Internal Affairs – Trau ihm, er ist ein Cop(Internal Affairs, USA 1990)
Regie: Mike Figgis
Drehbuch: Henry Bean
Ist der allseits beliebte, hilfsbereite Polizist Dennis Peck (Richard Gere) korrupt? Der interne Ermittler Raymond Avilla (Andy Garcia) will es herausfinden.
Hübsch düsterer, in Los Angeles spielender Cop-Thriller von Mike Figgis („Stormy Monday“, „Leaving Las Vegas“) mit Richard Gere, besetzt gegen sein Image, als bad guy.
„Es gibt keine sauberen Polizisten mehr in diesem ungemein spannenden und dichten Polizeifilm, (…) der (…) vor allem durch seine atmosphärisch stimmige und dicht an den Figuren bleibenden Inszenierung besticht.“ (Fischer Film Almanach 1991)
mit Richard Gere, Andy Garcia, Nancy Travis, Laurie Metcalf, Richard Bradford, William Baldwin, Annabella Sciorra, Michael Beach, Xander Berkeley, Elijah Wood
Der andere Liebhaber (L’Amant Double, Frankreich/Belgien 2017)
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon, in Zusammenarbeit mit Philippe Piazzo
LV: Joyce Carol Oates: Lives of the Twins, 1987 (Der Andere; Erstveröffentlichung unter dem Pseudonym Rosamund Smith)
Die hoffnungslos neurotische Chloé verliebt sich in ihren Psychotherapeuten – und seinen Zwillingsbruder. Das führt zu einigen mörderischen Verwicklungen.
TV-Premiere zu einer indiskutablen Uhrzeit.François Ozons Psychothriller ist ein wunderschöner intellektueller Spaß mit überraschenden Wendungen bis zur letzten Minute. Immer nach dem alten Thriller- und Horrorfilmprinzip „nichts ist, wie es scheint“; – was natürlich auch eine Täuschung sein kann.
Pohjanjoki ist kein Dorf irgendwo in der chinesischen Provinz, sondern eine Ansammlung von einigen wenigen Häusern und einem Imbissrestaurant in Lappland. Die Stammgäste sind meist älter und sehr finnisch. Die Restaurantbesitzerin Sirkka ist deutlich jünger, etwas resolut und finnisch-blond. Das von ihr zubereitete, oder treffender angerichtete Essen soll finnisch sein, sieht aber wie einer meiner Kochversuch aus, die ich mir nur schön reden kann, weil ich sehr hungrig bin und es nichts anderes zu Essen gibt. Sirkkas Mahlzeiten sind von ausgewählter Lieblosigkeit.
An diesem Ort strandet Master Cheng mit seinem Sohn. Cheng sucht Fongtron. Ob es sich dabei um einen Namen für eine Person oder um etwas anderes handelt, wissen Sirkka und ihre Gäste nicht. Sie haben noch nie von einen Fongtron.
Trotzdem will Cheng in Pohjanjoki bleiben und Fongtron suchen.
Als eine chinesische Reisegruppe, deren Bus liegen blieb, Sirkkas Restaurant betritt und von dem Anblick des finnischen Essen (Diese Matsche soll Essen sein?) schockiert ist, bietet Cheng Sirkka seine Hilfe an. Denn er ist Koch und er kann, mit den richtigen Zutaten (die im Lebensmittelladen um die Ecke gekauft werden) feines chinesisches Essen herbeizaubern, das sättigt und die Seele heilt.
Die Chinesen sind begeistert. Sirkka ebenfalls – und spätestens jetzt kann sich jeder, der schon einmal einen Film gesehen hat, in dem die Zubereitung von Essen im Mittelpunkt steht, sich mühelos die weitere Geschichte mit ihre kulinarischen und amourösen Verwicklungen ausmalen.
Mika Kaurismäki macht in seinem neuesten Film selbstverständlich Malen nach Zahlen. Wenn das Ergebnis dann allerdings so warmherzig ist, hat man nichts dagegen. „Master Cheng in Pohjanjoki“ ist ein Feelgood-Movie, das absolut vorhersehbar seine Geschichte einer Völkerverständigung erzählt in einem Finnland, das mehr mit einer ZDF-Inga-Lindström-Schmonzette zu tun hat als mit einem Aki-Kaurismäki-Film. Im Gegensatz zu seinem Bruder Aki (der mal wieder einen neuen Film drehen könnte) ist bei Mika Kaurismäki dieses Mal nichts skandinavisch-deprimierend und es gibt auch keine lakonisch gepflegte Tristesse des Proletariats.
Stattdessen gibt es prächtige Landschaftsaufnahmen, lecker zubereitetes chinesisches Essen, gut aufgelegte Schauspieler, etwas Humor, etwas Drama, etwas Essensphilosophie, angenehm wenig Kitsch und eine positive und sehr begrüßenswerte Botschaft.
Kaurismäki erzählt die Geschichte von Cheng und Sirkka so warmherzig, dass man die Erklärung, wer Fongtron ist, am besten einfach als den Grund akzeptiert, der den chinesischen Meisterkoch in die Provinz verschlägt. Denn irgendeinen Grund muss es geben, warum ein Vater mit seinem Sohn die Heimat verlässt und um die halbe Welt reist. Länger nachdenken sollte man nicht über diese Erklärung. Sie war schon vor fünfzig Jahren weit hergeholt. Heute, mit dem Internet und allgegenwärtigen Smartphones, ist sie komplett unglaubwürdig.
Das ändert nichts daran, dass „Master Cheng in Pohjanjoki“ ein schöner Film für einen Kinobesuch ist.
Ein dickes Lob geht an den Verleih, der die deutsche Fassung nicht komplett eindeutschte. In der Originalfassung wird finnisch, englisch und chinesisch gesprochen. In der deutschen Fassung deutsch, englisch und chinesisch. Und damit dürfte der sprachliche Reiz der Originalfassung (die ich gesehen habe) erhalten bleiben.
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Mika Kaurismäki über seinen Film: „In Zeiten, in denen mächtige Diktatoren die Welt zu entzweien versuchen, wollte ich einen Film machen, der die Menschen wieder zusammenbringt.
Die Globalisierung ist das Thema der Stunde und hinterlässt nicht selten einen unangenehmen Beigeschmack. Auch ‚Master Cheng in Pohjanjoki‘ ist in gewisser Weise ein Film über Globalisierung – jedoch im positiven Sinne: Eine zufällige Begegnung zwischen zwei gewöhnlichen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, die sich und ihre Umwelt gegenseitig bereichern und anerkennen, spiegelt den eigentlichen Geist der Globalisierung wider.
Die Narration ist bewusst minimalistisch gehalten. Seine Einfachheit macht ihn universell begreifbar, seine bedingungslose Herzlichkeit hat eine mitreißende Energie.
Die Landschaft und Drehorte des Films machen einen essenziellen Teil seiner Atmosphäre aus.“
Master Cheng in Pohjanjoki(Master Cheng, Finnland/China/Großbritannien 2019
Regie: Mika Kaurismäki
Drehbuch: Hannu Oravisto, Mika Kaurismäki (Adaption), Sami Keksi-Vähälä (Adaption)
mit Pak Hon Chu, Anna-Maija Tuokko, Lucas Hsuan, Vesa-Matti Loiri, Anna-Maija Tuokko, Kari Väänänen
Auf einem Laster, der Schrott nach Polen transportieren soll, wird die Leiche eines Tischlers gefunden, der im Scheunenviertel lebte. Das Wohn- und Gewerbegebiet in Berlin-Mitte soll luxussaniert werden. Deshalb wollen der Besitzer des Hauses und ein Makler die alten Mieter aus dem Wohnblock vertreiben. Kommissar Markowitz glaubt, dass der Tote etwas gegen sie in der Hand hatte.
Dichte Milieustudie, die die Veränderungen im Nachwendeberlin reflektiert. Denn schon damals wurde gnadenlos gentrifiziert.
Die acht Markowitz-“Tatorte“ sind immer noch ein Rätsel. Denn der SFB (heute RBB) produzierte von 1991 bis 1995 eine Reihe hochkarätiger „Tatorte“, die die damaligen Veränderungen in Berlin reflektierten. Und das in einer Qualität, die davor und danach nicht erreicht wurde. Denn davor ermittelte Heinz Drache als Kommissar Bülow (Gähn!), danach Winfried Glatzeder als Kommissar Roiter (Grusel! Zwei Giftschrankfolgen und „Ein Hauch von Hollywood“, der so schlecht war, dass er an einem Montag um 23.00 Uhr versendet wurde).
mit Günther Lamprecht, Hans Nitschke, Claudia Balko, Thomas Schendel, Renate Küster
Hollywood, fünfziger Jahre: Eddie Mannix ist für Capitol Pictures der Problemlöser. Wenn ein Starlet für verfängliche Fotos posierte oder der Star eines sündhaft teuren Bibelepos spurlos verschwindet, wird er gerufen.
TV-Premiere zu einer Uhrzeit, die der Film nicht verdient hat. „Hail, Caesar!“ ist eine Aneinanderreihung von Episoden, Anekdoten, Liebeserklärungen an Stars, Filme und Genres und eine einzige große Hommage an das Hollywood-Kino der fünfziger Jahre. Für jede Szene, jede Figur, jedes Bild kann mindestens eine filmische oder reale Referenz genannt werden. Was allerdings fehlt, ist eine Geschichte, die dieser hochkarätig besetzten Nummernrevue irgendeine Tiefe oder Bedeutung verleihen könnte.
mit Josh Brolin, Alden Ehrenreich, George Clooney, Max Baker, Ralph Fiennes, Heather Goldenhersh, Ian Blackman, Veronica Osorio, Tom Musgrave, David Krumholtz, Tilda Swinton, Fisher Stevens, Patrick Fischler, Fred Melamed, Channing Tatum, Jonah Hill, Frances McDormand, Michael Gambon (Erzähler im Original; in der deutschen Fassung ist Christian Rode der mit pathetischem Ernst die Anekdoten einordnende Erzähler)
Three Billboards outside Ebbing, Missouri(Three Billboards outside Ebbing, Missouri, USA 2017)
Regie: Martin McDonagh
Drehbuch: Martin McDonagh
Mildred Hayes (Frances McDormand, die für ihre Rolle ihren zweiten Oscar erhielt) ist stinkig. Ihre Tochter wurde vergewaltigt und ermordet. Aber die Polizei findet den Täter nicht. Also macht sie auf drei angemieteten Werbetafeln ihrem Ärger Luft – und setzt damit im Dorf einiges in Gang.
Mit Musik geht bei ‚Baby‘ nicht alles besser. Bei geht alles nur mit Musik. Zum Beispiel wenn der Fluchtwagenfahrer einigen Gangstern bei der Flucht vor der Polizei hilft. Als er sich verliebt, will er aus dem Verbrecherleben aussteigen. Davor soll er noch bei dem berühmten letzten großen Überfall mitmachen.
TV-Premiere. Harter Gangsterthriller mit einer Portion Humor und so viel gut ausgewählter Musik, dass er sich mühelos zum Gangster-Musical qualifiziert. Und ich meine das lobend!
mit Ansel Elgort, Kevin Spacey, Lily James, Jon Hamm, Jamie Foxx, Eiza González, Jon Bernthal, Micah Howard, Morse Diggs, CJ Jones, Sky Ferreira, Lance Palmer, Flea, Lanny Joon, Big Boi, Killer Mike, Paul Williams, Jon Spencer, Walter Hill
Lucky ist schon neunzig Jahre und überzeugter Junggeselle, mit einem festen Tagesablauf. Trotzdem gibt es Veränderungen. Zum Beispiel dass er bei seinem morgendlichen Eiskaffee einfach so umfällt.
Wundervolle Abschiedsvorstellung von Harry Dean Stanton in einer seiner wenigen Hauptrollen. Er bevorzugte die Nebenrollen.
Die gebürtige Mongolin Wessi lebt seit Ewigkeiten in Deutschland. Ihre frühere Heimat ist ihr inzwischen so fern, dass ihr dominanter Mann Franz sogar glaubt, dass Wessis Gerede von ihrer Schwester nur Gerede sei. Aber eines Tages hat Wessi genug von Franz. Sie packt ihre Tasche und fliegt in die Mongolei zu ihrer Schwester Ossi.
Ossi lebt noch das traditionelle, harte Mongolenleben mitten in der menschenleeren Steppe, in der es deutlich mehr Tiere als Menschen gibt.
Es ist ein Leben, zu dem Wessi keine Verbindung mehr hat. Auch ihre Schwester kennt sie eigentlich nur aus Erinnerungen.
Das Selbstfindungsdrama „Schwarze Milch“ wird vom Verleih „semibiographisch“ genannt. Regisseurin, Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin Uisenma Borchu (sie spielt Wessi) kam als Kind aus der Mongolei in die damals noch existierende DDR. „Ich bin mongolisch und bin in den Jahren auch deutsch geworden. Damit beginnt für mich eine wahnsinnig interessante Kollision zweier Kulturen. Ob ich es wollte oder nicht, diese Kollision hat bisher mein Leben bestimmt“, sagt Borchu.
Gut dreißig Tage drehte sie in der Mongolei in der Wüste Gobi und einige Tage in der Hauptstadt Ulaanbaatar mit vielen Laiendarstellern, die sie teilweise schon länger kennt.
Es gibt viele semidokumentarische Aufnahmen vom harten Leben der Mongolen, inclusive einer Schlachtung (Keine Panik. Es war eine professionelle Schlachtung.). Es gibt etwas Sex in der Jurte. Es gibt Bilder, die auch in einem Softporno nicht weiter auffielen. Es gibt, selbstverständlich, etwas Streit zwischen den beiden Schwestern, die sich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen haben. Und Wessi verstößt, unwissentlich, gegen hehre Traditionen.
Nur fehlt die leitende, die Szenen und Ereignisse zusammenhaltende Frage und die damit verbundene emotionale Reise. Die Szenen reihen sich aneinander, ohne dass erkennbar ist, warum sie in dieser und nicht in irgendeiner anderen Abfolge gezeigt werden und wie sie Wessis in irgendeiner Weise näher an ihr Ziel bringen. Auch weil unklar ist, was sie sich genau von ihrer Reise zu ihrer Schwester erhofft.
Es ist halt einfach unklar, worum es in diesem weiblichen Selbstfindungsdrama gehen soll.
Aber vielleicht fehlt mir im Moment einfach die Sensibilität für weibliche Selbstfindungsdramen und ich bin mit harmlos-herzigen Komödien wie „Master Cheng in Pohjanjoki“ (läuft nächsten Donnerstag an) besser bedient.
Schwarze Milch (Khar Suu, Deutschland 2020)
Regie: Uisenma Borchu
Drehbuch: Uisenma Borchu
mit Uisenma Borchu, Gunsmaa Tsogzol, Terbish Demberel, Franz Rogowski, Borchu Bawaa, Bud-Ochir Tegshee, Bayarsaikhan Renchinjugder
LV: Lauran Paine: The Open Range Man, 1990 (später auch „Open Range“)
Als der tyrannische Rancher Baxter die Herde der beiden seit Ewigkeiten zusammen reitenden Cowboys Spearman und Waite stehlen will, hat er sich mit den falschen angelegt.
Schöner Western, der angenehm altmodisch auf jeglichen modernen Schnickschnack verzichtet und ruhig seine Geschichte erzählt.
mit Robert Duvall, Kevin Costner, Annette Bening, Michael Gambon, Michael Jeter, Diego Luna, James Russo, Kim Coates
Ein Woody-Allen-Film ohne New York? Geht das? Wie sein erster im Ausland gedrehter Film “Match Point” zeigt, geht das sehr gut. Für Allen scheint es sogar eine Frischzellenkur gewesen zu sein. Denn er drehte seine nächsten Filme, weitgehend ohne die gewohnten Allen-Wortkaskaden, in Europa.
Die Geschichte von „Match Point“ ist die alte Geschichte vom Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen, der für seine Ziele über Leichen geht. Denn seine große Liebe ist nicht seine Ehefrau und er denkt nicht an eine Scheidung, die ihn selbstverständlich seine gerade mühsam erreichte gesellschaftliche Stellung kosten würde.
„Match Point“ wurde von den Kritikern abgefeiert, erhielt Preise und wurde für wichtige Preise, unter anderem den Oscar und den Edgar Allan Poe Award als bestes Drehbuch, nominiert. Der Film ist ein schön gemeines Thrillerdrama mit einer bitterbösen Schlusspointe.
Mit Scarlett Johansson, Jonathan Rhys Meyer, Emily Mortimer, Emily Mortimer, Matthew Goode, Mark Gatiss, Brian Cox, Ewen Bremner, James Nesbitt
Wiederholung: Freitag, 24. Juli (Notiz: Weihnachtsgeschenke kaufen! Heiligabend ist nur noch wenige Monate entfernt.), 01.35 Uhr (Taggenau!)
Vertigo – Aus dem Reich der Toten (Vertigo, USA 1958)
Regie: Alfred Hitchcock
Drehbuch: Alex Coppel, Samuel Taylor
LV: Pierre Boileau/Thomas Narcejac: D´entre les morts, 1954 (Aus dem Reich der Toten, Vertigo)
Scottie verfolgt im Auftrag eines Freundes dessen von einer Toten besessene, selbstmordgefährdete Frau Madelaine. Nach ihrem Tod trifft Scottie auf Judy. Er will sie zu Madelaines Ebenbild formen.
Beim Filmstart erhielt “Vertigo” gemischte Kritiken. Heute wird der Rang von “Vertigo” als eines von Hitchcocks Meisterwerken von niemandem mehr ernsthaft bestritten.
Mit James Stewart, Kim Novak, Barbara Bel Geddes, Henry Jones, Tom Helmore, Raymond Bailey
Zweiter Fall für Kommissar Finke: Auf Sylt werden die Honoratioren des Ortes mit kompromittierenden Fotos erpresst. Finke soll den Erpresser finden. Doch zuerst muss er in zwei Mordfällen ermitteln.
Frühwerk von Wolfgang Petersen und ein „Tatort“-Klassiker; – wie alle Fälle von Kommissar Finke. Der bekannteste Finke-“Tatort“ ist „Reifezeugnis“.
mit Klaus Schwarzkopf, Wolf Roth, Wolfgang Kieling, Ingeborg Schöner, Dieter Kirchlechner, Rolf-Dieter Zacher, Ulrich Matschoss, Karl-Heinz von Hassel, Klaus Höhne
Ich stelle mir vor, dass Trey Edward Shults sein Material in einer frühen Fassung Trent Reznor und Atticus Ross mit dem Kommentar „macht was draus“ gegeben hat. Die beiden Musiker schufen eine Bild- und Toncollage die an Reznors Arbeit für „Natural Born Killers“ anknüpft.
Die intensive Zusammenarbeit zwischen „Nine Inch Nails“ Trent Reznor und Atticus Ross begann erst später. Ihre bekanntesten Filmarbeiten sind für die David-Fincher-Filme „The Social Network“ (Oscar-prämiert), „The Girl with the Dragon Tattoo“ und „Gone Girl“.
In Wirklichkeit hat Shults Reznor und Ross natürlich nicht einen Haufen belichtetes Zelluloid gegeben und dann den Sonnenuntergang genossen. Die Songs werden schon in seinem Drehbuch genannt. Die Struktur des Films stand schon fest. Nur die Länge noch nicht. Reznor und Ross begannen ihre Arbeit ausgehend von einzelnen Szenen und später einem vierstündigem Rohschnitt und der Aufgabe, eine Score zu entwerfen, der beide Filmhälften miteinander verbindet.
Denn „Waves“ zerfällt in zwei weitgehend unverbundene Teile, die auch einen anderen Ton anschlagen. Es ist, als habe man zwei Filme zu einem Double-Feature zusammengeklebt. Der erste Film ist ein fiebriges Drama, eine Kriminalgeschichte über einen drogensüchtigen und straffälligen Jugendlichen. Der zweite Film ist ein zuckriger Liebesfilm über das berühmte erste Mal. Zufällig wurden beide Filme mit den gleichen Schauspielern im gleichen Haus gedreht. Es ist das durchaus noble Anwesen der in Südflorida lebenden afroamerikanischen Familie Williams. Sie gehört zum oberen Mittelstand und hat keine drängenden finanziellen Probleme. Das Familienoberhaupt ist ein Unternehmer, der ein gutes Verhältnis zu seinen Kindern hat, sie aber auch fordert. Die Kinder, der siebzehnjährige Tyler und seine jüngere Schwester Emily, gehen in die gleiche Schule.
Im ersten Teil steht Tyler im Mittelpunkt. Er ist Ringer, Star der Schulmannschaft, nimmt nach einem Sportunfall Schmerzmittel gegen die Schmerzen, hat eine Freundin und ist cholerisch und eifersüchtig.
Im zweiten Teil steht seine Schwester Emily im Mittelpunkt. Und während sie in der ersten Stunde keine Rolle spielte, spielt er in der zweiten Stunde keine Rolle. Sie verliebt sich in Luke, der mit ihrem Bruder im Ringerteam war.
Mehr muss man nicht über die Filmgeschichte wissen. Sie bleibt rudimentär und Shults verweigert die üblichen Ursache-Wirkung-Erklärungen. Tylers Schmerzmittelkonsum wird zwar einmal gezeigt, aber ein Statement zur Opioid-Krise entwickelt sich daraus nicht. Es geht auch nicht um die Wirkung von Drogen. Eine wichtige Gerichtsverhandlung wird einfach ausgelassen. Irgendwann wird uns mitgeteilt, wie das Verfahren für Tyler ausging.
Aber in dem Moment ist schon lange offensichtlich, dass Shults kein konventionelles Drama über eine afroamerikanische, vom Leid geprüfte Familie drehen wollte.
Er wollte einen Trip drehen, der durch Ton und Bild zusammengehalten wird. Und wer „Waves“ als musikalischen Trip genießt, wird begeistert sein.
Waves (Waves, USA 2019)
Regie: Trey Edward Shults
Drehbuch: Trey Edward Shults
mit Sterling K. Brown, Taylor Russel, Kelvin HarrisonJr., Alexa Demie, Lucas Hedges
Laut einer BBC-Umfrage von 2018 ist Marie Curie die einflussreichste Frau in der Geschichte der Menschheit. Rosa Parks folgt auf dem zweiten Platz.
Aber wer war Marie Curie, 1867 als Maria Sklodowska in Warschau geboren, und was hat sie gemacht, um so wichtig zu sein? Die zwei Nobelpreise, einer in Physik, einer in Chemie können es nicht sein. Wobei sie es doch irgendwie sind. Marie Curie entdeckte mit ihrem Mann Pierre Curie mehrere Elemente, die die damaligen Theorien in Frage stellten. Es begann mit ihrer Entdeckung, dass Atome nicht die kleinste Einheit sind, sondern in noch kleinere Einheiten geteilt werden können. Sie nannten das Phänomen Radioaktivität. Später entdecken sie die chemischen Elemente Polonium und Radium. 1903 erhielten sie, zusammen mit Professor Henri Becquerel, den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der Radioaktivität.
Marie und Pierre Curie lernten sich 1894 an der Sorbonne kennen. Sie suchte einen Forschungsplatz in einem Labor. Er hatte ein Labor. Er war ihre große Liebe. 1906 starb er bei einem Verkehrsunfall. Er geriet unter die Räder eines Lastfuhrwerks. Sie waren beide brillante Wissenschaftler, die sich über die Arbeit kennen lernten und als erstes den Intellekt der anderen Person bewunderten. Nach dem Tod von Pierre Curie erhielt Marie Curie 1908 an der Pariser Universität als erste Frau überhaupt eine ordentliche Professur.
1911 erhielt sie den Nobelpreis für Chemie, unter anderem für die Entdeckung der Elemente Radium und Polonium.
Während dieser Zeit begann sie eine Affäre mit Paul Langevin, einem verheirateten Arbeitskollegen.
Marie Curies Entdeckungen führten zum Röntgenapparat, der friedlichen Nutzung der Kernenergie (und damit auch Tschernobyl) und der Atombombe.
Marjane Satrapi („Persepolis“, „Huhn mit Pflaumen“) erzählt in ihrem neuesten Film „Marie Curie – Elemente eines Lebens“ das Leben der Wissenschaftlerin, indem sie elegant zwischen den Zeiten hin- und herspringt und immer wieder zeigt, wozu Curies Entdeckungen führten. Eben diese Bilder zeigen, dass Curie nicht für irgendeine wissenschaftlich interessante, aber ansonsten weltfremde Entdeckung geehrt wurde, sondern dass ihre Entdeckungen im Leben von jedem ihre Spuren hinterlassen haben.
Das mild assoziative Biopic zeigt so, wozu Grundlagenforschung – und das machten Marie Curie und ihr Mann Piere um die Jahrhundertwende – dienen kann.
Gleichzeitig, und das ist ein konstantes Thema des Films, zeigt Satrapi die Widerstände und gesellschaftlichen Konventionen gegen die Marie Curie kämpfen musste, wozu auch die öffentliche Anerkennung für ihre Leistung zählt. Marie Curie wird, fabelhaft gespielt von Rosamund Pike, so als Wissenschaftlerin, Frau und Mutter, als Mensch mit Ecken und Kanten, begreifbar.
Formal ist das sehenswertes Biopic konventionell erzählt. Es verlässt sich weitgehend auf die etablierten Biopic-Pfade, die Schauspieler, die Ausstattung und das Drehbuch. Böswillig gesagt ist „Marie Curie – Elemente eines Lebens“ Bildungsfernsehen. Und etwas Bildung hat noch niemand geschadet.
Marie Curie – Elemente eines Lebens(Radioactive, Großbritannien/Frankreich 2019)
Regie: Marjane Satrapi
Drehbuch: Jack Thorne
LV: Lauren Redniss: Radioactive: Marie & Pierre Curie, A Tale of Love and Fallout (2010)
mit Rosamund Pike, Sam Riley, Aneurin Barnard, Anya Taylor-Joy, Simon Russell Beale, Katherine Parkinson, Sian Brooke
Ein Gespräch zum Film mit Prof. Jutta Allmendinger (Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB)), Maike Röttger (Vorsitzende der Geschäftsführung, Plan International Deutschland e.V.) und Prof. Kathrin Valerius (Karlsruher Institut für Technologie (KIT), KIT-Centrum Elementarteilchen- und Astroteilchenphysik (KCETA)), moderiert von Barbara Streidl (Vorstand von Frauenstudien München e.V.) (aufgenommen am 16. 7. 2020)
Vor einigen Tagen lief Wolfgang Staudtes letzter Film, der Tatort „Freiwild“, im Fernsehen. Heute läuft einer seiner besten Filme im Fernsehen:
Arte, 20.15
Die Mörder sind unter uns (Deutschland 1946)
Regie: Wolfgang Staudte
Drehbuch: Wolfgang Staudte
„Die Mörder sind unter uns“ war nach dem Zweiten Weltkrieg der erste deutsche Film, der hergestellt wurde, und weil die anderen Besatzungsmächte Wolfgang Staudtes Drehbuch nicht akzeptierten (vor allem wegen des ursprünglich geplanten Selbstjustiz-Endes), war es auch der erste Defa-Film. Er ist auch ein Klassiker des deutschen Films und eine quälende, von Verunsicherung geprägte Bestandsaufnahme.
Im zerstörten Berlin leidet der Arzt Hans Mertens (Ernst Wilhelm Borchert) an seinen Kriegserlebnissen, die er versucht mit Alkohol und Barbesuchen zu betäuben. Er wohnt bei Susanne Wallner (Hildegard Knef), die in einem KZ war. Als sie in seinen Sachen den Abschiedsbrief von seinem Kompaniechef Brückner entdeckt, erfährt Mertens von ihr, dass Brückner (Arno Paulsen) noch lebt. Mertens möchte ihn für seine Kriegsverbrechen büßen lassen.
Staudte inszenierte diese Geschichte mit Bildern aus dem zerstörten Berlin in typischen Noir-Bildern und zahlreichen Nahaufnahmen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie die Deutschen mit ihrer Schuld und wie sie mit den Tätern umgehen sollen. Es ist ein in hohem Maß selbstreflexiver, von Verunsicherung, auch über das eigene Tun, geprägter Film, der gerade daraus auch heute noch seine erzählerische Wucht gewinnt.
Ein historisches Dokument ist er sowieso.
„Dieser erste Trümmerfilm war ein hoffnungsvoller Ansatz, die deutsche Vergangenheit zu bewältigen.“ (Christa Bandmann/Joe Hembus: Klassiker des deutschen Tonfilms, 1980)
Mit Ernst Wilhelm Borchert, Hildegard Knef, Erna Sellmer, Arno Paulsen, Michael Günther, Robert Forsch
Eine längere Analyse des Films von Eckhard Pabst gibt es in dem von Martin Nies herausgegebenem Sammelband „Deutsche Selbstbilder in den Medien – Film 1945 bis zur Gegenwart“.
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Martin Nies (Herausgeber): Deutsche Selbstbilder in den Medien (Schriften zur Kultur- und Mediensemiotik Band 4)
Mulholland Drive – Straße der Finsternis (Mulholland Dr., USA/Frankreich 2001)
Regie: David Lynch
Drehbuch: David Lynch
Die Handlung kann, wie beim Vorgänger “Lost Highway”, kaum wiedergegeben werden. Denn dafür springt sie zu sehr zwischen Traum und Wirklichkeit, Gegenwart und Vergangenheit, hin und her. Der Film beginnt mit einem Autounfall. Eine junge Schönheit verliert ihr Gedächtnis, findet bei der jungen Schauspielerin Betty Unterschlupf und nennt sich, nach einem Filmplakat, Rita. Gemeinsam versuchen sie hinter Ritas Geheimnis zu kommen.
Zahlreiche Preise und noch mehr Nominierungen sagen einiges über die Qualität von “Mulholland Drive” aus. So erhielt er den César als bester ausländischer Film und Lynch 2001 beim Filmfestival in Cannes den Preis für die beste Regie. Aber für uns Krimifans ist natürlich nur eine Nominierung wichtig. Nämlich der Edgar. „Mulholland Drive“ wurde als bester Kriminalfilm des Jahres nominiert.
Ansonsten schließe ich mich dem „Großen Filmlexikon“ von TV Spielfilm an: „Dabei erinnert Lynch an sein Werk Lost Highway, ist aber so kompromisslos irreal und scheinbar unlogisch, so wild entschlossen, dem Zuschauer die Auflösung seines Thrillers zu überlassen, dass der inszenatorisch überwältigende Mulholland Drive zu Recht als sein bis dato vollendetstes Werk gilt.“
Sein nächster und bislang letzter Kinofilm „Inland Empire“ ist für mich einfach nur ein dreistündiger, quälend-langatmischer, pseudo-intellektueller Murks. Oder wie im Kino der Mann hinter sagte: „Oh Mann, ist das immer noch nicht zu Ende?“
Mit Naomi Watts, Laura Elena Harring, Justin Theroux, Ann Miller, Robert Foster, Dan Hedaya, Lee Grant, Billy Ray Cyrus, Chad Everett