Man kann „Ma Ma – Der Ursprung der Liebe“, den neuen Film von Julio Medem („Lucia und der Sex“), leicht als Kitsch und Starvehikel abtun. Immerhin ist Penélope Cruz in fast jeder Sekunde zu sehen und der gesamte Film dreht sich um sie und ihr heldenhaftes Leiden als krebskranke Mutter, die sich zuerst eine Brust wegoperieren lässt, nur um danach zu erfahren, dass der Krebs nicht besiegt ist und sie innerhalb weniger Monate sterben wird. Gleichzeitig findet sie in Arturo, dem Talentscout von Real Madrid, der gerade seine Frau und Tochter verloren hat, eine neue große Liebe, die auch von ihrem elfjährigem Sohn akzeptiert wird. Immerhin ist Dani ein echtes Fußballtalent und ein Platz in der Mannschaft Real Madrid wäre ein Gottesgeschenk.
Und dann wird Magda wieder schwanger!
Das hätte sich das gesamte Team des sonntäglichen ZDF-Kitschfilms nicht schlimmer ausdenken können als Ballung von tragischem Leid und unfassbarem Glück. Normalsterbliche greifen in dem Moment panisch nach der Fernbedienung.
Aber Julio Medem wagt ein ziemliches gewagtes Experiment, indem er möglichst viel von dem, was wir bei einem gefühligem Kitschfilm erwarten, weglässt. So wird Magda von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen und ihren Job als Lehrerin ist sie auch bald los. Aber die Trennung geschieht mit einer SMS und ihre baldige Entlassung ist schon länger Teil ihrer Lebensplanung. Ihre Familie, Verwandtschaft und Freunde, mit denen sie über die Krebsdiagnose sprechen könnte, tauchen nicht auf. Stattdessen zieht sie sich erst einmal zurück, lässt Dani in ein Ferienlager fahren und sieht sich alleine die spanische Mannschaft beim 2012er Europapokal an. Sie versinkt höchstens für zwei Sekunden in Trübsal. All die großen Szenen, in denen Schauspieler so richtig groß mit Tränen, Schreien, Schluchzern und wilden Armbewegungen aufspielen können, fehlen.
Das gleiche gilt für ihre Beziehung zu Arturo. Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen, auf der Tribüne eines Fußballstadions, geben sie sich Halt. Magda hat gerade die Krebsdiagnose erfahren. Er erfährt von dem Unfall seiner Familie. Auch danach entwickelt sich ihre Beziehung vor allem über den Verlust seiner Familie und ihrer Krankheit. Da ist, auch weil sie keine Zwanzig mehr sind, kein Platz für teenagerhaften Gefühlsüberschwang. Erst spät fällt Magda auf, dass sie noch keinen Sex hatten, obwohl sie schon länger sehr vertraut miteinander umgehen.
Medem entkernt nicht nur die kitschige Geschichte, sondern er konzentriert sich auch auf wenige Charaktere. Am Ende sind es nur Magda, ihr Sohn, ihr neuer Freund und, in einer Nebenrolle, ihr singender Gynäkologe, der auch nach Feierabend für sie Zeit hat. Keiner von ihnen übernimmt dabei die traditionelle Rolle des Bösewichts.
Medem lässt auch die Geschlechterverhältnisse ähnlich frei wie Pedro Alomodóvar tanzen. Freie Liebe, homosexuelle Liebe, echte und falsche Väter und alternative Lebensentwürfe abseits der normalen Ehe werden schulterzuckend akzeptiert. Sie sind in diesem katholischen Spanien kein Grund, sich aufzuregen. Das ist, wenn man an irgendeine x-beliebige RomCom denkt, in dem die Protagonistin nur ihren Traummann und eine traditionelle Familie haben will, erfrischend.
Auch Magda denkt überhaupt nicht daran, ihr Lebensglück nur in einer traditionellen Familie zu suchen. Immerhin ist sie eine Mutter und Mama ist das spanische Wort für, wenig überraschend, Mutter, aber auch die weibliche Brust oder, etwas poetischer der Ursprung der Liebe bzw. der Welt. Liebe schenkt sie dann auch während des Films.
Natürlich ist „Ma Ma“ ein Starvehikel und eine Liebesgeschichte, die angenehm ambivalent auf fast alle Elemente verzichtet, die zu einem Kitschfilm dazugehören. Dieses Spielen einer Melodie, während man möglichst viele Töne von ihr weglässt, ist als intellektuelles Vergnügen interessant. Für das Auge gibt es in jeder Szene Penélope Cruz. Was will man mehr von einem Film?
Ma Ma – Der Ursprung der Liebe (Ma Ma, Spanien 2015)
Regie: Julio Medem
Drehbuch: Julio Medem
mit Penélope Cruz, Luis Tosar, Asier Etxeandia, Teo Planell, Àlex Brendermühl, Silvia Abascal
Länge: 123 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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