Neu im Kino/Filmkritik: „Ma Ma – Der Ursprung der Liebe“ an der Brust von Frau Cruz

Juni 30, 2016

Man kann „Ma Ma – Der Ursprung der Liebe“, den neuen Film von Julio Medem („Lucia und der Sex“), leicht als Kitsch und Starvehikel abtun. Immerhin ist Penélope Cruz in fast jeder Sekunde zu sehen und der gesamte Film dreht sich um sie und ihr heldenhaftes Leiden als krebskranke Mutter, die sich zuerst eine Brust wegoperieren lässt, nur um danach zu erfahren, dass der Krebs nicht besiegt ist und sie innerhalb weniger Monate sterben wird. Gleichzeitig findet sie in Arturo, dem Talentscout von Real Madrid, der gerade seine Frau und Tochter verloren hat, eine neue große Liebe, die auch von ihrem elfjährigem Sohn akzeptiert wird. Immerhin ist Dani ein echtes Fußballtalent und ein Platz in der Mannschaft Real Madrid wäre ein Gottesgeschenk.

Und dann wird Magda wieder schwanger!

Das hätte sich das gesamte Team des sonntäglichen ZDF-Kitschfilms nicht schlimmer ausdenken können als Ballung von tragischem Leid und unfassbarem Glück. Normalsterbliche greifen in dem Moment panisch nach der Fernbedienung.

Aber Julio Medem wagt ein ziemliches gewagtes Experiment, indem er möglichst viel von dem, was wir bei einem gefühligem Kitschfilm erwarten, weglässt. So wird Magda von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen und ihren Job als Lehrerin ist sie auch bald los. Aber die Trennung geschieht mit einer SMS und ihre baldige Entlassung ist schon länger Teil ihrer Lebensplanung. Ihre Familie, Verwandtschaft und Freunde, mit denen sie über die Krebsdiagnose sprechen könnte, tauchen nicht auf. Stattdessen zieht sie sich erst einmal zurück, lässt Dani in ein Ferienlager fahren und sieht sich alleine die spanische Mannschaft beim 2012er Europapokal an. Sie versinkt höchstens für zwei Sekunden in Trübsal. All die großen Szenen, in denen Schauspieler so richtig groß mit Tränen, Schreien, Schluchzern und wilden Armbewegungen aufspielen können, fehlen.

Das gleiche gilt für ihre Beziehung zu Arturo. Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen, auf der Tribüne eines Fußballstadions, geben sie sich Halt. Magda hat gerade die Krebsdiagnose erfahren. Er erfährt von dem Unfall seiner Familie. Auch danach entwickelt sich ihre Beziehung vor allem über den Verlust seiner Familie und ihrer Krankheit. Da ist, auch weil sie keine Zwanzig mehr sind, kein Platz für teenagerhaften Gefühlsüberschwang. Erst spät fällt Magda auf, dass sie noch keinen Sex hatten, obwohl sie schon länger sehr vertraut miteinander umgehen.

Medem entkernt nicht nur die kitschige Geschichte, sondern er konzentriert sich auch auf wenige Charaktere. Am Ende sind es nur Magda, ihr Sohn, ihr neuer Freund und, in einer Nebenrolle, ihr singender Gynäkologe, der auch nach Feierabend für sie Zeit hat. Keiner von ihnen übernimmt dabei die traditionelle Rolle des Bösewichts.

Medem lässt auch die Geschlechterverhältnisse ähnlich frei wie Pedro Alomodóvar tanzen. Freie Liebe, homosexuelle Liebe, echte und falsche Väter und alternative Lebensentwürfe abseits der normalen Ehe werden schulterzuckend akzeptiert. Sie sind in diesem katholischen Spanien kein Grund, sich aufzuregen. Das ist, wenn man an irgendeine x-beliebige RomCom denkt, in dem die Protagonistin nur ihren Traummann und eine traditionelle Familie haben will, erfrischend.

Auch Magda denkt überhaupt nicht daran, ihr Lebensglück nur in einer traditionellen Familie zu suchen. Immerhin ist sie eine Mutter und Mama ist das spanische Wort für, wenig überraschend, Mutter, aber auch die weibliche Brust oder, etwas poetischer der Ursprung der Liebe bzw. der Welt. Liebe schenkt sie dann auch während des Films.

Natürlich ist „Ma Ma“ ein Starvehikel und eine Liebesgeschichte, die angenehm ambivalent auf fast alle Elemente verzichtet, die zu einem Kitschfilm dazugehören. Dieses Spielen einer Melodie, während man möglichst viele Töne von ihr weglässt, ist als intellektuelles Vergnügen interessant. Für das Auge gibt es in jeder Szene Penélope Cruz. Was will man mehr von einem Film?

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Ma Ma – Der Ursprung der Liebe (Ma Ma, Spanien 2015)

Regie: Julio Medem

Drehbuch: Julio Medem

mit Penélope Cruz, Luis Tosar, Asier Etxeandia, Teo Planell, Àlex Brendermühl, Silvia Abascal

Länge: 123 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Ma Ma“

Metacritic über „Ma Ma“

Rotten Tomatoes über „Ma Ma“

Wikipedia über „Ma Ma“ (englisch, spanisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „High-Rise“ – eine Wohnung in der Paradies/Hölle

Juni 30, 2016

Wer sich „High-Rise“ ansieht, ohne irgendetwas über den Film zu wissen, wird glauben, das es sich um einen Film aus den Siebzigern handelt, der bislang von Filmenthusiasten schmählich ignoriert wurde. Denn Ben Wheatley hat seine J.-G.-Ballard-Verfilmung nicht nur, wie den Roman, 1975 angesiedelt, sondern auch die gesamte Optik, die Erzählweise und die Sozialkritik auf diese Zeit fokussiert.

Der Junggeselle Dr. Robert Laing (Tom Hiddleston) zieht in ein neues Apartmenthaus ein, in dem es für die Bewohner alles gibt, was sie zum Leben brauchen (Lebensmittelladen) und brauchen könnten (Schwimmbad). Es ist ein mitten im Nirgendwo liegender brutalistischer Betonklotz, den die anzugtragenden Bewohner im Gleichschritt verlassen und betreten. Zurückgezogen auf dem Dach des riesigen, autonomen Gebäudes lebt Royal (Jeremy Irons), der Architekt. Laing lernt einige Bewohner des Komplexes kennen und er wird von Royal in seinen Bekanntenkreis, die vermögenden Bewohner, eingeführt. Währenddessen verfällt die dekadente Hausgesellschaft, garniert mit Sex und Orgien jeglicher Couleur, immer mehr.

High-Rise“ ist ein Sittengemälde einer dekadenten Gesellschaft, die sich selbst feiert. Niemand will die zunehmend aus dem Ruder laufende Party verlassen; auch wenn jeder der Bewohner jederzeit den Komplex verlassen könnte. Aber sie bleiben über Tage und Wochen, immer weiter degenerierend, in einem zunehmend funktionsunfähigem Haus, ohne dass es dafür im Film eine plausible Erklärung gibt. In David Cronenbergs 1975 entstandenem Horrorfilm „Shivers“ (Parasiten-Mörder; Shivers – Der Parasitenmörder), der ebenfalls in einem neuen, hochmodernem und autonomen Wohnkomplex spielt, gibt es eine Erklärung. Der Film spielt innerhalb einer Nacht und das Grauen verbreitet sich rapide. Auch andere grandiose Satiren aus den Siebzigern, wie „Das große Fressen“, „Die 120 Tage von Sodom“, „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ und „Das Gespenst der Freiheit“, fallen ein. „Zardoz“, obwohl er als Science-Fiction-Film nicht ganz in diese Reihe passt, kann auch als lose Inspiration genannt werden. Immerhin ist Ben Wheatley ein Fan des Films und der im Film geschilderte Klassenkampf passt dann doch wieder zu dem gesellschaftskritischen Anliegen der vorher genannten Filme. Diese Filme beschreiben auch das Problem von „High-Rise“. Die alten Filme waren, trotz aller Übertreibungen, Fiktionalisierungen und Surrealismen, immer Porträts der Gegenwart. Ihr wurde ein Zerrspiegel vorgehalten. Sie waren Abrechnungen mit der Bourgeoisie, Standesdünkel und der Klassengesellschaft. Sie hatten einen konkreten Gegner. In „High-Rise“ ist dieser Gegner das Großbritannien von 1975, das es Heute nicht mehr gibt. Damit richtet sich Wheatleys Kritik, gerade weil er in jeder Beziehung auf Aktualisierungen verzichtet, an die Vergangenheit, obwohl die im Film angesprochenen Probleme heute nicht nur aktuell, sondern aktueller als damals sind. Genau dieser Punkt macht aus „High-Rise“ eine hoffnungslos veraltet wirkende Stilübung, die die damaligen Filme perfekt imitiert.

Deshalb ist „High-Rise“ eine durchaus in jedem Punkt gelungene, sehr stylische, aber seltsam überholt wirkende Satire auf den Kapitalismus und die Wohlstandsgesellschaft mit einer aus heutiger Sicht schnell erkennbaren und eher platten Botschaft, die 1975 vielleicht noch revolutionär war.

Da war David Cronenberg 1996 mit seiner J.-G.-Ballard-Verfilmung „Crash“ schon weiter.

High Rise - Plakat

High-Rise (High-Rise, Großbritannien 2015)

Regie: Ben Wheatley

Drehbuch: Amy Jump

LV: J. G. Ballard: High-Rise, 1975 (Der Block, Hochhaus, High-Rise)

mit Tom Hiddleston, Jeremy Irons, Sienna Miller, Luke Evans, Elisabeth Moss, James Purefoy, Keeley Hawes, Peter Ferdinando, Sienna Guillory

Länge: 119 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „High-Rise“

Metacritic über „High-Rise“

Rotten Tomatoes über „High-Rise“

Wikipedia über „High-Rise“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ben Wheatleys „Sightseers“ (Sightseers, Großbritannien 2012)

Pünktlich zum Filmstart erscheint „High-Rise“ in einer neuen deutschen Ausgabe

Ballard - High-Rise

J.G. Ballard: High-Rise

(aus dem Englischen von Michael Koseler)

Diaphanes, 2016

256 Seiten

17,95 Euro


TV-Tipp für den 30. Juni: Paycheck – Die Abrechnung

Juni 29, 2016

Pro 7, 20.15

Paycheck – Die Abrechnung (USA 2003, Regie: John Woo)

Drehbuch: Dean Georgaris

LV: Philip K. Dick: Paycheck, 1953 (Kurzgeschichte)

In naher Zukunft: Nachdem er drei Jahre bei einem Geheimprojekt arbeitete und sein Erinnerung daran gelöscht wurde, freut sich Michael Jennings auf ein mehr als fürstliches Honorar. Aber er erhält nur einige wertlose Gegenstände. Er habe das so gewollt. Jennings versucht, während er von Scharen Bösewichter gejagt wird, hinter das Geheimnis seiner Entlohnung zu kommen.

Nicht gerade Woos bester Film, aber immerhin Action, bei der man das Gehirn nicht vollkommen ausschalten muss. Und die Action war noch handgemacht.

Dicks Kurzgeschichte ist natürlich besser. Also, die Pointe ist gemeiner.

mit Ben Affleck, Uma Thurman, Aaron Eckhart, Paul Giamatti, Colm Feore, Joe Morton, Michael C. Hall, Kathryn Morris

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Paycheck“

Wikipedia über „Paycheck“ (deutsch, englisch)

Arte über Philip K. Dick

Homepage von Philip K. Dick

Meine Besprechung von Len Wisemans Philip-K.-Dick-Verfilmung „Total Recall“ (Total Recall, USA 2012)

Mein Hinweis auf die Neuauflage der Philip-K.-Dick-Romane “Marsianischer Zeitsturz”, “Ubik” und “Der dunkle Schirm”

Philip K. Dick in der Kriminalakte


Lee Child, Jack Reacher und Tom Cruise

Juni 29, 2016

Die Gejagten von Lee Child

Langsam läuft die Werbemaschine für den neuen Tom-Cruise-Film an. Vier Jahre nach „Jack Reacher“ spielt er wieder, nun, Jack Reacher, den durch die USA reisenden Ex-Soldaten, der keine Kreditkarte besitzt und keine Steuererklärung ausfüllt und immer wieder in abenteuerliche Geschichten hineingerät. Sein Erfinder Lee Child hat inzwischen über zwanzig Jack-Reacher-Romane und etliche kürzere Jack-Reacher-Geschichten geschrieben.

Jetzt hat sein deutscher Verlag Blanvalet mit „Die Gejagten“ den fast neuesten Reacher-Roman „Never go back“ veröffentlicht:

Jack Reacher betritt den Stützpunkt seiner ehemaligen Einheit bei der Militärpolizei, und ahnt nicht, was ihm bevorsteht. Er ist nach Virginia gereist, um seine Nachfolgerin Major Susan Turner kennenzulernen. Doch wenig später wird klar, was für ein großer Fehler es war, einen Militärstützpunkt zu betreten. Denn wie jeder ehemalige Soldat der USA ist Reacher Reservist. Prompt erhält er seinen Einberufungsbefehl und wird außerdem des Mordes angeklagt und verhaftet. Reacher gelingt die Flucht aus dem Gefängnis, doch seine wichtigste Frage bleibt zunächst ungeklärt: Wer versucht ihn auf diese Weise kaltzustellen?“ (Verlagsankündigung)

Edward Zwick verfilmte, nach einem Drehbuch von Richard Wenk, Marshall Herskovitz und Edward Zwick, diesen Thriller mit Tom Cruise als „Jack Reacher: Kein Weg zurück“. Der erste Trailer konzentriert sich allerdings nur auf die Action:

Der Thriller startet bei uns am 10. November und ich freue mich darauf.

Denn Lee Child hat eine kleine Rolle übernommen. Andy Martin hat die denkwürdigen Dreharbeiten beobachtet.

Ach ja: „Die Gejagten“ ist der achtzehnte Reacher-Roman. Der sechzehnte Reacher-Roman „Der letzte Befehl“ (The Affair, 2011), der in Reachers Vergangenheit spielt, erscheint nächstes Jahr, weil der Blanvalet-Verlag den übergeordneten Handlungsstrang, der sich über die letzten Bände hinzog, nicht unterbrechen wollte.

Lee Child: Die Gejagten – Ein Jack-Reacher-Roman

(übersetzt von Wulf Berger)

Blanvalet, 2016

448 Seiten

19,99 Euro

Originalausgabe

Never go back

Bantam Press, 2013

Hinweise

Facebook-Seite zu den Jack-Reacher-Filmen

Blanvalet über Lee Child

Homepage von Lee Child

Wikipedia über Lee Child (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Lee Childs „Tödliche Absicht“ (Without fail, 2002)

Meine Besprechung von Lee Childs „Die Abschussliste“ (The Enemy, 2004)

Meine Besprechung von Lee Childs „Sniper“ (One Shot, 2005)

Meine Besprechung von Lee Childs “Outlaw” (Nothing to Loose, 2008)

Meine Besprechung von Lee Childs (Herausgeber) „Killer Year – Stories to die for…from the hottest new crime writers“ (2008)

Meine Besprechung von Christopher McQuarries „Jack Reacher“ (Jack Reacher, USA 2012)

Kriminalakte über Lee Child und „Jack Reacher“


TV-Tipp für den 29. Juni: Frantic

Juni 28, 2016

BR, 23.30

Frantic (USA/Frankreich 1988, Regie: Roman Polanski)

Drehbuch: Roman Polanski, Gérard Brach

Richard Walker will mit seiner Frau einige romantische Tage in Paris verbringen. Aber dann verschwindet sie plötzlich, die Polizisten kümmern sich nicht um die angebliche Entführung und Walker gerät auf der Suche nach seiner Frau in Teufels Küche.

Polanski auf den Spuren von Alfred Hitchcock. Unterhaltsam, wenn auch etwas blutleer.

„‘Frantic’ ist Modell und Archetyp des Thrillers. Jede Handlungssequenz ist dem Kinogänger wohlvertraut. Auf dieser Ebene bietet der Film absolut keine Überraschungen, läuft fast zu reibungslos, um wirkliches Interesse zu erregen. (…) Was ‘Frantic’ interessant macht, ist der ausschließlich subjektive Blickwinkel, der die Erzählstruktur beherrscht: derjenige Walkers nämlich, des Fremden in feindseliger Umgebung.“ (Fischer Film Almanach 1989)

mit Harrison Ford, Emmanuelle Seigner, Betty Buckley, Alexandra Stewart

HInweise

Rotten Tomatoes über „Frantic“

Wikipedia über “Frantic” (deutsch, englisch)

Die Zeit: Michael Althen über “Frantic” (26. August 1988)

Meine Besprechung von Roman Polanskis “The Ghostwriter” (The Ghost Writer, Frankreich/Deutschland/Großbritannien 2010)

Meine Besprechung von Roman Polanskis “Venus im Pelz” (La Vénus á la Forrure, Frankreich/Polen 2013)


Cover der Woche

Juni 28, 2016

Rendell - Die Brautjungfer


TV-Tipp für den 28. Juni: In weiter Ferne, so nah!

Juni 27, 2016

ZDFkultur, 20.15/23.55

In weiter Ferne, so nah! (Deutschland 1993, Regie: Wim Wenders)

Drehbuch: Wim Wenders, Richard Reitinger, Ulrich Zieger

Engel Cassiel will wissen, wie das Leben als Sterblicher so ist. Als er ein Mädchen rettet, erfüllt sich sein Wunsch.

Die natürlich in Berlin gedrehte Fortsetzung von „Der Himmel über Berlin“. „Entstanden ist ein filmisches Wolkengebilde, das aus weiter Ferne fasziniert und sich in Nichts auflöst, wenn man zu nah rangeht.“ (Fischer Film Almanach 1994)

Mit Otto Sander, Peter Falk, Bruno Ganz, Solveig Dommartin, Horst Buchholz, Nastassja Kinski, Heinz Rühmann, Rüdiger Vogler, Lou Reed, Willem Dafoe, Michael Gorbatschow, Hanns Zischler, Yella Rottländer (die Alice aus „Alice in den Städten“), Udo Samel

Hinweise

Rotten Tomatoes über „In weiter Ferne, so nah!“

Wikipedia über „In weiter Ferne, so nah!“ (deutsch, englisch)

Homepage von Wim Wenders

Meine Besprechung von Wim Wenders’ “Hammett” (Hammett, USA 1982)

Meine Besprechung von Wim Wenders/Juliano Ribeiro Salgados “Das Salz der Erde” (The Salt of the Earth, Frankreich/Deutschland 2013)

Meine Besprechung von Wim Wenders‘ „Every thing will be fine“ (Deutschland/Kanada/Norwegen/Schweden 2015)

Wim Wenders in der Kriminalakte


Agenten nach dem Ende des Spionageromans: Über Olen Steinhauers „Der Anruf“

Juni 27, 2016

Der Anruf von Olen Steinhauer

Für den Spionageroman war der Kalte Krieg das Goldene Zeitalter. Danach hat man sogar kurz überlegt Geheimdienste abzuschaffen. Das wurde nicht getan. Schließlich gab und gibt es ja noch genug andere Feinde, die ausspioniert werden müssen und der Spionageroman erzählt darüber Geschichten, die spannender als die Realität sind. Spätestens seit 9/11 gibt es einen neuen, für Thriller äußerst dankbaren Gegner und Russland, das alte Reich des Bösen, ist seit einigen Jahren als Gegner ja ebenfalls wieder gut im Rennen.

Beide spielen in „Der Anruf“, dem neuen Roman von Olen Steinhauer, eine Rolle.

2012 trifft sich CIA-Agent Henry Pelham in Carmel-by-the-Sea mit seiner früheren Kollegin und Geliebten Celia Favreau, die inzwischen eine glücklich verheiratete Mutter ist. Pelham will sich mit ihr über eine Flugzeugentführung unterhalten, die 2006 in Wien katastrophal endete. Die Maschine war von der islamistischen Terrorgruppe Aslim Taslam entführt worden. 120 Menschen befanden sich an Bord.

Vor seinem Einsatz in Wien war Pelham in Moskau stationiert und er war über die Beendigung der Geiselnahme im Dubrowka-Theater, bei der die fünfzig Geiselnehmer, militante tschetschenische Islamisten, und die 129 Geisel vergiftet wurden, verärgert. Damals musste er auf Befehl von Washington seinen Informanten Ilyas Shishani an den russischen Geheimdienst verraten.

Shishani, der danach zum Terroristen wurde und spurlos verschwand, soll auch in die Flugzeugentführung involviert sein.

In Wien, und das ist der Grund des jetzigen Gesprächs zwischen Pelham und Favreau, gab es im CIA-Personal auch einen Verräter, der die Geiselnehmer über Ahmed Najjar informierte. Der CIA-Informanten war zufällig im Flugzeug und informierte die CIA über die aktuelle Lage in ihm.

Pelham will jetzt mit Favreau über die damaligen Ereignisse reden – und, auch wenn Olen Steinhauer die ersten Seiten aus Pelhams Perspektive erzählt, gibt es im Rahmen der Thrillerkonventionen nur zwei mögliche Täter: Pelham, was ihn zu einem der derzeit beliebten unzuverlässigen Erzähler machen würde, und Favreau.

Diese Beschränkung, auch wenn Steinhauer später Teile aus Favreaus Sicht erzählt, auf zwei Personen und, im Prinzip, einem Handlungsort, raubt dem Agenten-Thriller einiges von seiner potentiellen Spannung. Da helfen dann auch nicht die unterschiedlich in die Handlung eingeflochtenen Rückblenden auf die Ereignisse in Wien 2006.

Steinhauer lässt Pelham und Favreau in der Gegenwart und der Vergangenheit im von mir ungeliebten Präsens reden und beide Ich-Erzähler klingen gleich.

So lässt mich Olen Steinhauers neuer Roman „Der Anruf“ trotz spannender Prämisse, interessanter Konstruktion und einer durchaus gelungenen Schlusspointe ziemlich unbegeistert zurück.

Olen Steinhauer: Der Anruf

(übersetzt von Friedrich Mader)

Blessing, 2016

272 Seiten

19,99 Euro

Originalausgabe

All the old knives

Minotaur Books, New York, 2015

Hinweise

Homepage von Olen Steinhauer

Blessing über Olen Steinhauer

Krimi-Couch über Olen Steinhauer

Perlentaucher über Olen Steinhauer

Wikipedia über Olen Steinhauer (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 27. Juni: Saboteure

Juni 27, 2016

Arte, 20.15

Saboteure (USA 1942, Regie: Alfred Hitchcock)

Drehbuch: Peter Viertel, Joan Harrison, Dorothy Parker (nach einer Story von Alfred HItchcock)

Mechaniker Barry wird von der Polizei verdächtigt, einen Anschlag auf eine Flugzeugfabrik verübt zu haben.

Eher unbekanntes und daher grundlos unterschätztes Werk des Meisters, mit einem grandiosen Finale auf der Freiheitsstatue. In „Der unsichtbare Dritte“ ließ Hitchcock seine Hauptdarsteller auf einem anderen Nationalheiligtum herumkraxeln.

mit Robert Cummings, Priscilla Lane, Otto Krüger, Alan Baxter, Alma Kruger

Wiederholung: Dienstag, 28. Juni, 14.05 Uhr

Hinweise

Wikipedia über Alfred Hitchcock (deutsch, englisch)

Senses of Cinema (Ken Mogg) über Alfred Hitchcock

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 2“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 2

Meine Besprechung von Alfred Hitchcocks “Mr. und Mrs. Smith” (Mr. and Mrs. Smith, USA 1941)

Meine Besprechung von Thilo Wydras “Alfred Hitchcock”

Alfred Hitchcock in der Kriminalakte

Meine Besprechung von Robert Blochs “Psycho” (Psycho, 1959)

Meine Besprechung von Robert V. Galluzzos “Psycho Legacy” (The Psycho Legacy, USA 2010 – eine sehenswerte Doku über die “Psycho”-Filme mit Anthony Perkins, mit vielen Stunden informativem Bonusmaterial)

Meine Besprechung von Stephen Rebellos “Hitchcock und die Geschichte von ‘Psycho’” (Alfred Hitchcock and the Making of ‘Psycho’, 1990)

Meine Besprechung von Sacha Gervasis auf Stephen Rebellos Buch basierendem Biopic “Hitchcock” (Hitchcock, USA 2012)


TV-Tipp für den 26. Juni: Du kannst anfangen zu beten

Juni 26, 2016

3sat, 23.55
Du kannst anfangen zu beten (Frankreich/Italien 1968, Regie: Jean Herman)
Drehbuch: Sébastien Japrisot, Jean Herman
LV/Buch zum Film: Sébastien Japrisot: Adieu l’Ami, 1968 (Weekend im Tresor)
Dino Barran (Alain Delon) und Franz Propp (Charles Bronson), zwei Veteranen des Algerienkrieges, die nichts voneinander wissen wollen, rauben notgedrungen an einem langen Wochenende in einem Bürohaus einen Safe aus.
Ein bei uns, trotz der Besetzung, fast unbekannter Klassiker des Caper-Films, in dem Blicke mehr als Worte sagen. Sowieso wird hier nicht besonders viel geredet, was bei den begnadeten Schweigern Alain Delon und Charles Bronson okay ist.
mit Alain Delon, Charles Bronson, Olga Georges-Picot, Bernard Fresson, Brigitte Fossey
auch bekannt als „Bei Bullen singen Freunde nicht“

Hinweise

Wikipedia über „Du kannst anfangen zu beten“ (deutsch, englisch) und  Sébastien Japrisot (deutsch, englisch, französisch)

Krimi-Couch über Sébastien Japrisot

Sébastien Japrisot in der Kriminalakte


TV-Tipp für den 25. Juni: Der Kuss vor dem Tode

Juni 25, 2016

ZDFneo, 23.35

Der Kuss vor dem Tode (USA 1991, Regie: James Dearden)

Drehbuch: James Dearden

LV: Ira Levin: A kiss before dying, 1953 (Kuss vor dem Tode)

Student Jonathan hat wenig Geld, aber den unbedingten Willen zu Macht und Reichtum. Dafür geht er über Leichen. Nur die schöne Zwillingsschwester Ellen ahnt etwas.

Nettes Remake.

Mit Matt Dillon, Sean Young, Max von Sydow, James Russo

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Der Kuss vor dem Tode“

Wikipedia über „Der Kuss vor dem Tode“ (deutsch, englisch)

Kriminalakte: Nachruf auf Ira Levin


Neu im Kino/Filmkritik: Felix van Groeningen begrüßt uns im „Café Belgica“

Juni 24, 2016

Felix van Groeningens vorheriger Film „The Broken Circle“ wurde mit Preisen überhäuft; vom Berlinale Publikumspreis (Lokalpatriotismus) über den César als bester ausländischer Film und Nominierungen für den Europäischen Filmpreis bis zur Oscar-Nominierung als bester ausländischer Film. Und im Kino lief er auch ganz gut.

Sein neuester Film „Café Belgica“ ist keine stupide Wiederholung des Erfolgs von „The Broken Circle“, aber auch nicht der komplette Gegenentwurf. Im Zentrum des Films steht das titelgebende „Café Belgica“, eine versifft-gemütliche Kneipe mit viel Musik, auch live, netten Bedienungen und einem netten Publikum, wie es sich für eine ultimative links-alternative Studentenkneipe gehört. Betrieben wird sie von dem Mittzwanziger Jo (Stef Aerts), der nur auf einem Auge sehen kann, etwas schüchtern und vernünftig ist.

Eines Tages taucht sein älterer Bruder Frank (Tom Vermeir, das Leinwanddebüt des Sängers und Gitarristen der Indie-Band „A Brand“) auf. Sie haben sich seit Ewigkeiten nicht gesehen hat. Frank ist verheiratet, Vater, notorisch begeistert und unvernünftig. Er hat gleich große Pläne für das Café Belgica. Jo lässt sich mitreisen und gemeinsam wollen sie aus der kleinen Kneipe, in der jeder willkommen ist, etwas größeres machen.

Das gelingt ihnen, aber der introvertierte Jo und der extrovertierte Frank, die das Kneipenabenteuer als gleichberechtigte Partner beginnen, sind nicht Yin und Yang. Sie ergänzen sich nicht, weil Frank auch ein notorischer Chaot ist, der große Pläne hat, begeistern kann, aber auch die Verantwortung scheut, die er als Geschäftsführer und bald zweimaliger Vater hat. Vor diesen Vaterpflichten und dem bürgerlichen Leben flüchtet er in das Café Belgica und das Nachtleben.

Gleichzeitig wird das Café immer größer und die Brüder bekommen die Probleme, die zum Nachtleben dazu gehören, bis die Ursprungsidee (die man mühelos als Metapher für die gesamte Gesellschaft sehen kann), einen Ort zu schaffen, an dem jeder willkommen ist, zunehmend in den Hintergrund gerät. Jedenfalls für Frank.

Das Café Belgica hat mit dem Café Charlatan ein reales Vorbild. Der Vater des Regisseurs Felix van Groeningen betrieb das im historischen Zentrum der Studentenstadt Gent liegende Café von 1989 bis 2000. Van Groeningen jobbte in ihm und viele Geschichten, die sich in und um das Café zutrugen, flossen in das Drehbuch für „Café Belgica“ ein. Die Filmmusik ist von Soulwax, die auch gleich noch einige Bands erfanden, die im Film auftreten. Und der Film fängt diese Atmosphäre der Geborgenheit in einer Musikkneipe, der durchgemachten Nächte und der erlebten Sonnenaufgänge gut ein.

Im Mittelpunkt stehen allerdings nicht die Gäste des Café Belgica, sondern die beiden Betreiber, ihr Privatleben, ihre problematische Beziehung und ihr gemeinsames Projekt, das von Anfang an den Keim des Scheiterns in sich trägt. Das regt, im Gegensatz zu „The Broken Circle“, in dem es um ein Bluegrass singendes Paar und ihren Krebstod ging, nicht zum Zücken der Taschentücher ein.

Café Belgica“ ist nämlich Rock’n’Roll mit einem illusionslosem Blick auf die Beschissenheit der Dinge.

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Café Belgica (Belgica, Belgien/Frankreich/Niederlande 2016)

Regie: Felix van Groeningen

Drehbuch: Arne Sierens, Felix van Groeningen

mit Stef Aerts, Tom Vermeir, Hélène Devos, Charlotte Vandermeersch

Länge: 127 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Belgische Homepage zum Film

Moviepilot über „Café Belgica“

Metacritic über „Café Belgica“

Rotten Tomatoes über „Café Belgica“

Wikipedia über „Cafe Belgica“ (englisch, niederländisch)

Meine Besprechung von Felix van Groeningens „The Broken Circle“ (The Broken Circle Breakdown, Belgien/Niederlande 2012)


TV-Tipp für den 24. Juni: Kill Bill: Volume 2

Juni 24, 2016

3sat, 22.55

Kill Bill: Volume 2 (USA 2004, Regie: Quentin Tarantino)

Drehbuch: Quentin Tarantino

Die Braut will sich an ihrem Ex-Boss Bill und ihren alten Arbeitskolleginnen, einer Bande Auftragskiller, die sie umbringen wollten, rächen. Leichter gesagt, als getan – und Quentin Tarantino durfte in seinem vierten Spielfilm, der als Zweiteiler in die Kinos kam, kräftig im Blut baden. Im ersten Teil eher in Richtung Eastern, im zweiten Teil in Richtung Italowestern; weshalb die Teilung des Films auch Sinn macht.

mit Uma Thurman, Lucy Liu, Vivica A. Fox, Daryl Hannah, David Carradine, Michael Madsen, Sonny Chiba, Michael Parks

Wiederholung: Sonntag, 26. Juni, 02.05 Uhr (VPS 02.15) (Taggenau!)

Hinweise

Metacritic über „Kill Bill Vol. 2“

Rotten Tomatoes über „Kill Bill Vol. 2“

Wikipedia über „Kill Bill Vol. 2″ (deutsch, englisch)

The Quentin Tarantino Archives (Fanseite)

Everthing Tarantino (dito)

Q-Tarantino.de (noch eine Fanseite)

Meine Besprechung von Georg Seeßlens „Quentin Tarantino gegen die Nazis – Alles über ‘Inglourious Basterds’“ (Kleine Schriften zum Film: 1, 2009)

Meine Besprechung von Quentin Tarantinos “Django Unchained” (Django Unchained, USA 2012)

Meine Bespechung von Quentin Tarantinos „The Hateful 8“ (The Hateful Eight, USA 2015)

Kriminalakte über Quentin Tarantino und „Django Unchained“ (Bilder, Pressekonferenz, Comic)


Neu im Kino/Filmkritik: Über Nicolas Winding Refns „The Neon Demon“

Juni 23, 2016

Schöne Menschen, schöne Bilder, schöne Musik, schön langweilig ist im Fall von „The Neon Demon“ das Ergebnis. In seinem neuen Film erzählt Nicolas Winding Refn von der jungen Jesse (Elle Fanning) die nach Los Angeles kommt. Die Sechzehnjährige (behauptet sie) aus Georgia will ein Model werden und gerät in eine albtraumhaft-surreale Welt.

Das erste, was in einem Alptraum ignoriert wird, ist die Logik. Das nächste eine stringent aufgebaute Geschichte. Auch in „The Neon Demon“ reihen sich die Episoden beliebig aneinander, lose aufgehängt an Jesses Geschichte von ihrem ersten Shooting zum nächsten Shooting. Es ist eine Welt, in der sich alles um Schönheit dreht und die Verfallszeit von Schönheit enorm kurz ist, wie ihr einige etwas ältere Models verraten.

Die Episoden aus Jesses Leben könnten auch, wie Szenen in einer Kunstinstallation, in irgendeiner anderen Reihenfolge gesehen werden. Sie bleiben abstrakte Stimmungsbilder, die ständig Signale aussenden, die im Film nicht weiterverfolgt werden. Die Modewelt! Hollywood! Die dunkle Seite von Hollywood, die in zahlreichen Krimis porträtiert wurde. Es ist die Welt, die David Lynch in „Mulholland Drive“ und „Lost Highway“ oder David Cronenberg in „Maps to the Stars“ ungleich pointierter, gelungener, stringenter, mitreisender, vielschichtiger, ambivalenter, abstrakter und dennoch konkreter zeigen.

Bei Refn ist sie nur eine Welt von zusammenhanglosen Zeichen, Signalen für beliebige Interpretationen und Szenen, die mal mehr, mal weniger als Tableau angeordnet sind, die ihr Leben eher auf einer Doppelseite eines Modemagazins entfalten. Es ist eine tote Welt. Hinter der Oberfläche lauert hier einfach nur die von keinem tieferem Gedanken getrübte Leere. Denn die Erkenntnis, dass die Modewelt oberflächlich ist, ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Falls das überhaupt die Erkenntnis ist, die Refn uns mitgeben will.

Denn am Ende von „The Neon Deom“ bleibt nur das Gefühl, dass Refn einem etwas wirklich wichtiges mitteilen wollte. Aber er will seine Botschaft – sofern er überhaupt irgendeine hat – nicht mehr in eine Geschichte packen. So sagt er im Presseheft, er habe einen Film über die Schönheit machen wollen. Er habe einen Horrorfilm machen wollen, in dem alle wichtigen Horrorfilmelemente enthalten seien, aber nicht unbedingt in der richtigen Reihenfolge. Er habe sich gefragt, ob es möglich sei, einen Horrorfilm ohne den Horror zu machen.

Nun, letzteres ist ihm gelungen; wobei sich natürlich die Frage stellt, warum man einen Horrorfilm ohne Horror machen will oder man Horrorfilmelemente in der falschen Reihenfolge präsentieren will.

The Neon Demon“ ist als Symphonie von Bildern und Tönen, die man an sich vorbeiziehen lässt, nicht ohne Reiz. Wenn man sich nicht darauf einlassen will oder kann, wenn man versucht über das Werk nachzudenken, ist es prätentiöser, Wichtigkeit behauptender Quark, optisch gelungen präsentiert.

The Neon Demon - Plakat

The Neon Demon (The Neon Demon, USA/Frankreich/Dänemark 2016)

Regie: Nicolas Winding Refn

Drehbuch: Nicolas Winding Refn, Mary Laws, Polly Stenham (nach einer Geschichte von Nicolas Winding Refn)

mit Elle Fanning, Jena Malone, Bella Heathcote, Abbey Lee, Karl Glusman, Chrstina Hendricks, Keanu Reeves, Allessandro Nivola

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „The Neon Demon“

Metacritic über „The Neon Demon“

Rotten Tomatoes über „The Neon Demon“

Wikipedia über „The Neon Demon“

Meine Besprechung von Nicolas Winding Refns „Fear X“ (Fear X, USA 2003)

Meine Besprechung von Nicolas Winding Refns „Drive“ (Drive, USA 2011)

Meine Besprechung von Nicolas Winding Refns „Only God Forgives“ (Only God Forgives, Frankreich/Dänemark 2013)


Neu im Kino/Filmkritik: „Bastille Day“ – Terroristenhatz in Paris

Juni 23, 2016

Auf den ersten Blick – ein Amerikaner sorgt in Paris mit viel Action für Recht und Ordnung – sieht „Bastille Day“ wie der nächste Film aus der Luc-Besson-Fabrik aus. Dass Idris Elba der Held ist, ändert daran nichts. Immerhin tritt er in die Fußstapfen von Liam Neeson, John Travolta und Kevin Costner und, auch wenn die Kinokasse mal mehr, mal weniger laut klingelte, war die künstlerische Qualität ihrer Paris-Besuche überschaubar.

Auf den zweiten Blick wird es dann schon interessanter. Einmal weil Luc Bessons EuropaCorp, die auch gute Filme produziert, nichts damit zu tun hat. Einmal weil mehrere Drehbücher von Andrew Baldwin auf der Black Liste, der jährlichen Liste der besten nicht produzierten Drehbücher, landeten. Auch „Bastille Day“ wurde dort erwähnt. Aber das sind Informationen, die für die meisten Menschen denkbar uninteressant sind.

Interessanter ist da schon der Name des Regisseurs: James Watkins. Er inszenierte vorher die gelungenen und sehr unterschiedlichen Horrorfilme „Eden Lake“ und „Die Frau in Schwarz“. Jetzt drehte er einen in Paris spielenden Action-Thriller über einen drohenden Anschlag am titelgebendem „Bastille Day“, dem französischen Nationalfeiertag am 14. Juli.

Kurz vor dem Feiertag explodiert auf einem Platz eine Bombe und der US-Amerikaner Michael Mason (Richard Madden), ein Taschendieb, gerät in Verdacht. CIA-Agent Sean Briar (Idris Elba) soll ihn finden, aber nicht auf eigene Faust ermitteln. Weil seine Methoden etwas unorthodox sind und er Befehle notorisch ignoriert, begibt er sich mit Mason, den er zur Zusammenarbeit zwingt, auf die Jagd nach den Bombenlegern, die keine Islamisten oder links-revolutionäre Weltverbesserer, sondern Polizisten einer Spezialeinheit sind. Sie wollen die Terroranschläge, Proteste und Straßenschlachten am Nationalfeiertag orchestrieren, um so von ihrem großen Coup abzulenken. Im Film (und im Trailer) wird deren Identität schon früh verraten und ein bewährter Topos des französischen Kriminalfilms bedient. Damit entgeht „Bastille Day“ auch elegant der Falle, stereotype Vorurteile und reaktionäre Ressentiments einfach zu bedienen. Das macht ihn intelligenter und sympathischer als, zum Beispiel, „London has fallen“.

Watkins hat dagegen einen angenehm altmodischer Action-Thriller mit Polit-Touch gedreht, wie es ihn in den Siebzigern öfter gab und die, auch wenn sie politisch nicht besonders tiefschürend waren, durchaus zum Nachdenken anregen konnten. Die Action in „Bastille Day“ ist handgemacht, was einem besonders bei der Verfolgungsjagd über die Dächer von Paris gefällt und Erinnerungen an die Kletterei von Jean-Paul Belmondo in „Angst über der Stadt“ wachruft. Die Geschichte ist insgesamt durchdacht und, im gesetzten Actionfilm-Rahmen, komplex geraten. Die Schauspieler sind engagiert dabei und es gibt etliche Einzeiler, die sich aus der Handlung ergeben.

In der Originalfassung gibt es sogar noch einen Bonuspunkt: während des gesamten Films wird, je nach Situation, Englisch oder Französisch gesprochen. So reden die Franzosen untereinander durchgängig französisch. Die Amerikaner englisch. In gemeinsamen Szenen wird dann je nach Situation entschieden. Allein dadurch wird die Filmgeschichte glaubwürdiger.

Mit seinem dritten Spielfilm hat James Watkins einen kurzweiligen Retro-Action-Thriller abgeliefert, der niemals wirklich neues Terrain betritt. Dafür ist alles einfach zu vertraut. Aber im Vergleich zu den eingangs erwähnten Besson-Filmen ist „Bastille Day“ ein überraschend gelungenes und sehr unterhaltsames Werk.

Bastille Day - Plakat

Bastille Day (Bastille Day, USA/Frankreich/Großbritannien 2016)

Regie: James Watkins

Drehbuch: Andrew Baldwin

mit Idris Elba, Richard Madden, Charlotte Le Bon, Kelly Reilly, José Garcia, Thierry Godard, Vincent Londez, Arieh Worthalter

Länge: 92 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Bastille Day“

Metacritic über „Bastille Day“

Rotten Tomatoes über „Bastille Day“

Wikipedia über „Bastille Day“ 


TV-Tipp für den 23. Juni: Kill Bill: Volume 1

Juni 23, 2016

3sat, 23.00

Kill Bill: Volume 1 (USA 2003, Regie: Quentin Tarantino)

Drehbuch: Quentin Tarantino

Die Braut will sich an ihrem Ex-Boss Bill und ihren alten Arbeitskolleginnen, einer Bande Auftragskiller, die sie umbringen wollten, rächen. Leichter gesagt, als getan – und Quentin Tarantino durfte in seinem vierten Spielfilm, der als Zweiteiler in die Kinos kam, kräftig im Blut baden. Im ersten Teil eher in Richtung Eastern, im zweiten Teil in Richtung Italowestern; weshalb die Teilung des Films auch Sinn macht.

3sat zeigt am Freitag um 22.55 Uhr den zweiten Teil.

mit Uma Thurman, Lucy Liu, Vivica A. Fox, Daryl Hannah, David Carradine, Michael Madsen, Sonny Chiba, Michael Parks

Wiederholung: Samstag, 25. Juni, 01.40 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Metacritic über „Kill Bill Vol. 1“

Rotten Tomatoes über „Kill Bill Vol. 1“

Wikipedia über „Kill Bill Vol. 1“ (deutsch, englisch)

The Quentin Tarantino Archives (Fanseite)

Everthing Tarantino (dito)

Q-Tarantino.de (noch eine Fanseite)

Meine Besprechung von Georg Seeßlens „Quentin Tarantino gegen die Nazis – Alles über ‘Inglourious Basterds’“ (Kleine Schriften zum Film: 1, 2009)

Meine Besprechung von Quentin Tarantinos “Django Unchained” (Django Unchained, USA 2012)

Meine Bespechung von Quentin Tarantinos „The Hateful 8“ (The Hateful Eight, USA 2015)

Kriminalakte über Quentin Tarantino und „Django Unchained“ (Bilder, Pressekonferenz, Comic)


Neal Carey will nach „Palm Desert“, Natty Silver eher nicht

Juni 22, 2016

Winslow - Palm Desert - 2

Die Hochzeit wird geplant und Karen plant schon das erste Kind. Neal Carey, der während seines Studiums (ach ja, seine Arbeit über „Tobias Smollett: Literarischer Außenseiter im England des achtzehnten Jahrhunderts“ ist fast fertig) immer wieder für die inoffizielle Abteilung Friends of the Family einer noblen Privatbank gefährliche, mehr oder weniger illegale Aufträge übernehmen musste, könnte also endlich ein normales Leben führen, wenn Karen ihn, der seinen leiblichen Vater nie kannte, nicht mit ihrem Kinderwunsch schockieren würde. Da freut er sich über den Anruf von Joe Graham, seinem „Dad“, dem Mann, der ihn groß zog und der für die Bank arbeitet. Für die Bank – und das hört sich nach einem wirklich leichten Auftrag an – soll Neal Nathan Silverstein, besser bekannt als Natty Silver, von Las Vegas nach Palm Desert fahren. Seine stinkreiche Nichte sorgt sich um ihn.

Natty ist ein mehr als lebenslustiger, ungefähr 85-jähriger Komiker, bei dem unklar ist, an was er sich noch erinnert und der starrsinniger als ein starrsinniges Kind sein kann. Deshalb fliegen Neal und Natty nicht nach Palm Desert, sondern benutzen das Auto – und sie werden, was Neal allerdings erst viel später erfährt, von zwei mordgierigen Männern verfolgt. Denn Natty ist der Zeuge eines Verbrechens.

Palm Desert“ ist der fünfte, letzte und kürzeste Neal-Carey-Roman, dessen Geschichte natürlich eine typische Buddy-Geschichte ist, die – wenn man so will – von „Midnight Run – Fünf Tage bis Mitternacht“ (USA 1988) inspiriert ist. Immerhin spielen die Carey-Romane in den siebziger und achtziger Jahren, es gibt immer etliche zeitgeschichtliche Anspielungen und auch formal bezieht Don Winslow sich immer wieder auf damals in Romanen und Filmen beliebte Grundplots, Situationen und Themen, die er eigenständig und mit viel Humor bearbeitete. Weil die Bank in „Palm Desert“ nur eine Nebenrolle als austauschbarer Auftraggeber für einen austauschbaren Auftrag fungiert, ist Neal Careys letzter Fall auch etwas austauschbar in seiner zeitlichen Verortung. Denn er könnte, wenn nicht einmal erwähnt würde, dass Ronald Reagan Präsident ist, auch zu fast jedem anderen Jahrzehnt spielen.

Davon abgesehen sind alle anderen Elemente, die man von einem Neal-Carey-Roman erwartet, auch in „Palm Desert“ enthalten und weil ein ständig quasselnder Komiker im Mittelpunkt steht, gibt es auch einiges zu Lachen. Auch die in der zweiten Hälfte des Romans eingefügte Korrespondenz zwischen Anwälten und der Leiterin der Schadenabteilung der Western States Versicherungsgesellschaft, die einige wichtige Hintergründe erklären, ist pure Comedy im Korsett des offiziellen Schriftverkehrs. Die in der zweiten Hälfte zunehmend grotesk werdenden Verwicklungen und Dialoge zwischen den involvierten Parteien sorgen für weitere Lacher. Denn selbstverständlich ist der einfache Auftrag kein einfacher Auftrag.

Palm Desert“ ist eine flotte, schnelle, gewohnt witzige Lektüre, die wegen der Kürze allerdings eher wie ein Zwischenspiel, das keine Fortsetzung fand, wirkt. Und selbstverständlich eignet sich „Palm Desert“ auch als Einstieg in die Welt von Neal Carey. 

Don Winslow: Palm Desert

(übersetzt von Conny Lösch)

Suhrkamp, 2016

208 Seiten

10,99 Euro

Originalausgabe

While Drowning in the Desert

St. Martin’s Press, New York, 1996

Hinweise

Hollywood & Fine: Interview mit Don Winslow (11. Juli 2012)

Homepage von Don Winslow (etwas veraltet, weil eigentlich eine Verlagsseite)

Deutsche Homepage von Don Winslow (von Suhrkamp)

Don Winslow twittert ziemlich oft

Meine Besprechung von Don Winslows “London Undercover” (A cool Breeze on the Underground, 1991)

Meine Besprechung von Don Winslows “China Girl” (The Trail to Buddha’s Mirror, 1992)

Meine Besprechung von Don Winslows „Way Down on the High Lonely – Neal Careys dritter Fall“ (neue Übersetzung von „Das Schlangenmaul“; Way Down on the High Lonely, 1993)

Meine Besprechung von Don Winslows „A long Walk up the Water Slide – Neal Careys vierter Fall“ (A long Walk up the Water Slide, 1994)

Meine Besprechung von Don Winslows „Bobby Z“ (The Death and Life of Bobby Z, 1997)

Meine Besprechung von Don Winslows „Tage der Toten“ (The Power of the Dog, 2005)

Meine Besprechung von Don Winslows „Pacific Private“ (The Dawn Patrol, 2008)

Meine Besprechung von Don Winslows „Pacific Paradises“ (The Gentlemen’s Hour, 2009) und „Tage der Toten“ (The Power of the Dog, 2005)

Meine Besprechung von Don Winslows „Satori“ (Satori, 2011)

Mein Interview mit Don Winslow zu “Satori” (Satori, 2011)

Meine Besprechung von Don Winslows “Savages – Zeit des Zorns” (Savages, 2010)

Meine Besprechung von Don Winslows “Kings of Cool” (The Kings of Cool, 2012)

Meine Besprechung von Don Winslows „Vergeltung“ (Vengeance, noch nicht erschienen)

Meine Besprechung von Don Winslows “Missing. New York” (Missing. New York, noch nicht erschienen)

Meine Besprechung von Don Winslows „Das Kartell“ (The Cartel, 2015)

Meine Besprechung von Don Winslows „Germany“ (Germany, 2016 – noch nicht erschienen)

Mein Hinweis auf Don Winslows „London Undercover – Neal Careys erster Fall“ (A Cool Breeze on the Underground, 1991)

Meine Besprechung von Oliver Stones Don-Winslow-Verfilmung „Savages“ (Savages, USA 2012)

Don Winslow in der Kriminalakte


TV-Tipp für den 22. Juni: Die geliebten Schwestern

Juni 22, 2016

Arte, 20.15

Die geliebten Schwestern (Deutschland/Österreich 2013/2014)

Regie: Dominik Graf

Drehbuch: Dominik Graf

Dominik Grafs wunderschöner Film über die Beziehung von Friedrich Schiller zu den Schwestern Charlotte und Caroline von Lengefeld.

Alles weitere in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Hannah Herzsprung, Florian Stetter, Henriette Confurius, Claudia Messner, Ronald Zehrfeld, Maja Maranow, Anne Schäfer, Andreas Pietschmann, Michael Wittenborn

Hinweise

Homepage zum Film

Film-Zeit über „Die geliebten Schwestern“

Moviepilot über „Die geliebten Schwestern“

Wikipedia über Friedrich Schiller

Berlinale über „Die geliebten Schwestern“ (leider gibt es von der Pressekonferenz nur noch Ausschnitte) (und beim RBB sind die Pressekonferenzen inzwischen auch offline)

Meine Besprechung von Dominik Grafs „Schläft ein Lied in allen Dingen“

Meine Besprechung der von Dominik Graf inszenierten TV-Serie  „Im Angesicht des Verbrechens“

Meine Besprechung von Johannes F. Sieverts Interviewbuch „Dominik Graf – Im Angesicht des Verbrechens: Fernseharbeit am Beispiel einer Serie“

Meine Besprechung von Chris Wahl/Jesko Jockenhövel/Marco Abel/Michael Wedel (Hrsg.) “Im Angesicht des Fernsehens – Der Filmemacher Dominik Graf”

Meine Besprechung von Dominik Grafs “Die geliebten Schwestern” (Deutschland/Österreich 2013/2014)

Dominik Graf in der Kriminalakte


Cover der Woche

Juni 21, 2016

Pye - Taking Lives


TV-Tipp für den 21. Juni: Land of Plenty

Juni 21, 2016

ZDFkultur, 21.55

Land of Plenty (USA 2004, Regie: Wim Wenders)

Drehbuch: Michael Meredith, Wim Wenders (nach einer Geschichte von Wim Wenders und Scott Derrickson)

Los Angeles: Ein paranoider Vietnam-Veteran und seine zwanzigjährige, idealistische Nichte machen sich, um ein Verbrechen aufzuklären, auf den Weg nach Osten.

Nach dem doch arg verkünstelten „Am Ende der Gewalt“ und „The Million Dollar Hotel“ und etlichen sehenswerten Dokumentarfilmen kehrte Wenders mit „Land of Plenty“ zum quasi frei improvisiertem Film mit geringem Budget und großer Neugierde auf Land und Leute zurück zum Spielfilm. „Land of Plenty“ ist eine Bestandsaufnahme der Post-9/11-USA.

Sein subtiles, in angemessen spröden Bilder fotografiertes Road Movie ist voller leiser Trauer über den Verlust von Werten, den Wandel von Gerechtigkeit in Selbstgerechtigkeit, die Verlorenheit von Menschen in einem komplexen System.“ (Lexikon des Internationalen Films)

Davor, um 20.15 Uhr, und danach, um 23.55 Uhr, läuft sein wunderschön musikalischer Dokumentarfilm „Buena Vista Social Club“.

Mit John Diehl, Michelle Williams, Richard Edson, Wendell Pierce, Shaun Toub, Burt Young

Wiederholung: Mittwoch, 22. Juni, 01.35 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Land of Plenty“

Wikipedia über „Land of Plenty“ (deutsch, englisch)

Homepage von Wim Wenders

Meine Besprechung von Wim Wenders’ “Hammett” (Hammett, USA 1982)

Meine Besprechung von Wim Wenders/Juliano Ribeiro Salgados “Das Salz der Erde” (The Salt of the Earth, Frankreich/Deutschland 2013)

Meine Besprechung von Wim Wenders‘ „Every thing will be fine“ (Deutschland/Kanada/Norwegen/Schweden 2015)

Wim Wenders in der Kriminalakte


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