vor allem lebendig in Rückblenden) und seine Gang haben sein Wahlkampfgeld gestohlen. Harrys Frau Veronica Rawlins (Viola Davis) hat einen Monat, um das Geld zu beschaffen.
Weil sie das Tagebuch ihres Mannes hat, in dem er alle Informationen für seinen nächsten Einbruch akribisch notierte, besitzt sie den Plan für einen Einbruch. Jetzt braucht sie nur noch einige Informationen, wie den Standort des Gebäudes, in dem der mit einigen Millionen Dollar gefüllte Tresor steht, und einige Helferinnen. Sie denkt dabei an die anderen Frauen, die bei Harrys letztem Einbruch ebenfalls ihre Männer verloren haben. Linda (Michelle Rodriguez), deren Kleidergeschäft von ihrem Mann verzockt wurde, und Alice (Elisabeth Debicki), die von ihrem Mann als Vollzeit-Ehefrau an der kurzen Leine gehalten wurde, helfen ihr. Später stößt Belle (Cynthia Erivo), die als Friseuse und Kindermädchen für Lindas Kinder kaum über die Runden kommt, zu ihnen.
Die ursprüngliche Idee für „Widows“ ist schon ziemlich alt. Lynda La Plante hatte sie bereits in den frühen achtziger Jahren und setzte sie ziemlich zeitgleich als Roman und TV-Miniserie um. Die uns anscheinend nie gezeigte TV-Serie war 1983 ein Hit im britischen TV und 2002 die Vorlage für eine US-TV-Miniserie. La Plante erzählte die Geschichte der diebischen Frauen 1985 und 1995 in zwei weiteren TV-Miniserien weiter. „Widows“ war für sie der Beginn einer erfolgreichen Karriere. So war sie als Autorin und Produzentin für die TV-Serien „Heißer Verdacht“ (Prime Suspect) und „Der Preis des Verbrechens“ (Trial & Retribution) verantwortlich. Um nur die zwei langlebigen Serien zu nennen, die auch in Deutschland bekannter sind.
Steve McQueen sah 1983 als Jugendlicher die TV-Serie und er war von den Frauen, die ein Ding drehen, fasziniert. Das war damals brandneu. Zusammen mit „Gone Girl“-Autorin Gillian Flynn setzte er sich jetzt an eine zeitgemäße Adaption des Stoffes.
McQueen und Flynn verlegten die Geschichte nach Chicago, in die Gegenwart. Die Lokalpolitik und die sozioökonomischen Verwerfungen und Konflikte innerhalb der US-Gesellschaft sind ein wichtiger Teil der sehr dicht erzählten Geschichte, die immer wirkt, als habe man die sechsteilige TV-Serie auf kinotaugliche zwei Stunden eingedampft. Da bringt jede Szene die Geschichte erkennbar voran. Und weil McQueen zwischen mehreren Handlungssträngen jongliert, kann man sich ziemlich schnell ausmalen, wie alles miteinander zusammenhängt.
Im Mittelpunkt des Thrillers stehen die Planung und Durchführung des Coup. Aber McQueen wechselt souverän zwischen mehreren Handlungssträngen. Neben den vier Frauen, die einige Taschen voll Geld stehlen wollen, sind auch Jack Mulligan (Colin Farrell) und Jamal Manning involviert. Sie sind gerade mitten im Wahlkampf um den Posten des Stadtrats für den 18. Bezirk von Chicago. Mulligans Vater Tom (Robert Duvall) will das Wahlamt an seinen Sohn vererben. Der Afroamerikaner Manning ist ein bekannter Verbrecher, der als Stadtrat ehrbar werden und etwas für seine Gemeinde tun will.
Es sind, auch weil McQueen die einzelnen Handlungsstränge immer wieder aufspaltet, viele Episoden und Themen, die dank seiner sicheren Regie und dank des guten Drehbuchs nie zu einer chaotischen Abfolge unzusammenhängender Episoden werden. Es ist auch schön zu sehen, dass jeder Charakter, auch wenn er nur wenige Minuten Filmzeit hat, zu einer dreidimensionalen Figur entwickelt wurde.
„Widows – Tödliche Witwen“ ist ein mustergültiger, elegant erzählter Genrefilm, bei dem vor allem der Name des Regisseurs erstaunt. Denn Steve McQueens vorherige Filme „Hunger“, „Shame“ und „12 Years a Slave“ waren intensive Dramen, die sich auf einen Charakter, einen Mann, konzentrierten und dem nie von der Seite wichen. Sein neuester Film ist dagegen ein astreiner, konsequent den Regeln des Heist-Movies folgender Thriller mit mehreren Erzählsträngen und ganz gewöhnlich starken Frauen als Protagonisten.
Kurz gesagt ist „Widows“ für Steve McQueen das, was „Inside Man“ für Spike Lee war: ein aus dem sonstigen Werk herausstechender schnörkelloser und spannender Genrefilm.
Und mir fällt ein, dass ich immer noch nicht Wallace Strobys dritten Hardboiled-Krimi „Fast ein guter Plan“ (Pendragon) mit Profidiebin Crissa Stone gelesen habe.
Widows – Tödliche Witwen (Widows, USA 2018)
Regie: Steve McQueen
Drehbuch: Gillian Flynn, Steve McQueen (basierend auf der gleichnamigen TV-Serie von Lynda La Plante)
mit Viola Davis, Michelle Rodriguez, Elizabeth Debicki, Cynthia Erivo, Colin Farrell, Daniel Kaluuya, Jackie Weaver, Robert Duvall, Liam Neeson, Brian Tyree Henry, Garrett Dillahunt, Carrie Coon, Jon Bernthal, Manuel Garcia-Rulfo, Lukas Haas
Derzeit – und viel dürfte sich nicht änderen – hat „Black Panther“ bei Rotten Tomatoes einen fast hundertprozentigen Frischegrad. Damit ist der neueste Marvel-Film der, neben Pixars „Die Unglaublichen – The Incredibles“, am besten bewertete Superheldenfilm. Weil die kumulierte Bewertung bei Rotten Tomatoes immer einen leichten Hang zu den Extremen hat, empfiehlt sich ein Blick auf die ausgewogener bewertende Metacritic-Seite. Deshalb hat „Black Panther“ dort nur einen Metascore von aktuell 87 Prozent. Bei ausschließlich positiven Bewertungen. Und die Vorverkäufe sind astronomisch hoch. Damit ist „Black Panther“ für Marvel schon vor dem Kinostart ein weiterer Gewinner, der in den ersten Tagen sein Budget einspielen wird.
Die hohen Bewertungen verraten natürlich auch etwas über Erwartungshaltungen bei den Kritikern und das gesellschaftliche und politische Umfeld, in dem Filme präsentiert werden. Denn in „Black Panther“ steht erstmals, wenn wir Marvels „Blade“-Trilogie (mit Wesley Snipes) ignorieren, in einem Superheldenblockbusterfilm ein schwarzer Superheld im Zentrum der Geschichte. Weiße haben nur Statistenrollen haben und die Geschichte spielt fast vollständig im Herzen Afrikas.
Der titelgebende Superheld ist Prinz T’Challa. Er ist, nach dem Tod seines Vaters T’Chaka in „The First Avenger: Civil War“ (Captain America: Civil War, 2016) sein designierter Nachfolger und damit der titelgebende Black Panther. Aber so einfach ist das mit der Nachfolge im Königreich Wakanda nicht.
Wakana ist ein im Herzen Afrikas liegender Staat, der eine konsequent isolationistische Politik betreibt. Seit Ewigkeiten hält das Land sich aus allen Konflikten und dem Weltgeschehen heraus. Seine Bewohner führen ein einfaches, aber glückliches und friedliches Leben. Allerdings hat Wakanda durch das undurchdringliche Metall Vibranium (aus dem Material besteht auch das Schild von Captain America) seit Ewigkeiten den Zugriff auf unglaubliches technologisches Wissen. Die so entstandenen futuristischen Technologien und Geräte verbergen sie vor der Welt hinter der Tarnkappe eines malerischen Postkartenafrikalandes, das sogar auf jeglichen Tourismus verzichtet.
So fortschrittlich die in Wakanda benutzte Technologie ist, so archaisch ist die Gesellschaft aufgebaut. Es gibt Stämme. Es gibt eine dem Königshaus gegenüber absolut loyale Amazonen-Palastwache, die Dora Milaje, die gerne wie anno dunnemals mit Speeren kämpft. Es gibt eine durch Geburt geregelte Nachfolge, die nur in einem ehrlichen Kampf verändert werden kann. Als T’Challa gekrönt werden soll, wird er von Jabari-Anführer M’Baku herausgefordert. T’Challa gewinnt den Kampf und bringt, entgegen den Regeln, den Unterlegenen nicht um. Dafür – und das ist keine große Überraschung – hilft er ihm später.
Denn Erik Stevens, aka Killmonger, hat zusammen mit Ulysses Klaue in London aus einem Museum ein aus Vibranium bestehendes historisches Artefakt gestohlen. Über einige Umwege kommt Stevens nach Wakanda, um T’Challa die Krone streitig zu machen. Das kann er, weil er beweisen kann, dass er bzw. seine Vorfahren aus Wakanda sind.
Der nun zwischen T’Challa und Killmonger entbrennende Kampf geht dabei nicht nur um die Macht in Wakanda, sondern vor allem um die künftige politische Ausrichtung von Wakanda. Soll Wakanda weiterhin eine isolationistische Politik betreiben? Oder soll Wakanda eine interventionistische Politik betreiben und den unterdrückten schwarzen Brüdern und Schwestern in anderen Ländern (vor allem natürlich den USA) helfen? Die nötigen Mittel dazu hätten sie in Wakanda. Und wie sollen sie in anderen Ländern eingreifen? Killmonger bevorzugt dabei eindeutig die gewalttätige Methode.
Mit diesem Setting und Konflikt begibt „Black Panther“ sich tief in den Afrofuturismus und die Diskussion, wie Afroamerikaner in den USA für ihre Rechte kämpfen sollen. Und damit ist der Film in den Trump-USA unverkennbar ein hochpolitisches Statement.
Es ist allerdings auch ein Film mit einem wenig charismatischen Protagonisten. T’Challa ist der edle, vernünftige Langweiler, den jeder gern hat. Er ist ein weichgespülter Dr. Martin Luther King, ohne dessen Sendungsbewusstsein. Er ist, jedenfalls am Filmanfang, ein weitgehend selbstgenügsamer Anführer, der in Wakanda und der Welt wenig verändern möchte.
Die Filmgeschichte spielt vor allem in Wakanda und bedient damit all die schönen Afrika-Klischees, die wir aus den alten Tarzan-Filmen kennen und die auch in den „Black Panther“-Comics seit seinem ersten Auftritt 1966 verarbeitet wurden. Es ist die in Fantasy- (mehr) und Science-Fiction-Geschichten (weniger) nicht unübliche Mischung aus Zauberkräften und utopischen technischen Errungenschaften und einer Gesellschaft, die im Mittelalter stecken blieb. Dabei hätten die Macher in ihrem „Black Panther“-Film doch endlich mal eine Gesellschaft entwerfen können, die nicht blind hoffnungslos veraltete, überkommene und nicht zukunftsfähige Stammesrituale herunterbetet, die schon vor hundert Jahren vor allem der Fantasie des weißen Mannes entsprangen.
Die Action ist, verglichen mit der Action in der vor zwei Wochen gestarteten Dystopie „Maze Runner – Die Auserwählten in der Todeszone“, eher konfus als packend und oft einfach zu übertrieben. Auch weil vieles aus oder mit der Hilfe des Computers entstand und einige der Spezialeffekte so künstlich aussehen, dass sie wahrscheinlich bewusst so schlecht sind, um an ältere SF-Filme zu erinnern.
Mein Unbehagen an dem Film liegt sicher auch daran, dass mir Ryan Cooglers vorheriger Film „Creed“ so gut gefiel, dass Chadwick Boseman als Jackie Robinson in „42“ und als James Brown in „Get on up“, beides afroamerikanische Helden (Brown taugt ja nur bedingt zum Vorbild), so überzeugend war und dass der Trailer einen wirklichen afroamerikanischen Superhelden versprach, der den Weißen voller „Shaft“-Selbstbewusstsein so richtig in den Arsch tritt. Ich meine, was gibt es cooleres als einen Mann in Schwarz, der auf einem durch die Großstadt rasendem Auto auf dem Dach kniet und von schmissigen HipHop-Klängen begleitet wird?
Dagegen ist „Black Panther“ dann nur eine doch eher brave Origin-Geschichte einer schon durch seine Geburt auserwählte Person aus einem weit, weit entfernten Land. Ohne Sun Ra, aber mit James-Bond-Anspielungen und – und das ist das Neue – durchgehend erzählt aus afroamerikanischer Perspektive.
P. S.: Ohne Maske ist Andy Serkis kaum zu erkennen.
Black Panther (Black Panther, USA 2018)
Regie: Ryan Coogler
Drehbuch: Ryan Coogler, Joe Robert Cole
LV: Charakter von Stan Lee und Jack Kirby
Mit Chadwick Boseman, Michael B. Jordan, Lupita Nyong’o, Martin Freeman, Forest Whitaker, Angela Bassett, Andy Serkis, Daniel Kaluuya, Danai Gurira, Florence Kasumba, John Kani, Stan Lee
Viele Blumhouse-Filme sind Mist. Billig produzierte Found-Footage-Horrorfilme, die finanziell einträglich sind. Aber dann gibt es – und deshalb lohnt sich immer ein Blick auf eine Blumhouse-Produktion – diese Perlen, in denen das geringe Budget die Chance für Experimente ist. In diesem Fall auch für eine ätzende Gesellschaftskritik, die keine Rücksicht auf irgendwelche Befindlichkeiten und kommerziellen Erwägungen machen muss. Bei den „The Purge“-Filmen gelang das. Und jetzt bei „Get out“, dem Debütfilm von Jordan Peele. In den USA ist er vor allem als Komiker bekannt.
Chris Washington (Daniel Kaluuya), ein aufstrebender New Yorker Fotograf, fährt mit seiner neuen Freundin Rose Armitage (Allison Williams), einer Krankenschwester, für ein Wochenende zu ihren Eltern. Sie leben im Wald in einem einsam gelegenem, noblen Familiensitz im Norden des Staates New York.
Auf dem Weg zu ihren Eltern betont Rose, eine Weiße, die Liberalität ihrer Eltern. Er ist ein Schwarzer – und schon von der ersten Minute an zeichnet der Afroamerikaner Jordan Peele ein düsteres Bild der Vereinigten Staaten von Amerika als eine zutiefst gespaltene Gesellschaft zwischen mehr oder weniger offen unterdrückten Schwarzen und Weißen, die sich als Herrenmenschen sehen und auch so agieren. Andere Ethnien gibt es in „Get Out“ nicht; was natürlich zur bedrückenden Atmosphäre und der klaren Zeichnung des Konflikts beiträgt.
Auf dem abgelegenem Wohnsitz der Armitages wird Chris freundlich von Roses Eltern empfangen. Aber sie sind eine Spur zu freundlich. Ihre beiden Hausangestellten, natürlich Schwarze, verhalten sich auch seltsam. So als stünden sie immer etwas neben sich und als ob sie noch – mental – in der Zeit vor dem Bürgerkrieg lebten.
Und mehr soll nicht verraten werden. Außer dass Chris besser spätestens nach dem ersten Gespräch mit dem ach so liberalen, pensionierten Chirurgen Dean Armitage (Bradley Whitford) und seiner ebenso liberalen Frau Missy (Catherine Keener), einer Psychiaterin, abgereist wäre. Denn ihre Liberalität, Weltgewandtheit und Freundlichkeit ist keine gewöhnliche Bigotterie, sondern die Fassade für etwas viel schlimmeres.
Peele verpackt seine ätzende Analyse der gegenwärtigen USA und ihrer Rassenverhältnisse in einen packenden Horrorthriller voller überraschender Wendungen und zunächst verborgener Bedeutungsebenen und Interpretationsmöglichkeiten. Dabei bleibt er immer erkennbar nah an der Wirklichkeit und er behandelt sein Thema Rassismus äußerst facettenreich.
In den USA wird „Get out“ seit seiner Premiere auf dem Sundance Film Festival von der Kritik nahezu einhellig abgefeiert und an der Kinokasse ist er ebenfalls ein Hit.
Daher: Reingehen in „Get out“.
–
Und jetzt der Trailer, der – jedenfalls wenn man den Film kennt – viel von dem Film verrät. Daher: ansehen auf eigene Gefahr:
Get out (Get out, USA 2017)
Regie: Jordan Peele
Drehbuch: Jordan Peele
mit Daniel Kaluuya, Allison Williams, Catherine Keener, Bradley Whitford, Caleb Landry Jones, Marcus Henderson, Betty Gabriel, Lakeith Stanfield, Stephen Root, Lil Rel Howery
Das, wofür Don Winslow zuletzt in „Das Kartell“ über achthundert Seiten und eine sich über ein Jahrzehnt mäandernde Geschichte brauchte, erzählt Denis Villeneuve in seinem hochspannenden Action-Thriller „Sicario“ innerhalb von zwei Stunden anhand einer auf den ersten Blick eher kleinen Episode im mexikanisch-amerikanischen Drogenkrieg. Kate Macer (Emily Blunt), FBI-Expertin für Geiselbefreiungen, stößt bei einem Einsatz zufällig auf ein Kartellhaus. In den Wänden stapeln sich die Leichen. Eine Sprengfalle tötet mehrere ihrer Kollegen. Danach erhält sie das Angebot, in dem Team von Matt Graver (Josh Brolin) mitzuarbeiten. Graver versichert ihr, dass sie mit seiner Hilfe gegen die Hintermänner, die für den Tod ihrer Kollegen verantwortlich sind, vorgehen kann. Sie könne das Drogenübel an der Wurzel packen. Macer ist einverstanden – und sie betritt eine Welt, in der die normalen Regeln der Polizeiarbeit nicht mehr gelten. Ihren ersten Einblick in Gravers Welt erhält sie bei einer Gefangenenüberstellung von Juárez in die benachbarte USA. In dem Autokonvoi ist neben Graver und etlichen schwer bewaffneten Männern, die auf den ersten Blick mehr Erfahrung im Kampf in Kriegsgebieten als mit der regulären Polizeiarbeit haben, auch Alejandro (Benicio Del Toro), ein südamerikanischer Ex-Staatsanwalt mit dunkler Vergangenheit. Genau wie Graver sagt er ihr nur das Nötigste und es ist immer unklar, ob sie ihr die Wahrheit sagen, Wichtiges verschweigen oder sie einfach belügen. Schockiert beobachtet sie bei der Rückfahrt in die USA, wie einige Drogen-Killer, während sie im Stau vor der Grenze stehen, sie überfallen wollen. Aber Gravers Männer sind schneller. Skrupellos töten sie am helllichten Tag auf offener Straße alle, die sie bedrohen oder ihre Mission gefährden könnten. Danach verlassen sie, entgegen allen Regeln der Polizeiarbeit, die von Macer bislang akribisch befolgt wurden, den Tatort. Diese Überstellung des mexikanischen Gefangenen ist nur der erste Schritt auf Macers Weg in die Finsternis, in das Land der Wölfe, wie es mal halbpoetisch genannt wird. Denn Graver, der mal sagt, er arbeite für die CIA, und seine Männer kümmern sich, im Gegensatz zu Macer, herzlich wenig um Recht und Gesetz. Bei ihnen zählt nur die Effektivität bei ihrer Jagd nach einem Drogenboss. Denis Villeneuve, zuletzt „Enemy“, zeigt wieder einmal, dass er keine Lust hat, den gleichen Film zweimal zu drehen. Dieses Mal inszenierte er einen knallharten Thriller, der eine kleine Episode aus dem schon seit Jahrzehnten andauernden, erfolglosen Drogenkrieg erzählt. Die nur auf den ersten Blick geradlinige und einfache Geschichte wird schnell zu einem breiten Panorama des Krieges an der Grenze zwischen Mexiko und den USA, bei dem alle moralischen Gewissheiten verschwinden und der genau deshalb zum Nachdenken anregt. Das macht „Sicario“ zum Action-Polit-Thriller für den denkenden Menschen, der sich über die gelungene Verknüpfung von grandiosen, hochspannenden Action-Szenen, auch dank der Kamera von Veteran Roger Deakins und der effektiven Musik von Jóhann Jóhannsson, treffender politischer Analyse, genauem Einblick in eine für uns fremde Welt und dem Aufwerfen vielfältiger moralischer Fragen freut. Denn in dem Film hat jeder gute Gründe für seine Taten. Ob wir am Ende in Macers oder Alejandros Welt leben wollen, müssen wir selbst beantworten. All das sichert „Sicario“ einen Platz in meiner Jahresbestenliste; – wenn ich dazu komme, eine solche zu erstellen. „Sicario“ kann, auch weil Benicio Del Toro eine ähnliche Rolle spielt (jedenfalls können wir uns mit einigen kleineren gedanklichen Verrenkungen vorstellen, dass der „Traffic“-Polizist Javier Rodríguez heute Alejandro ist), als Fortsetzung von „Traffic – Macht des Kartells“ (USA 2000, Regie: Steven Soderbergh) gesehen werden. So wie Soderberghs Film vor fünfzehn Jahren eine Bestandsaufnahme des Scheiterns des US-amerikanischen „war on drugs“ war, ist „Sicario“ eine aktualisierte Bestandsaufnahme dieses inzwischen grandiosen Scheiterns, die zeigt, wie sehr sich, im Schatten des „wars on terror“, die Lage verschlimmerte und der Drogenkrieg jegliches Maß verlor. Als Ergänzung zu „Sicario“ empfehle ich die ab 6. Oktober als VoD erhältliche (ansehbare?) und in einigen Kinos laufende Doku „Cartel Land“ von Matthew Heineman. Er porträtiert den Ex-Soldaten Tim ‘Nailer’ Foley, Anführer einer Bürgerwehr gegen mexikanische Einwanderer und Drogenkuriere in Arizona, und Doktor José ‘El Doctor’ Mireles, Anführer der Autodefensas, einer Gruppe Bürger, die sich im mexikanischen Bundesstaat Michoacan gegen die Macht der dortigen Drogenkartelle wehren. Mit einem überraschendem Ergebnis.
Jetzt liegt die DVD und Blu-ray mit fünfzig Minuten informativem Bonusmaterial, das auf vier Featurettes aufgeteilt wurde, vor. Sie behandeln die realen Hintergründen des Films, die Filmgeschichte und die Dreharbeiten (auch dem Schusswechsel an der Grenze im Stau), die drei Hauptfiguren und die Filmmusik mit, neben den Schauspielern und dem Regisseur auch dem Drehbuchautor, dem Komponisten und Betroffenen des Drogenkrieges.
Die zum Filmstart geäußerten Pläne für eine Fortsetzung, die sich dann auf den von Benicio Del Toro gespielten Ex-Staatsanwalt und Killer Alejandro konzentriert, sind inzwischen wohl ad acta gelegt worden. Was ich für eine gute Idee halte. Denn der Thriller „Sicario“ mit seinen grandiosen Actionszenen lebt gerade von dem Konflikt zwischen den verschiedenen Charakteren und der damit verbundenen vielschichtigen Betrachtung des Problems. Da ist eine Fortsetzung, die eben diese Qualität hat, schwierig. Auch weil „Sicario“ eine in sich abgeschlossene Geschichte erzählt. Die gestellten Fragen, vor allem natürlich ob der Zweck die Mittel heiligt, beschäftigen einen noch nach dem Abspann und sie dürften für einige Diskussionen sorgen.
Sicario (Sicario, USA 2015)
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Taylor Sheridan
mit Emily Blunt, Benicio Del Toro, Josh Brolin, Victor Garber, Jon Bernthal, Daniel Kaluuya, Jeffrey Donovan, Raoul Trujillo, Julio Cedillo, Hank Rogerson, Bernardo P. Saracino, Maximiliano Hernández
– DVD
Studiocanal
Bild: 2,40:1 anamorph
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch (5.1 Dolby Digital)
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: In die Finsternis eintreten: Das visuelle Design; Blunt, Brolin, & Benicio: Die Darstellung der Charaktere; Kampfzone: Der Hintergrund von „Sicario“; Takte aus der Wüste: Die Filmmusik
Länge: 117 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
Das, wofür Don Winslow zuletzt in „Das Kartell“ über achthundert Seiten und eine sich über ein Jahrzehnt mäandernde Geschichte brauchte, erzählt Denis Villeneuve in seinem hochspannenden Action-Thriller „Sicario“ innerhalb von zwei Stunden anhand einer auf den ersten Blick eher kleinen Episode im mexikanisch-amerikanischen Drogenkrieg.
Kate Macer (Emily Blunt), FBI-Expertin für Geiselbefreiungen, stößt bei einem Einsatz zufällig auf ein Kartellhaus. In den Wänden stapeln sich die Leichen. Eine Sprengfalle tötet mehrere ihrer Kollegen.
Danach erhält sie das Angebot, in dem Team von Matt Graver (Josh Brolin) mitzuarbeiten. Graver versichert ihr, dass sie mit seiner Hilfe gegen die Hintermänner, die für den Tod ihrer Kollegen verantwortlich sind, vorgehen kann. Sie könne das Drogenübel an der Wurzel packen. Macer ist einverstanden – und sie betritt eine Welt, in der die normalen Regeln der Polizeiarbeit nicht mehr gelten.
Ihren ersten Einblick in Gravers Welt erhält sie bei einer Gefangenenüberstellung von Juárez in die benachbarte USA. In dem Autokonvoi ist neben Graver und etlichen schwer bewaffneten Männern, die auf den ersten Blick mehr Erfahrung im Kampf in Kriegsgebieten als mit der regulären Polizeiarbeit haben, auch Alejandro (Benicio Del Toro), ein südamerikanischer Ex-Staatsanwalt mit dunkler Vergangenheit. Genau wie Graver sagt er ihr nur das Nötigste und es ist immer unklar, ob sie ihr die Wahrheit sagen, Wichtiges verschweigen oder sie einfach belügen.
Schockiert beobachtet sie bei der Rückfahrt in die USA, wie einige Drogen-Killer, während sie im Stau vor der Grenze stehen, sie überfallen wollen. Aber Gravers Männer sind schneller. Skrupellos töten sie am helllichten Tag auf offener Straße alle, die sie bedrohen oder ihre Mission gefährden könnten. Danach verlassen sie, entgegen allen Regeln der Polizeiarbeit, die von Macer bislang akribisch befolgt wurden, den Tatort.
Diese Überstellung des mexikanischen Gefangenen ist nur der erste Schritt auf Macers Weg in die Finsternis, in das Land der Wölfe, wie es mal halbpoetisch genannt wird. Denn Graver, der mal sagt, er arbeite für die CIA, und seine Männer kümmern sich, im Gegensatz zu Macer, herzlich wenig um Recht und Gesetz. Bei ihnen zählt nur die Effektivität bei ihrer Jagd nach einem Drogenboss.
Denis Villeneuve, zuletzt „Enemy“, zeigt wieder einmal, dass er keine Lust hat, den gleichen Film zweimal zu drehen. Dieses Mal inszenierte er einen knallharten Thriller, der eine kleine Episode aus dem schon seit Jahrzehnten andauernden, erfolglosen Drogenkrieg erzählt. Die nur auf den ersten Blick geradlinige und einfache Geschichte wird schnell zu einem breiten Panorama des Krieges an der Grenze zwischen Mexiko und den USA, bei dem alle moralischen Gewissheiten verschwinden und der genau deshalb zum Nachdenken anregt.
Das macht „Sicario“ zum Action-Polit-Thriller für den denkenden Menschen, der sich über die gelungene Verknüpfung von grandiosen, hochspannenden Action-Szenen, auch dank der Kamera von Veteran Roger Deakins und der effektiven Musik von Jóhann Jóhannsson, treffender politischer Analyse, genauem Einblick in eine für uns fremde Welt und dem Aufwerfen vielfältiger moralischer Fragen freut. Denn in dem Film hat jeder gute Gründe für seine Taten. Ob wir am Ende in Macers oder Alejandros Welt leben wollen, müssen wir selbst beantworten. All das sichert „Sicario“ einen Platz in meiner Jahresbestenliste; – wenn ich dazu komme, eine solche zu erstellen.
„Sicario“ kann, auch weil Benicio Del Toro eine ähnliche Rolle spielt (jedenfalls können wir uns mit einigen kleineren gedanklichen Verrenkungen vorstellen, dass der „Traffic“-Polizist Javier Rodríguez heute Alejandro ist), als Fortsetzung von „Traffic – Macht des Kartells“ (USA 2000, Regie: Steven Soderbergh) gesehen werden. So wie Soderberghs Film vor fünfzehn Jahren eine Bestandsaufnahme des Scheiterns des US-amerikanischen „war on drugs“ war, ist „Sicario“ eine aktualisierte Bestandsaufnahme dieses inzwischen grandiosen Scheiterns, die zeigt, wie sehr sich, im Schatten des „wars on terror“, die Lage verschlimmerte und der Drogenkrieg jegliches Maß verlor.
Als Ergänzung zu „Sicario“ empfehle ich die ab 6. Oktober als VoD erhältliche (ansehbare?) und in einigen Kinos laufende Doku „Cartel Land“ von Matthew Heineman. Er porträtiert den Ex-Soldaten Tim ‚Nailer‘ Foley, Anführer einer Bürgerwehr gegen mexikanische Einwanderer und Drogenkuriere in Arizona, und Doktor José ‚El Doctor‘ Mireles, Anführer der Autodefensas, einer Gruppe Bürger, die sich im mexikanischen Bundesstaat Michoacan gegen die Macht der dortigen Drogenkartelle wehren. Mit einem überraschendem Ergebnis.
Wer mit „Kick-Ass“, der grandiosen und sehr respektlosen Liebeserklärung an die Superhelden, nichts anfangen konnte, sollte um „Kick-Ass 2“ einen großen Bogen machen. Denn der Film und der ihm zugrunde liegende Comic „Kick-Ass 2“ von Autor Mark Millar und Zeichner John S. Romita, Jr., ergänzt um etliche Szenen aus „Hit-Girl“ (die im Comic eine Elfjährige, im Film eine Fünfzehnjährige, ist) ist brutal, oft vulgär, zynisch, schwarzhumorig und nie wirklich jugendfrei. Deshalb ist „Kick-Ass 2“ auch „frei ab 18 Jahre“ und er hat sich diese Freigabe ehrlich verdient.
Nach dem Ende von „Kick-Ass“ ist Frank D’Amico (Mark Strong) tot. Kick-Ass (Aaron Taylor-Johnson), ein Möchtegern-Superheld mit dem Talent, sich verprügeln zu lassen, und Hit-Girl (Chloë Grace Moretz), ein Mädchen, das lässig ganze Legionen böser Jungs verprügelt und tötet, töteten den Mafia-Boss D’Amico und seine Männer. Dabei starb Hit-Girls Vater Big Daddy (Nicholas Cage in einem seiner besten Leinwandauftritte der vergangenen Jahre).
Hit-Girl Mindy McCready lebt jetzt bei Detective Marcus Williams (Morris Chestnut), der mit ihrem Vater befreundet war, und besucht die Schule. Eine für sie fremde Welt. Denn anstatt ihrer Bestimmung folgend, Verbrecher zu vermöbeln, muss sie jetzt Soap-Operas gucken und sich für Justin Bieber begeistern.
Aber die meiste Zeit schwänzt sie die Schule (Keine Panik. Sie hat den Schulcomputer gehackt und ist deshalb auf dem Papier immer anwesend.) und bildet Kick-Ass Dave Lizewski aus. Denn Daves Ambitionen sind größer als seine kämpferischen Fähigkeiten.
Als Marcus herausbekommt, dass Mindy nicht zur Schule geht, muss sie ihm versprechen, zur Schule zu gehen. Weil Big-Daddy sie erzogen hat, gegebene Versprechen zu halten, hält sie sich auch daran.
Dave, der schon immer davon träumte, zu einem Team von Superhelden zu gehören, schließt sich Colonel Stars and Stripes (Jim Carrey) an. Der zum Gläubigen konvertierte Gangster hat die Gruppe „Justice Forever“ gegründet. Gemeinsam gehen sie mit ziemlich drastischen Methoden gegen Gangster vor. Meistens patrouillieren sie allerdings, wie eine Bürgerwehr in kindischen Verkleidungen, durch die Straßen, geben Autogramme und helfen in der Suppenküche aus.
Währenddessen will Chris D’Amico (Christopher Mintz-Plasse), der Sohn von Frank D’Amico und der in „Kick-Ass“ Red Mist war, seinen Vater rächen. Nach dem Tod seiner Mutter entdeckt er eine Ledermontur in ihrem Nachlass, zieht sie an und nennt sich jetzt „The Motherfucker“. Weil seine verbrecherischen Fähigkeiten proportional zu seinen Ambitionen sind, kauft er sich eine Bande von Schlägern ein, die ihm bei seiner Mission helfen sollen. Seine beste Waffe ist „Mother Russia“, wie er eine muskelbepackte Ex-KGB-Agentin nennt und deren Spitznamen man nicht mit „Mütterchen Russland“ übersetzen sollte. Sie ist die böse Schwester, die Ivan Drago (Dolph Lundgren) vor dem Frühstück vermöbelt und dann – vielleicht – verspeist.
Der große Spaß an „Kick-Ass 2“, in dem er auch um das Erwachsen-Werden geht, ist, dass Mark Millar, John Romita, Jr. und Jeff Wadlow jedes Superhelden-Klischee nehmen und es vom Kopf auf die Füße stellen, einem Realitätscheck unterziehen, die Superheldenmythologie kräftig entstauben und dann doch wieder – irgendwie – bestätigen. Aber halt auf eine zynisch-schwarzhumorige, pathosfreie Art.
Zur Vorlage oder Die gezeichneten Abenteuer von Kick-Ass und Hit-Girl
Der Film folgt ziemlich genau, bis auf das Finale, der Comicvorlage „Kick-Ass 2“, ergänzt um große Teile aus „Hit-Girl“, wobei im Film Hit-Girl älter als in den Vorlagen ist, weil die Hauptdarstellerin älter wurde. Die Namen einiger Charaktere wurden geändert. So wurde aus Chris Genovese Chris D’Amico. Naja, eine alte Hollywood-Weisheit sagt: „You can always change the name.“
Und der gesamte Film spielt mit Insider-Gags, Zeichen und Insignien, die das Herz des Fans erfreuen, ohne die Geschichte zu stören oder allzu besserwisserisch rüberzukommen. So hängt Daves Vater in einer Szene ein Plakat auf, während er ihm etwas von Verantwortung und den Unterschieden zwischen Comics und dem echten Leben erzählt. Auf dem Plakat ist das Cover von Mark Millar/Leinil Yus „Superior“ abgebildet. In diesem Comic möchte der an MS erkrankte Simon gerne ein Superheld sein. Ormon erfüllt ihm diesen Wunsch. Aber nach einer Woche hätte er gerne seine Seele, sonst wird Superior wieder der kranke Junge. Millar erzählt seine Version von der Verführbarkeit des Einzelnen in seinem typischen Stil – und gleichzeitig liefert er eine Liebeserklärung an Superman, der Simon für Superior als Vorbild diente.
Mark Millar und Leinil Yu widmeten „Superior“ Christopher Reeve und Richard Donner.
Die Comics sind genauso lesenswert wie „Kick-Ass 2“ sehenswert ist. Jedenfalls wenn man auf diese Art von Humor steht.
Kick-Ass 2 (Kick-Ass 2, USA 2013
Regie: Jeff Wadlow
Drehbuch: Jeff Wadlow
LV: Mark Millar/John S. Romita Jr.: Kick-Ass 2, 2010/2012 (Kick-Ass 2)
mit Aaron Taylor-Johnson, Chloë Grace Moretz, Morris Chestnut, Christopher Mintz-Plasse, Jim Carrey, Yancy Butler, John Leguizamo, Clark Duke, Augustus Prew, Lyndsy Fonseca, Donald Faison, Lindy Booth, Robert Emms, Monica Dolan, Steven Mackintosh, Olga Kurkulina, Daniel Kaluuya, Tom Wu, Andy Nyman, Iain Glen
Länge: 103 Minuten
FSK: ab 18 Jahre
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Die direkte Vorlage für den Film und damit zusammenhängende Werke von Mark Millar
Mark Millar/John Romita, Jr.: Kick-Ass 2 (Band 1)
(übersetzt von Bernd Kronsbein)
Panini, 2012
108 Seiten
12,95 Euro
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Originalausgabe
Kick-Ass 2 – Issue 1 – 4
Icon Comics, Dezember 2010 – November 2011
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Mark Millar/John Romita, Jr.: Kick-Ass 2 (Band 2)
(übersetzt von Bernd Kronsbein)
Panini, 2012
100 Seiten
12,95 Euro
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Originalausgabe
Kick-Ass 2 – Issue 5 – 7
Icon Comics, Januar – Mai 2012
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Die beiden „Kick-Ass 2“-Einzelbände erschienen auch Sammelband.
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Mark Millar/John Romita, Jr.: Hit-Girl – Kick-Ass 2: Die Vorgeschichte