TV-Premiere. Intensives, sehr nah an den erschreckenden Fakten, die das Erzbistum Lyon erschütterten und in Frankreich entsprechend bekannt sind, entlang inszeniertes Drama. Es geht um den praktizierenden Katholiken Alexandre Guérin, der als Kind von Pater Bernard Preynat missbraucht wurde. Jahrzehnte später, inzwischen selbst Vater, entdeckt er, dass Preynat im Erzbistum Lyon immer noch im Kindern arbeitet. Er will etwas dagegen unternehmen. Als erstes wendet er sich an Preynats Arbeitgeber, die katholische Kirche. Sie ist ihm dabei keine große Hilfe.
Zusammen mit anderen Betroffenen gründet er später die Interessengruppe „La Parole Liberée“ (Das gebrochene Schweigen). Sie machen den Skandal öffentlich und finden zahlreiche weitere Betroffene.
Als Ozon seinen Film drehte, war das Verfahren gegen Preynat immer noch nicht abgeschlossen. Am 4. Juli 2019 wurde Preynat von einem Kirchengericht des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger für schuldig befunden und aus dem Klerus ausgeschlossen. Das staatliche Gerichtsverfahren gegen ihn endete am 16. März 2020 mit einer fünfjährigen Haftstrafe. Gegen zahlreiche weitere Mitglieder des Erzbistums gab es ebenfalls Klagen.
Anschließend, um 22.30 Uhr, zeigt Arte in der losen Reihe „Es war einmal…“ eine brandneue, gut einstündige Doku über den Film.
LV: Rainer Werner Fassbinder: Die bitteren Tränen der Petra von Kant, 1971
TV-Premiere. François Ozon verfilmt und interpretiert Rainer Werner Fassbinders sehr autobiographisches Stück „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Grandios! Und überaus witzig.
Drehbuch: François Ozon (nach dem Bühnenstück von Pierre Barillet und Jean-Pierre Grédy)
In den Siebzigern übernimmt die Frau eines cholerischen Fabrikanten, der aufgrund eines Herzinfarkts seine Firma unpässlich ist, die Firmenleitung. Sie, die bislang nur das Schmuckstück war, findet Gefallen an ihrer neuen Rolle.
„lustvoll mit Überspitzungen arbeitende Emanzipationskomödie, gestaltet als liebenswürdige Hommage an ‚klassische‘ amerikanische und französische Film-Musicals“ (Lexikon des internationalen Films)
Am Samstag, den 3. Juni, zeigt One um 22.00 Uhr Ozons letzten Film „Peter von Kant“.
Sein neuer Film „Mein fabelhaftes Verbrechen“ startet am 6. Juli im Kino. Wieder eine Komödie, wieder mörderisch gut,
mit Catherine Deneuve, Gérard Depardieu, Fabrice Luchini, Karin Viard, Judith Godrèche, Sergi Lopez
Dass François Ozon ein großer Bewunderer von Rainer Werner Fassbinder ist, dürfte bekannt sein. Bereits 2000 verfilmte er „Tropfen auf heiße Steine“, ein erst posthum aufgeführtes Theaterstück von Fassbinder. Jetzt nahm Ozon sich ein anderes Stück von Fassbinder vor, nämlich „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Das Theaterstück wurde 1971 von Peer Raben für die vierte Experimenta inszeniert. Ein Jahr später verfilmte Fassbinder in zehn Drehtagen sein Stück. Es spielt in der wie eine Theaterbühne wirkenden Wohnung von Petra von Kant (Margit Carstensen). Sie ist eine Modeschöpferin, die den Zenit ihrer Karriere hinter sich hat. Vorne und hinten lässt sie sich von Marlene (Irm Hermann) bedienen.
Als Petra von Kant Karin Thimm (Hanna Schygulla) kennen lernt, verliebt sie sich in sie.
In seiner Verfilmung betont Fassbinder das Theaterhafte. Er erzählt eine deprimierende Geschichte von toxischen Beziehungen unter Frauen. Der Film ist, aus heutiger Sicht, eines von Fassbinders Schlüsselwerken und damit einer der Filme, die zuverlässig in jeder Liste der wichtigsten Werke von Fassbinder auftauchen.
Zum fünfzigsten Geburtstag des Films interpretiert Ozon das Stück neu, und wie der Titel „Peter von Kant“ und der auf dem Plakat prominent platzierte Hinweis „frei nach“ verraten, veränderte er einiges. Zum Beispiel die Geschlechter der Figuren. Außerdem kürzte er das Stück. Fassbinders Film dauert über zwei Stunden. Ozons Neuinterpretation keine neunzig Minuten. Und es gibt zahlreiche Anspielungen auf Rainer Werner Fassbinder, seine Person, sein Umfeld und sein Werk.
Dabei hat Ozon kein Enthüllungswerk gedreht.
Schon für Fassbinders Zeitgenossen dürfte offensichtlich gewesen sein, dass das Stück und die dort gezeigten Beziehungen autobiographisch sind. Nur dass Fassbinder aus einer männlichen Diva eine weibliche Diva machte. Ozon macht das wieder rückgängig. Schockierend ist das nicht. Schließlich hat sich Gesellschaft in den vergangenen fünfzig Jahren gewandelt. Da ist eine Liebesgeschichte unter Männern nicht mehr schockierend oder irgendwie Aufsehen erregend. Gleichzeitig wissen wir heute, auch weil alle, die damals mit Fassbinder zusammen arbeiteten, öffentlich über die Arbeit sprachen, viel mehr über das Leben und die Strukturen in der Fassbinder-Familie.
Insofern zeigt Ozon nur, was schon im Original deutlich erkennbar war.
Und natürlich kann durch den Geschlechtertausch viel gefassbindert werden. Mal mehr, mal weniger offensichtlich.
Denis Ménochet, der Peter von Kant spielt, versinkt förmlich in der Rolle der aus dem Leim geratenen, sich selbst gefallenden und bemitleidenden männlichen Diva. In der einen Sekunde ist er ein großspurig auftretender Regisseur, der mit dem Telefon die Welt regiert, im nächsten Moment ein im Selbstmitgleid ertrinkender Tropf und, wenige Sekunden später ein hoffnungslos in einen anderen Mann verliebter Mann. Er zeigt seine Gefühle mit fast schon boulevardesker Offenheit. Er steht im Mittelpunkt, genießt es und will doch ständig bestätigt und umhütet werden. Ménochet spielt diesen Peter von Kant in jeder Sekunde glaubhaft und so, dass wir immer den Menschen hinter all seinen Posen und Manipulationen erkennen.
Neben ihm steht Stefan Crépon zunehmend im Zentrum der Aufmerksamkeit des Zuschauers. Er spielt Karl, den Diener von Peter von Kant. Schweigend erfüllt er die Wünsche seines Chefs und erträgt stoisch seine Launen und ständigen Stimmungsumschwünge. Er sagt kein Wort. Er ist immer im Hintergrund da und er kommentiert stumm das Geschehen.
Khalil Gharbia spielt Amir Ben Salem, das Objekt der Begierde. Isabelle Adjani Peter von Kants vermögende Freundin und ehemalige Muse, den Filmstar Sidonie von Gassenab. Sie stellt ihm Amir vor. Und Hanna Schygulla ist als Peter von Kants Mutter dabei.
Ozon inszeniert seine Version der „bitteren Tränen der Petra von Kant“, wie schon Fassbinder, betont theaterhaft, mit vielen Fassbinder-Anspielungen und zum Lachen reizenden Stellen.
Peter von Kant (Peter von Kant, Frankreich 2022)
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon
LV: Rainer Werner Fassbinder: Die bitteren Tränen der Petra von Kant, 1971
mit Denis Ménochet, Isabelle Adjani, Khalil Gharbia, Hanna Schygulla, Stefan Crépon, Aminthe Audiard
François Ozon, hier zusammen mit Stefan Crepon (der im Film Karl spielt), eröffnete am 8. September 2022 im Delphi Kino das diesjährige Queer Film Festival mit seinem Film „Peter von Kant“, seiner freien Bearbeitung von Rainer Werner Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“.
Um das selbstbestimmte Sterben geht es in François Ozons neuem Film „Alles ist gutgegangen“, der auf einer wahren Geschichte von Emmanuèle Bernheim basiert. Die früh verstorbene Pariserin Emmanuèle Bernheim (30. November 1955 – 10. Mai 2017) war Roman- und Drehbuchautorin. So arbeitete sie mit Ozon bei „Unter dem Sand“ (Sous le Sable, 2000), „Swimming Pool“ (2003) und „5×2 – Fünf mal zwei“ (5×2, 2004) zusammen. Ihre Bücher, zu denen „Das Klappmesser“, „Ein Liebespaar“, „Die Andere“ und „Der rote Rock“ (verfilmt von Claire Denis) gehören, erschienen bei Klett-Cotta und Hanser.
Als der immer noch sehr fidele 84-jährige Kunstsammler und Fabrikant André Bernheim (André Dussollier) einen Schlaganfall hat, bittet er seine Tochter Emmanuèle (Sophie Marceau) ihm beim Sterben zu helfen. Seine andere Tochter Pascale (Géraldine Pailhas), die als Kind ebenfalls unter dem dominantem Vater gelitten hat, ist etwas verkrätzt, weil sie nicht gefragt wurde. Trotzdem raufen sich die beiden Schwestern zusammen.
Emmanuèle Bernheim schrieb anschließend das mit dem „Grand prix des lectrices de Elle“ ausgezeichnete Buch „Alles ist gutgegangen“ (Tout s’est bien passé, 2013) über den Tod ihres Vaters. Schon vor dem Erscheinen des Buches fragte sie François Ozon, ob er es verfilmen möchte. Aber er wusste zunächst nicht, wie er ihre Geschichte zu seiner Geschichte machen könnte. Auch andere Regisseure interessierten sich für die Geschichte. Nach ihrem Tod bemühte er sich wieder um die Geschichte und er fand den für ihn richtigen Zugang.
Chronologisch erzählt er, wie die Schwestern Emmanuèle und Pascale mit dem Wunsch ihres Vaters hadern, ihn vom Gegenteil überzeugen wollen und ihn ihm letztendlich doch erfüllen. Es geht dabei auch um die Beziehungen innerhalb einer wohlhabenden, kunstaffinen französischen Familie, in der der Vater ein Kunstsammler, die Mutter Claude de Soria eine bedeutende Bildhauerin, eine Tochter Organisatorin von Klassik-Festivals und die andere eine bekannte Autorin (und verheiratet mit dem Direktor der Cinémathèque française) ist. Das ist natürlich ein Blick in eine sonst von der Öffentlichkeit abgeschirmte Welt und hat etwas von einer Familienaufstellung. Dabei entfaltet sich das problematische Beziehungsgeflecht innerhalb der Familie Bernheim entlang der Frage, ob der Wunsch des nach dem Schlaganfall gelähmten und von fremder Hilfe abhängigem Patriarchen nach einem selbstbestimmten Tod erfüllt werden soll.
Und damit geht es auch um die Frage der Sterbehilfe. Hier spielt die von Hanna Schygulla gespielte Sterbehelferin eine entscheidende Rolle. Sie erklärt die Gesetze dazu in Frankreich (verboten) und in der Schweiz (erlaubt, wenn auf bestimmte Dinge geachtet wird) und als Vertreterin eines Sterbehilfevereins hat sie eine eindeutige Position dazu.
Im Rahmen der Filmgeschichte sind die unterschiedlichen Regeln in Frankreich und der Schweiz nicht der Auftakt zu einer Diskussion über diese Regeln. Sie dienen am Filmende als spannungssteigerndes Element.
Im Mittelpunkt von Ozons selbstverständlich sehenswertem Abschiedsdrama „Alles ist gutgegangen“ steht die Beziehung der beiden Schwestern Emmanuèle und Pascale zueinander und zu ihrem Vater und wie sie sich von seinem Schlaganfall bis zu seinem Tod entwickelt.
Alles ist gutgegangen (Tout s’est bien passé, Frankreich 2021)
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon, Philippe Piazzo (Mitarbeit)
LV: Emmanuèle Bernheim: Tout s’est bien passé, 2013 (Alles ist gutgegangen)
mit Sophie Marceau, André Dussollier, Géraldine Pailhas, Charlotte Rampling, Éric Caravaca, Hanna Schygulla, Grégory Gadebois
LV: Robert Thomas: Huit Femmes, 1958/1962 (Theaterstück)
Weihnachten in einem verschneiten Landhaus: In der Nacht wird der Hausherr ermordet. Die Täterin ist eine der acht Frauen, die im Haus sind. Selbstverständlich hat jede von ihnen ein gutes Motiv das Ekel umzubringen. Und ein todsicheres Alibi.
Ein Cozy mit Gesang und einem Darstellerinnenensemble, das über jeden Zweifel erhaben ist und die Crème de la Crème des französischen Films versammelt.
Drehbuch: François Ozon (frei nach „Broken Lullaby“ von Ernst Lubitsch)
Quedlinburg, 1919: Am Grab ihres im Krieg gefallenen Mannes trifft Anna auf den Franzosen Adrien. Sie findet ihn sympathisch und sie glaubt, dass er etwas über den Tod ihres Mannes weiß.
François Ozons vor allem in der ersten Hälfte verdammt gelungene und durchgehend wunderschön anzusehende Lubitsch-Interpretation.
Der andere Liebhaber (L’Amant Double, Frankreich/Belgien 2017)
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon, in Zusammenarbeit mit Philippe Piazzo
LV: Joyce Carol Oates: Lives of the Twins, 1987 (Der Andere; Erstveröffentlichung unter dem Pseudonym Rosamund Smith)
Die hoffnungslos neurotische Chloé verliebt sich in ihren Psychotherapeuten – und seinen Zwillingsbruder. Das führt zu einigen mörderischen Verwicklungen.
TV-Premiere zu einer indiskutablen Uhrzeit.François Ozons Psychothriller ist ein wunderschöner intellektueller Spaß mit überraschenden Wendungen bis zur letzten Minute. Immer nach dem alten Thriller- und Horrorfilmprinzip „nichts ist, wie es scheint“; – was natürlich auch eine Täuschung sein kann.
LV: Robert Thomas: Huit Femmes, 1958/1962 (Theaterstück)
Weihnachten in einem verschneiten Landhaus: In der Nacht wird der Hausherr ermordet. Die Täterin ist eine der acht Frauen, die im Haus sind. Selbstverständlich hat jede von ihnen ein gutes Motiv das Ekel umzubringen. Und ein todsicheres Alibi.
Ein Cozy mit Gesang und einem Darstellerinnenensemble, das über jeden Zweifel erhaben ist und die Crème de la Crème des französischen Films versammelt.
Drehbuch: François Ozon (frei nach „Broken Lullaby“ von Ernst Lubitsch)
Quedlinburg, 1919: Am Grab ihres im Krieg gefallenen Mannes trifft Anna auf den Franzosen Adrien. Sie findet ihn sympathisch und sie glaubt, dass er etwas über den Tod ihres Mannes weiß.
TV-Premiere zu einer unverschämten Sendezeit. Denn Ozons Lubitsch-Interpretation ist verdammt gelungen (vor allem die erste Hälfte) und selbstverständlich einen Blick wert.
Der Film könnte überall spielen. Denn wer in den letzten Jahren aufmerksam die Zeitung gelesen hat, hat oft genug vom sexuellen Missbrauch von Kindern durch Würdenträger in der katholischen Kirche gelesen.
Zum Beispiel von diesem Fall aus Lyon, den François Ozon in seinem neuen Film „Gelobt sei Gott“ akribisch nachzeichnet.
Es beginnt damit, dass Alexandre Guérin (Melvil Poupaud), glücklich verheirateter Vater mehrerer Kinder und praktizierender Katholik, erfährt, dass Pater Preynat, der ihn als Kind missbrauchte, schon vor einigen Jahren in die Nähe von Lyon zurückkehrte, immer noch Priester ist und immer noch mit Kindern arbeitet.
Alexandre wendet sich an Kardinal Barbarin, den Erzbischof von Lyon. Die Kirche nimmt geduldig und verständnisvoll sein Anliegen auf, die von der Kirche angestellte Mediatorin Régine Maire redet mit ihm und sie lässt immer viel Zeit verstreichen zwischen Alexandres Schreiben. Und sie denkt nicht daran, den beschuldigten Priester, der die Taten nie bestreitet, aus dem Dienst zu entfernen.
Alexandre ist der erste Mann, den Ozon in seinem neuen Film porträtiert. Danach folgen François Debord (Denis Ménochet) und Emmanuel Thomassin (Swann Arlaud).
François ist ein militanter Atheist, der ihren Fall an die Öffentlichkeit bringt und die Interessengruppe „La Parole Liberée“ (Das gebrochene Schweigen) gründet. Die Gruppe bringt Preynats Taten und die Untätigkeit der Kirche an die Öffentlichkeit.
Emmanuel ist innerlich zerbrochen. Diese Figur besteht, im Gegensatz zu Alexandre und François, nicht aus einer realen Figur, sondern orientiert sich an einem Opfer und veränderte bei ihm einige Details. Er steht damit für die Opfer, die nach dem sexuellen Missbrauch kein normales Leben führen können.
Während die Handlung sich, immer nah an den Tatsachen, chronologisch fortbewegt, konzentriert Ozon sich nacheinander auf einen der drei Männer. Somit besteht „Gelobt sei Gott“ aus drei jeweils ungefähr gleich langen, thematisch miteinander verbundenen Kurzfilmen. Stilistisch verfolgt Ozon die Ereignisse mit dem ruhigen, objektiv-distanzierten Blick eines Dokumentarfilmers. Weil es ein Spielfilm ist, kann Ozon, der das Thema ursprünglich als Dokumentarfilm bearbeiten wollte, Ereignisse zeigen, bei denen in der Realität niemals eine Kamera dabei wäre. Zum Beispiel wenn die Männer erfahren, dass ihr Vergewaltiger noch immer aktiv ist, wenn sie sich entschließen, den Kampf gegen die mächtige Kirche aufzunehmen, und wenn sie sich hinter verschlossenen Türen unterhalten.
„Gelobt sei Gott“ behandelt sein Thema facettenreich und mit eindeutiger Sympathie für die Opfer, die teilweise immer noch gläubig sind. Er gibt ihnen eine Stimme und lässt sie durch die verschiedenen Figuren zu Wort kommen. So sind Alexandres Briefe an die Kirche, die er im Voice-Over vorliest, die Briefe, die Alexandre Guérin an den Erzbischof von Lyon schrieb.
Ozons dokumentarischer Spielfilm zeigt auch, wie – höflich formuliert – unbefriedigend die bisherige Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit dem Thema ist. Anstatt sich um die Opfer die kümmern, wurden (und werden?) die Täter und die Institution geschützt. Immerhin wurde Pater Preynat am 4. Juli 2019 von einem Kirchengericht des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger für schuldig befunden und aus dem Klerus ausgeschlossen. Ob er gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt hat, konnte ich jetzt nicht herausfinden. Das staatliche Gerichtsverfahren gegen ihn hat immer noch nicht stattgefunden. Kardinal Barbarin, Régine Maire (die Kirchenpsychologin, die für die Unterstützung der Opfer von Priestern zuständig ist) und fünf weitere kirchliche Amtsträger wurden im Januar 2019 wegen der Nichtanzeige sexueller Übergriffe auf Minderjährige unter 15 Jahren und wegen unterbliebener Hilfeleistung angeklagt. Kardinal Barbarin erhielt eine eine Bewährungsstrafe, gegen die er Berufung einlegte. Im November soll darüber verhandelt werden.
Gelobt sei Gott(Grâce à Dieu, Frankreich 2019)
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon
mit Melvil Poupaud, Denis Ménochet, Swann Arlaud, Èric Caravaca, François Marthouret, Bernard Verley, Josiane Balasko, Martine Erhel
Anschließend, um 22.00 Uhr, zeigt Arte mit „Die Zeit die bleibt“ (Le temps qui reste, Frankreich 2005) einen weiteren Ozon-Film.
Und am 26. September läuft in unseren Kinos sein neuester Film „Gelobt sei Gott“ an. Ein sehr sehenswerter, auf Tatsachen basierender Film über den Umgang der katholischen Kirche mit Geistlichen, die Kinder missbrauchen.
mit Romain Duris, Anaïs Demoustier, Raphaël Personnaz, Isild Le Besco, Aurore Clément, Jean-Claude Bolle-Reddat, Bruno Pérard, Claudine Chatel
Swimming Pool(Swimming Pool, Frankreich/Großbritannien 2003)
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon, Emmanuele Bernheim
Sommer in Frankreich: eine erfolgreiche britische Krimiautorin versucht in dem Landhaus ihres Verlegers ihre Schreibblockade zu überwinden. Da taucht die quirlige zwanzigjährige Tochter des Verlegers auf – und mit der Ruhe ist es vorbei. Auch mit der Schreibblockade?
Erotikthriller, der normalerweise zu nächtlicher Stunde läuft.
„Eine souveräne Fingerübung, nicht mehr, aber auch nicht weniger.“ (Michael Meyns, Zitty 17/2003)
Ozons nächster Film „Gelobt sei Gott“ über einen Missbrauchsskandal in Lyon in der katholischen Kirche läuft am 26. September an.
mit Charlotte Rampling, Ludivine Sagnier, Charles Dance, Marc Fayolle
Chloé Fortin ist eine dieser gut aussehenden, schüchternen, jungen Frauen, die einem mit ihren wahren und eingebildeten Neurosen in den Wahnsinn treiben können. Immer stimmt etwas nicht. Immer muss sich alles um sie drehen. Auf eine passiv-aggressive Art. Auch ihre Ärztin scheint von ihr genervt zu sein. Alle Untersuchungen zu Chloés Bauchschmerzen bleiben ohne Ergebnis. Körperlich ist sie kerngesund. Sie verweist Chloé an einen Psychotherapeuten. Paul Meyer heißt er und er verhält sich so wie man es von einem Psychologen erwartet. Er ist höflich. Er hört geduldig zu. Sie öffnet sich ihm gegenüber in den Sitzungen. Ihre Bauchschmerzen verschwinden. Sie verlieben sich ineinander und ziehen zusammen. Selbstverständlich enden damit ihre Sitzungen bei ihm in der Praxis.
Verdächtig schnell und verdächtig perfekt richten sie ihre gemeinsame, etwas zu saubere und zu aufgeräumte Wohnung ein und ebenso schnell, fast über Nacht, erkaltet ihre Liebe.
Während einer Fahrt im Bus sieht sie ihn mit einer anderen Frau vor einem Haus stehend. Am Abend behauptet Paul, als sie ihn darauf anspricht, dass er am anderen Ende der Stadt im Krankenhaus gearbeitet habe.
Sie glaubt ihm nicht und sucht in dem Haus, vor dem sie ihn mit ihrer Nebenbuhlerin sah, nach Beweisen für seine Untreue. Dabei betritt sie die Praxis des ebenfalls als Psychotherapeuten arbeitenden Louis Delord. Er sieht wie ein eineiiger Zwilling von Paul aus (er ist es) und er verfolgt einen vollkommen anderen Therapieansatz, der mit Sicherheit in keinem Lehrbuch steht. Denn letztendlich vergewaltigt er sie.
Spätestens in diesem Moment dürfte auch der letzte Zuschauer wissen, dass François Ozon in seinem neuen Spielfilm „Der andere Liebhaber“ keinen realistischen Film erzählt. Wer ab diesem Moment eine schlechte französische Version von „50 Shades of Grey“ mit all der Frauen-wollen-geschlagen-werden-Philosophie erwartet, lässt sich von Ozon schon wieder auf die falsche Fährte führen. Die erfolgversprechendere Fährte sind, ohne jetzt zu viel zu verraten und um nur einen Regisseur und keine anderen Filme zu nennen, die Werke von Brian De Palma.
In diesem Moment hat Ozon den willigen Zuschauer schon lange, eigentlich schon beginnend mit den ersten Bildern, in denen Chloé sich die Haare schneiden lässt (nicht dass ihr die Haare geschnitten werden, sondern wie Ozon das inszeniert), in eine kühl und sehr kunstvoll inszenierte Traumwelt entführt. Es ist ein Spiegelkabinett voller falscher Fährten, unterschiedlicher Bedeutungen und zahlreicher Anspielungen, die während des Films immer wieder Irritationen auslösen, während Chloé weitere Sprechstunden bei Louis Delord in Anspruch nimmt und ihr Mann Paul Meyer erfährt, dass sie sich mit seinem Bruder trifft.
Das ist, wie man es bei Ozon gewohnt ist, ein wunderschöner intellektueller Spaß mit überraschenden Wendungen bis zur letzten Minute. Immer nach dem alten Thriller- und Horrorfilmprinzip „nichts ist, wie es scheint“.
Der andere Liebhaber (L’Amant Double, Frankreich/Belgien 2017)
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon, in Zusammenarbeit mit Philippe Piazzo
LV: Joyce Carol Oates: Lives of the Twins, 1987 (Der Andere; Erstveröffentlichung unter dem Pseudonym Rosamund Smith)
Swimming Pool(Frankreich/Großbritannien 2003, Regie: François Ozon)
Drehbuch: François Ozon, Emmanuele Bernheim
Sommer in Frankreich: eine erfolgreiche britische Krimiautorin versucht in dem Landhaus ihres Verlegers ihre Schreibblockade zu überwinden. Da taucht die quirlige zwanzigjährige Tochter des Verlegers auf – und mit der Ruhe ist es vorbei. Auch mit der Schreibblockade?
Erotikthriller, der normalerweise zu nächtlicher Stunde läuft.
„Eine souveräne Fingerübung, nicht mehr, aber auch nicht weniger.“ (Michael Meyns, Zitty 17/2003)
mit Charlotte Rampling, Ludivine Sagnier, Charles Dance, Marc Fayolle
Wenige Monate nach dem Ende des ersten Weltkriegs taucht in einer deutschen Kleinstadt ein junger Franzose auf, der ein merkwürdiges Interesse an dem Grab von Frantz hat. Anna ist neugierig. Sie war mit Frantz verheiratet, lebt bei dessen Eltern und trauert immer noch. Sie will wissen, warum der Franzose, der sich Adrien nennt, in das Land des Feindes gekommen ist und trauert. Denn nach dem Krieg pflegen die Deutschen ihren Hass auf die Franzosen, die den Krieg gewonnen haben. Und die Eltern von Frantz Hoffmeister, vor allem sein Vater, sehen Adrien zunächst als Feind, als einen der Franzosen, die ihren Sohn umgebracht haben.
Das ist die Ausgangslage von François Ozons neuem Film „Frantz“. Im Presseheft erklärt Ozon die falsche Schreibweise des Namens so: „Das ist ein typischer französischer Fehler, der den Deutschen gefiel. Deshalb habe ich ihn nicht korrigiert. Ich stellte mir vor, dass Frantz aus Liebe zu Frankreich das ‚t‘ hinzugefügt hatte.“
In dem Presseheft bittet er auch darum, Adriens Geheimnis nicht zu verraten.
Wer allerdings Ernst Lubitschs unbekannten Film „Broken Lullaby“, auf dem Ozons Film basiert, oder Maurice Rostards Theaterstück kennt, das die Vorlage für Lubitschs Film war, oder auch nur den Originaltitel des Stückes oder den Alternativtitel des Films oder den deutschen Titel kennt, dürfte eine gute Ahnung von Adriens Geheimnis haben. Weil Rostard und Lubitsch die Geschichte aus der Perspektive von Adrien erzählen, hat er auch kein Geheimnis. Ozon erzählt die Geschichte dagegen aus der Perspektive von Anna und damit verändert die Geschichte sich in vielen Punkten mehr oder weniger entscheidend. So als ob man einmal die Geschichte aus der Perspektive des Mörders und einmal aus der des Ermittlers erzählt.
Jedenfalls: Wer Lubitschs Film nicht kennt, wird mehr als nötig über Adriens Geheimnis rätseln und, auch ausgehend von Ozons früheren Filmen, wilde Vermutungen anstellen, anstelle sich einfach auf die Geschichte und die Gefühle der Charaktere einzulassen.
In dem Film wird das Geheimnis in der Filmmitte gelöst.
In der zweiten, deutlich schwächeren, um nicht zu sagen in der Länge missratenen Hälfte verlagert sich die Handlung dann nach Frankreich und während einer guten Stunde Laufzeit passiert letztendlich nichts. Dieser Teil, in dem Anna den spurlos verschwundenen Adrien sucht und bei seiner Familie findet, basiert nicht mehr Lubitschs Film und auch nicht auf dem Theaterstück. Beide enden mit der Reaktion der Witwe auf die Enthüllung des Grundes, warum der Franzose nach Deutschland gekommen ist.
Dabei ist gerade die erste Hälfte überaus gelungen und wunderschön in SW, mit einigen klug eingesetzten Farbtupfern, erzählt. In dieser Stunde erzählt Ozon von der Annäherung zwischen Anna und Adrien, von der möglichen Versöhnung zwischen den Kriegsgegnern, von dem gesellschaftlichen Klima in einer deutschen Kleinstadt in der Provinz, von großen und kleinen Lügen und Hoffnungen auf ein neues Leben.
Es war auch eine kluge Entscheidung von Ozon, den Film in der Originalfassung zweisprachig zu drehen. Deshalb wird in der ersten Hälfte fast nur deutsch, in der zweiten französisch gesprochen und die gesamte Geschichte wirkt authentischer.
Frantz (Frantz, Deutschland/Frankreich 2016)
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon (frei nach „Broken Lullaby“ von Ernst Lubitsch)
mit Paula Beer, Pierre Niney, Ernst Stötzner, Marie Gruber, Johann von Bülow, Anton von Lucke, Cyrielle Clair, Aliche de Lencquesaing
LV: Robert Thomas: Huit Femmes, 1958/1962 (Theaterstück)
Weihnachten in einem verschneiten Landhaus: In der Nacht wird der Hausherr ermordet. Die Täterin ist eine der acht Frauen, die im Haus sind. Selbstverständlich hat jede von ihnen auch ein gutes Motiv das Ekel umzubringen.
Ein Cozy mit Gesang und einem Darstellerinnenensemble, das über jeden Zweifel erhaben ist und die Crème de la Crème des französischen Films versammelt.
Weil es eine wunderschöne Überraschung gibt, die in anderen Besprechungen oft sofort verraten wird und deshalb wahrscheinlich keine Überraschung mehr ist. Aber dennoch:
Achtung. Der Trailer verrät sie nicht, verspricht aber einen vollkommen anderen Film. Meine Kritik enthält Spoiler und verrät diese Überraschung, weil ich mehr als „gefällt mir“ sagen will.
Wenn wir Claude Chabrol, diesen kühlen Analysten der französischen Bourgeoisie, nicht vermissen, dann liegt das auch an Francois Ozon, der mit seinem neuen Film „Eine neue Freundin“ wieder, allerdings mit anderen Schwerpunkten, tief in das Chabrol-Territorium vorstößt.
Auf einer Trauerfeier hält Claire vor der versammelten, gutbürgerlichen Trauergemeinde eine ergreifende Trauerrede über die lebenslange, innige, von jedem Neid und Konkurrenzdruck freie Beziehung zwischen ihr und ihrer besten Freundin, der verstorbenen Laura. Ozon illustriert Claires Rede mit Rückblenden, die eine etwas andere Geschichte erzählen. Am Ende ihrer Rede versichert sie pathetisch dem trauerndem Ehemann, dass sie sich um ihn und Lauras Baby kümmern werde. In dem Moment hört sich das wie eine Drohung an.
Kurz darauf, wenn Claire David und sein Baby zum ersten Mal besucht, nimmt die Geschichte ihre erste überraschende Wendung. Denn die Frau im Haus, die Lauras Kleider an hat, ist David. Er zieht gerne Frauenkleider an. Seine Frau wusste es und er tut es auch nur, unbeobachtet von den Nachbarn, in ihrer Wohnung. Niemand weiß davon und niemand soll davon erfahren. Claire versichert ihm, dass sein Geheimnis bei ihr gut aufgehoben ist – und wir erinnern uns noch gut an ihr während der Trauerrede gegebenes Versprechen.
Fortan geht sie, und das ist die zweit überraschende Wendung, als ob es das natürlichste auf der Welt sei, öfters zu ihrer neuen Freundin Virginia und tauscht sich mit ihr über die richtige Kleidung, das Schminken und die Körperpflege aus. Sie werden zu richtigen Freundinnen.
Eines Tages möchte David als Virginia das Haus verlassen und alles das tun, was Frauen tun.
Francois Ozons Film „Eine neue Freundin“ basiert sehr lose auf der Kurzgeschichte „The new Girlfiriend“ von Ruth Rendell und obwohl er sich viele Freiheiten nimmt, erscheint die Geschichte, die sich auf zwei, drei Personen konzentriert, etwas dünn für einen Spielfilm. Das liegt auch daran, dass Ozon den satirischen Furor der ersten Minuten später nicht mehr erreicht und auch überhaupt nicht erreichen will. Denn die gefühlvoll erzählte Freundschaft zwischen Claire und David, in der es keine Konkurrenz gibt, wird immer wichtiger. Mit den damit verbundenem Problem, dass die verheiratete Claire jetzt immer öfter bei ihrer neuen Freundin ist, die dummerweise auch ein Mann mit einem Baby ist. Da könnte Claires Mann, wenn er in David einen Nebenbuhler vermuten würde, schon eifersüchtig werden.
Es gibt – und deshalb trägt der Vergleich zwischen Chabrol und Ozon auch nur bedingt – einen großen Unterschied zwischen ihnen. Bei Claude Chabrol schaffte das Bürgertum seine Probleme gerne mit einem Mord aus der Welt und Chabrol beobachtete sie mit einem scheinbar unbestechlichem, oft sardonischem und mitleidlosem Blick. Ozon hat einen freundlicheren, empathischeren und auch vorurteilsfreieren Blick auf seine Charaktere. Deshalb entfaltet das Verwirrspiel zwischen echten und falschen Identitäten auch immer wieder ein komödiantisches Potentizial und die Lösung des Problems wird nicht mit der Methode Chabrol versucht. Aber für das französische Bürgertum ist im Moment ein Crossdresser, der nicht verurteilt wird, wahrscheinlich genauso unangenehm wie damals ein Mörder, der nicht verurteilt wird. Und Ozon hat es geschafft, mit einer kleinen, scheinbar privaten Geschichte eine Gesellschaftsanalyse vorzulegen, die zielsicher die Tabuzonen vermisst, die die „Front National“–Wähler und die Demonstranten gegen die Homoehe haben.
LV: Robert Thomas: Huit Femmes, 1958/1962 (Theaterstück)
Weihnachten in einem verschneiten Landhaus: In der Nacht wird der Hausherr ermordet. Die Täterin ist eine der acht Frauen, die im Haus sind. Selbstverständlich hat jede von ihnen auch ein gutes Motiv das Ekel umzubringen.
Ein Cozy mit Gesang und einem Darstellerinnenensemble, das über jeden Zweifel erhaben ist und die Crème de la Crème des französischen Films versammelt.