Wenige Stunden vor dem langen Wochenende muss ich unbedingt auf drei hochkarätige, gerade erschienene Bücher hinweisen. Damit nachher niemand sagen kann, er habe sich zu Tode gelangweilt.

Thomas H. Cook ist trotz zahlreicher Preise und dem euphorischen Lob von Kritikern und Kollegen immer noch ein Geheimtipp. Das kann daran liegen, dass Cook konsequent auf einen Seriencharakter verzichtet. Das kann auch daran liegen, dass seine Plots auf den ersten Blick viel zu einfach aussehen und keine Sensationen versprechen. In „Das Verhör“ (The Interrogation, 2002) wollen zwei Polizisten in einer Nacht die Schuld eines Verdächtigen beweisen. In seinem neuesten Buch „Das Gift des Zweifels“ fragt sich ein Vater, ob sein Sohn ein Mörder ist. Das klingt nicht gerade nach einer spannenden Geschichte. Und doch ist „Das Gift des Zweifels“ ein psychologisch ausgefeilter Thriller über die Zerstörung einer glücklichen Familie.
Eric Moore ist in einer amerikanischen Kleinstadt ein glücklich verheirateter Geschäftsinhaber mit einer als Lehrerin arbeitenden Frau und einem Sohn. Er ist der idealtypische Mittelständler.
Sein verschlossener Sohn Keith ist in der Pubertät. Er schließt sich in seinem Zimmer ein und ihm scheint alles egal zu sein. Eines Abends soll er auf die achtjährige Nachbarstochter Amy aufpassen. Am nächsten Tag ist sie verschwunden.
Selbstverständlich interessiert sich die Polizei auch für Keith. Und ebenso selbstverständlich versucht Eric Moore seinen Sohn zu beschützen. Doch er hat auch Zweifel. Denn Keith kam an dem Abend ungewöhnlich spät nach Hause. Keith sagt, niemand habe ihn nach Hause gefahren. Aber Eric Moore hat in der Auffahrt Scheinwerfer gesehen. Keith sagt, dass er noch nie am Wasserturm war. Aber er reagierte seltsam, als ihn die Polizei darauf ansprach. Dort wurde Amys Unterwäsche gefunden.
Eric Moore fragt sich, ob sein Sohn nicht doch der Täter ist.
Im Folgenden zeigt Thomas H. Cook mit beängstigender Konsequenz, wie „Das Gift des Zweifel“ (hier ist der deutsche Titel eindeutig besser als der Originaltitel „Red Leaves“) eine Familie zerstört. Dabei ist sein Ich-Erzähler Eric Moore ein ganz gewöhnlicher Mann, der nur seine Familie beschützen will, und aufgrund seines Misstrauens zerstört. Um diese fatale Dynamik in Gang zu setzen, braucht Thomas H. Cook nur eine Frage. Ist mein Sohn ein Mörder? Das Ergebnis ist ein komplexes psychologisches Drama, in dem wir uns selbst mühelos wieder erkennen.
Thomas H. Cook: Das Gift des Zweifels
(übersetzt von Rainer Tiffert)
Knaur, 2007
320 Seiten
7,95 Euro
Originalausgabe:
Red Leaves
Harcourt, New York, 2005
Weitere Informationen über Thomas H. Cook

Martin Cruz Smith setzt mit dem sechsten Arkadi Renko-Roman „Stalins Geist“ in 26 Jahren seine Bestandsaufnahme der Sowjetunion fort. 1981 klärte Renko in dem Bestseller „Gorki Park“ (Gorky Park, 1981) seinen ersten Mordfall. Smith dachte danach, er habe seinen Russland-Roman geschrieben. Einige Jahre später brach die UdSSR zusammen und Smith wurde in den folgenden Jahren mit seinen weiteren Arkadi Renko-Romanen zu einem Chronisten der Veränderungen.
„Stalins Geist“ beginnt mit der für den Polizisten Arkadi Renko schockierenden Entdeckung, dass seine Kollegen Nikolai Isakow und Marat Urman auch als Auftragsmörder arbeiten. Doch bevor Renko beginnen kann, sie zu überführen, erhält er den Befehl sich um die Stalin-Sichtungen in der Metrostation Tschistyje Prudi zu kümmern. Dieser, auf den ersten Blick, witzige Nebenplot bietet den Hintergrund für Smiths Geschichte. Denn heute wünscht sich die Hälfte der Russen Stalin wieder als Staatsoberhaupt zurück. Schnell findet Renko heraus, dass Stalins Auftritte die Inszenierungen eines Pornoregisseurs sind. Er arbeitet für eine ultrarechte Partei und ihrem Spitzenkandidaten Isakow.
Renkos Kollege Isakow war als Mitglied der OMON im Tschetschenienkrieg. Niemand bestreitet seine Tapferkeit, aber für seine größte Heldentat erhielt er keinen Orden. Denn es gab, das findet Renko schnell heraus, berechtigte Zweifel, dass sich der Kampf gegen die Rebellen so zutrug, wie Isakow und seine Männer ihn erzählen. In wenigen Wochen, wenn Isakow Abgeordneter ist, wird er für seine Taten während des Tschetschenienkrieges und als Polizist Immunität genießen. Nach einem fast tödlichen Unfall – der Vater seines Quasi-Adoptivsohns schießt mit einem alten Revolver auf Renko – lässt Renko sich nach Twer, der Heimatstadt von Isakow, versetzen. Dort kommt es zu einem gespenstigen Showdown.
Doch viel wichtiger als der Kriminalfall ist für Martin Cruz Smith das kundige Porträt des heutigen Russlands als ein Irrenhaus. Es ist ein Alptraum, bei dem unter der Oberfläche die Geister der Vergangenheit lauern und immer wieder die Gegenwart beeinflussen. Dieses Porträt einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft ist beim zweiten Lesen noch gelungener als beim ersten. Denn dann kann man sich, weil die Plotwendungen bekannt sind, auf die Feinheiten und die vielen Querverweise zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit und den Charakteren konzentrieren.
Martin Cruz Smith: Stalins Geist
(übersetzt von Rainer Schmidt)
Bertelsmann, 2007
368 Seiten
19,95 Euro
Originalausgabe:
Stalin’s Ghost
Simon & Schuster, New York, 2007
Weitere Informationen über Martin Cruz Smith

Peter Temple ist in seiner Heimat seit langem ein bekannter Krimiautor. Für sein gerade auf Deutsch erschienenes Debüt „Vergessene Schuld“ erhielt er seinen ersten Ned Kelly-Preis als bester australischer Kriminalroman. Für seine folgenden Romane erhielt er zahlreiche weitere Preise. Mit seinem achten Roman „Kalter August“ (The Broken Shore, 2005) erlebte er in England und Anfang des Jahres in Deutschland seinen Durchbruch. „Kalter August“ wurde, trotz einer schlechten Übersetzung, einhellig abgefeiert. In „Kalter August“ zeichnete Temple ein düsteres Porträt der australischen Gesellschaft.
Schon in „Vergessene Schuld“ kommt die australische Gesellschaft nicht besonders gut weg. Held der lakonisch erzählten Geschichte ist Jack Irish. Ein gescheiterter Anwalt, der seine Zeit mit kleinen Detektivarbeiten, halbseidenen Geschäften, trinken und wetten, bevorzugt auf Pferde, verbringt. Er ist ganz zufrieden mit seinem anspruchslosen Leben.
Da ruft ihn Danny McKillop an. Vor zwölf Jahren verteidigte Irish ihn erfolglos. McKilllop wurde verurteilt, die junge Aktivistin Anne Jepperson im Vollrausch überfahren und anschließend Fahrerflucht begangen zu haben. Irish reagiert nicht auf die Anrufe von McKillop und geht auch nicht zu einem Treffen mit McKillop. Als Irish erfährt, dass Polizisten McKillop an dem Treffpunkt erschossen haben, will er herausfinden, warum McKillop ihn so dringend sprechen wollte. Als Irish kurz darauf den Zeugen der Anklage tot findet, die Polizei ihn von weiteren Ermittlungen abhalten will und Polizeiminister Garth Bruce ihn zu einem privaten Gespräch abholen lässt, weiß er, dass er einem großen Immobilienskandal auf der Spur ist.
Jepperson hatte damals den Protest gegen das millionenschwere Yarra-Bucht-Bauprojekt angeführt. Anscheinend wurde sie deshalb umgebracht und die damaligen Täter gehen heute immer noch über Leichen, um ihr schmutziges Geschäft zu schützen.
Peter Temples Debüt „Vergessene Schuld“ ist ein klassischer Privatdetektivkrimi, bei dem, wie schon zu Dashiell Hammetts Tagen, ein kleiner Detektiv einen Augiasstall aus Korruption und gegenseitigen Abhängigkeiten ausmistet. Das ist kein neues Thema, aber Temple erzählt seine Geschichte gut mit glaubwürdigen Charakteren und einem illusionslosen Blick auf die australische Gesellschaft. Außerdem liest sich die Übersetzung von „Vergessene Schuld“ wesentlich flüssiger als die von „Kalter August“.
Peter Temple: Vergessene Schuld
(übersetzt von Sigrun Zühlke)
Goldmann, 2007
352 Seiten
7,95 Euro
Originalausgabe:
Bad Debts
Harper Collins Publishers, Australia, 1996
(Neuauflage 2003 bei The Text Publishing Company)
Weitere Informationen über Peter Temple:
Shotsmag interviewt Peter Temple
Meine Besprechung von “Kalter August” in der Berliner Literaturkritik und der Spurensuche
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