
Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Wie werden wir in einigen Jahren oder Jahrzehnten zusammenleben?
Das „oder“ in der zweiten Frage weist schon auf das größte Problem in dem von Science-Fiction-Autor John Scalzi herausgegebenen Sammelband „Metatropolis“ hin. Zusammen mit seinen Kollegen Jay Lake, Tobias S. Buckell, Elizabeth Bear und Karl Schroeder entwarfen sie eine Utopie, wie sich das Leben in den Metropolen entwickelt. Innerhalb dieser gemeinsam entworfenen Utopie schrieben sie dann in dieser Welt spielende Novellen.
In dieser Welt, die auch nach der Lektüre des Buches seltsam blass bleibt, existieren die USA, wie wir sie kennen, nicht mehr. Die Zivilisation ist ziemlich zusammengebrochen. Konzerne, Ökofreaks und Open-Source-Fanatiker bekriegen sich. Es scheint kein TV-Programm mehr zu geben, Zeitungen sowieso nicht mehr, aber das Internet und alles, was damit zusammenhängt, funktioniert prächtig. Die Städte haben sich abgeschottet – und die Busse fahren nicht mehr.
Allerdings wird nie deutlich, wie es zu diesem Zusammenbruch der Zivilisation, der auch kein richtiger Zusammenbruch der Zivilisation ist, kam. Naja, okay, wohl irgendwie so: steigende Umweltverschmutzung, kein Öl mehr, den Wissenschaftlern fällt nichts ein, die Sache mit regenerativen Energien scheint irgendwie absolut nicht zu funktionieren und dann wird folgerichtig unsere Gesellschaft zu einer Art Faustrecht-Gesellschaft ohne Benzin.
Über diese Transformation hätte einer der fünf Autoren etwas sagen können. Immerhin nimmt jeder sich ausführlich Zeit bestimmte Aspekte von Metatropolis (einer Vision einer Metropole, die nicht mehr an einen bestimmten Ort gebunden ist) zu erklären. Dann wäre wenigstens die Verbindung zwischen der Gegenwart und der Zukunft deutlicher geworden. So wirkt die Stadt der Zukunft wie ein eskapistisches Gedankenexperiment, bei dem es nur den Konflikt zwischen Umweltverschmutzern und Menschen, die ohne Ressourcenverbrauch auskommen wollen (so richtige klassische Umweltschützer sind sie auch nicht), zwischen Konzernen und ihren Gegnern (eine spezielle Art Globalisierungsgegner), zu geben. Sie fechten irgendwelche Kämpfe aus, die wohl eher Stellungskriege sind und bei denen sich nicht wirklich erschließt, was, abseits von einer Taktik der Nadelstiche, das größere Ziel ist.
Dagegen sind in dem doch sehr amerikazentristischem „Metatropolis“ der internationale islamistische Terrorismus, der Post-9/11-Überwachungsstaat, konventionelle Kriege, Wirtschaftskriege (jedenfalls aus der Perspektive der Konzernführer) und die gesamte Dritte Welt kein Thema. Auch Asien (vulgo Hongkong und Singapur) sind kein Thema. Diese blinden Flecken sind in einer aktuellen Anthologie, in der von verschiedenen Autoren aus verschiedenen Blickwinkeln eine gemeinsam entworfene zukünftige Stadtwelt beleuchtet werden soll, schon etwas seltsam.
Diese blinden Flecken könnten ignoriert werden, wenn wenigstens die Geschichten gelungen wären.
Aber wirklich gut ist nur John Scalzis mit reichlich schwarzem Humor gewürzte Geschichte „Utere nihil non extra quiritationem suis“ über einen Faulpelz, der einen Job als „Biosystem-Interface-Manager“ (Frag nicht. Aber es hat etwas mit Schweinen zu tun.) annehmen muss, um nicht aus der Stadt herausgeworfen zu werden. „Raumschiff Detroit“ von Tobias S. Buckell über einen Rausschmeißer, der einer revolutionären Gruppe bei einer großen Aktion hilft, ist die zweitbeste Geschichte. Am Ende, wenn die Hintergründe der Aktion enthüllt werden, gibt es eine kleine Überraschung.
Karl Schroeders „Ins ferne Cilenia“ wechselt reichlich hanebüchen zwischen Realität, Reality Game und Cyberspace. Als schnelle Lektüre ist dieser Cyberspace-Agententhriller, der aus den liegengebliebenen Versatzstücken eines „Matrix“-Klons gefertigt wurde, solange nicht nach der Logik gefragt wird, okay. Elizabeth Bears „Das Rot am Himmel ist unser Blut“ erzählt von einer Frau, die von einem Russenmafiosi verfolgt wird und jetzt einer Gruppe helfen soll, Leute aus Osteuropa herauszuschmuggeln. Auch diese Geschichte wirkt immer wieder, als ob sie aus nicht zusammenpassenden Teilen zusammengehauen wurde. Und Jay Lake erzählt in „In den Wäldern der Nacht“ eine furchtbar komplizierte und kaum nachvollziehbare Geschichte über einen oder mehrere Infiltrationsversuche von einem Konzern in eine naturverträglich gestaltete Stadt von Open-Source-Fans. Ein Totalausfall.
„Metatropolis“ ist, auch weil die Autoren bereits etliche Preise erhielten, eine erstaunlich schlechte Kurzgeschichtensammlung.
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John Scalzi (Hrsg.): Metatropolis
(übersetzt von Bernhard Kempen)
Heyne, 2010
416 Seiten
8,99 Euro
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Originalausgabe
METAtropolis
Subterranean Press, 2009
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enthält
Jay Lake: In den Wäldern der Nacht (In the forests of the night)
Tobias S. Buckell: Raumschiff Detroit (Stochasti-city)
Elizabeth Bear: Das Rot am Himmel ist unser Blut (The Red in the Sky is Our Blood)
John Scalzi: Utere nihil non extra quiritationem suis (Utere nihil non extra quiritationem suis)
Karl Schroeder: Ins ferne Cilenia (To Hie from Far Cilenia)
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Hinweise
Homepage von John Scalzi
Blog von John Scalzi
Homepage von Jay Lake
Blog von Jay Lake
Homepage von Tobias S. Buckell
Blog von Tobias S. Buckell
Homepage von Elizabeth Bear
Blog von Elizabeth Bear
Homepage von Karl Schroeder
Blog von Karl Schroeder
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