Muss „Queen“ groß vorgestellt werden? Die Band, die uns so Perlen des Stadionrocks wie „We are the Champions“ (ungefähr bei jedem Fußballspiel zu hören) und „We will rock you“ (ungefähr bei jeder Party zu hören) bescherte und das als „A Kind of Magic“ bezeichnete?
Wahrscheinlich nicht.
Aber wahrscheinlich kennen die meisten nur den charismatischen Leadsänger der Band und einige ihrer Hits.
Da kann, wenn man nicht einige Lexika-Artikel, Reportagen oder sogar ein Buch über die Band lesen will, ein Dokumentarfilm oder ein Biopic, wie „Bohemian Rhapsody“, Bildungslücken schließen. Wobei man bei den Biopics vor dem angeberischen Gespräch in der Kneipe wenigstens der Wikipedia-Artikel durchlesen sollte. Denn auch in Bryan Singers „Queen“-Biopic triumphiert im Zweifelsfall die gut erzählte Anekdote und die bildgewaltige Verknappung über der historischen Genauigkeit.
In „Bohemian Rhapsody“ erzählt Singer die Geschichte von Freddie Mercury und „Queen“ von ihrer ersten Begegnung 1970 bis zu ihrem weltweit ausgestrahltem Live-Aid-Auftritt am 13. Juli 1985 im Londoner Wembley Stadion. Dieses inzwischen legendäre Kurzkonzert bildet den erzählerischen Rahmen des Films, der in den Gängen des Stadions beginnt, in das London von 1970 springt, chronologisch die Geschichte von „Queen“ erzählt und mit dem Live-Auftritt endet. „Bohemian Rhapsody“ zeigt in diesem ausführlich nachgestelltem Moment die Rockband auf dem Höhepunkt ihres globalen Ruhms.
Der Film konzentriert sich dabei auf Freddie Mercury (grandios gespielt von Rami Malek), der als begnadeter Entertainer und visionärer Bandleader gezeigt wird. Die anderen Musiker von „Queen“ – Gitarrist Brian May, Bassist John Deacon und Schlagzeuger Roger Taylor – sind nur die Staffage für die als alles bestimmende Rampensau Mercury.
Dabei überschreitet der Film immer wieder die Grenze zur Parodie. Denn in dem Biopic sind die bekannten „Queen“-Songs von Anfang an perfekt. Das Publikum ist konstant begeistert. Und die Band ist eine ultra-harmonische Familie sympathischer und akademisch gebildeter Zeitgenossen. Brian May promovierte sogar in Astrophysik.
Über etwaige Probleme und unangenehme Punkte wird hinweggegangen. Das gilt vor allem für Mercurys Sexualpartner und seine HIV-Infektion, von der er erst nach dem Live-Aid-Konzert erfuhr. Beides wird im Film nur gestreift, während in jeder Minute die passende Zeile aus einem „Queen“-Song ertönt. Bei der Songauswahl wird konsequent nach dem Prinzip „Wenn der Song zur Szene passt, wird er genommen.“ vorgegangen. Schließlich werden in einem Konzert die Songs auch nicht nach ihrer Entstehung gespielt.
Viele Songs werden auch auf der Bühne gespielt und der zwanzigminütige, sorgfältig geprobte Live-Aid-Auftritt wird, als Höhepunkt des Films, fast vollständig nachgespielt. Der Auftritt war auch ein Best-of-Queen-Medley.
Als Konzertfilm mit einigen mehr oder weniger wahren biographischen Informationen über die Band und etlichen witzig pointierten Szenen, funktioniert „Bohemian Rhapsody“ daher ausgezeichnet.
Das ist alles allerdings durchgehend reichlich oberflächlich. Es ist eine Heldenverklärung, die auch damit erklärt werden kann, dass Mercurys frühere Mitmusiker Brian May und Roger Taylor, die noch heute als „Queen“ auftreten, als Berater stark in den Film involviert waren und die Macher einen Film machen wollten, der ihnen und den anderen in die Geschichte von „Queen“ involvierten Menschen gefällt. Immerhin hätten sie mit ihrem Veto den Film stoppen können..
Für eine auch nur ansatzweise kritische Sicht ist das tödlich. Damit fällt Singers Musikfilm deutlich, um nur die neueren Musiker-Biopics zu nennen, hinter Tate Taylors „Get on Up“ (über James Brown), F. Gary Grays „Straight Outta Compton“ (über N. W. A.), Robert Budreaus „Born to be Blue“ (über Chet Baker) und Bill Pohlads „Love & Mercy“ (über „Beach Boys“-Mastermind Brian Wilson) zurück.
Er hat auch kein Interesse an der Schlüssellochperspektive, die es zuletzt in Dokus wie Brett Morgens „Cobain: Montage Of Heck“ und Asif Kapadias „Amy“ (über Amy Winehouse) gab.
„Bohemian Rhapsody“ ist auch als Bryan-Singer-Film enttäuschend. Nicht auf der formalen Ebene. Da rockt der Film. Sondern, obwohl Singer immer vor allem ein Mainstream-Regisseur für ein Mainstream-Publikum ist, auf der persönlichen Ebene. In seinen vorherigen Filmen, wie „Der Musterschüler“ und vor allem den „X-Men“-Filmen, ging es immer um Außenseiter, ihre Rolle in der Gesellschaft und wie die Gesellschaft sie sieht und die Auswirkungen und der Umgang mit der Nazi-Zeit.
Das waren immer auch und leicht erkennbar, persönliche Filme. Singer wurde als Kind adoptiert, wuchs in einer jüdischen Familie auf und ist bisexuell. Die Parallelen zwischen seinem und Freddy Mercurys Leben sind offensichtlich.
Mercury wurde am 5. September 1946 in Sansibar (heute Tansania) als Farrokh Bulsara geboren. Seine Eltern kamen aus Indien und zogen später mit ihm und seiner Schwester nach London. Mercury war ebenfalls bisexuell und erst einen Tag vor seinem Tod am 24. November 1991 machte er seine bereits 1987 diagnostizierte AIDS-Erkrankung publik. Das alles wird im Musikfilm erwähnt, aber nie weiter vertieft. Es sind Dinge, die man gerne verschwiegen hätte, aber nicht verschweigen konnte. Also begräbt man sie unter einem Berg von Band-Kameradie und Rockmusik.
So ist der Film „Bohemian Rhapsody“ wie der Song „Bohemian Rhapsody“: laut, oberflächlich und auf eine primitive Art mitreisend. Am Ende ist Singers Biopic 135 Minuten Fanservice mit einem Best-of-Soundtrack und verklärenden Zwischenszenen. .
Bohemian Rhapsody (Bohemian Rhapsody, USA 2018)
Regie: Bryan Singer, Dexter Fletcher (ungenannt)
Drehbuch: Anthony McCarten (nach einer Geschichte von Anthony McCarten und Peter Morgan)
mit Rami Malek, Lucy Boynton, Ben Hardy, Joseph Mazzello, Mike Myers, Gwilym Lee, Aidan Gillen, Allen Leech, Tom Hollander, Aaron McCusker
Länge: 135 Minuten
FSK: ab 6 Jahre
–
Hinweise
Moviepilot über „Bohemian Rhapsody“
Metacritic über „Bohemian Rhapsody“
Rotten Tomatoes über „Bohemian Rhapsody“
Wikipedia über „Bohemian Rhapsody“ (deutsch, englisch) und Queen (deutsch, englisch)
Hollywood vs. History stellt die böhmische Wahrheitsfrage
Meine Besprechung von Bryan Singers „X-Men: Apocalypse“ (X-Men: Apocalypse, USA 2016)
–
Und hier das „Live Aid“-Konzert