Neu im Kino/Filmkritik: „The Infiltrator“ – eine wahre Geschichte aus dem Kampf gegen Drogenhändler und Geldwäscher

September 30, 2016

Florida, achtziger Jahre: Drogen aus Südamerika überfluten das Land. Brian De Palma in „Scarface“ und Michael Mann in der TV-Serie „Miami Vice“ zeichneten, neben etlichen Krimiautoren, in Echtzeit ein Sittengemälde dieses Krieges.

Robert ‚Bob‘ Mazur war als U.S. Customs Special Agent an vorderster Front dabei. 2009 veröffentlichte er unter dem Titel „The Infiltrator“ seine Erinnerungen.

Jetzt verfilmte Brad Furman („The Lincoln Lawyer“) Mazurs Biographie, die unbestritten das Potential für einen spannenden Kinoabend hat, in dem alles drin ist, was man von einem sich für sonniger Kulisse entfaltendem Drogenthriller erwartet. Vor allem wenn es um einen langjährigen Undercover-Einsatz geht, in dem Robert Mazur als Geldwäscher Robert Musella die Spur des Drogengeldes verfolgt. Dabei geraten neben den Kartellbuchhaltern auch mehrere Repräsentanten der global tätige Bank of Credit and Commerce International (BCCI) in den Fokus der Ermittlungen des Zollfahnders.

Und trotzdem enttäuscht „The Infiltrator“.

Das liegt nicht daran, dass Furman sich einige dramaturgische Freiheiten nimmt. Das ist immer so und fällt nur denen auf, die Mazurs Buch kennen oder sich vor dem Kinobesuch ausführlich mit den wahren Ereignissen beschäftigen.

Ein großes Problem ist allerdings, auch ohne die Fakten zu kennen, das Alter der beiden Hauptdarsteller Bryan Cranston und Diane Kruger. Sie sind zu alt für ihre Rollen. So spielt der sechzigjährige Cranston den damals 36- bis 38-jährigen Mazur. Die vierzigjährige Kruger spielt eine unerfahrene Polizistin, die während ihres ersten Undercover-Einsatzes Mazurs Verlobte spielen soll.

Aber auch darüber – immerhin überzeugen sie schauspielerisch – könnte man hinwegsehen, wenn Furman wenigstens konsequent die offensichtlichen Themen eines Gangsterthrillers behandeln würde.

Denn selbstverständlich geht es um Vertrauen,Misstrauen und auch die Faszination der Gefahr und des großen Geldes für den kleinen Polizisten. Lässt Mazur sich korrumpieren? Verrät er seine Gangsterfreunde? Was empfindet er dabei? Wie geht er mit Vertrauens- und Loyalitätskonflikten um? Und, im Fall von Mazur, der glücklich verheirateter Vater zweier Kinder ist, geht es natürlich auch um die Frage, wie seine Arbeit sein Familienleben beeinflusst.

Das alles wird in „The Infiltrator“ angesprochen. Auch weil man eine solche Geschichte nicht erzählen kann, ohne diese Themen anzusprechen. Aber Furman gelingt es nie, auch nur einen Funken Spannung oder Interesse an den Charakteren zu wecken. Mazur (der den Film mitproduzierte) wird als glücklicher und zufriedener Familienmensch porträtiert, der als ehrlicher, vertrauenswürdiger und zuverlässiger Beamter seine Arbeit erledigt. Und ob er als Beamter jetzt ohne irgendeinen Gewissenskonflikt Akten sortiert oder etwas anderes tut, ist egal. Auch weil er sich auf die finanzielle Seite des Drogengeschäfts konzentriert. Er fliegt nicht nach Südamerika, um Drogen einzukaufen, sondern er erschleicht die Freundschaft von Bankern und Buchhaltern. Bei den zahlreichen Transaktionen geht es um Geld und Bankkonten. Das gekaufte und verkaufte Produkt ist nebensächlich. Die Gefahr einer Enttarnung von Mazur und seiner Kollegin Kathy Ertz eher behauptet, als wirklich spürbar.

Gleichzeitig wird in dem Film vieles in Nebensätzen angesprochen, aber nicht weiter verfolgt. Dabei würde man, weil es angesprochen wird, gerne mehr über die Geschäfte des Geheimdienstes in Südamerika (siehe die Iran-Contra-Affäre) und das Medellin-Kartell erfahren. Aber Pablo Escobar, der in den ersten Minuten auf einer Schautafel als Kopf der Drogenmafia gezeigt wird (was für den kundigen Zuschauer heißt: der Mann wird die nächsten neunzig Minuten gejagt und am Ende zur Strecke gebracht), wird während des Films immer wieder erwähnt, aber persönlich taucht er nur einmal für den Bruchteil einer Sekunde am Bildrand auf. Escobar ist in „The Infiltrator“ nur der anonym bleibende Kopf einer Firma, während die Ermittlungen sich auf einen seiner mehr oder weniger wichtigen Angestellten konzentrieren.

Denn in dem Film und der in ihm gezeigten Operation C-Chase (wird der Name überhaupt vor dem Abspann erwähnt?) geht es, ausgehend von dem Kampf gegen die Drogenimporteure und das Medellin-Kartel, um die Geldwäscher der Drogenkartelle und um die darin involvierte Bank of Credit and Commerce International (BCCI), die neben Drogenhändlern auch andere nicht weniger unseriöse Kunden hatte.

Letztendlich erfährt man in „The Infiltrator“ nichts, was man nicht schon in der Noir-Serie „Miami Vice“ gesehen hat. Oder zuletzt, wesentlich vergnüglicher, in der Siebziger-Jahre-Gaunerkomödie „American Hustle“.

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The Infiltrator (The Infiltrator, Großbritannien 2016)

Regie: Brad Furman

Drehbuch: Ellen Brown Furman

LV: Robert Mazur: The Infiltrator, 2009

mit Bryan Cranston, Diane Kruger, John Leguizamo, Benjamin Bratt, Yul Vazquez, Juliet Aubrey, Elena Anaya, Amy Ryan, Olympia Dukakis, Rubén Ochandiano, Simón Andreu, Joseph Gilgun, Daniel Mays

Länge: 127 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „The Infiltrator“

Metacritic über „The Infiltrator“

Rotten Tomatoes über „The Infiltrator“

Wikipedia über „The Infiltrator“

History vs. Hollywood über „The Infiltrator“

Meine Besprechung von Brad Furmans „Der Mandant“ (The Lincoln Lawyer, USA 2011)

Meine Besprechung von Brad Furmans „Runner Runner“ (Runner Runner, USA 2013)

Buchtipp

Narconomics von Tom Wainwright

Einerseits hat das gerade erschienene Buch nichts mit „The Infiltrator“ zu tun.

Andererseits erscheint es mir eine sehr gute Ergänzung zu dem Film zu sein. In „Narconomics – Ein Drogenkartell erfolgreich führen“ zeichnet „Economist“-Korrespondent Tom Wainwright die gesamte Wertschöpfungskette des illegalen Kokainhandels vom Anbau in den Anden bis zum Verkauf in westlichen Großstädten nach. Dabei betrachtet er den Drogenhandel als einen Markt – der dann auch mit entsprechenden Mitteln bekämpft werden kann.

Tom Wainwright: Narconomics – Ein Drogenkartell erfolgreich führen

(übersetzt von Henning Dedekind)

Blessing, 2016

352 Seiten

19,99 Euro

Originalausgabe

How to run a Drug Cartel

PublicAffairs, Perseus Book Group, New York, 2016


Neu im Kino/Filmkritik: „War Dogs“ – satirisches Drama über Waffenhändler

September 30, 2016

Vom Regisseur von „Hangover“ und anderer Komödien, die für eher groben Humor bekannt sind, mit Jonah Hill in der Hauptrolle, der zwar schon zweimal für den Oscar nominiert wurde, aber immer noch vor allem als Komiker bekannt ist und mit einem Trailer gesegnet, der die nächste Hollywood-Kriegskomödie erwarten lässt, die primär auf platte Gags und knallige, eher grobe Satire setzt: das sind Zeichen, die die Erwartungen dämpfen. Schließlich waren zuletzt „Whiskey Tango Foxtrot“ mit Tina Fey und „Rock the Kasbah“ mit Bill Murray ziemlich enttäuschende und rundum harmlose Kriegssatiren.

Und wenn dann die ersten Minuten direkt aus „Lord of War – Händler des Todes“ geklaut sind, dann fragt man sich, ob man sich wirklich ein inoffizielles Remake von „Lord of War“ ansehen muss. Immerhin hat Andrew Niccol in seinem grandiosen Film über internationale Waffenhändler alles gesagt, was gesagt werden muss.

Daran ändert der Hinweis, dass die Geschichte von „War Dogs“ auf der wahren Geschichte von Efraim Diveroli und David Packouz basiert, nichts. Die beiden Schulfreunden begannen 2005 als Anfang-Zwanzigjährige kleine Beschaffungsaufträge des Militärs, die öffentlich ausgeschrieben werden müssen, abzustauben. Ihr großer Coup gelang ihnen Anfang 2007, als sie für dreihundert Millionen Dollar vom US-Militär den Auftrag für die Lieferung von Waffen und Munition an die Afghanische Nationalarmee erhielten.

Sie hatten – und das zeigt der Trailer, der eigentlich alle Gags enthält – die Konkurrenz unwissentlich um über fünfzig Millionen Dollar unterboten.

Diese Szene ist relativ spät im Film, der sich nach seinem verunglückten „Lorld of War“-Anfang schnell zu einem Drama über Freundschaft und den amerikanischen Traum entwickelt. Das ist absolut sehenswert und immer wieder gelungen satirisch zugespitzt.

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War Dogs (War Dogs, USA 2016)

Regie: Todd Phillips

Drehbuch: Stephen Chin, Todd Phillips, Jason Smilovic

LV: Guy Lawson: Arms and the Dudes (Artikel Rolling Stone, 2011)

mit Miles Teller, Jonah Hill, Ana de Armas, Bradley Cooper, Kevin Pollak

Länge: 115 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „War Dogs“

Metacritic über „War Dogs“

Rotten Tomatoes über „War Dogs“

Wikipedia über „War Dogs“ (deutsch, englisch)

 


Neu im Kino/Filmkritik: „Findet Dorie“ – Alles andere kannste vergessen

September 30, 2016

Ähem, also, „Findet Dorie“ ist die Fortsetzung von „Findet Nemo“ und diese Information kannste gleich wieder vergessen.

Dorie hat das auch schon vergessen.

Außerdem lief „Findet Nemo“ 2003 im Kino und wenn ich damals als Fünfjähriger den Animationsfilm gesehen hätte, würde ich heute, egal wie begeistert ich damals war, als Achtzehnjähriger unter keinen Umständen in einen Trickfilm (schlimm, weil Kinderfilm) und Kinderfilm (indiskutabel, weil ich jetzt endlich legal Erwachsenenfilme sehen darf) gehen. Daher dürfte das damalige Zielpublikum sich heute den neuesten Marvel-Superheldenfilm ansehen.

Aber „Findet Nemo“ war damals an der Kinokasse so erfolgreich, dass Pixar sicher schon sehr lange an eine Fortsetzung dachte und diese schnöden monetären Überlegungen erklären dann auch diese späte Fortsetzung, die überaus kurzweilig geraten ist.

Dorie, die in „Findet Nemo“ eine lustige Nebenfigur (Nebenfisch?) war, ist immer noch vergesslich, aber glücklich. Bis die Paletten-Doktorfisch-Dame sich bei einer Begegnung mit einem Schwarm Stachelrochen an Bruchstücke ihrer Vergangenheit erinnert. Sie fragt sich, wo ihre Eltern sind und sie will sie unbedingt wiederfinden.

Diese Suche nach ihrer Familie gestaltet sich, auch wegen ihrer Vergesslichkeit, schwierig. Aber sie findet neue Freunde und sie hat Ideen, um mit ihrem nicht vorhandenem Kurzzeitgedächtnis umzugehen.

Andrew Stanton, der Regisseur von „Findet Nemo“, ist auch für „Findet Dorie“ (ein in die Irre führender Titel) verantwortlich. Zuletzt inszenierte er mit seinem bislang einzigem Realfilm „John Carter: Zwischen zwei Welten“ einen veritablen Flop. Dabei war der mit viel CGI garnierte, bunte Abenteuerfilm gar nicht so schlecht.

Mit seinem neuen Film ist er jetzt bei den Kritikern und dem Publikum wieder auf Erfolgskurs. Seit seiner Premiere spülte der Film fast eine Milliarde Dollar in die Kassen von Pixar und Disney. Damit übertrifft „Findet Dorie“ schon jetzt das Einspielergebnis von „Findet Nemo“ und Pixar darf sich über einen satten Gewinn freuen.

Auch wenn das offizielle Budget stattliche 200 Millionen Dollar betrug, die in die unglaublich echt aussehenden Animationen floss.

Findet Dorie“ ist ein gewohnt gelungener Pixar-Film, der für Erwachsene allerdings etwas banal geraten ist. Denn neben Dories Suche nach den Eltern, ihrer Freundlichkeit und ihres Improvisationstalents, das sie von Wasser zu Wasser springen lässt, gibt es für ältere Zuschauer einfach zu wenige Anspielungen und thematische Vertiefungen. Kindern dürfte dagegen der witzige Abenteuerfilm gefallen, in dem Dorie, gegen alle Wahrscheinlichkeiten, ohne trocken zu werden ans Ziel gelangt.

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Findet Dorie (Finding Dory, USA 2016)

Regie: Andrew Stanton, Angus MacLane

Drehbuch: Andrew Stanton, Victoria Strouse (nach einer Geschichte von Andrew Stanton)

mit (im Original den Stimmen von) Ellen DeGeneres, Albert Brooks, Ed O’Neill, Kaitlin Olson, Hayden Rolence, Ty Burrell, Diane Keaton, Eugene Levy, Idris Elba, Dominic West, Sigourney Weaver (als Sigourney Weaver; okay, der Gag funktioniert nur im Original), Andrew Stanton, Lucia Geddes, Willem Dafoe

(in der deutschen Fassung den Stimmen von) Anke Engelke, Christian Tramitz, Udo Wachtveitl, Franziska von Almsick

Länge: 97 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Findet Dorie“

Metacritic über „Findet Dorie“

Rotten Tomatoes über „Findet Dorie“

Wikipedia über „Findet Dorie“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Andrew Stantons „John Carter: Zwischen zwei Welten“ (John Carter, USA 2012)

Und hier der Trailer zum Vorfilm


TV-Tipp für den 30. September: Dallas Buyers Club

September 30, 2016

Service. Nur Service:

Eins Plus, 20.15

Dallas Buyers Club (Dallas Buyers Club, USA 2013)

Regie: Jean-Marc Vallée

Drehbuch: Craig Borten, Melisa Wallack

1985 erfährt Ron Woodroof, Rodeoreiter, Frauenheld und Homohasser, dass er HIV-Positiv ist und in wenigen Tagen sterben wird. Er besorgt sich nicht zugelassene Medikamente und verkauft sie an Leidensgenossen, wenn sie Mitglied im titelgebenden „Dallas Buyers Club“ werden.

Regisseur Jean-Marc Vallée inszenierte die auf der wahren Geschichte von Ron Woodroof, der am 12. September 1992 starb, basierende, sehenswerte Charakterstudie mit der Handkamera im Stil des Siebziger-Jahre-New-Hollywood-Kinos. Und Matthew McConaughey überzeugt als bis auf die Knochen abgemagerte Unsympath mit uramerikanischem Unternehmergeist.

Dafür gab es den Oscar als bester Hauptdarsteller; Jared Leto erhielt den Oscar als bester Hauptdarsteller. Beide und der Film erhielten etliche weitere Preise.

mit Matthew McConaughey, Jared Leto, Jennifer Garner, Denis O’Hare, Steve Zahn, Michael O’Neill, Dallas Roberts, Griffin Dunne

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Dallas Buyers Club“

Moviepilot über „Dallas Buyers Club“

Metacritic über „Dallas Buyers Club“

Rotten Tomatoes über „Dallas Buyers Club“

Wikipedia über „Dallas Buyers Club“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jean-Marc Vallées „Dallas Buyers Club“ (Dallas Buyers Club, USA 2013)

Meine Besprechung von Jean-Marc Vallées „Wild- Der große Trip“ (Wild, USA 2014)

Meine Besprechung von Jean-Marc Vallées „Demolition – Lieben und Leben“ (Demolition, USA 2015)


TV-Tipp für den 29. September: Frauen bis zum Wahnsinn gequält

September 29, 2016

Arte, 00.00

Frauen bis zum Wahnsinn gequält (Italien/Spanien 1970, Regie: Luciano Ercoli)

Drehbuch: Ernesto Gastaldi, Mahnahén Velasco

Minou behauptet, von einem Mann zu sadistischen Liebesspielen erpresst worden zu sein. Als sie ihrem Mann, ihrer Freundin und der Polizei davon erzählt, glauben sie ihr nicht.

Untypisch ruhiger Giallo, der bei uns seine Premiere als Video erlebte und 1987 indiziert wurde.

Die Musik ist von Ennio Morricone.

mit Dagmar Lassander, Pier Paolo Capponi, Nieves Navarro, Simón Andreu, Osvaldo Genazzani

Hinweise

arte über „Frauen bis zum Wahnsinn gequält“

Rotten Tomatoes über „Frauen bis zum Wahnsinn gequält“

Wikipedia über „Frauen bis zum Wahnsinn gequält“


Horst Eckert, Vincent Veih und die Aktion „Wolfsspinne“

September 29, 2016

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Nach zwei Seiten Prolog beginnt Horst Eckerts neuer Polit-Thriller „Wolfsspinne“ 2011 in Eisenach. Genaugenommen am 4. November und – genau, richtig erinnert – damals wurde das NSU-Trio enttarnt. Zwei Mitglieder brachten sich um. Eines steht in München vor Gericht. Seitdem deckten mehrere parlamentarische Untersuchungsausschüsse erschreckende Schlampereien, Ignoranz und Vertuschungen bei der Polizei und den Geheimdiensten auf.

Horst Eckert liefert jetzt eine alternative Erklärung für die damaligen Ereignisse, die nicht unwahrscheinlich ist, und spinnt sie in die Gegenwart, nach Düsseldorf im November/Dezember 2015 fort.

Dort wird die Lokalbesitzerin Melli Franck ermordet. Anscheinend war es ein Überfall, der schief ging. Der bereits aus Eckerts vorherigen beiden Romanen „Schwarzlicht“ und „Schattenboxer“ vertraute Kommissar Vincent Veih beginnt mit seinem Team zu ermitteln.

Gleichzeitig muss er sich mit einem Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt beschäftigen. Er geriet als Teilnehmer bei einer Demonstration in einen Streit mit Nazis und Polizisten. Seine Kollegen behaupten, die Aggression sei von ihm ausgegangen.

Zur gleichen Zeit ist Ronny Vogt als Verdeckter Ermittler des LKA in die Drogenszene eingeschleust worden. Allerdings hat der zu überführende Drogenhändler Beziehungen zu rechtsextremen Kreisen. Vogt hatte vor Jahren undercover Kontakt zur NSU. Sein jetziger und damaliger Führer möchte deshalb, dass er sich auch in den rechtsextremen Kreisen umhört.

Und Marie Conrath, die Freundin der Toten, entdeckt während ihrer Arbeit bei Franck Development Dokumente, die den Kredit von ihrem Chef an die Ermordete in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Diese Plots, bei denen lange nicht erkennbar ist, wie sie zusammengehören, laufen über weite Strecken des Romans parallel. Erst gegen Ende, wenn die Rechtsextremisten einen Anschlag verüben wollen, verknüpft Horst Eckert sie miteinander.

Bis dahin zeichnet er ein allzu realistisches, die bekannten Fakten höchst notdürftig verhüllendes Bild eines Deutschland, das mit Nazis, Ausländerhass und der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Nazis beschäftigt ist. Das kennt man aus den verschiedenen Berichten über den NSU und den täglichen Schlagzeilen, wird hier aber zu einem stimmigen Gesamtbild zusammengefügt. Das kennt man schon aus Horst Eckerts vorherigen Polizeiromanen. Der Rätselplot wird dieses Mal zunehmend unwichtig. Letztendlich ist es egal, wer die Restaurantbesitzerin ermordete. Wichtiger sind die Entwicklungen, die durch ihren Tod angestoßen werden.

Veih ist, und das wird in den drei Polit-Thrillern mit ihm als Protagonisten immer deutlicher, eine Allegorie für Deutschland und die politischen Irrwege Deutschlands in den letzten hundert Jahren. Veihs Mutter ist eine politisch immer noch engagierte ehemalige Linksterroristin. Sein verstorbener Großvater war ein Nazi-Polizist, der ihn aufzog, während die Mutter Bomben warf und im Gefängnis saß.

Veihs Mutter ist dieses Mal glücklicherweise weniger präsent als in den vorherigen Romanen und nicht in den Fall involviert. Aber – und das ist auf die Dauer ein Konstruktionsmangel der Veih-Romane – Veih kennt Vogt von einem Verwandtenbesuch in der DDR als es sie noch gab und damit ist Veih, wieder einmal, familiär in den Fall involviert.

Aber nachdem Veihs Vergangenheit in den vorherigen Veih-Romanen als Teil des Krimiplots immer weiter ausgeleuchtet wurde, hat diese Beziehung zwischen Veih und Vogt eher anekdotischen Wert.

Trotzdem sollte Eckert Veih in den kommenden Veih-Romanen eine Weiterentwicklung gestatten, indem er ihn aus seinen Erfahrungen etwas lernen lässt, er sich verändert, seine Familiengeschichte anders betrachtet und er damit seine Überzeugungen und Beziehungen mehr oder weniger radikal überdenkt. Denn das was Veih in „Wolfsspinne“ entdeckt, sollte ihn, auch nach den Erlebnissen in „Schwarzlicht“ und „Schattenboxer“, verändern.

Mit diesem Problem musste Horst Eckert sich in seinen vorherigen Polizeiromanen nicht beschäftigen, weil er für jeden Roman einen neuen Protagonisten auswählte und ihn auf eine emotionale Achterbahnfahrt schickte, die ihn veränderte. In den nächsten Romanen war er dann, falls überhaupt, nur ein Teil des Ensembles vertrauter Charaktere, die in der Polizeistation arbeiteten. Auch in „Wolfsspinne“ trifft der langjährige Eckert-Fan auf einige alten Bekannte.

Horst Eckert: Wolfsspinne

Wunderlich, 2016

496 Seiten

19,95 Euro

Hinweise

Homepage von Horst Eckert

Meine Besprechung von Horst Eckerts „617 Grad Celsius“ (2005)

Meine Besprechung von Horst Eckerts „Königsallee“ (2007)

Meine Besprechung von Horst Eckerts “Sprengkraft” (2009)

Kriminalakte: Interview mit Horst Eckert über „Sprengkraft“

Meine Besprechung von „Niederrhein-Blues und andere Geschichten“ (2010)

Meine Besprechung von Horst Eckerts „Schwarzer Schwan“ (2011)

Meine Besprechung von Horst Eckerts „Schwarzlicht“ (2013)

Meine Besprechung von Horst Eckerts „Schattenboxer“ (2015)


TV-Tipp für den 28. September: Das fünfte Element

September 27, 2016

EinsPlus, 20.15
Das fünfte Element (Frankreich 1997, Regie: Luc Besson)
Drehbuch: Luc Besson, Robert Mark Kamen (nach einer Geschichte von Luc Besson)
Zukunft, Erde: Taxifahrer Korben Dallas (Bruce Willis), der noch nicht einmal sein Leben auf die Reihe bekommt, muss mal eben das Universum retten und besucht dafür auch einige ferne Planeten in weit entfernten Galaxien. Aliens und andere seltsame Wesen gibt es auch. Action und Spaß sowieso.
Quietschbuntes, vollkommen durchgeknalltes Science-Fiction-Abenteuer, das den Fans der „Guardians of the Galaxy“ gefallen dürfte.
Hier hat Luc Besson, nach „Subway“, „Nikita“, „Leon – Der Profi“, noch einmal gezeigt, was er kann: „ein Fest für die Augen“ (Annette Kilzer, Herausgeberin: Bruce Willis)
mit Bruce Willis, Gary Oldman, Ian Holm, Milla Jovovich, Chris Tucker, Luke Perry, Brion James, Lee Evans, Tricky, Mathieu Kassovitz
Hinweise
Rotten Tomatoes über „Das fünfte Element“
Wikipedia über „Das fünfte Element“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Luc Bessons „The Lady – Ein geteiltes Herz“ (The Lady, Frankreich/Großbritannien 2011)

Meine Besprechung von Luc Bessons „Lucy“ (Lucy, Frankreich 2014)

Luc Besson in der Kriminalakte


Cover der Woche

September 27, 2016

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TV-Tipp für den 27. September: Dallas Buyers Club

September 27, 2016

ARD, 22.45

Dallas Buyers Club (Dallas Buyers Club, USA 2013)

Regie: Jean-Marc Vallée

Drehbuch: Craig Borten, Melisa Wallack

1985 erfährt Ron Woodroof, Rodeoreiter, Frauenheld und Homohasser, dass er HIV-Positiv ist und in wenigen Tagen sterben wird. Er besorgt sich nicht zugelassene Medikamente und verkauft sie an Leidensgenossen, wenn sie Mitglied im titelgebenden „Dallas Buyers Club“ werden.

Regisseur Jean-Marc Vallée inszenierte die auf der wahren Geschichte von Ron Woodroof, der am 12. September 1992 starb, basierende, sehenswerte Charakterstudie mit der Handkamera im Stil des Siebziger-Jahre-New-Hollywood-Kinos. Und Matthew McConaughey überzeugt als bis auf die Knochen abgemagerte Unsympath mit uramerikanischem Unternehmergeist.

Dafür gab es den Oscar als bester Hauptdarsteller; Jared Leto erhielt den Oscar als bester Hauptdarsteller. Beide und der Film erhielten etliche weitere Preise.

mit Matthew McConaughey, Jared Leto, Jennifer Garner, Denis O’Hare, Steve Zahn, Michael O’Neill, Dallas Roberts, Griffin Dunne

Wiederholungen

ARD, Mittwoch, 28. September, 02.30 Uhr (Taggenau!)

Eins Plus, Freitag, 30. September, 20.15 Uhr

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Dallas Buyers Club“

Moviepilot über „Dallas Buyers Club“

Metacritic über „Dallas Buyers Club“

Rotten Tomatoes über „Dallas Buyers Club“

Wikipedia über „Dallas Buyers Club“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jean-Marc Vallées „Dallas Buyers Club“ (Dallas Buyers Club, USA 2013)

Meine Besprechung von Jean-Marc Vallées „Wild- Der große Trip“ (Wild, USA 2014)

Meine Besprechung von Jean-Marc Vallées „Demolition – Lieben und Leben“ (Demolition, USA 2015)

 


DVD-Kritik: Über Luca Guadagninos „A bigger splash“

September 25, 2016

Zum Kinostart schrieb ich:

Die Rockmusikerin Marianne (Tilda Swinton) und ihr Freund Paul (Matthias Schoenaerts), ein Fotograf und trockener Alkoholiker, der kürzlich einen Suizid versuchte, verbringen auf der italienischen Insel Pantelleria einige ruhige Tage. Sie darf nach einer Operation an ihren Stimmbändern nicht reden.

Als Harry (Ralph Fiennes), ein Ex-Freund und Mentor von Marianne, und seine bis dahin unbekannte Tochter Penelope (Dakota Johnson) sich bei ihnen in dem einsam gelegenem Haus mit Swimmingpool einquartieren, ist es mit der Ruhe vorbei. Denn Harry ist egomanischer Rockmusikproduzent mit entsprechendem Drogenkonsum, der Ruhe nur als Ruhe vor dem Sturm kennt.

A bigger Splash“, der neue Film von Luca Guadagnino, ist ein freies Remake von Jacques Derays „Der Swimmingpool“ und wenn man das weiß, kennt man auch die Handlung, die schon in Derays Film eher nebensächlich war. Guadagnino hat vor allem einen Sommerfilm mit schönen Menschen, die in der Einsamkeit auf sich zurückgeworfen sind, inszeniert und es geht um das Aufeinanderprallen von Rock’n’Roll-Lebensgefühl und bieder-bürgerlichem Leben. Marianne hat sich aus ihrem alten, zügellosem Leben verabschiedet. Mit dem introvertierten Paul will sie ein ruhiges Leben führen. Dagegen ist Harry immer noch ganz der Alte. Als er mit der jungen Penelope auftaucht, glauben sie zunächst, dass sie eine weitere seiner Geliebten ist. Und Harry will Marianne zurückerobern.

Neben dieser Eroberungsgeschichte spricht Guadagnino auch die aktuelle Flüchtlingskrise an. Denn Pantelleria liegt zwischen Sizilien und Tunesien. Und es geht um das Verhältnis der Generationen. Während die Alten, also Marianne und Harry sich noch alle Freiheiten nahmen, sieht Penelope wo das hin führt. Damit stellt sich auch die Frage, wie konservativ, – siehe für Deutschland die aktuelle Sinus-Jugendstudie -, die junge Generation ist und wie sehr die Älteren als Vorbild taugen.

Das inszeniert Guadagnino mit viel Rockmusik, vor allem von den „Rolling Stones“ (immerhin produzierte Harry sie) und einem großartigem Ensemble.

Auch wenn der Film mit über zwei Stunden etwas lang geraten ist, ist er ein Vergnügen. Nicht nur wegen der Tanznummer von Ralph Fiennes und dem wortlos-ausdruckstarken Spiel von Tilda Swinton, die Guadagnino, mit dem sie seit über zwanzig Jahren befreundet ist und zusammenarbeitet, diese Sprachlosigkeit vorschlug. Als Gegengewicht zu dem endlosen Gequassel von Harry.

 

Das Bonusmaterial

Das „Making of“ fällt mit deutlich unter vier Minuten arg knapp aus und ist ein reines Einmal-gesehen-und-vergessen-Werbefeaturette. Aber es gibt noch gut 25 Minuten geschnittene Szenen, zu denen Drehbuchautor David Kajganich und Cutter Walter Fasano einen Audiokommentar eingesprochen haben. Zusammen mit Luca Guadagnino haben sie auch einen sehr interessanten und informativen Audiokommentar zum Film eingesprochen. Beide Audiokommentare wurden im April 2016 aufgenommen und sind untertitelt.

In den Audiokommentaren verraten sie, dass es ursprünglich eine viel längere Fassung gab und Guadagnino seinen Film als eine Nouvelle-Vague-Version von Jacques Derays Film sieht. Deshalb gab es in der längere Fassungen viele Jean-Luc-Godardismen. So sollte „A bigger Splash“ mit Texteinblendungen strukturiert werden. Und der Kommissar, der in den geschnittenen Szenen seinen großen Auftritt hat (bevor er die von ihm bewunderte Sängerin um ein Autogramm bittet), ist wirklich eine aus einem Claude-Chabrol-Film gefallene Figur.

A Bigger Splash - Plakat

A bigger Splash (A bigger Splash, Italien/Frankreich 2015)

Regie: Luca Guadagnino

Drehbuch: David Kajganich

mit Tilda Swinton, Ralph Fiennes, Matthias Schoenaerts, Dakota Johnson, Aurore Clement, Elena Bucci, Lily McMenamy, Corrado Guzzanti

DVD

Studiocanal

Bild: 1,85:1 anamorph

Ton: Deutsch, Englisch (5.1 Dolby Digital)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Making of, Geschnittene Szenen (mit optionalem Audiokommentar), Audiokommentar Hauptfilm, Trailer, Wendecover

Länge: 119 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Italienische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „A bigger Splash“

Metacritic über „A bigger Splash“

Rotten Tomatoes über „A bigger Splash“

Wikipedia über „A bigger Splash“

Meine Besprechung von Luca Guadagninos „A bigger Splash“ (A bigger Splash, Italien/Frankreich 2015)


TV-Tipp für den 26. September: Der Don ist tot

September 25, 2016

Arte, 22.45

Der Don ist tot (USA 1973, Regie: Richard Fleischer)

Drehbuch: Marvin H. Albert, Michael Philip Butler (Adaption), Christopher Trumbo (Adaption)

LV: Marvin H. Albert: The Don is Dead, 1972

Ewig nicht mehr gezeigter Mafiathriller in dem die Mafiosi sich nicht wegen strittiger Gebietsansprüche, sondern wegen einer Frau umbringen.

Richard Fleischers Gangsterfilm entstand im Nachgang zu dem Sensationserfolg „Der Pate“.

Routiniert inszenierter, harter Kriminalreißer mit melodramatischen Zügen.“ (Lexikon des internationalen Films)

mit Anthony Quinn, Frederic Forrest, Robert Forster, Al Lettieri, Angel Tompkins, Charles Cioffi, Jo Anne Meredith

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Der Don ist tot“

Wikipedia über „Der Don ist tot“


TV-Tipp für den 25. September: Volver – Zurückkehren

September 25, 2016

Arte, 20.15

Volver – Zurückkehren (Spanien 2006, Regie: Pedro Almodóvar)

Drehbuch: Pedro Almodóvar

Eigentlich kann man einen Almodóvar-Film nicht in wenigen Worten nacherzählen – und das ist gut so. Jedenfalls geht es hier um Frauen aus drei Generationen einer Familie, es gibt einen ermordeten Stiefvater (er hatte es verdient) und eine tote Mutter, deren Geist zurückkehrt.

„Die Hommage an die pragmatische Lebensweisheit der Frauen überzeugt durch die souveräne Kombination widersprüchlicher Elemente, wobei vor allem der gelassene Umgang mit dem Tod angenehm überrascht.“ (Lexikon des internationalen Films)

Und danach, um 22.10 Uhr, gibt es die fünfzigminütige Doku „Pedro Almodóvar und die Frauen“ (Frankreich/Spanien 2015).

mit Penélope Cruz, Carmen Maura, Lola Duenas, Blanca Portillo, Chus Lampreave

Wiederholung: Montag, 26. September, 13.50 Uhr

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Volver“

Wikipedia über „Volver“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Pedro Almodóvars „Fliegende Liebende“ (Los amates Pasajeros, Spanien 2013)

Meine Besprechung von Pedro Almodóvars „Julieta“ (Julieta, Spanien 2016)

Pedro Almodóvar in der Kriminalakte


TV-Tipp für den 24. September: Tatort: Schwarzes Wochenende

September 23, 2016

WDR, 23.15

TATORT: Schwarzes Wochenende (Deutschland 1986, Regie: Dominik Graf)

Drehbuch: Dominik Graf, Bernd Schwamm, Michael Hatry

Möbelfabrikant Hencken wird vor Schimanskis Stammhotel „Ideal“ erschossen. Für Schimanski, der die Intrigen zweier verfeindeter Familien aufklären muss, der Auftakt zu einem wirklich schwarzen Wochenende. Und das alles ohne seine geliebte Jacke.

Damals war Dominik Grafs „Tatort“ bei der Kritik ziemlich schlecht weggekommen, heute wird er – zu Recht – als einer der düsteren Klassiker gefeiert. Einer der Höhepunkte des Films ist eine halbstündige Verhörsequenz. Heute undenkbar.

Mit Götz George, Eberhard Feik, Ulrich Matschoss, Dieter Pfaff, Marita Breuer, Marie-Louise Millowitsch

Hinweise

Tatort-Fundus über Kommissar Schimanski

Wikipedia über „Tatort: Schwarzes Wochenende“

Meine Besprechung von Dominik Grafs „Schläft ein Lied in allen Dingen“

Meine Besprechung der von Dominik Graf inszenierten TV-Serie  „Im Angesicht des Verbrechens“

Meine Besprechung von Johannes F. Sieverts Interviewbuch „Dominik Graf – Im Angesicht des Verbrechens: Fernseharbeit am Beispiel einer Serie“

Meine Besprechung von Chris Wahl/Jesko Jockenhövel/Marco Abel/Michael Wedel (Hrsg.) “Im Angesicht des Fernsehens – Der Filmemacher Dominik Graf”

Meine Besprechung von Dominik Grafs “Die geliebten Schwestern” (Deutschland/Österreich 2013/2014)

Dominik Graf in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: „Hedis Hochzeit“ zwischen Tradition und Moderne in Tunesien

September 23, 2016

Eine Zwangsheirat ist es nicht. Denn Hedi ist schon Mitte Zwanzig, arbeitet als Autoverkäufer und lebt noch zu Hause. Das hat vor allem wirtschaftliche Gründe. Die Heirat, in die er von seiner Mutter hineingestoßen wird, ist vor allem ein finanzielles Arrangement, bei dem Liebe noch nicht einmal zweitrangig ist. Trotzdem ist seine Zukünftige wirklich nett und Hedi kann sich gut ein Leben mit ihr vorstellen. Die ungefähr gleichaltrige Khedija hat auch Verständnis dafür, dass die Flitterwochen erst einmal ausfallen müssen, weil Hedi keinen Urlaub erhält. Auch dass er in den Tagen vor der Hochzeit nicht da ist, versteht sie. Er wurde von seinem Chef nach Mahdia geschickt, um dort Autos an Firmenkunden zu verkaufen.

Außerdem hat Hedis Mutter die Hochzeitsvorbereitungen im Griff. Sie arrangiert und organisiert alles. Hedi muss nur noch „ja“ sagen.

In Mahdia trifft der erfolglose Verkäufer Hedi in seinem Hotel die Animateurin Rim. Sie ist das Gegenteil von Khedija ist. Rim arbeitet, reist dabei rund um den Globus von Hotel zu Hotel und sie ist unabhängig von den traditionellen Bindungen. Hedi verliebt sich in sie. Aber soll er für diese Wochenendliebe Khedija und sein ebenso langweiliges, wie geordnetes Leben hinter sich lassen? Will er das überhaupt?

Man muss nicht wissen, dass „Hedis Hochzeit“ von den Dardenne-Brüdern („Zwei Tage, eine Nacht“) mitproduziert wurde und auch über Tunesien, das ist das nordafrikanische Land zwischen Algerien und Libyen, muss man nichts genaues wissen, um „Hedis Hochzeit“ auch als bewusste und gewollte Allegorie auf das dortige Leben und die Veränderungen der letzten Jahre zu begreifen.

Mein Land ist verkatert. Es ist nicht länger geknebelt, aber es liegt in den letzten Zügen einer tiefen sozialen, religiösen und ökonomischen Krise. Ich weiß, das ist eine zynische Beurteilung, aber das ist die Wahrheit, die wir nicht ignorieren können. In den letzten fünf Jahren wurde ein Hotel nach dem anderen geschlossen. Städte, die wegen des Tourismus florierten, sind plötzlich zu Geisterstädten geworden. Meine Figuren bewegen sich in diesen von Unheil betroffenen Landschaften, und verkörpern das Mäandern einer ganzen Gesellschaft. Ich versuchte, dieses Gefühl herauszukristallisieren durch verlassene Autoparks, Firmen, die ihre Produktion runtergeschraubt haben, verlassene Strände und Schwimmbäder und Hotels, die ihr Personal entlassen. Hedi verkörpert das – mehr als nur eine Figur. Er zuckt vor und zurück.“ (Mohamed Ben Attia)

Vor dieser Folie wird dann auch verständlich, warum Mohamed Ben Attia in seinem Langfilmdebüt, teilweise so zäh erzählt, warum vieles nur angedeutet wird und warum gerade die Hauptpersonen – der introvertierte Hedi, seine künftige Ehefrau Khedija und seine Kurzzeitgeliebte Rim – so passiv bleiben, während Hedis Mutter energisch die Hochzeit vorbereitet und über ihre beiden Kinder so sehr dominiert, dass Hedis älterer Bruder, der vor ihr nach Frankreich flüchtete, ihr und ihrer Mutterliebe nicht entkommen kann.

Aber auch vor dieser Interpretationsfolie erzählt Mohamed Ben Attia seine Geschichte zögerlicher als nötig und das Ende wird im Film zu wenig vorbereitet. Es ist mehr eine Deus ex machina als eine aus Hedis Charakter heraus schlüssige Entwicklung.

Davor zeigt Attia allerdings sehr genau, welche Bedeutung und Macht die Tradition über die Menschen hat und wie schwer es ist, aus ihnen auszubrechen. Er zeigt auch in tristen Bildern ein gelähmtes und ökonomisch desolates Land, das auf eine Veränderung, einen Aufbruch, wartet.

Auf der Berlinale wurde „Hedis Hochzeit“ als bester Erstlingsfilm ausgezeichnet und Hauptdarsteller Majd Mastoura erhielt einen Silbernen Bären als bester Darsteller.

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Hedis Hochzeit (Inhebbek Hedi, Tunesien/Belgien/Katar/Vereinigte Arabische Emirate 2016)

Regie: Mohamed Ben Attia

Drehbuch: Mohamed Ben Attia

mit Majd Mastoura, Rym Ben Messaoud, Sabah Bouzouita, Hakim Boumessoudi, Omnia Ben Ghali

Länge: 93 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Berlinale über „Hedis Hochzeit“

Moviepilot über „Hedis Hochzeit“

Rotten Tomatoes über „Hedis Hochzeit“

Wikipedia über „Hedis Hochzeit“


Neu im Kino/Filmkritik: „The Visit – Eine außerirdische Begegnung“ – eine Dokumentation über ein Ereignis, das nicht stattgefunden hat

September 23, 2016

Wie eine Begegnung mit Außerirdischen abgeht, wissen wir aus dem Kino: sie kommen, sie wollen uns töten und nach einer großen Schlacht gewinnen wir. Das haben wir schon tausendmal gesehen. Ein, zweimal haben wir auch gesehen, dass die Außerirdischen nicht als Invasoren kommen, die uns töten wollen.

Aber was würde wirklich geschehen, wenn ein Ufo landen würde?

Dokumentarfilmer und Künstler Michael Madsen (nicht der Tarantino-Schauspieler, sondern ein 1971 geborener dänischer Konzeptkünstler, der in „Into Eternity: A Film for the Future“ das erste nukleare Endlager und für „Kathedralen der Kultur“ das Halden Gefängnis porträtierte) stellte sich diese Frage und er fragte Menschen, die dann mit dieser Situation umgehen müssten. Jacques Arnould (Theologe, Ethikberater der französischen Raumfahrtagentur CNES), Paul Beaver (Oberst i. R., Militär- und Öffentlichkeitsberater), Dr. Sheryl Bishop (Sozialpsychologin, Professorin, University of Texas Medical Branch at Galveston), Michael Boyce (Ehemaliger Generalstabschef der britischen Armee), Dr. Ernst Fasan (Jurist, Experte für Weltraumrecht und Metarecht), Niklas Hedman (Politik- und Rechtssektion, Büro der Vereinten Nationen für Weltraumfragen), Chistopher McKay (Astrobiologe, NASA Ames Research Center), Mazlan Othman (PhD, Astrophysikerin, Direktorin des Büro der Vereinten Nationen für Weltraumfragen), John Rummel (Vorsitzender, Cospar Gremium zum planetaren Schutz), Vickie Sheriff (ehemalige Regierungssprecherin des Vereinigten Königreiches), Janos Tisovsky (Direktor Informationsdienst der Vereinten Nationen, UNIS), Doug Vakoch (Leiter Interstellare Nachrichtenerstellung, SETI Institute) und Chris Welch (Weltraum-Ingenieur, Professor, International Space University) antworteten ihm.

Die Namen werden niemandem etwas sagen, aber schon der Blick auf die von ihnen repräsentierten Institutionen ist interessant. Bei einigen möchte man wissen, weshalb sie gegründet wurden und was sie genau machen. In ihren Statements sagen sie alle erhellendes über den Umgang mit intelligentem, außerirdischem Leben.

Madsen kreierte für die Gespräche allerdings eine besondere Situation, die sie zu überraschenden Statements zwang. Die Experten erklären nicht Madsen, was sie tun würden, wenn Außerirdische kämen, sondern sie antworten dem oder den fiktiven außerirdischen Besuchern. Sie versuchen ihm zu erklären, wer wir Menschen sind und welche Hoffnungen und Befürchtungen wir aufgrund dieser Begegnung haben. Denn warum sollten Außerirdische zu uns kommen? Was wollen sie von uns? Sind sie intelligent und zugänglich für rationale Überlegungen?

Durch diese Idee, die Experten in eine konkrete Situation hineinzuversetzen, in denen sie etwas tun müssen, verfolgt man gespannt ihre Antworten. Man gewinnt auch einen Einblick in deren Denken, und wie sie versuchen würden, mit dem Unbekannten umzugehen.

Dazwischen schneidet Madsen durchgehend fein komponierte Bilder von einer militärischen Übung in Österreich, die zeigt, was das Militär während der Gespräche zwischen Mensch und E. T. tun würde, und, oft in Zeitlupe, musikalisch unterlegt, von Menschen, die sich durch Städte bewegen.

Die Außerirdischen und ihre Raumschiffe sehen wir nie und ihre letzte Tat ist vielleicht das Schlimmste, was sie uns in der Realität antun könnten.

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The Visit – Eine außerirdische Begegnung (The Visit, Dänemark/Irland/Österreich/Finnland/Norwegen 2015)

Regie: Michael Madsen

Drehbuch: Michael Madsen

mit Jacques Arnould, Paul Beaver, Sheryl Bishop, Michael Boyce, Ernst Fasan, Niklas Hedman, Chistopher McKay, Mazlan Othman, John Rummel, Vickie Sheriff, Janos Tisovsky, Doug Vakoch, Chris Welch

Länge: 83 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „The Visit“

 


TV-Tipp für den 23. September: Training Day

September 22, 2016

Antoine Fuqua, Denzel Washington, Ethan Hawke – da war doch was:

RTL II, 23.30

Training Day (USA 2001, Regie: Antoine Fuqua)

Drehbuch: David Ayer

Düsterer Cop-Krimi über Gangkriminalität und ihre Bekämpfung in Los Angeles: Alonzo Harris zeigt Jake Hoyt am ersten Arbeitstag wie die Arbeit eines Undercover-Cop gegen Drogen- und Gangkriminalität abläuft. Dummerweise ist Harris selbst ein Gangster mit Dienstmarke, der nach dem Motto „Nur wenn du selbst wie ein Wolf bist, kannst du einen Wolf fangen“ arbeitet.

„Ein rasant und konsequent inszenierter Film voll Gewalt und Brutalität. Konsumierbar einerseits als zynisches Actionspektakel, das bloß altbekannte Genretypen weiterentwickelt, aber auch verstehbar als Spiegelung und Reflexion aktueller Debatten über Polizeimethoden, moralische Dilemmata und die Durchsetzbarkeit demokratischer Spielregeln gegenüber Clannormen, die sich freilich potenziellen Missverständnissen aussetzt.“ (Multimedia, 13. Dezember 2001)

Denzel Washington erhielt für seine Rolle als Cop Harris den Oscar für die beste Hauptrolle und einige weitere Preise. David Ayer schrieb danach den ähnlich gelagerten Cop-Thriller „Dark Blue“.

Die in „Training Day“ und „Dark Blue“ angesprochenen Themen werden in der grandiosen Cop-Serie „The Shield“ noch konsequenter und pessimistischer durchbuchstabiert.

Mit Denzel Washington, Ethan Hawke, Scott Glenn, Cliff Curtis, Dr. Dre, Snoop Dogg, Tom Berenger, Eva Mendes, Macy Gray

Wiederholung: Montag, 26. September, 03.35 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Training Day“

Wikipedia über „Training Day“ (deutsch, englisch)

David Ayer: Training Day (Drehbuchfassung vom 18. August 1999)

David Ayer: Training Day (Drehbuchfassung vom April 2001)

IGN: Zehn Fragen an David Ayer

ScreenwritersUtopia: Kurzbio David Ayer (2003)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Gesetz der Straße – Brooklyn’s Finest” (Brooklyn’s Finest, USA 2009)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Olympus has fallen” (Olympus has fallen, USA 2013)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “The Equalizer” (The Equalizer, USA 2014)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas „Southpaw“ (Southpaw, USA 2015)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas „Die glorreichen Sieben“ (The Magnificent Seven, USA 2016)

Meine Besprechung von David Ayers “End of Watch” (End of Watch, USA 2012)

Meine Besprechung von David Ayers “Sabotage” (Sabotage, USA 2014)

Meine Besprechung von David Ayers „Herz aus Stahl“ (Fury, USA 2014)

Meine Besprechung von David Ayers „Suicide Squad“ (Suicide Squad, USA 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: „Die glorreichen Sieben“ reiten wieder im Wilden Westen

September 22, 2016

Einige Tage vor der Pressevorführung von Antoine Fuquas „Die glorreichen Sieben“ habe ich mir noch einmal das Original, also den Westernklassiker von John Sturges, angesehen. Schließlich wollte ich kundig das Original mit dem Remake vergleichen, auf die kleinsten Unterschiede hinweisen (zum Beispiel wenn aus einem Links- ein Rechtshänder wird) und, vielleicht, über die großen Unterschiede jammern.

Außerdem wollte ich mein ursprüngliches Urteil überprüfen. Damals, als Jugendlicher, empfand ich Sturges‘ „Die glorreichen Sieben“ als einen unglaublich langweiligen, prätentiösen und steifen Film, der zu sehr von seiner eigenen Bedeutung überzeugt ist. Die zweite Sichtung bestätigte meinen ersten Eindruck – und damit gehöre ich zu der Minderheit, die den Film nicht mag.

Im Kino stellte ich dann fest, dass ich mir das Original nicht hätte ansehen müssen. Fuqua drehte kein mehr oder weniger werkgetreues Remake von „Die glorreichen Sieben“ (1960). Seine „glorreichen Sieben“ sind bestenfalls eine sehr freie Neuinterpretation, die weiter von dem Original entfernt ist, als einige der unzähligen Fortsetzungen und Rip-Offs, die in den vergangenen Jahrzehnten entstanden. Bis auf einige fast schon willkürlich eingestreute Zitate, die man erkennt, wenn man kurz vorher das Original gesehen hat, und Elmer Bernsteins klassisches Filmthema, das erstmals während des Abspanns erklingt, hat Fuquas Film nichts mit Sturges‘ Film zu tun. Sein Film ist ein wie ein Großstadtthriller inszenierter Western mit viel Action und einer ordentlichen Portion Robert B. Parker, der mit seinen auch verfilmten Virgil-Cole-und-Everett-Hitch-Romanen ja einige Western schrieb, in denen zwei Gesetzeshüter ordentlich in gesetzlosen Orten aufräumen (und der echte Parker-Fan hat vielleicht auch „Potshot“, die noch nicht übersetzte Spenser-Version der glorreichen Sieben, gelesen).

Die Filmgeschichte – sieben Gesetzlose helfen einem Dorf gegen einen übermächtigen Bösewicht – wurde, wenn man sie auf einen Satz verkürzt, übernommen. Außerdem klaute Sturges die Geschichte von Akira Kurosawa. Er erzählte sie in „Die sieben Samurai“, einem grandiosen Film, der seinen Klassikerstatus zu recht hat und immer noch beeindruckt. Vor allem wenn man den Film auf der großen Leinwand sehen kann.

Anführer der siebenköpfigen Gruppe ist in Fuquas Ensemblefilm Sam Chisolm (Denzel Washington). Er ist ein Gesetzeshüter, der immer wieder betont, dass er „a duty sworn warrant officer from Wichita, Kansas and a licensed peace officer in Arkansas,Indian Territory, Nebraska, and seven other states“ ist. Als er 1879 von der Witwe Emma Cullen (Haley Bennett) gebeten wird, in Rose Creek gegen Barholomew Bogue (Peters Sarsgaard) vorzugehen, ist er einverstanden. Bogue ist der Besitzer der örtlichen Mine, er unterdrückt die Bevölkerung, seine Minenarbeiter und die ehrlichen Bauern, und er ermordete Cullens gottesfürchtigen Mann auf offener Straße.

Chisolm sucht sich eine Gruppe tapferer, mehr oder weniger gesetzloser Revolvermänner zusammen, die er teilweise von früher kennt und die alle ziemlich eindrucksvolle Charaktere sind: Josh Farraday (Chris Pratt), Goodnight Robicheaux (Ethan Hawke), Jack Horne (Vincent D’Onofrio, kaum erkennbar und mit bärigem Kampfstil), Billy Rocks (Byung-Hun Lee), Vasquez (Manuel Garcia-Rulfo) und der Komantsche Red Harvest (Martin Sensmeier).

Nachdem die extrem multikulturelle Männertruppe in Rose Creek eintrifft, kommt es kurz darauf zur epischen Schlacht zwischen ihnen und Bogue, auf die wir Zuschauer von Anfang an gewartet haben. Und wir werden nicht enttäuscht.

Jedenfalls wenn wir einen ordentlichen Western wollen. Gerne mit einigen nie besonders vertieften Bezügen zur Gegenwart.

Und jetzt will ich mir mal wieder Akira Kurosawas „Die sieben Samurai“ ansehen. Den fand ich schon beim ersten Ansehen grandios.

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Die glorreichen Sieben (The Magnificent Seven, USA 2016)

Regie: Antoine Fuqua

Drehbuch: Richard Wenk, Nic Pizzolatto (basierend auf dem Drehbuch von Akira Kurosawa, Shinobu Hashimoto und Hideo Oguni)

mit Denzel Washington, Chris Pratt, Ethan Hawke, Vincent D’Onofrio, Byung-hun Lee, Manuel Garcia-Rulfo, Martin Sensmeier, Haley Bennett, Peter Sarsgaard, Luke Grimes, Matt Bomer

Länge: 133 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Die glorreichen Sieben“

Metacritic über „Die glorreichen Sieben“

Rotten Tomatoes über „Die glorreichen Sieben“

Wikipedia über „Die glorreichen Sieben“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Training Day” (Training Day, USA 2001)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Gesetz der Straße – Brooklyn’s Finest” (Brooklyn’s Finest, USA 2009)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Olympus has fallen – Die Welt in Gefahr” (Olympus has fallen, USA 2013)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “The Equalizer” (The Equalizer, USA 2014)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Southpaw” (Southpaw, USA 2015)

Die TIFF-Pressekonferenz

und noch eine Gesprächsrunde mit den glorreichen Jungs

 

 


Neu im Kino/Filmkritik: Über Oliver Stones „Snowden“

September 22, 2016

Bei uns ist Edward Snowden ein Held, der die globale Überwachung der NSA öffentlich machte. Seitdem versucht ein Untersuchungsausschuss des Bundestages herauszufinden, wie sehr die NSA Deutsche überwacht und wie sehr der Bundesnachrichtendienst darin verwickelt ist.

In den USA ist dagegen die Meinung über ihn tief gespalten zwischen tapferer Whistleblower und feigem Landesverräter. Die Geheimdienste versuchen immer wieder ihn zu diskreditieren. Die Regierung und Konservative würden ihn am liebsten bis ans Ende der Welt in einen Kerker werfen; wenn sie nicht gerade behaupten, Snowden habe nichts verraten, was die nationale Sicherheit gefährde oder ihn gleich zu einem russischen Spion erklären.

Denn seit dem 23. Juni 2013 lebt Edward Snowden in Moskau. Nicht weil er es so plante, sondern weil sein Pass auf der Flugreise nach Südamerika von der USA für ungültig erklärt wurde. Seitdem verhandelt er, mit der Hilfe mehrerer Anwälte, über seine Rückkehr in die USA, die derzeit immer noch utopisch erscheint. Im besten Fall droht ihm eine unglaublich lange Haftstrafe. Die Todesstrafe ist auch möglich. Ein fairer Prozess sehr unwahrscheinlich.

In dieses Klima, während in den USA bekannte Bürgerrechtsorganisationen und Bürgerrechtler die an Präsident Barack Obama gerichtete Begnadigungskampagne „Pardon Snowden“, startet Oliver Stones neuer Film „Snowden“ dort und hier in den Kinos. Er erzählt im wesentlichen einfach noch einmal die bereits aus Büchern und Laura Poitras‘ Dokumentarfilm „Citizenfour“ bekannte Geschichte noch einmal. Allerdings erstaunlich konventionell. Der Film wirkt fast so, als habe Stone ein mildes Alterswerk und keine weitere, von Wut getriebene Abrechnung und Anklage der USA inszenieren wollen. „Snowden“ ist das Gegenteil zu dem aus „Natural Born Killers“ bekanntem visuellen und akustischen Overkill. Es ist ein Film, der die Konservativen und die Gegner und Feinde von Edward Snowden überzeugen will, dass der Geheimnisverräter aus lauteren Motiven handelte, dass er ein Patriot ist, der für die US-amerikanischen Werte kämpft und mit seiner Tat eine Diskussion über den Wert der Privatsphäre und die Macht der Regierung anstoßen wollte.

Das ist ehrenwert und „Snowden“ ist auch ein sehenswerter Film, der ausgehend von dem Treffen in dem Hotel in Hongkong im Juni 2013, wo Dokumentarfilmerin Laura Poitras (gespielt von Melissa Leo, die älter als Poitras ist und auf noch älter geschminkt wurde) und „The Guardian“-Kolumnist Glenn Greenwald (Zachary Quinto, verblüffend ähnlich) Edward Snowden (Joseph Gordon-Levitt, dito) treffen und er ihnen sein Leben erzählt und die Beweise für die globale NSA-Überwachung übergibt.

Dieses zehntägige Gespräch, das wir aus „Citizenfour“ kennen, liefert den Rahmen für die Rückblenden, in denen Snowden sein Leben erzählt und so langsam in die globale Überwachungsmaschine des US-Geheimdienstes nach 9/11 einführt.

Vor allem in der ersten Hälfte wird diese Welt und Snowdens immer stärker werdende Gewissenskonflikte lehrbuchhaft geschildert. Es beginnt mit seinen wenigen Tagen beim Militär. Nach einer Verletzung während der Ausbildung wird der brillentragende Bürohengst als dienstunfähig ausgemustert. Snowden, der ebenso glühende, wie naive Patriot, ist, weil er seinem Land nicht mehr dienen kann, verzweifelt. Da erhält er das Angebot, beim Geheimdienst an der vordersten Front der Landesverteidigung mitzumachen. Wegen seiner überragenden Computerkenntnisse fördert ihn sein Mentor Corbin O’Brian (Rhys Ifans), er trifft Hank Forrester (Nicolas Cage in einer seiner zahlreichen Kleinstrollen), der als im Ausbildungslager kaltgestelltes Computergenie eine ältere Version von Snowden ist. Und Snowden verliebt sich in Lindsay Mills (Shailene Woodley) eine Linke, die ihn auf eine Antikriegsdemo mitnimmt.

Diese Beziehung rückt in der zweiten Hälfte des Films, wenn Snowden in Tokio, Maryland und Hawaii arbeitet, immer mehr in den Mittelpunkt, ohne die Geschichte wirklich voran zu bringen. Im Gegenteil: Lindsay wird immer mehr zum typischen Heimchen am Herd mit Anwandlungen von Weinerlichkeit und einem Gottvertrauen in die US-Regierung, das sie bei ihrer ersten Begegnung mit Snowden nicht hatte.

Neben ihr hat Snowden, außer einigen austauschbaren Arbeitsbeziehungen, keine Freunde und keine Bekannten. Auch seine Eltern und seine ältere Schwester tauchen in „Snowden“ nicht auf. Snowden, der in die Produktion involviert und das Drehbuch vor dem Dreh las, bleibt in dem über zweistündigem Film ein Mensch ohne eine Familie und ohne soziale Beziehungen. Er ist der Mensch, den wir in „Citizenfour“ kennen lernten und der seitdem als öffentliche Person seine Auftritte in den Medien (und in „Snowden“) hat. Dabei hätte gerade ein Blick auf seine Familie einen neuen Blick auf ihn eröffnen können. Auch ein Blick auf seine Zeit in Moskau und der öffentlich ausgetragene Kampf um die Interpretation der von ihm veröffentlichten Dokumente hätten einen neuen Blick auf Snwoden eröffnen können.

So ist „Snowden“ für alle, die „Citizenfour“ kennen, nur ein Reenactment des mit dem Dokumentarfilmoscar ausgezeichneten und sehr sehenswerten Films. Stones Film endet allerdings, abgesehen von dem Epilog, in Hongkong. Poitras erzählte in „Citizenfour“ die Geschichte noch etwas weiter.

Obwohl Stone der bekannten Geschichte keine neuen Aspekte abgewinnt (und auch nicht abgewinnen will), ist „Snowden“ dank der Besetzung und der guten Kameraarbeit (eigentlich sehen wir nur sprechende Köpfe in Innenräumen) sehenswert. In einigen Jahren wird „Snowden“ als Film, der den Moment, in dem sich die Diskussion über die globale Überwachung radikal änderte, sogar noch wichtiger werden. Denn selbstverständlich wird der Spielfilm öfter und zu besseren Zeiten im Fernsehen gezeigt werden als der Dokumentarfilm.

Für den Moment liefert Oliver Stone gut gemachtes politisches Aufklärungskino mit leicht angezogener Handbremse, das vor allem zu einer Rehabilitierung und Begnadigung von Edward Snowden in den USA führen soll.

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Snowden (Snowden, USA/Deutschland 2016)

Regie: Oliver Stone

Drehbuch: Oliver Stone, Kieran Fitzgerald

LV: Anatoli Kutscherena: Time of the Octopus, ?; Luke Harding: The Snowden Files: The Inside Story of the World’s Most Wanted Man, 2014 (Edward Snowden: Geschichte einer Weltaffäre)

mit Joseph Gordon-Levitt, Shailene Woodley, Melissa Leo, Nicolas Cage, Zachary Quinto, Tom Wilkinson, Rhys Ifans, Scott Eastwood, Joely Richardson, Timothy Olyphant, Ben Schnetzer

Länge: 135 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Snowden“

Metacritic über „Snowden“

Rotten Tomatoes über „Snowden“

Wikipedia über „Snowden“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Oliver Stones Don-Winslow-Verfilmung „Savages“ (Savages, USA 2012)

Meine Besprechung von Laura Poitras’ „Citzenfour“ (Citizenfour, USA/Deutschland 2014) (mit weiteren Video-Interviews) und der DVD (ebenfalls mit Bonusmaterial)

Meine Besprechung von Glenn Greenwalds „Die globale Überwachung“ (No place to hide, 2014)


TV-Tipp für den 22. September: Space Cowboys

September 21, 2016

Kabel 1, 22.20

Space Cowboys (USA 2000, Regie: Clint Eastwood)

Drehbuch: Ken Kaufman, Howard Klausner

Wenn 1958 nicht ein Affe ins All geschossen worden wäre, wären Frank Corvin und sein Team die ersten Lebewesen im All gewesen. Jetzt droht ein russischer Satellit (ausgestattet mit geklauter Ami-Technik) abzustürzen und nur Corvin und seine Jungs kennen noch die alte Technik. Sie sollen nun die jungen Spunde beraten, aber das hindert Corvin und die anderen nicht daran, mit allen Mitteln zu versuchen, endlich ihren Jugendtraum vom Weltraumflug zu verwirklichen.

Köstlich entspannte Komödie von Clint Eastwood mit einer All-Star-Besetzung,

mit Clint Eastwood, Tommy Lee Jones, James Garner, Donald Sutherland, James Cromwell, Marcia Gay Harden, William Devane, Courtney B. Vance, Rade Serbedzija, Jay Leno (als er selbst)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Space Cowboys“

Wikipedia über „Space Cowboys“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Pierre-Henri Verlhacs (Herausgeber) „Clint Eastwood – Bilder eines Lebens“ (2008)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „Hereafter – Das Leben danach“ (Hereafter, USA 2010)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods “Jersey Boys” (Jersey Boys, USA 2014)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods “American Sniper” (American Sniper, USA 2014)

Clint Eastwood in der Kriminalakte

 


DVD-Kritik: „Auf verlorenem Posten“ in „California“ im Wilden Westen

September 21, 2016

Mit zwei weiteren „Western Legenden“ erfreut Koch Media das Herz des Western-Fans, auch wenn „Auf verlorenem Posten“ (USA 1953) und „California“ (USA 1946) weitgehend unauffällige, aber gut gemachte und unterhaltsame Standardwestern sind.

California“ beginnt wie ein klassischer „Der große Treck“-Western, ehe er über den Goldrausch in Kalifornien in politischen Gewässern landet, indem er den Wahlkampf über die Frage, ob Kalifornien ein Teil der Vereinigten Staaten von Amerika werden soll, in den Mittelpunkt stellt. Wenn Kalifornien ein Teil der USA würde, würde der herrlich gesetzlose Zustand enden, der auch seine Verfechter hat.

Im Mittelpunkt dieser eher lose zusammengeknüpften Geschichte stehen Johnny Trumbo (Ray Milland), ein Deserteur, der den Siedlertreck in Richtung Kalifornien führen sollte, Michael Fabian (Barry Fitzgerald), der schon während des Trecks der weiße alte Mann war und danach zunächst widerwillig für den Anschluss Kaliforniens an die USA kämpft, Pharaoh Coffin (George Coulouris), der Bösewicht des Films, der sein gesetzloses Imperium gerne weiter aufrecht erhalten möchte, und Lily Bishop (Barbara Stanwyck), eine professionelle Pokerspielerin und Dame aus dem Vergnügungsmilieu, in die Trumbo und Coffin verliebt sind. Insofern ist die eher mühsam mitgeschleppte Liebesgeschichte der rote Faden des bunten Western, der, abgesehen von Indianern, von allem etwas bietet. John Farrow („Spiel mit dem Tode“, „Man nennt mich Hondo“) inszenierte ihn, abgesehen von einigen Einstellungen, ohne große Ambitionen, aber gerade am Anfang, wenn man den großen Siedlertreck langsam durch das Bild ziehen sieht, freut man sich über den betriebenen Aufwand.

 

Auf verlorenem Posten“ von George Sherman („Gegen alle Flaggen“, „Big Jake“) ist eine schamlose „Mein großer Freund Shane“-Kopie für Kinder, erzählt aus der Sicht von Joshua (Jimmy Hunt), dem Sohn von Zachary Hallock (Joel McCrea), der als Farmer nach Timberline kommt. Die Gegend wird seit Längerem von den Varden-Brüdern terrorisiert und alle Pinkerton-Detektive, die etwas dagegen tun wollten, wurden schnell erschossen.

Hallock will sich nicht einmischen, sondern nur seinen gerade erworbenen Acker bestellen und für Joshua ein guter Vater sein. Aber die Zeiten sind nicht so. Die Ersparnisse sind schnell aufgebraucht und Zachary will die schöne Nachbarin Sarah (Barbara Hale) heiraten. Allerdings erst, wenn er genug Geld für den Unterhalt hat. Also nimmt er das Angebot der Varden-Brüder an, bei einem Überfall mitzumachen. Weil Shane das niemals getan hätte und Zachary über das ehrlose Treiben seines Vaters todunglücklich ist, sorgt dieser plötzliche Wandel des edlen Vaters zum gemeinen Verbrecher für kurzzeitige Irritationen.

Nach dem Überfall hat Zachary zwar viel Geld, aber den großen, im Hintergrund agierenden Planer der Überfälle kennt er nicht.

Als schmissig erzählter Kinderfilm mit einem Hund (niedlich), einem Kind (niedlich), Pferden (weil Western) und ohne einen tiefer gehenden Anspruch unterhält „Auf verlorenem Posten“ gut über seine kurze Laufzeit von 76 Minuten. Denn man muss wirklich kein Genie sein, um die beiden großen Enttarnungen am Filmende zu erahnen.

Und James Arness, der kurz darauf als Marshal Matt Dillon in der äußerst langlebigen TV-Serie „Rauchende Colts“ (1955 – 1975; und danach noch einige TV-Specials) weltbekannt wurde, spielt hier beeindruckend einen der Varden-Brüder.

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California (California, USA 1946)

Regie: John Farrow

Drehbuch: Frank Butler, Theodore Strauss (nach einer Geschichte von Boris Ingster)

mit Ray Milland, Barbara Stanwyck, Barry Fitzgerald, George Coulouris, Albert Dekker, Anthony Quinn

DVD

Koch Media – Edition Western-Legenden # 41

Bild: 1.37:1 (4:3)

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0)

Untertitel: Englisch

Bonusmaterial: Trailer, Bildergalerie, Booklet

Länge: 94 Minuten

FSK: ab 16 Jahre (würde bei einer Neuprüfung sicher deutlich geringer ausfallen)

Hinweise

TCM über „California“

Rotten Tomatoes über „California“

Wikipedia über „California“

Meine Besprechung von John Farrows „Spiel mit dem Tode“ (The Big Clock, USA 1947)

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Auf verlorenem Posten (The Lone Hand, USA 1953)

Regie: George Sherman

Drehbuch: Joseph Hoffman

mit Joel McCrea, Jimmy Hunt, Barbara Hale, Alex Nicol, Charles Drake, James Arness (als Jim Arness)

DVD

Koch Media – Edition Western-Legenden # 40

Bild: 1.37:1 (4:3)

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0)

Untertitel: –

Bonusmaterial: Bildergalerie, Booklet

Länge: 76 Minuten

FSK: ab 12 Jahre (auch hier würde eine Neuprüfung mindestens bei FSK-6 enden)

Hinweise

TCM über „Auf verlorenem Posten“

Wikipedia über „Auf verlorenem Posten“

Meine Besprechung von George Shermans „Die schwarze Maske“ (Black Bart, USA 1948)

Meine Besprechung von George Shermans „Verschwörung auf Fort Clark“ (War Arrow, USA 1953)


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