TV-Tipp für den 31. Juli: The Grifters

Juli 31, 2011

NDR, 23.45

The Grifters (USA 1990, Regie: Stephen Frears)

Drehbuch: Donald Westlake

LV: Jim Thompson: The Grifters, 1963 (Muttersöhnchen, Die Abzocker)

Roy Dillon schlägt sich als kleiner Trickbetrüger mehr schlecht als Recht durch. Als er an eine größere Menge Geld kommt, haben seine Freundin Mary und seine Mutter Lilly plötzlich Interesse an ihm; besonders an dem Geld.

Der potentielle Klassiker basiert auf einem der besten und düstersten Bücher von Thompson. Westlake schrieb ein grandioses Drehbuch, und das gesamte Team (es wäre wirklich unfair, eine einzelne Person herauszuheben) gab ihr bestes. „The Grifters ist ein starkes Stück Kino, ein Krimi, der seinen Alptraum formvollendet präsentiert.“ (Fischer Film Almanach)

Mit Anjelica Huston, John Cusack, Annette Bening, Pat Hingle, Charles Napier, J. T. Walsh, Xander Berkeley

Hinweise

Homepage von Donald E. Westlake

Drehbuch „The Grifters“ von Donald E. Westlake (Second Draft, März 1989)

Kriminalakte: Nachruf auf Donald E. Westlake

Kriminalakte: Covergalerie Donald E. Westlake

Meine Besprechung von Donald E. Westlakes Dortmunder-Roman „Get Real“

Meine Besprechung von Donald E. Westlakes Dortmunder-Roman „What’s so funny?“

Meine Besprechung von Donald E. Westlakes Dortmunder-Roman „Watch your back!“

Meine Besprechung von Donald E. Westlakes Dortmunder-Kurzroman „Die Geldmacher“ (Walking around money; erschienen in „Die hohe Kunst des Mordens“ [Transgressions])

Meine Besprechung von Donald E. Westlakes „Mafiatod“ (361, 1962)

Meine Vorstellung von Westlakes als Richard Stark geschriebener Parker-Serie (mit „Nobody runs forever“)

Meine Besprechung von Richard Starks Parker-Romans „Ask the Parrot“

Meine Doppelbesprechung von Richard Starks Parker-Romanen „Fragen Sie den Papagei“ (Ask the Parrot) und „Dirty Money“

Meine Besprechung des Films “The Stepfather”, nach einem Drehbuch von Donald E. Westlake


Alter Scheiß? Mario Puzo: Sechs Gräber bis München

Juli 30, 2011

Zehn Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs kehrt der US-Amerikaner Michael Rogan nach Deutschland zurück. Er will die sieben Männer ermorden, die kurz vor Kriegsende seine schwangere Frau folterten und töteten, ihn ebenfalls monatelang folterten und im Innenhof des Münchner Justizpalastes für tot zurückließen.

Mit dieser Prämisse beginnt Mario Puzos lange nicht mehr erhältlicher und jetzt erstmals ins Deutsche übersetzter Krimi „Sechs Gräber bis München“. Als der Roman zum ersten Mal, zwei Jahre vor seinem Bestseller „Der Pate“ (The Godfather) erschien, stand auf dem Cover „Mario Cleri“, ein Pseudonym, das er aus seinem Vornamen und einer Kurzform von Clericuzio, dem Name seiner Mutter nach ihrer zweiten Ehe, zusammengefügt und das er bereits für „True Action“ für Zweiter-Weltkrieg-Geschichten benutzt hatte. „Sechs Gräber bis München“ war damals dann auch einer von abertausend Pulp-Romanen, die vom Publikum schnell gelesen und oft auch ebenso schnell vergessen wurden. Jedenfalls hatte Mario Puzo zu seinen Lebzeiten kein Interesse an einer Wiederveröffentlichung. An der literarischen Qualität, ohne „Sechs Gräber bis München“ jetzt zu einem literarischem Meisterwerk hochstilisieren zu wollen, kann es nicht gelegen haben.

Denn „Sechs Gräber bis München“ ist ein kleiner, geradliniger Rachethriller, der nie mehr sein will als spannende, schnörkellos geschriebene Unterhaltung für einige Stunden. Und das gelingt Mario Puzo mit seiner Geschichte über Michael Rogan, der der Reihe nach seine Folterer in Hamburg, Berlin, Sizilien, Budapest und München umbringt, sich bereits in Hamburg in eine Prostituierte, die nach dem Krieg in einer Irrenanstalt war, verliebt und dem US-Geheimdienst ins Geschäft pfuscht. Denn dieser hat, ebenso wie die deutsche Regierung, kein Problem damit, in dem neuen Deutschland Nazis und Folterer zu beschützen und ihnen auch hohe Posten anzubieten. So ist Rogans letztes Opfer Oberster Richter im Justizpalast und er steht am Beginn einer sehr verheißungsvollen politischen Karriere.

Diese politische Dimension vertieft Puzo nicht weiter. Ebenso beschränkt sich das Zeitkolorit der 1955 spielenden Geschichte auf einige sehr austauschbare Beobachtungen.

Aber Pulp-Fans haben sich noch nie für epische Landschaftsschilderungen interessiert. Sie wollen Spannung, Sex und eine ordentliche Portion Gewalt – und all das bietet Mario Puzo in „Sechs Gräber bis München“. Immerhin will Rogan sechs Menschen in verschiedenen Städten umbringen und er hat dafür nur knappe zweihundert Seiten.

Und das macht die „Sechs Gräber bis München“ in Zeiten backsteindicker Bücher definitiv zum absolut empfehlenswertem Scheiß.

Mario Puzo: Sechs Gräber bis München

(übersetzt von Joachim Körber)

kuk/Edition Phantasia, 2011

196 Seiten

19 Euro

Originalausgabe

Mario Cleri (Pseudonym von Mario Puzo)

Six Graves to Munich

Banner Books, 1967 (No. B 50 – 112)

Hinweise

Homepage von Mario Puzo

Wikipedia über Mario Puzo (deutsch, englisch)

Krimi-Couch über Mario Puzo

Kirjasto über Mario Puzo

Kaliber.38 über Mario Puzo

Time: Mario-Puzo-Titelgeschichte (28. August 1978 – mit einem schönen Titelbild)

 


TV-Tipp für den 30. Juli: Der nackte Kuss

Juli 30, 2011

ZDFkultur, 22.30

Der nackte Kuss (USA 1964, R.: Sam Fuller)

Drehbuch: Sam Fuller

Die Prostituierte Kelly will ein einer All-American-Kleinstadt ein neues Leben beginnen. Aber diese heile Welt ist gar nicht so heil.

Ein kleiner Noir-Klassiker der etwas anderen Art. Denn ein guter Film ist „Der nackte Kuss“ nicht. Ein bizarrer, ein irritierender, ein teils langweilender, teils beunruhigender und polarisierender Film ist „Der nackte Kuss“ schon; – mehr dazu in meiner ausführlichen Besprechung des „nackten Kusses“.

mit Constance Towers, Anthony Eisley, Michael Dante, Virginia Grey, Patsy Kelly, Marie Devereux

Wiederholung: Sonntag, 31. Juli, 04.20 Uhr

Hinweise

Wikipedia über „Der nackte Kuss“

Der Film Noir über „Der nackte Kuss“

Film-Rezensionen über „Der nackte Kuss“

Turner Classic Movies: Sean Axmaker über „Der nackte Kuss“

The Last Drive In: Monstergirl über „Der nackte Kuss“ (Teil 1, Teil 2, Teil 3)

Criterion: Michael Dare über „Der nackte Kuss“

You Tube: der gesamte Film in bescheidener Bildqualität

Meine Besprechung von „Der nackte Kuss“


DVD-Kritik: John Frankenheimers Evan-Hunter-Verfilmung „Die jungen Wilden“

Juli 29, 2011

Als John Frankenheimer 1960 „Die jungen Wilden“ drehte, wollte er vor allem zeigen, dass er als Live-Television-Director auch einen Spielfilm drehen konnte. Und zwar, wie auch die anderen Live-Television-Regisseure, die damals in Hollywood ihre zweite Karriere begannen (unter anderem Arthur Penn, Sidney Lumet, Norman Jewison und George Roy Hill), mit einem Film, der auch etwas zu sagen hatte. Also kein Musical, keine launige Komödie, sondern ein Drama, das etwas über die Gesellschaft aussagt und dies mit einer liberalen Position verknüpft. Da bot sich ein Film über die Jugendkriminalität und die Bandenkriminalität an.

In „Die jungen Wilden“ erstechen in Spanish Harlem drei italienische Jugendliche (sie sind 15, 16 und 17 Jahre alt) tagsüber auf offener Straße einen blinden puerto-ricanischen, fünfzehnjährigen Jungen. Staatsanwalt Hank Bell (Burt Lancaster), der aus dem gleichen Viertel wie die Mörder kommt, will ein Exempel statuieren. Er war früher sogar mit der Mutter von dem jüngsten Täter liiert. Ihm gelang dann der Weg aus dem Ghetto. Er glaubt, dass die Menschen sich für ihre Taten verantworten müssen und er weiß, dass diese Jugendlichen und ihre Bewunderer nur eine Sprache verstehen. Auch wenn es bedeutet, dass sie dafür auf den elektrischen Stuhl müssen.

Sein Vorgesetzter, District Attorney Daniel Cole, der für das Amt des Gouverneurs kandidiert, unterstützt ihn bei dieser harten Linie.

Aber als Bell sich mit den Hintergründen der Tat beschäftigt, entdeckt er, dass das Opfer nicht so harmlos war, wie man auf den ersten Blick vermutet, und die Täter nicht die blutgierigen Bestien sind, als die sie anfangs erschienen.

Frankenheimer drehte den Film hauptsächlich vor Ort. Wegen der hohen Kosten für zwei Crews war ein gesamter Dreh in New York nicht möglich, aber die Innenausstattung wurde detailgetreu in Hollywood nachgebaut und so fühlt sich der Film von der ersten bis zur letzten Minute authentisch, in vielen Momenten fast schon wie ein Dokumentarfilm an.

Der Mord bietet Frankenheimer die Gelegenheit, sich mit den damals entstehenden Straßengangs, die sich an den unterschiedlichen Ethnien orientierten, dem alltäglichem Rassismus, der Politik, der zwiespältigen Rolle der Presse und den sozialen und psychologischen Hintergründen der Tat und was sie für die von ihr Betroffenen bedeutet, zu beschäftigen und so auch ein Sittenbild der damaligen Gesellschaft zu zeigen. Dabei gibt es etliche Szenen, die für das damalige Publikum sicher verstörend waren: die drastisch gezeigte Gewalt, die Herrschaft der Straßengangs über das Viertel, die Rede der Mutter gegenüber Cole und Bell während der Beerdigung und das Geständnis eines Mädchens vor Gericht,, dass sie als Prostituierte das Geld für die Familie verdient. Filmisch gibt es auch immer wieder beeindruckende Szenen: wenn Frankenheimer in den ersten Filmminuten die drei Jugendlichen zu ihrer Tat verfolgt, die Tat teilweise in einer Sonnenbrille gezeigt wird (was auch eine Hommage an Alfred Hitchcocks „Der Fremde im Zug“ ist), die immer wieder in extremer Untersicht aufgenommenen Schauspieler und natürlich deren überzeugendes Spiel. Nicht nur bei den Profis, sondern auch bei den jungen Schauspielern und den Laien. Das alles zeigt, dass John Frankenheimer bei seinem zweiten Spielfilm genau wusste, was er tat.

Die jungen Wilden“ war ein bei den Kritikern und in dem städtischen Publikum, das in dem Film, der auf einem wahren Fall basierte, ihnen vertraute Probleme erkannte, ein Erfolg. Mit Burt Lancaster, der damals ein großer Star war und auch einen Regisseur feuern konnte, drehte John Frankenheimer direkt danach „Der Gefangene von Alcatraz“ (Birdman of Alcatraz) und später „Sieben Tage im Mai“ (Seven Days in May), „Der Zug“ (The Train) und „Die den Hals riskieren“ (The Gypsy Moths).

Frankenheimers Karriere in den folgenden über vierzig Jahren war wechselhaft. So drehte er Flops, wie das gruselige „D. N. A. – Experiment des Wahnsinns“ (The Island of Dr. Moreau), bei dem er die Regie von Richard Stanley übernahm. Aber auch etliche Klassiker, wie „Botschafter der Angst“ (The Manchurian Candidate), „Grand Prix“, „French Connection II“, „Schwarzer Sonntag“ (Black Sunday), „52 Pick-Up“ und „Ronin“.

Auch „Die jungen Wilden“ gehört in diese Reihe.

 

Andere Meinungen

 

In der Milieuzeichnung glaubhaft und kompromisslos, in der Charakterisierung der Figuren jedoch zu vordergründig.“ (Lexikon des internationalen Films)

 

It is a tribute to his skill that this narrative, so overcrowded on paper, never seems, on film contrived and complacent in its social concerns. It is not easy to keep all the threads running evenly throughout this broad tapestry of poverty, violence and despair, but the director has managed this so skilfully, and not at all episodically, that events and characters seem consistently believable.“ (Gerald Pratley: The Films of Frankenheimer, 1998)

 

Ein exzellentes Drama um Jugendkriminalität.“ (TV Spielfilm: Das große Filmlexikon, 2006)

Die jungen Wilden (The Young Savages, USA 1960)

Regie: John Frankenheimer

Drehbuch: Edward Anhalt, J. P. Miller

LV: Evan Hunter: A matter of conviction, 1959 (später auch “The Young Savages”, deutscher Titel “Harlem Fieber”)

Mit Burt Lancaster, Dina Merrill, Shelley Winters, Edward Andrews, Vivian Nathan, Larry Gates, Telly Savalas (in seinem Spielfilmdebüt und dann, lange vor “Kojak”, schon gleich als Kriminalpolizist)

DVD

Euro Video

Bild: 16:9 (1.77:1)

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0)
Untertitel: –

Bonusmaterial: –

Länge: 98 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Wikipedia über “Die jungen Wilden”

Turner Classic Movies: Jeff Stafford über “The Young Savages”

Cahiers de Cinema über „The Young Savages“

Rays Kinofilmklassiker über „Die jungen Wilden“

The Museum of Broadcast Communications über John Frankenheimer

Homepage von Ed McBain

Meine Besprechung des von Ed McBain herausgegebenen Buches „Die hohe Kunst des Mordens“ (Transgressions, 2006)

Meine Besprechung von Ed McBains “Die Gosse und das Grab” (The Gutter and the Grave, 2005, Erstausgabe: Curt Cannon: I’m Cannon – For Hire, 1958)


TV-Tipp für den 29. Juli: Die Spezialisten

Juli 29, 2011

RBB, 23.00

Die Spezialisten (F 1984, R.: Patrice Leconte)

Drehbuch: Bruno Tardon, Patrick Dewolf, Patrice Leconte, Michel Blanc

Zwei flüchtige Verbrecher wollen ein Kasino ausrauben.

Damals gefiel mir im Kino der französische Kassenhit, der auch in Deuschland im Kino von fast 350.000 Leuten gesehen wurde (Platz 48 der 1985er Besucherstatistik).

Heute immer noch? Ich denke schon, denn: „Ein originelles Drehbuch, flotte Regie und gute Darsteller heben diesen Film über das Mittelmaß der meisten Actionstreifen hinaus.“ (Fischer Film Almanach 1986)

Leconte drehte später die Georges-Simenon-Verfilmung „Die Verlobung des Monsieur Hire“, „Der Mann der Friseuse“, „Die Frau auf der Brücke“ und „Die Witwe von Saint-Pierre“.

mit Bernard Giradeau, Gérard Lanvin, Christiane Jean, Maurice Barrier, Bertie Cortez

Hinweise

Wikipedia über „Die Spezialisten“ (deutsch, englisch, französisch)

RBB über „Die Spezialisten“


Neu im Kino/Filmkritik: Superheldenfilm, die XYte: Heute mit „Green Lantern“

Juli 27, 2011

Am hellsten Tag, in schwärzester Nacht

entgeht nichts Böses meiner Wacht

Wer finsteren Mächten sich verspricht

der hüte sich vor Green Lanterns Licht!

Beginnen wir mit dem Positiven: Ryan Reynolds. Er spielt die Rolle des wagemutigen Jetpiloten Hal Jordan, der zu einem Green Lantern (bleiben wir beim englischen Begriff, denn „Grüne Laterne“ klingt doch etwas dämlich) wird, mit dem nötigen Augenzwinkern. So, als würde er sagen: „Ich weiß, dass das ein vollkommen kindischer Film ist, aber lass uns einfach eine gute Zeit haben.“

Doch es hilft nichts. Denn letztendlich stimmt nichts an dem Film.

Das beginnt schon mit der 3D-Optik, die dazu führt, dass die Tricktechnik um Jahrzehnte zurückgeworfen wird. Die Wächter, die fremden Welten, die Kämpfe: alles sieht nach billigster Computeranimation und Videogame aus dem letzten Jahrzehnt aus. Dass es besser geht, zeigte George Lucas schon damals in seinen letzten drei „Krieg der Sterne“-Filmen. So gibt es vor sechs Jahren in „Star Wars: Episode III – Die Rache der Sith“ eine Totale von einer Zukunftsstadt, bei der man den Eindruck hat, dass man eine echte Stadt sieht (und im Kino, bei den Dialogen, immer wieder herzhaftes Gelächter).

In „Green Lantern“ denkt man dann, weil die Tricks durchgehend mies sind, an einen schlampig gezeichneten Trickfilm. Vor allem, wenn Hal Dinge aus dem Nichts erschafft, die dann auch so ein ekliges Chemiegrün haben: zuerst auf dem Planeten Oa, wo das Green Lanterns Corps (eine Art galaktische Friedenstruppe) sich versammelt hat. Da gibt es dann einen Schwertkampf mit aus Gedankenkraft erschaffenen Schwertern, der schon stark an die „Krieg der Sterne“-Lichtschwerter erinnert. Später, wenn Hal auf der Erde einen abstürzenden Hubschrauber in ein Auto umdenkt und über eine erfundene grüne Brücke fahren lässt oder wenn er immer wieder supergroße grüne Wummen erfindet, wird es nicht besser.

Wenn es dann 3D-Aufnahmen von Räumen gibt, fehlt in den Räumen (wobei es im Weltall und auf fremden Planeten sowieso einige Probleme mit den Dimensionen gibt) und, erstaunlich oft, bei den Gesichtern das gewohnte räumliche Empfinden. Die Schauspieler sehen dann wie Scherenschnitte aus; was einen selbstverständlich aus der Wirklichkeit des Films reißt.

Die Story folgt grob und erstaunlich holprig der üblichen Superheldengeschichte, die wir in den vergangenen Jahren gefühlte Tausendmal gesehen haben: Held ist ein Niemand; Held wird zum Superhelden auserkoren (von Spinnenbiss über Unfall in den afghanischen Bergen hin zu selbstauferlegter Mission); Held trainiert seine neuen Fähigkeiten; Held bewährt sich im Kampf gegen den großen Bösewicht und er nimmt seine gesellschaftliche Verantwortung als Superheld für die kommenden Fortsetzungen (wenn das Einspielergebnis stimmt) an.

Immerhin hat in „Green Lantern“ der Held keine Probleme damit, der Auserwählte zu sein. Er nimmt diese Aufgabe fast schon schulterzuckend, so als ob er einfach ein neues Computerspiel ausprobieren würde, an.

Und erkennbare psychische Probleme hat er auch nicht. Das macht ihn, gegenüber den mit psychologischem Ballast aufgeblasenen anderen Kino-Superhelden, sehr sympathisch.

In „Green Lantern“ wird diese Initiationsgeschichte des Helden eher unlustig, aber immerhin unter zwei Stunden, mit einigen ausgesprochen dümmlichen Dialogen (wenn Hal den anderen Green Lanterns erklärt, dass man sich seiner Furcht stellen müsse und dass wir Menschen so toll sind, weil wir uns unseren Ängsten stellen) und erstaunlich konfus abgehandelt. Der Bösewicht ist einerseits Hector Hammond (Peter Sarsgaard), der nachdem er einen Tropfen Blut von Parallax in sich aufnimmt, selbst zum Monster mutiert (Hm, warum wird er böse, während die Green Lanterns starben?), andererseits Parallax, das unglaublich lang auf einem unglaublich fernem Planetem eingesperrte ultimative Böse; ein gelbes, zähnefletschendes Monstrum, das riesengroß ist, einige Green Lanterns verschlingt und tötet, später einige Menschen brutzelt und von Hal in einem unglaublich kurzem Endkampf ziemlich profan getötet wird.

Und damit wären wir bei den Action-Szenen. Genauer wohl Post-Action-Szenen. Denn in einer traditionellen Action-Szene sehen wir die Schauspieler und Stuntmänner bei der Arbeit und wie sie sich in Gefahr begeben. Es gibt die Verfolgungsjagd in „French Connection“, die Verfolgungsjagden und Kämpfe in den James-Bond-Filmen (den letzten Bond-Film lassen wir mal weg), die Kämpfe in den Filmen von Jackie Chan, die Zerstörungsorgie in „Terminator 3“, wenn die Filmemacher einen gesamten Straßenzug zerstören.

In einem Post-Action-Film sind die Action-Szenen dagegen so zerschnippselt, dass man die Action gar nicht mehr verfolgen kann und man im schlechtesten Fall den Eindruck hat, dass man die Szene auch gleich selbst spielen könnte. Wenn die Action nicht im Schnittgewitter untergeht, ist sie so übertrieben, dass man sofort merkt, dass sie im Studio vor einem Green Screen und im Computer entstand. Die Folge: Langeweile, weil wir nicht mehr emotional in die Kämpfe involviert sind.

Diese Post-Action-Szenen sind in „Green Lantern“ reiner Selbstzweck. Pubertäre Kloppereien, die nicht länger im Gedächtnis bleiben. Denn in einer guten Action-Szene zeigt sich der unterschiedliche Charakter der Kämpfenden. Deshalb können gute Action-Szenen, weil sie die Geschichte voranbringen, wie zuletzt in Takashi Miikes „13 Assassins“, ohne zu langweilen, gute fünfzig Minuten dauern.

In „Green Lantern“ erfahren wir dagegen in den Kämpfen nichts über die einzelnen Charaktere. Entsprechend gelangweilt erleben wir die Kloppereien auf fremden Planeten, im Weltraum und auch auf der Erde.

Ach, es ist zum Haare raufen. Denn was wäre bei dieser Besetzung und bei dem Budget von 200 Millionen Dollar (offizielle Angabe, wobei ein guter Teil sicher in der Entwicklungshölle verschwunden ist) drin gewesen. Martin Campbell hat den TV-Klassiker „Edge of Darkness“ (Am Rande der Finsternis) gedreht und mit seinem zweiten James-Bond-Film „Casino Royale“ einen tollen Bond-Reboot gemacht. Peter Sarsgaard hat in den vergangenen Jahren seine Vielfältigkeit als Schauspieler gezeigt. Mark Strong scheint in jedem angesagten Film dabei zu sein. In „Green Lantern“ erkennt man sie unter ihren Masken kaum. Tim Robbins ist fast verschenkt und Angela Bassett; – nun, sie ist auch dabei, aber sie überlebt den Film nicht. Glaube ich jedenfalls. Denn das war im Schnitt nicht so klar. Der ist von Stuart Baird; ein Altmeister mit zwei Oscar-Nominierungen und eigenen Regieerfahrungen bei den Thrillern „U. S. Marshals“ (Auf der Jagd) und „Executive Decision“ (Einsame Entscheidung).

Und James Newton Howard schrieb einen verdächtig nach einer schlechten „24“-Kopie klingenden Soundtrack.

Die Drehbuchautoren Greg Berlanti, Michael Green, Marc Guggenheim und Michael Goldenberg sind zwar vor allem aus dem Fernsehen bekannt. Aber mit „Everwood“, „Eli Stone“, „Smallville“, „No ordinary Family“ und „Heroes“ haben sie als Autoren und Erfinder nicht gerade bei den schlechtesten Serien mitgemischt. Und Goldenberg schrieb die Bücher für „Contact“ und „Harry Potter und der Orden des Phönix“.

Die wissen also schon, was sie tun. Nur in „Green Lantern“ zeigen sie nichts davon.

Denn bei einem Budget von 200 Millionen Dollar (und dem damit verbundenem sicheren Gewinn) darf man doch wohl erwarten, dass auch etwas Geld in die Geschichte gesteckt wird: in Charaktere, die uns wichtig sind, gute Dialoge und eine schlüssige Geschichte. Wenn das vorhanden ist, lieben wir die Action-Szenen und können auch schlechte Tricks verzeihen.

Green Lantern (Green Lantern, USA 2011)

Regie: Martin Campbell

Drehbuch: Greg Berlanti, Michael Green, Marc Guggenheim, Michael Goldenberg (nach einer Geschichte von Greg Berlanti, Michael Green, Marc Guggenheim)

LV: Comic-Charaktere von DC Comics

mit Ryan Reynolds, Blake Lively, Peter Sarsgaard, Mark Strong, Angela Bassett, Tim Robbins, Jay O. Sanders, Taika Waititi

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Facebook-Seite zum Film

Film-Zeit über „Green Lantern“

Wikipedia über „Green Lantern“ (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 28. Juli: Vengeance – Killer unter sich

Juli 27, 2011

WDR, 23.15

Vengeance – Killer unter sich (Hongkong/Frankreich 2009, R.: Johnny To)

Drehbuch: Ka-Fai Wai

In Macao wird die Tochter des französischen Restaurantbesitzers Francis Costello in ihrer Wohnung schwer verletzt. Ihre Familie wird ermordet. Costello beschließt, die Täter zu stellen. Dabei helfen dem ehemaligen Profikiller einige Kollegen, die er zufällig im Hotel trifft.

Das ging aber schnell. Bereits wenige Monate nach der DVD-Premiere läuft Johnny Tos neuester Neo-Noir-Thriller im TV.

Mit „Vengeance“ zeigt Hongkong-Regisseur Johnnie To wieder einmal, wofür ihn Filmfans seitdem sie vor zehn Jahren seinen stilisierten Gangsterfilm „The Mission“ (Unbedingt ansehen!) sahen, lieben: schnörkelloses Genrekino mit stilvoll eingestreuten Zitaten und gerade in ihrer Reduktion grandiosen Actionszenen. Das ist in seiner Stilisierung pures Kino, das näher bei Jean-Pierre Melville als an der Wirklichkeit ist.

mit Johnny Hallyday, Sylivie Testud, Anthony Wong, Simon Yam

Hinweis

Meine ausführliche Besprechung von „Vengeance“


DVD-Kritik: Die fantastische BBC-Serie „Ashes to Ashes – Zurück in die 80er“

Juli 27, 2011

In der grandiosen BBC-Serie „Life on Mars“ landete der Polizist Sam Tyler (John Simm) nach einem Autounfall im Koma und erwachte 1973 in Manchester.

In dem noch besseren „Life on Mars“-Spin-off „Ashes to Ashes“ wird die Polizistin Alex Drake (Keeley Hawes) im heutigen London angeschossen und erwacht im Juli 1981 in London. Dort trifft sie auf die aus „Life on Mars“ bekannten Polizisten DCI Gene Hunt (Philip Glenister) und seine beiden Untergebenen Ray Carling (Dean Andrews) und Chris Skelton (Marshall Lancaster).

Alex Drake weiß sofort, auch weil sie sich als Polizeipsychologin mit dem Fall Sam Tyler beschäftigte, wo sie ist: im Koma und in Tylers Welt. Sie weiß, dass sie jetzt den Kampf gegen ihr Koma aufnehmen muss. Sie will wieder aufwachen. Dafür muss sie, so sagt sie sich, in ihrer Fantasie ein großes Rätsel lösen und alles, was sie wahrnimmt, sind Hinweise auf die Lösung. Das Rätsel ist die Ermordung ihrer Eltern mit einer Autobombe 1981. Wenn es ihr gelingt, den Anschlag zu verhindern, kann sie zurückkehren in die Gegenwart, ihr altes Leben und zu ihrer Tochter.

Ashes to Ashes“ ist, wie gesagt, das Spin-off zu der erfolgreichen BBC-Serie „Life on Mars“. Aber, weil die Macher in dem Spin-off die Fantasiewelt komplexer und geschlossener gestalten, ist „Ashes to Ashes“ wesentlich besser als das dagegen doch etwas einfach gestrickte Original. Denn die Serienerfinder Matthew Graham und Ashley Pharoah setzen jetzt die in „Life on Mars“ bereits angelegte Welt wesentlich konsequenter um. „Life on Mars“ war, trotz der ziemlich durchgeknallten Idee, doch nur eine 70er-Jahre-Krimiserie mit einigen Irritationen. „Ashes to Ashes“ gibt sich vollkommen der Fantasiewelt der Protagonistin Alex Drake hin.

Denn weil Alex Drake weiß, dass das alles ihre Wahrnehmung ist, unterhält sie sich mit den anderen Charakteren, vor allem DCI Hunt und ihrer Mutter, auch ziemlich freimütig darüber – und diese finden nichts besonderes dabei. Im normalen Leben hätte man Drake dagegen schon nach dem ersten Gespräch in eine geschlossene Anstalt verwiesen.

Und, weil es ihre Fantasie ist, ist „Ashes to Ashes“ die Über-80s-Krimiserie, mit allen Klischees, die man aus diesen Serien kennt. Nur noch übertriebener: das gegensätzliche Buddy-Cop-Team, die dummen Kollegen, die als Treffpunkt fungierende Pizzeria, der Rassismus, die Homophobie, der Sexismus (wobei Alex Drake auch immer betont sexy, um nicht ’nuttig‘ zu sagen, herumläuft und die Fälle oft im Prostituiertenmilieu spielen oder es mindestens einen Hinweis auf das Milieu gibt [Was sagt uns das über Alex Drake und die 80er-Jahre-Krimiserien?]) und die fast schon allgegenwärtige Gewalt. Denn es vergeht kaum ein Verhör oder eine Festnahme, ohne dass der Verdächtige meistens grundlos geschlagen wird.

Weil „Ashes to Ashes“ 1981 spielt, sind die Siebziger auch noch präsent. Was vor allem aus TV-Seriensicht heißt: „The Sweeney“ (in England kennt die Serie jedes Kind, bei uns höchstens Insider; aber auch bei den „Füchsen“, so der deutsche Titel, artete eine Festnahme oft in eine veritable Schlägerei aus) und „Die Profis“. Die 80er waren dann „Miami Vice“ und die dort herrschende Betonung des Stils.

Stilvoll ist auch „Ashes to Ashes“. Die Sets sind einerseits als Fantasie von Alex Drake überstilisiert (so hat die Decke des Polizeireviers ein Schachbrettmuster), andererseits wurden die Wohn- und Bekleidungsmoden der frühen achtziger Jahre rekreiert und künstlich so überhöht, dass sogar „Miami Vice“ wie der schmuddelige Halbbruder von „Ashes to Ashes“ aussieht.

Dazu gibt es unzählige zeitgenössische Songs, die die Ereignisse und Gefühle der einzelnen Charaktere punktgenau kommentieren. Sie bilden den Soundtrack für die Zeit – und für die Gefühle von Alex Drake. Dieses Stilelement wurde in „Life on Mars“ kaum verwandt. Denn erst mit „Miami Vice“ wurden zeitgenössische Hits und Songs, die extra für die Serie geschrieben wurden (und dann zu Hits wurden), in einer TV-Serie populär. „Ashes to Ashes“ bedient sich bei den damaligen britischen Hits.

Und alle spielen einen kleinen Tick neben der Spur. Wie in einem Traum. Da ist es auch egal, dass Gene Hunts Audi Quattro 1981 noch gar nicht in England erhältlich war.

Ashes to Ashes – Zurück in die 80er: Staffel 1“ ist eine in jeder Beziehung fantastische Krimiserie.

 

Die DVD

 

Bei uns wurde die von der BBC gekürzte internationale Version von „Ashes to Ashes – Zurück in die Zukunft: Staffel 1“ veröffentlicht. Das ist schade. Denn gerade in der englischen Sprachfassung kann man, dank Gene Hunt, sein Reservoir an Beleidigungen und Slangausdrücken gut erweitern.

Das Bonusmaterial bewegt sich im gewöhnlichen Rahmen. Das Making-of „Life after Mars“ ist informativ, vor allem wenn die Autoren und Produzenten reden, aber besteht insgesamt weitgehend aus den üblichen Lobhuddeleien. Die „Set Tour“ ist dagegen sehr informativ, weil die Production-Designerin Stevie Herbert erklärt, wie die Sets entstanden und warum sie sie so und nicht anders baute. In der „Car Explosion“ wird gezeigt, wie die Autoexplosion, in der die Eltern von Alex Drake sterben, entstand. Die „Outtakes“ (vor allem vom Dreh in der Schwulendisco [Yep, stellen Sie sich vor: Gene Hunt und seine beiden sehr heterosexuellen Kollegen ermitteln undercover in einer Schwulendisco]) und die „Deleted Scenes“ sind nette Beigaben.

Ashes to Ashes – Zurück in die 80er: Staffel 1 (Ashes to Ashes, GB 2008)

Regie: Johnny Campbell (Episode 1, 2, 7, 8), Billie Eltringham (Episode 3, 5), Catherine Morshead (Episode 4, 6),

Drehbuch: Matthew Graham (Episode 1, 7), Ashley Pharoah (Episode 2, 8), Julie Rutherford (Episode 3), Mark Greig (Episode 4, 5), Mick Ford (Episode 6)

Idee: Matthew Graham, Ashley Pharoah

mit Keeley Hawes (Alex Drake), Philip Glenister (Gene Hunt), Dean Andrews (Ray Carling), Marshall Lancaster (Chris Skelton), Montserrat Lombard (Shaz Granger), Joseph Long (Luigi), Geff Francis (Viv James), Grace Vance (Molly Drake), Amelia Bullmore (Caroline Price)

DVD

Polyband

Bild: 16:9 (1,78:1)

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0)

Untertitel: –

Bonusmaterial (mit deutschen Untertiteln, 60 Minuten): Set Tour, Car Explosion, Life after Mars, Deleted Scenes, Outtakes

Länge: 400 Minuten (8 x 50 Minuten auf 3 DVDs)

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

BBC über „Ashes to Ashes“

BBC Germany über „Ashes to Ashes“

Fox Channel (Deutschland) über „Ashes to Ashes“

Wikipedia über „Ashes to Ashes“ (deutsch, englisch)

Und jetzt: Bühne frei für David Bowie und „Ashes to Ashes“

 


TV-Tipp für den 27. Juli: Der Wolf hetzt die Meute

Juli 27, 2011

SWR, 23.00

Der Wolf hetzt die Meute (USA 1984, R.: Richard Tuggle)

Drehbuch: Richard Tuggle

New-Orleans-Cop Wes Block jagt einen Prostituiertenmörder. Als eine Prostituierte, bei der er kurz vorher war, ermordet wird, vermutet er eine Beziehung zwischen ihm und dem Mörder. Er hält es sogar nicht für ausgeschlossen, selbst der Täter zu sein.

Als Zuschauer wissen wir in dem Regiedebüt des Drehbuchautors von „Flucht von Alcatraz“ (obwohl Eastwood im Hintergrund dann doch Regie führte) schon früh, dass sich Block in diesem Punkt irrt. Dennoch ist „Der Wolf hetzt die Meute“ (doofer deutscher Titel des wesentlich treffenderen Originaltitels „Tightrope“) ein spannender Psycho-Thriller, der die dunkle Seite von Dirty Harry erkundet, bei den Kritikern ziemlich gut ankam und an der Kasse erfolgreich war.

Im Rückblick ist „Der Wolf hetzt die Meute“ einer von Eastwoods besten Filmen aus den achtziger Jahren.

mit Clint Eastwood, Genevieve Bujold, Dan Hedaya, Alison Eastwood, Jennifer Beck

Hinweise

Wikipedia über „Der Wolf hetzt die Meute“ (deutsch, englisch)

Kriminalakte: Glückwünsche zum achtzigsten Geburtstag von Clint Eastwood

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „Hereafter“

Clint Eastwood in der Kriminalakte


HaHa, sehr witzig, die „Verarschung“ von Lars Arffssen

Juli 26, 2011

Dass Lars Arffssen mit „Verarschung“ die Bestseller „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“ von Stieg Larsson parodiert, dürfte auch dem Dümmsten sofort auffallen.

Larsson erzählt in seinen drei posthum erschienenen Krimis, wie der Enthüllungsjournalist Mikael Blomkvist und die Hackerin Lisbeth Salander das Unrecht in Schweden bekämpfen. Dabei decken sie Frauenverachtung, Frauenhass und staatsgefährdende Umtriebe zwischen Geheimdiensten und Verbrecherbanden bis in die höchsten Ebenen des Landes auf. Das ist moralisch honorig, aber nicht besonders gut geschrieben, absolut humorfrei und bestenfalls mäßig geplottet. Denn Larsson ergeht sich in den jeweils etwa 800-seitigen, anscheinend in einem Schreibrausch geschriebenen Werken in zahllosen, oft auch uferlosen und belanglosen Nebengeschichten, unwichtigen Details (kein Computer, ohne dass gleich das Datenblatt mitgeliefert wird; kein Gespräch, ohne dass gleich mehrere Tassen Kaffee getrunken werden), endlosen Wiederholungen und garniert das ganze mit einer pseudo-verschachtelten Struktur, die nur auf den ersten Blick gedankliche Tiefe vortäuschen kann. Das und der überwältigende Erfolg beim Publikum, denn die Bücher sind weltweit Bestseller, die schwedischen Verfilmungen waren ebenfalls kommerziell erfolgreich und in den USA hat David Fincher gerade das Remake von „Verblendung“ gedreht, forderten natürlich eine Parodie heraus und eigentlich ist nur verwunderlich, dass erst jetzt die „Verarschung“ (der deutsche Titel ist viel deutlicher als der US-Titel) von „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“ erscheint. In ihr ist, wie es sich für eine Parodie gehört, alles hoffnungslos übertrieben. Denn eine Parodie ist „eine verzerrende, übertreibende oder verspottende Nachahmung“ (Wikipedia).

Die Verzerrung und die Übertreibung gelingt Arffssen auch ziemlich gut. Die Verspottung nur, wenn man Spott nicht mit Lachen verwechselt. Denn wer die Larsson-Bücher „Verblendung“, Verdammnis“ und „Vergebung“ gelesen hat, wird in der Parodie auch viele bekannte Charaktere mit leicht geänderten Namen und Plotwendungen wiedererkennen. Lizzy Salamander ist, wieder einmal, inhaftiert, weil sie einen Mord begangen haben soll (siehe „Verdammnis“ und „Vergebung“). Mikael Blomberg soll für den Möbelkonzern UKEA den Mord an dem Sohn des Inhabers aufklären und sich mit der Nazi-Vergangenheit des Unternehmens beschäftigen (siehe „Verblendung“). Ein Irrer ermordet Rentiere – und alles hängt miteinander und mit der Familiengeschichte von Salamander zusammen (siehe alle Larsson-Bücher). Wenn Sie jetzt verwirrt sind, haben sie die Methode Larsson verstanden.

Gleichzeitig könnte „Verarschung“, auch weil die Geschichte zeitlich nach „Vergebung“ spielt, als vierter „Millennium“-Band durchgehen. Denn bis auf die astronomischen Minusgrade, den schonungslos übertriebenen Männerhass, der jeden Mord rechtfertigt und nur noch durch einige fiktive Gesetze getoppt wird, und Blombergs unglaubliche Anziehungskraft auf Frauen (nein, halt, das war schon so in der Vorlage), einige Übertreibungen (in Salamanders kleine Gefängniszelle wird ein unglaublich großer Computer geschmuggelt und niemand kümmert es) ist alles so, wie wir es aus den Larsson-Büchern kennen: eine absurde Geschichte, eine unglaubliche Detailversessenheit (kein Computer ohne genaueste Speicherangaben), unendlich langweilige Dialoge (gerne auch über Computer geführt), epische Subplots und unwitzige Witze.

Damit erschöpft sich der Witz von „Verarschung“ schon nach zehn Seiten. Der Rest nötigt etwas Bewunderung ab. Denn Arffssen trifft den Ton des Originals ziemlich gut – und damit könnte „Verarschung“, wenn man einige Übertreibungen herausnimmt, gut als viertes Abenteuer von Mikael Blomkvist und Lisbeth Salander fungieren.

Als Parodie ist „Verarschung“ dagegen ziemlich in die Hose gegangen. Denn ich konnte nicht einmal Lachen. Noch nicht einmal lächeln.

Lars Arffssen: Verarschung – Die Parodie

(übersetzt von Karolina Fell, Silke Jellinghaus, Katharina Naumann)

Rowohlt, 2011

272 Seiten

8,99 Euro

Originalausgabe

The Girl with the Sturgeon Tattoo

St. Martin’s Press, New York, 2011

(erscheint am 30. August 2011)

Hinweise

Meine Besprechung von Stieg Larssons „Verblendung“ (Buch und Film)

Meine Besprechung von Stieg Larssons „Verdammnis“ (Buch und Film)

Meine Besprechung von Stieg Larssons „Vergebung“ (Buch/Film)

Homepage von Stieg Larsson

Heyne über Stieg Larsson

Krimi-Couch über Stieg Larsson

Wikiepedia über Stieg Larsson (deutsch, englisch)

Stieg Larsson in der Kriminalakte


Cover der Woche

Juli 25, 2011


TV-Tipp für den 26. Juli: Smoke Signals

Juli 25, 2011

ZDFkultur, 21.55

Smoke Signals (USA 1998, R.: Chris Eyre)

Drehbuch: Sherman Alexie

LV: Sherman Alexie: The Lone Ranger and Tonto Fistfight in Heaven, 1993 (Regenmacher, Smoke Signals)

Extrem selten gezeigtes, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnetes, absolut sehenswertes Roadmovie über zwei junge Indianer, die die Asche von Victors Vater in das Reservat bringen wollen.

Ein Film, der lange weitergeht im Kopf und Lust aufs Leben macht.“ (Frauke Hanck, AZ, 3. Dezember 1998)

I’d give it a B- in artistic terms and an A+ in political terms.“ (Sherman Alexie)

mit Adam Beach, Evan Adams, Irene Bedard, Gary Farmer

Hinweise

Wikipedia über „Smoke Signals“

Turner Classic Movies: Susan Doll über „Smoke Signals“

Salon: Interview mit Sherman Alexie (2. Juli 1998)

Post Script: Interview mit Chris Eyre und Sherman Alexie (22. Juni 2010)

Homepage von Sherman Alexie

 


DVD-Kritik: George Gently, der Unbestechliche, ermittelt weiter

Juli 25, 2011

 

Nach dem Erfolg der ersten Staffel von „George Gently – Der Unbestechliche“ zögerte die BBC nicht lange und bestellte weitere, jeweils 90-minütige Filme, die inzwischen anscheinend alle nur noch auf dem von Alan Hunter erfundenem Charakter basieren. Aber am bewährten Rezept wurde nichts geändert: immer noch ermitteln Chief Inspector George Gently und sein deutlich jüngerer Kollege Detective Sergeant John Bacchus in Northumberland in den Sechzigern (die ersten vier neuen Fälle spielen 1964, die bislang letzten beiden Fälle 1966) und die gut ausgedachten Fälle stehen im Mittelpunkt der Filme. Das Privatleben kommt, zum Glück, kaum vor, und, wenn doch, hängt es auf nachvollziehbare Weise mit dem Fall zusammen.

In den Fällen, immerhin waren die Sechziger eine Zeit der großen Veränderungen, werden diese gesellschaftlichen Brüche und Umbrüche thematisiert. Einerseits fällt auf, wie viel sich in den vergangenen gut fünfzig Jahren, vor allem, auch weil sie in den sechs „George Gently“-Fällen immer wieder angesprochen wird, in der Sexualmoral, geändert hat. Andererseits fällt immer wieder auf, wie viel doch gleich geblieben ist.

Das liegt natürlich an den guten Drehbüchern von Peter Flannery, Mick Ford und Jimmy Gardner, die sich im Rahmen der Whodunit-Struktur auf genau diese Brüche stürzen.

In „Vergeltung“, dem schwächsten „George Gently“-Fall bislang, geht es um sexuellen Missbrauch in einem Kinderheim. Denn während in den anderen Filmen die Ermittlungen, das Zeitkolorit, die damaligen Konventionen und gesellschaftlichen Veränderungen (die sich teilweise nur zart andeuten) gut miteinander verbunden sind, finden die Macher bei „Vergeltung“ nie die richtige Mischung. Alles wirkt unkonzentriert und hastig. Dazu passt auch, dass George Gently suspendiert wird.

Tödliche Mission“ hat dann wieder das gewohnte Niveau. In dem Fall wird die Animierdame eines Nachtclubs ermordet auf einem Kirchenaltar gefunden. Gentlys Ermittlungen führen zu einer religiös-fanatischen Abtreibungsgegnerin, die mit Verbündeten Mahnwachen vor dem Nachtclub abhält, und ihrem Ehemann, der eine Beziehung zu der Toten hatte.

In „Böses Blut“ will George Gently herausfinden, wie ein Koffer voller abgelaufener Ausweise aus der Verwaltung verschwinden konnte. Bei seinen Ermittlungen, die nachdem eine Angestellte der Verwaltung, die die Mutter eines dunkelhäutigen Babys war, ermordet wird, zu Mordermittlungen werden, gerät Gently auch zwischen die Fronten von Rockern und, teils illegal in England lebenden, Arabern. Der alltägliche Rassismus bildet den Hintergrund für „Böses Blut“.

In „Giftige Lügen“ ist der vermeintliche Selbstmord des Vorstehers einer Mühle und ein in der Mühle ausgeraubter Safe der Beginn für eine Geschichte, in der es um Politik (sie spielt kurz vor den britischen Unterhauswahlen und der Mühlenbesitzer kandidiert), das Verhältnis von Gewerkschaften zu Arbeitgebern und, wieder einmal die damalige Sexualmoral geht.

Dass es bereits früher Gewalt gegen und durch Kinder gab, erfahren wir in „Die Saat des Bösen“. Dabei beginnt der Fall ganz alltäglich: eine Frau, die einen zweifelhaften Ruf hat, wird ermordet. Ihr Exmann gesteht die Tat. Als einige Monate später ein Kind vermisst wird, trifft George Gently wieder auf die Familie der Ermordeten.

Und in „Liebe und Verrat“ wird ein linksorientierter Akademiker nach einer Demonstration gegen die Stationierung eines Atom-U-Bootes ermordet. Gently und Bacchus müssen an der Uni zwischen radikalpazifistischen Studenten, sexueller Befreiung (unter Männern und Frauen, aber nicht unter Männern) und den Uni-Regeln, vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, ermitteln.

Im Gegensatz zu den ersten drei Gently-Fällen, in denen eher ein Blick in die Vergangenheit herrschte, geht es in den sechs neuen Gently-Fällen immer wieder darum, wie gesellschaftliche Veränderungen sich auch im beschaulichen Northumberland niederschlagen und in den kommenden Jahren gesellschaftliche Konflikte auslösen und auch die Gesellschaft verändern werden. In den Fällen wird immer wieder die Keimzelle dieser Entwicklungen, und wogegen sie sich richteten, gezeigt. So sind die Fälle auch ein Seismograph für die damaligen Brüche in der Gesellschaft und die künftigen Veränderungen.

Die zweite und dritte Staffel von „George Gently – Der Unbestechliche“ bieten wieder spannende und lehrreiche Unterhaltung, bei der auch beeindruckt, wie viel Mühe sich bei der Ausstattung und Kameraarbeit gegeben wurde. Denn wenn man nicht wüsste, dass die Filme erst jetzt entstanden sind, könnte man sie auch für sehr gelungene Krimis aus den Sechzigern halten.

Und, das ist die erfreuliche Nachricht für alle Gently-Fans: George Gently und John Bacchus ermitteln weiter. Die BBC zeigt noch in diesem Jahr zwei neue „George Gently“-Filme und für nächstes Jahr sind bereits zwei weitere Filme bestellt.

 

Die DVD-Ausgabe

 

Wie üblich sind die Extras bei Edel überschaubar. Es gibt nämlich keine. Auch auf Untertitel wurde verzichtet. Und die Verteilung der Folgen unterscheidet sich von der Ausstrahlung. In England wurden „Vergeltung“, „Tödliche Mission“, „Böses Blut“ und „Giftige Lügen“ als zweite Staffel 2009 und „Die Saat des Bösen“ und „Liebe und Verrat“ als dritte Staffel 2010 ausgestrahlt. Bei uns wurden die sechs Fälle gleichmäßig auf zwei DVD-Boxen à drei Filme verteilt.

Auf den englischen DVDs (wobei die beiden Filme der dritte Staffel erst Ende Juli in England erscheinen) sind dagegen einige, wohl eher textlastigen, Infos dabei. Das klingt für Bonusmaterial-Junkies auch nach Graubrot.

George Gently – Der Unbestechliche (GB 2009/2010)

Idee: Peter Flannery

LV: basierend auf dem Charakter von Alan Hunter

mit Martin Shaw (George Gently), Lee Ingleby (John Bacchus), Simon Hubbard (PC Taylor), Mal Whyte (Chief Constable Lilley), Melanie Clark Pullen (Lisa Bacchus)

DVD

George Gently – Der Unbestechliche: Staffel 2

Edel

Bild: 16:9

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0 Stereo)

Untertitel: –

Bonusmaterial: –

Länge: 270 Minuten (3 DVDs à 90 Minuten)

FSK: ab 12 Jahre

George Gently – Der Unbestechliche: Staffel 3

Edel

Bild: 16:9

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0 Stereo)

Untertitel: –

Bonusmaterial: –

Länge: 267 Minuten (3 DVDs à 89 Minuten)

FSK: ab 12 Jahre

Die neuen Fälle von George Gently

Vergeltung (Gently with the Innocents, GB 2009)

Regie: Daniel O’Hara

Drehbuch: Peter Flannery

LV: Alan Hunter: Gently with the Innocents, 1970 (im Vorspann steht „nach einem Roman“, aber, nach dem Klappentext, hat die Buchstory nichts mit der Filmgeschichte zu tun)

Tödliche Mission (Gently in the Night, GB 2009)

Regie: Daniel O’Hara

Drehbuch: Peter Flannery

Böses Blut (Gently in the Blood, GB 2009)

Regie: Ciarán Donnelly

Drehbuch: Peter Flannery

Giftige Lügen (Gently through the Mill, GB 2009)

Regie: Ciarán Donnelly

Drehbuch: Mick Ford

LV: Alan Hunter: Gently through the Mill, 1958 (nur Titelgleichheit; Buch wird im Vorspann nicht erwähnt)

Die Saat des Bösen (Gently evil, GB 2010)

Regie: Daniel O’Hara

Drehbuch: Peter Flannery

Liebe und Verrat (Peace and Love, GB 2010)

Regie: Daniel O’Hara

Drehbuch: Jimmy Gardner

Hinweise

Fantastic Fiction: Bibliographie Alan Hunter

BBC über George Gently (Pressematerial zu „George Gently“)

ZDF über George Gently

Telegraph: Interview mit Martin Shaw und Lee Ingleby zu „George Gently“ (5. Juli 2008)

Wikipedia über „George Gently – Der Unbestechliche“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von „George Gently – Der Unbestechliche“ (Staffel 1)

 


TV-Tipp für den 25. Juli: Tödliche Versprechen – Eastern Promises

Juli 24, 2011

HR, 23.45

Tödliche Versprechen – Eastern Promises (GB/USA/Can 2007, Regie: David Cronenberg)

Drehbuch: Steven Knight

Eine Hebamme gerät zwischen die Fronten der Russenmafia. Denn sie besitzt ein Tagebuch, das einige Verbrecher belastet. Ein Killer soll sie umbringen.

Hartes, in London spielendes, top besetztes Gangsterdrama von David Cronenberg.

Steven Knight schrieb unter anderem das Oscar- und BAFTA-nominierte und mit dem Edgar Allan Poe-Preis ausgezeichnete Drehbuch zum Stephen Frears-Film „Kleine schmutzige Tricks“ (Dirty Pretty Things, GB 2002).

„Eastern Promises“, wurde, oft in den Kategorien, bester Film, beste Regie, beste Hauptrolle und bestes Drehbuch, für zahlreiche Preise nominiert und erhielt auch einige. Knights Drehbuch war für den Edgar nominiert.

Im Moment arbeiten Steven Knight, David Cronenberg und Viggo Mortensen an einer Fortsetzung von „Eastern Promises“.

mit Viggo Mortensen, Naomi Watts, Armin Müller-Stahl, Vincent Cassel

Hinweise

Steven Knight: Eastern Promises (Drehbuch)

Englische Homepage zum Film (umfangreich; mit Hintergrundtexten und Filmausschnitten)

Deutsche Homepage zum Film (die Readers Digest-Version; dafür mit einem Cronenberg-Interview)

Film-Zeit über den Film

Die „taz“ redet mit David Cronenberg über „Tödliche Versprechen“

Wikipedia über „Tödliche Versprechen“ (deutsch, englisch)


Kleinkram: Scribe Award verliehen, „Skandalfilme“ und Interviews

Juli 24, 2011

Auf der Comic-Con in San Diego wurden die diesjährigen Scribe Awards der International Association of Media Tie-In Writers (IAMTV; also der Autoren, die „Das Buch zum Film“ oder neue Geschichten mit bekannten Film- und Seriencharakteren schreiben) verliehen. Lee Goldberg (der Autor der tollen „Monk“-Romane) kennt die Gewinner:

Author Peter David was honored as this year’s Grandmaster, and engaged in a lively discussion about his career, and tie-in writing, at the ceremony, which was hosted by Max Allan Colins and drew a packed house.

Nancy Holder won the award for best original novel in the general fiction category for Saving Grace: Tough Love.  The honors for best original novel in speculative fiction went to Nathan Long for Warhammer: Bloodborn: Ulrika the Vampire. This is the second time Long has won a Scribe for his work in the Warhammer franchise.

The Wolfman by Jonathan Maberry snagged the Best Adaptation/Novelization award while  Nathan Meyer won for Best Novel, Original or Adapted, in the Young Adult category with Dungeons and Dragons: Aldwyns Academy. 

Bei Heise gibt es ein Interview mit Stefan Volk über sein Buch „Skandalfilme“.

Der Africa Book Club unterhält sich mit Roger Smith (und ich sollte mal sein neuestes Werk „Staubige Hölle“ lesen. Sein Debüt „Kap der Finsternis“ hat mir ja gefallen.)

Matt Hilton beantwortet in den „Mean Streets“ einige Fragen. Seine Bücher erscheinen bei Heyne.

Und „Crime Always Pays“ stellt David Peace (zuletzt „Tokio, besetzte Stadt“)einige Fragen.


TV-Tipp für den 24. Juli: Sherlock: Ein Fall von Pink

Juli 24, 2011

ARD, 21.45

Sherlock: Ein Fall von Pink (GB 2010, R.: Paul McGuigan)

Drehbuch/Erfinder: Steven Moffat, Mark Gatiss

LV: Charakter von Sir Arthur Conan Doyle

Die Idee war wohl ganz einfach: Was wäre, wenn Sherlock Holmes im heutigen London leben würde?

Die Skepsis der Krimifans auf der Insel über diese bescheuerte Idee wich, schon während sie den ersten Holmes-Film sahen, nackter Begeisterung, die sich in zahlreichen Jubelarien, Nominierungen und Preisen, unter anderem dem BAFTA für die beste Drama Series, niederschlug. Denn Steven Moffat und Mark Gatiss haben nur wenig im Holmes-Universum geändert. Sie haben Sherlock Holmes, Dr. Watson und all die anderen aus den Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle bekannten, wichtigen Charaktere und deren Beziehungsgeflecht einfach aus der Vergangenheit in die Gegenwart versetzt, das ganze erzählerisch ordentlich beschleunigt (jedenfalls im Vergleich zu den vielen bekannten Film- und TV-Interpretationen) und neue Holmes-Geschichten erfunden, die auch von Doyle hätten stammen können.

So jagt Sherlock Holmes in „Ein Fall von Pink“ einen Serienmörder, der seine Opfer, die augenscheinlich keinen Grund für einen Selbstmord hatten, so vergiftet, dass es nach einem Selbstmord aussieht.

Der Fall und wie Holmes den Täter enttarnt, ist zwar etwas schwach, aber dafür lernen wir alle Charaktere kennen und Holmes darf mehrmals zeigen, wie gut er kombinieren kann; wenn er zum Beispiel Dr. John Watson nach einer kurzen Begrüßung dessen Biographie erklärt oder Holmes und Watson zu Fuß ein Taxi verfolgen und, weil Holmes London in und auswendig kennt, sie es auch erwischen.

Dass die ARD die geniale BBC-Serie „Sherlock“ im Sommerloch versteckt wird, ist natürlich gut geplant. Denn da schalten weniger Menschen die Glotze ein. Andererseits ist es schon gemein, dass „Sherlock“ direkt nach dem „Tatort“ läuft. Denn da fällt der Vergleich zwischen den mediokren deutschen Krimis (britisches Understatement) mit den überragenden britischen Krimis so leicht.

Und für Nachschub ist auch schon gesorgt. Im Herbst zeigt die BBC drei weitere „Sherlock“-Filme, die dann auch auf Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle basieren.

Mit Benedict Cumberbatch (Sherlock Holmes), Martin Freeman (Dr. John Watson), Rupert Graves (DI Lestrade), Una Stubbs (Mrs. Hudson), Louise Brealey (Molly Hooper),Vinette Robinson (Sgt Sally Donovan), Phil Davis (Jeff), Mark Gatiss (Mycroft)

Hinweise

The Science of Deduction (Homepage von Sherlock Holmes)

John Watson’s Blog

Molly Hooper’s Diary

BBC über „Sherlock“

BBC Germany über „Sherlock“

ARD über „Sherlock“

Hartswood Film über „Sherlock“

 

YouTube-Kanal „Sherlock“

Wikipedia über „Sherlock“ (deutsch, englisch)

Homepage von Sir Arthur Conan Doyle (Erben)

Krimi-Couch über Sir Arthur Conan Doyle

Kirjasto über Sir Arthur Conan Doyle

Wikipedia über Sir Arthur Conan Doyle (deutsch, englisch)

Sherlockian.net (Einstiegsseite mit vielen Links)

Thrilling Detective über Sherlock Holmes

Meine Besprechung von Arthur Conan Doyles “Sherlock Holmes Geschichten”, “Sherlock Holmes Kriminalgeschichten” und “The Adventures of Sherlock Holmes” (und hier eine Auflistung der in diesen Werken enthaltenen Geschichten)

Meine Besprechung von Ian Edginton (Autor)/Davide Fabbris (Zeichner): Victorian Undead: Sherlock Holmes vs. Zombies! (Victorian Undead: Sherlock Holmes vs. Zombies, 2010)

Sherlock Holmes in der Kriminalakte

 


Dagger-Preisträger, Runde 1 – und einige neue Dagger-Longlists

Juli 23, 2011

Die britische Autorenvereinigung Crime Writers’ Association (CWA) hat auf dem Theakstons Old Peculier Crime Writing Festival in Harrogate die Daggers in folgenden Kategorien verliehen:

International Dagger

Three Seconds, von Anders Roslund und Börge Hellström

Non-Fiction Dagger

The Killer of Little Shepherds, von Douglas Starr

Dagger in the Library

Mo Hayder

Short Story dagger

Homework, von Phil Lovesey

Debut Dagger (noch unveröffentlicht)

What Hidden Lies, von Michele Rowe

Und einige Dagger-Longlists veröffentlicht:

CWA Gold Dagger

Crooked Letter, Crooked Letter, von Tom Franklin

Hanging Hill, von Mo Hayder

Snowdrops, von A.D. Miller

The Cypress House, von Michael Koryta

The End of the Wasp Season, von Denise Mina

The Lock Artist, von Steve Hamilton

The Villa Triste, von Lucretia Grindle

White Heat, von M.J McGrath

CWA Ian Fleming Steel Dagger

An Agent of Deceit, von Chris Morgan Jones

Before I Go to Sleep, von S.J. Watson

Cold Rain, von Craig Smith

Savages, von Don Winslow

The Cobra, von Frederick Forsyth

The Good Son, von Michael Gruber

The Lock Artist, von Steve Hamilton

The Trinity Six, von Charles Cumming

CWA John Creasey (New Blood) Dagger

Before I Go to Sleep, von S.J. Watson

Into the Darkest Corner, von Elizabeth Haynes

Kiss Me Quick, von Danny Miller

Or the Bull Kills You, von Jason Webster

Sister, von Rosamund Lupton

The Dead Woman of Juárez, von Sam Hawken

The Dogs of Rome, von Conor Fitzgerald

The Poison Tree, von Erin Kelly

ITV3 People’s Bestseller Dagger

The Sixth Man, von David Baldacci

Worth Dying For, von Lee Child

Good As Dead, von Mark Billingham

Dead Man’s Grip, von Peter James

Before the Poison, von Peter Robinson

Am 22. August werden die Shortlists für die Daggers veröffentlicht und am 7. Oktober ist die Preisverleihung in London.

 


TV-Tipp für den 23. Juli: Engelsgesicht

Juli 23, 2011

ZDFkultur, 22.40

Engelsgesicht (USA 1953, R.: Otto Preminger)

Drehbuch: Frank Nugent, Oscar Millard, Ben Hecht (ungenannt) (nach einer Geschichte von Chester Erskine)

Krankenwagenfahrer Frank Jessup verliebt sich in Diane Tremayne, als er ihre reiche Stiefmutter in letzter Sekunde rettet. Dass Diane sie umbringen wollte, stört den verliebten Jüngling nicht.

Toller, selten gezeigter Noir von Otto Preminger, der auch „Laura“, „Anatomie eines Mordes“ und „Bunny Lake ist verschwunden“ (um nur seine bekanntesten Krimis zu nennen und seine anderen Filme galant ignorierend) inszenierte.

Preminger’s finest noir after ‚Laura’“ (Alexander Ballinger/Danny Graydon: The Rough Guide to Film Noir)

mit Robert Mitchum, Jean Simmons, Mona Freeman, Herbert Marschall, Leon Ames, Barbara O’Neill

Wiederholung: Sonntag, 24. Juli, 03.05 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Wikipedia über „Engelsgesicht“ (deutsch, englisch)

Turner Classic Movies über „Angel Face“

Noir of the Week über „Angel Face“

DVD Talk über „Angel Face“

Der Film Noir über „Engelsgesicht“

Meine Besprechung von Ben Hechts „Von Chicago nach Hollywood – Erinnerungen an den amerikanischen Traum“


Jürgen Kehrer meint „Fürchte dich nicht!“ vor Zecken

Juli 22, 2011

Es ist ein Kreuz mit den deutschen Polit-Thrillern. Eigentlich gäbe es, wie ein Blick in die Tageszeitung und etwas kriminelle Fantasie (was jeder Krimiautor haben sollte) zeigt, viel zu erzählen. Aber was ich in den vergangenen Jahren von deutschen Krimiautoren gelesen hatte, war dann doch, bis auf wenige Ausnahmen, enttäuschend, teils sogar ärgerlich. Und das liegt nicht daran, dass man bestimmte Geschichten in Deutschland nicht erzählen kann, sondern daran, wie die Geschichte erzählt wird.

Auch Jürgen Kehrers „Fürchte dich nicht!“ bleibt weit unter den Möglichkeiten, die die Prämisse bietet.

Ein Unbekannter hat den durch Zecken übertragenen FSME-Virus genetisch so verändert, dass die Infizierten keine Angst mehr verspüren und teilweise durch den Zeckenbiss auch sterben. Auf Norderney und an einigen anderen Orten gab es mehrere Fälle. Das ist besonders deshalb schlimm, weil auf Norderney in einigen Wochen ein Treffen der EU-Regierungschefs stattfinden soll. Einige werden sich schon jetzt fragen, warum der Bösewicht den Feldversuch mit seinen Zecken ausgerechnet an dem Ort durchführt, an dem er später zuschlagen will.

Aber irgendwo muss der Bösewicht ja mit seinen Untaten beginnen und so lernen wir auch den dorthin versetzte Kommissar Martin Geis kennen. Der erfüllt alles Bedingungen des Klischee-Kommissars: ein Superbulle, der strafversetzt wurde, nachdem er den Liebhaber seiner Frau (gleichzeitig sein Vorgesetzter) verprügelte, inzwischen allein lebend und mit einer ordentlichen Abneigung gegen die da oben ausgestattet; vor allem, wenn sie auf seiner Insel eine hoch gesicherte Tagung durchführen wollen. Dass er ziemlich schnell suspendiert wird und auf eigene Faust ermittelt, überrascht nicht.

Ihm zur Seite steht die Mikrobiologin Viola de Monti vom Bundesinstitut für Infektionskrankheiten (in der profanen Realität das Robert-Koch-Insitut), die als Wissenschaftlerin brillant, als Privatperson aber hoffnungslos verkorkst ist. Dennoch kommen die beiden sich näher (Liebesgeschichte muss sein). Auch sie wird in den Urlaub geschickt (Uhuh, warum schicken die Chefs ihre besten Angestellten immer dann in Urlaub, wenn sie sie doch gerade am Nötigsten brauchen?) und sie sucht auf eigene Faust weiter (Klar, was denn auch sonst?). Gemeinsam suchen die beiden Zwangsurlauber die Quelle. Ihre Ermittlungen führen sie nach Münster (aber sie treffen dort nicht auf den Kehrer erfundenen Privatdetektiv Wilsberg).

Das folgt alles brav den Konventionen des biederen deutschen TV-Krimis und der dort herrschenden Technikphobie. Denn obwohl „Fürchte dich nicht!“ heute spielt und auch Computer und Handys vorkommen, könnte die Geschichte genau so vor zwanzig Jahren, als Laptops noch exotisch waren, Mobiltelefone die Größe eines Reisekoffers hatten und das Internet die Phantasie durchgeknallter Science-Fiction-Autoren war, spielen.

Nachdem unsere beiden tapferen Helden das Haus des Bösewichts mit der Zeckenfarm entdeckt haben (so kurz vor Seite 200), gibt es einige überraschende Wendungen, die die Geschichte in eine episodenhafte Und-dann-Abfolge abgleiten lassen, die sich nicht mehr groß um einen schlüssigen Aufbau kümmert und, auch weil vom Autor nichts davon längerfristig vorbereitet wurde, zunehmend langweilt.

Denn nachdem Geis und de Monti die Zeckenfarm entdeckt haben, bewegt die Handlung sich nicht zielstrebig auf die Konfrontation zwischen den Guten und dem Bösewicht zu, sondern verirrt sich auf Nebenkriegsschauplätzen, das Tempo wird möglichst vollständig gedrosselt und auch die Gefahr vor dem tödlichen Virus ist vor der Tagung bereits gebannt (Nebenbei bemerkt sind Zecken ganz schlechte Krankheitsüberträger, weil sie passiv warten, bis ihr Opfer auftaucht.). Es ist für die Guten auch unklar, ob der Bösewicht wirklich auf der Tagung zuschlagen will (Ja! Immerhin haben wir den Prolog gelesen.), was das Ziel seines Angriffs und was sein Motiv ist. So bleibt der Bösewicht ein blasser Geselle. Und genau das sollte der Bösewicht nicht sein.

Kurz gesagt wurde in der zweiten Hälfte ungefähr alles, was die Spannung hätte steigern können, fast schon zwanghaft vermieden.

Jürgen Kehrer: Fürchte dich nicht!

Grafit, 2011

336 Seiten

9,99 Euro

Erstausgabe

Grafit, 2009

18,90 Euro

Hinweise

Homepage von Jürgen Kehrer

Wikipedia über Jürgen Kehrer

Meine Besprechung von Jürgen Kehrers „Wilsberg und die dritte Generation“

Jürgen Kehrer in der Kriminalakte

Bonusmaterial

 


TV-Tipp für den 22. Juli: Shine a Light

Juli 22, 2011

Phoenix, 22.50

Shine a Light (USA/GB 2008, R.: Martin Scorsese)

In seinen Filmen hat Martin Scorsese bereits öfter Songs der Rolling Stones verwandt. Bei „Shine a Light“ drehte er einen Film mit ihnen. Einen Konzertfilm, der ihre beiden 2006er-Konzert im New Yorker Beacon Theater dokumentiert.

Als Gäste waren Buddy Guy, Christina Aguilera und Jack White auf der Bühne dabei. Im Publikum kann man auch einige bekannte Gesichter sehen.

Shine a Light“ ist natürlich mehr ein „Rolling Stones“-Konzertfilm als ein Martin-Scorsese-Film, obwohl Scorses mit „The Last Waltz“ bereits einen legendären, im TV schon lange nicht mehr gezeigten Konzertfilm über das letzte Konzert der Rockband „The Band“ drehte.

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Shine a Light“

Berlinale 2008: Pressekonferenz zum Film mit Martin Scorsese und den Rolling Stones

Wikipedia über „Shine a Light“ (deutsch, englisch)

Homepage der Rolling Stones

Wikipedia über Martin Scorsese (deutsch, englisch)

Martin-Scorsese-Fanseite

Martin Scorsese in der Kriminalakte