Neu im Kino/Filmkritik: „Top Gun: Maverick“ ist zurück im Cockpit

Mai 25, 2022

Ein Blick in alte Tabellen kann erhellend, vergnüglich und, weil es in ihnen so viel zu entdecken gibt, auch zeitraubend sein. So war „Top Gun“ in Deutschland gar nicht so erfolgreich. In einer Liste der Kassenhits der achtziger Jahre in Deutschland steht der Film mit 4.265.434 Besuchern auf dem 23. Platz. Hinter „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“, aber noch vor „Rambo II“, „Beverly Hills Cop“ und „Ghostbusters“. In seinem Startjahr 1986 landete er hinter „Im Namen der Rose“ und „Jenseits von Afrika“ auf dem dritten Platz,

Aber in den USA war „Top Gun“ der erfolgreichste Film des Kinojahres. Er war auch weltweit unglaublich erfolgreich. Er spielte, bei einem Budget von 15 Millionen US-Dollar (damals war das noch mehr Geld als heute), über 350 Millionen US-Dollar ein. Die Songs liefen überall. Und selbstverständlich war der von Tony Scott inszenierte Film stilbildend. Einige Karrieren erhielten den entscheidenden Schub. Vor allem die von Tom Cruise. Seitdem hat er ein Abo auf Kassenhits, die auch immer gutes und gutgemachtes Unterhaltungskino für das breite Publikum sind.

Top Gun“ selbst war und ist patriotisches Erbauungskino, in denen die Bilder und die Musik wichtiger als die bestenfalls banale Story sind. Es ist ein Werbefilm für’s Militär, der damals 150-prozentig den Zeitgeist der Reagan-Ära traf.

Ein kritikloses Hohelied auf das Militär ist jetzt auch „Top Gun: Maverick“ – und trotzdem macht der Film Spaß. Das liegt vor allem an Tom Cruise, der sich erkennbar freut, mit dem Motorrad zu fahren und die verschiedenen Flugzeuge auszuprobieren. Er ist wie ein Kind im Spielzeugladen, das alles, aber wirklich alles, ausprobieren darf. Und seine „Ich habe die beste Zeit meines Lebens“-Energie überträgt sich bruchlos in den Kinosaal und trägt über all die Schwächen des Drehbuchs hinweg.

Die funktionale Story wiederholt einfach die Geschichte von „Top Gun“. Nur dass dieses Mal nicht die jungen Piloten, sondern Tom Cruise als Pete „Maverick“ Mitchell im Mittelpunkt steht. Er soll aus einer Gruppe junger, sehr talentierter Piloten die Piloten auswählen, die sich im Training für eine gefährliche und eigentliche unmögliche Mission qualifizieren. Es ist eine klassische Selbstmordmission. Einer der Piloten ist Bradley „Rooster“ Bradshaw (Miles Teller), der Sohn von Mavericks ehemaligen Kameraden Nick „Goose“ Bradshaw.

Maverick, der viel lieber fliegen als unterrichten würde, sieht es als seine Aufgabe an, die jungen Piloten so gut zu trainieren, dass sie die Mission überleben werden. Die im Film nur höchst rudimentär skizzierte Mission besteht darin, an einem abgelegenem Ort eine gut geschützte, in den Bergen liegende, geheime, unterirdische Anlage durch Gebirgsschluchten anzufliegen und eine Bombe in einen kleinen Schacht zu werfen. Die Bombe würde dann die Anlage, die demnächst waffenfähiges Uran herstellen kann, zerstören. Es ist ein Flugzeugangriff, der dem Angriff auf den Todesstern in „Krieg der Sterne“ ähnelt. Und der abseits jeder Logik ist. Denn warum sollte es nicht möglich sein, eine Rakete oder Drohne zur Anlage zu lenken oder die Anlage mit Agenten zu infiltrieren oder mit einem Computervirus lahmzulegen? Gut; jede dieser Lösungen würde den Film sofort beenden. Und das würde uns um einige atemberaubende Flugaufnahmen, Motorradfahren, Sonnenuntergänge (auch in „Top Gun: Maverick“ ist die Welt wie in „Top Gun“ ein einziger golddurchfluteter Sonnenuntergang) und mehrere gutaussehende junge Männer und Tom Cruise beim Volleyballspielen am Strand bringen.

Inszeniert wurde der Actionfilm von Joseph Kosinski. Bekannt wurde er mit „Tron: Legacy“. Danach inszenierte er mit Tom Cruise den Science-Fiction-Film „Oblivion“. In „Top Gun: Maverick“ bedient er sich optisch bei dem Original-“Top Gun“-Film. Das beginnt mit der an die achtziger Jahre erinnernden Schrift, die uns das Top-Gun-Programm erklärt. Danach werden wie damals die Namen der Hauptdarsteller, des Kameramanns, des Komponisten (neben Hans Zimmer ist Originalkomponist Harold Faltermeyer dabei), der Drehbuchautoren, des Regisseurs und der Produzenten (Jerry Bruckheimer ist wieder dabei) eingeblendet. Dazu singt Kenny Loggins wieder von der „Danger Zone“ (Menschen, die ein bestimmtes Alter haben, können mitsummen) und es gibt ein im Gegenlicht choreographiertes Bilderballett von auf einem Flugzeugträger startenden und landenden Jets, winkenden Piloten und Soldaten, die sie einweisen. Und so geht es weiter. Die Bilder erinnern durchgehend an „Top Gun“. Die Musik ist ein Übermaß an 80er-Jahre-Rock- und Popmusik. Die Story bedient gelungen die Erinnerungen an „Top Gun“. Nur dass dieses Mal, wie schon der Titel verrät, eindeutig Maverick im Mittelpunkt steht. Alle anderen Schauspieler bleiben Staffage, die man nur anhand ihrer Gesichter unterscheiden kann. Mehr erfahren wir nicht über sie. Und Maverick ist immer noch der Mann, der er vor fast vierzig Jahren war. Auch heute will er einfach nur Flugzeuge fliegen und Motorrad fahren. Er ist nicht verheiratet. Er lebt allein. Er hat keine Kinder. Er ist immer noch der Zwanzigjährige, der für niemanden Verantwortung hat und der zu Frauen nur flüchtige Beziehungen hat. Im Gegensatz zu seinem Freund Tom „Iceman“ Kazansky, der inzwischen ein verheirateter Vier-Sterne-General ist. Val Kilmer hat hier einen kurzen Auftritt.

Doch wegen der Story geht wahrscheinlich niemand in diesen Film. Es sind die Actionszenen, die überaus gelungen sind. Atemberaubend sind die Bilder der Jets beim Training in der Wüste und beim Einsatz in den verschneiten Bergen, wenn sie durch die engen Schluchten rasen und gegeneinander kämpfen. Die Schauspieler absolvierten diese Aufnahmen in fliegenden Jets und wir sehen, welchen Belastungen sie beim Dreh ausgesetzt waren. Das ist der Realismus, der in den CGI-geschwängerten Bombastschlachten der aktuellen Superheldenfilme fehlt.

Genau diese Bilder sind der Grund, sich den Film im Kino auf einer großen Leinwand anzusehen. „Top Gun: Maverick“ ist feinstes Blockbuster-Kino – und ein vom Militär unterstützter Propagandafilm für die Luftwaffe, die niemals auch nur ansatzweise kritisch betrachtet wird.

Top Gun: Maverick (Top Gun: Maverick, USA 2022)

Regie: Joseph Kosinski

Drehbuch: Ehren Kruger, Eric Warren Singer, Christopher McQuarrie (nach einer Geschichte von Peter Craig und Justin Marks, basierend auf Figuren von Jim Cash und Jack Epps, Jr.)

mit Tom Cruise, Miles Teller, Jennifer Connelly, Jon Hamm, Glen Powell, Lewis Pullman, Charles Parnell, Bashir Salahuddin, Monica Barbaro, Jay Ellis, Danny Ramirez, Greg Tarzan Davis, Ed Harris, Val Kilmer

Länge: 131 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Top Gun: Maverick“

Metacritic über „Top Gun: Maverick“

Rotten Tomatoes über „Top Gun: Maverick“

Wikipedia über „Top Gun: Maverick“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Joseph Kosinskis „Oblivion“ (Oblivion, USA 2013)

Meine Besprechung von Joseph Kosinskis „No Way Out – Gegen die Flammen“ (Only the Brave, USA 2017)


TV-Tipp für den 7. Juli: War Dogs

Juli 7, 2019

Pro7, 20.15

War Dogs (War Dogs, USA 2016)

Regie: Todd Phillips

Drehbuch: Stephen Chin, Todd Phillips, Jason Smilovic

LV: Guy Lawson: Arms and the Dudes (Artikel Rolling Stone, 2011)

Die Schulfreunde Efraim (Jonah Hill) und David (Miles Teller) verdienen ihr Geld mit kleinen, öffentlich ausgeschriebenen Beschaffungsaufträge des Militärs. Als sie für ihren bislang größten Auftrag die Konkurrenz unwissentlich um fünfzig Millionen Dollar unterbieten, ändert sich ihr Leben.

Immer wieder gelungen satirisch zugespitztes Drama über Freundschaft und den amerikanischen Traum.

Todd Phillips drehte vorher die „Hangover“-Filme. Aktuell ist er mit dem DC-Einzelfilm „Joker“ beschäftigt. Der Trailer sieht vielversprechend aus.

Mehr über „War Dogs“ in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Miles Teller, Jonah Hill, Ana de Armas, Bradley Cooper, Kevin Pollak

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „War Dogs“

Metacritic über „War Dogs“

Rotten Tomatoes über „War Dogs“

Wikipedia über „War Dogs“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Todd Phillips „War Dogs“ (War Dogs, USA 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: „No Way Out – Gegen die Flammen“kämpfen die „Granite Mountain Hotshots“

Mai 6, 2018

Hach, das ist wieder ein deutscher Titel, der für Verwirrung sorgen wird. Also: „No Way Out – Gegen die Flammen“ ist ein Film über Feuerbekämpfer, der nichts, aber auch absolut nichts mit dem Kevin-Costner-Thriller „No Way Out – Es gibt kein Zurück“ zu tun hat. Außerdem ist der Originaltitel von „No Way Out – Gegen die Flammen“ „Only the Brave“. Aber die Werbeabteilung hat sich sicher etwas dabei gedacht. Und gegen Flammen müssen die „Granite Mountain Hotshots“ kämpfen.

In den USA erreichten die Feuerbekämpfer am 30. Juni 2013 traurige Berühmtheit. Mit anderen Feuerwehrmännern bekämpften sie nahe der Kleinstadt Yarnell Hill, Arizona einen durch einen Blitzschlag verursachten Brand. Es war ein Routine-Einsatz, bei dem die Flammen, aufgrund starker Windböen, unvorhergesehene Wege einschlugen und das Feuer sich schneller als gedacht bewegte. Neunzehn der aus zwanzig Männern bestehenden Hotshot-Einheit starben in den Flammen. Es war der größte Verlust von Feuerwehrmännern nach 9/11.

Kurz nach dem Unglück schrieb Sean Flynn für die „GQ“ die Reportage „No Exit“. Sie war die Grundlage für Joseph Kosinskis beeindruckendes Drama „No Way Out – Gegen die Flammen“. Er erzählt die Geschichte der „Granite Mountain Hotshots“, der ersten kommunalen Hotshot-Einheit. Normalerweise unterstehen sie Bundesbehörden. Aktuell gibt es in den USA 107 Hotshot-Crews. Jede Einheit besteht aus 20 Feuerwehrleuten. Die Hotshots sind Feuerbekämpfer, die vor allem deshalb als Eliteeinheit bezeichnet werden, weil sie in den USA tagelang gegen die riesigen Brandherde kämpfen. Dabei geht es vor allem um das Schlagen von Schneisen und Anlegen von Hindernissen, die das Feuer in geordnete Bahnen lenken. Auch gezielte Brände gehören dazu. Es ist harte, körperliche Arbeit, die meistens von jungen Männern durchgeführt wird. In der mehrere Monate dauernden Brandsaison sind sie fast ununterbrochen unterwegs.

In „No Way Out“ wird die Geschichte der „Granite Mountain Hotshots“ chronologisch erzählt. Vor ihrer Hotshot-Zertifizierung ist die von Eric Marsh (Josh Brolin) geleitete Einheit die Feuerwehr der Kleinstadt Prescott, Arizona, die vor allem ihren Ort vor Feuer beschützt. Vor ihrer Hotshot-Zertifizierung 2008 trainieren sie jahrelang, erfüllen die Anforderungen für eine Zertifizierung und werden erfolgreich geprüft. Es ist ein hartes Verfahren für eine harte und gefährliche Arbeit.

Im Verlauf des über zweistündigen Films lernen wir die Feuerwehrleute und ihre Familien kennen. Vor allem Eric Marsh und Brandon ‚Donut‘ McDonough (Miles Teller) stehen im Mittelpunkt. McDonough hatte vorher eine lange Karriere als vorbestrafter Junkie hinter sich. Die Einheit ist für ihn die letzte Chance auf ein Leben, das sich vollkommen von seinem Junkie-Leben unterscheidet. Wir begleiten die Feuerwehrmänner auf verschiedenen Einsätzen, die vor allem auf der großen Leinwand ihre gesamte Wirkung entfalten.

Kosinski („Tron: Legacy“, „Oblivion“) erzählt diese Geschichte ganz traditionell als eine sich über mehrere Jahre erstreckende, für den Film etwas komprimierte Chronik. Es ist schnörkelloses, klassisches Hollywood-Erzählkino. Chronologisch werden Episoden aus dem Berufs- und Privatleben der Feuerwehrmänner erzählt, bis es zu dem katastrophalen letzten Einsatz kommt. Den inszeniert Kosinski dann auch so, dass schon von der ersten Minute an – wenn die „Granite Mountain Hotshots“ noch an einen Routine-Einsatz glauben – als einen Einsatz, der in einer Katastrophe enden wird.

No Way Out“ ist ein würdiges Denkmal für diese Einheit.

No Way Out – Gegen die Flammen (Only the Brave, USA 2017)

Regie: Joseph Kosinski

Drehbuch: Ken Nolan, Eric Warren Singer

LV: Sean Flynn: No Exit (GQ, 27. September 2013, Reportage)

mit Josh Brolin, Miles Teller, Jeff Bridges, Taylor Kitsch, Jennifer Connelly, James Badge Dale, Andie MacDowell, Alex Russell, Ben Hardy, Scott Haze, Geoff Stults

Länge: 134 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

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Moviepilot über „No Way Out“

Metacritic über „No Way Out“

Rotten Tomatoes über „No Way Out“

Wikipedia über „No Way Out“ (deutsch, englisch)

History vs. Hollywood sucht in den Flammen nach den Fakten

GQ: Sean Flynn: No Exit

Meine Besprechung von Joseph Kosinskis „Oblivion“ (Oblivion, USA 2013)

Ein etwas überfülltes Gespräch mit Brandon McDonough (dem überlebenden Mitglied der Granite Mountain Hotshots), den Schauspielern und dem Regisseur in der Build-Gesprächsreihe


Neu im Kino/Filmkritik: „Bleed for this“ – Grandioses Biopic über das Comeback eines Boxers

April 21, 2017

Vinny Pazienza ist nicht Rocky Balboa. Aber im Gegensatz zu „The Italian Stallion“ gibt es „The Pazmanian Devil“ wirklich und sein Kampfgeist ist mindestens genauso groß wie der von Rocky. Von 1983, dem Beginn seiner Profikarriere, bis 2004 boxte der 1962 geborene Vinny Pazienza, seit 2001 nur noch Paz, professionell. Unterbrochen von einem Unfall, der im Mittelpunkt von Ben Youngers Boxerdrama „Bleed for this“ steht.

Nachdem Pazienza am 1. Oktober 1991 den Titelverteidiger Gilbert Delé besiegt, ist er WBA-Weltmeister im Halbmittelgewicht. Wenige Tage später verunglückt er bei einem Autounfall schwer. Sein Genick ist gebrochen. Sein Arzt sagt ihm, er habe Glück, wenn er jemals wieder gehen könne. Seine Familie und sein Trainer versuchen ihn zu überzeugen, dass er mit dem Boxen aufhören müsse.

Aber Pazienza denkt nicht daran. Für ihn ist, was uns ernsthaft an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln lässt, Boxen sein einziger Lebensinhalt und er will wieder in den Ring steigen. Je schneller, desto besser.

Deshalb stimmt er einer gefährlichen Behandlung zu und muss mehrere Monate einen ‚Halo‘- Apparat tragen. Das ist eine Orthese, die seinen Kopf in einer genau fixierten Position festhält, indem Schrauben in den Schädel des Patienten gebohrt werden. Das klingt übel und das Anbringen und Entfernen der riesigen Schrauben sind, weil man sich nur zu gut vorstellen kann, wie schmerzhaft und unangenehm das ist, für uns Zuschauer schlimmere Momente als die Schläge, die Pazienza im Ring einstecken muss. Mit dem ‚Halo‘- Apparat soll er sich nicht anstrengen, weil jede Anstrengung die Chancen auf Heilung ruinieren könnte. Pazienza beginnt trotzdem für seinen nächsten Kampf zu trainieren.

Dreizehn Monate nach dem Unfall, am 15. Dezember 1992, steht er wieder im Ring. Er kämpft gegen den WBC-Champion Luis Santana.

In der Geschichte des Boxsports zählt dieser Kampf zu den größten Comebacks der Boxgeschichte.

Selbstverständlich ist das eine Geschichte, die für Hollywood wie gemacht ist. Auch wenn es einige Jahre dauerte, bis sie verfilmt wurde. Von Ostküstenproduzenten, wie dem in Rhode Island lebendem Produzenten Chad A. Verdi, der die treibende Kraft hinter dem Film war, und Martin Scorsese, der als einer der Executive Producer fungiert, weil ihm das Drehbuch gefiel. Mit „Raging Bull“ hat er bereits 1980 seinen Boxerfilm gedreht.

Ben Youngers „Bleed for this“ reiht sich dabei, mit einem sympathischen Underdog-Gestus, nahtlos in die Reihe der großen Boxfilme ein. Auch wenn Pazienzas wahre Geschichte sich in ihren Grundzügen von Kampf, Verlust, Training für den aussichtslos erscheinenden Kampf und siegreichem Kampf nicht von all den anderen Boxerdramen unterscheidet, die wir in den vergangenen Jahrzehnten sehen konnten.

Aber das Drehbuch ist gut. Die Inszenierung ebenso. Und mit Miles Teller als Vinny Pazienza (wahrscheinlich muss jeder Schauspieler sich mindestens einmal im Ring verprügeln lassen), Aaron Eckhart als seinen Trainer Kevin Rooney, Ciarán Hinds als seinem Vater, Katey Sagal als seine Mutter, Amanda Clayton als seine Schwester, Daniel Sault als ihr Verlobter, Ted Levine als sein Box-Promoter Lou Duva und Jordan Gelber als Duvas Sohn Dan, der sein Geschäftspartner ist, ist er glänzend besetzt. Die Duvas sind dabei Box-Promoter vom alten Schlag, als das Boxgeschäft deutlich unglamouröser als heute, aber finanziell durchaus einträglich und die Mafia nur einen Tippelschritt entfernt war. Falls überhaupt.

Am deutlichsten wird die Veränderung des Boxgeschäfts in den vergangenen Jahren bei den Trainingshallen. Es sind keine aseptischen Fitness-Studios für alle Altersklassen und Geschlechter. In „Bleed for this“ wird in großen, schlecht gelüfteten Räume in alten Backsteingebäuden in denen die Innendekoration aus Männerschweiß besteht, trainiert. Oder im Keller des Elternhauses, der in erster Linie eine Rumpelkammer ist.

Gedreht wurde vor Ort in Cranston, Rhode Island, an Locations, an denen anscheinend die Zeit stehen geblieben ist. Die Wohnungen, eher klein als groß, haben alle ein verwohntes Aussehen. Entweder, weil, wie bei den Pazienzas, die ganze Familie unter einem Dach lebt, oder weil, wie bei den Duvas, das Haus und die Inneneinrichtung aus den Siebzigern stammen und seitdem nicht mehr groß erneuert wurden. Auch die Kleider und die Autos erinnern an eine andere Zeit.

Als Boxerdrama gibt es in „Bleed for this“ selbstverständlich auch mehrere Kampfszenen im Ring und sie sind, angesichts der Tradition der Boxerfilme, in denen die Kamera sich immer mehr in den Ring und in den Kampf begibt, der schwächste Teil des Films. Nicht weil Miles Teller sich nicht in das Training und in den Ring warf (er trainierte acht Monate für die Kampfszenen, verlor Gewicht und Körperfett), sondern weil sie aus der Beobachterperspektive außerhalb des Rings gefilmt sind.

Bleed for this (Bleed for this, USA 2016)

Regie: Ben Younger

Drehbuch: Ben Younger (nach einer Story von Ben Younger, Pippa Bianco und Angelo Pizzo)

mit Miles Teller, Aaron Eckhart, Katey Sagal, Ciarán Hinds, Ted Levine, Jordan Gelber, Amanda Clayton, Daniel Sault, Jordan Gelber, Roy Souza

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

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Moviepilot über „Bleed for this“

Metacritic über „Bleed for this“

Rotten Tomatoes über „Bleed for this“

Wikipedia über „Bleed for this“

History vs. Hollywood über „Bleed for this“ (Wie viele Schläge muss die Wahrheit zugunsten einer Hollywood-Geschichte einstecken?)


Neu im Kino/Filmkritik: „War Dogs“ – satirisches Drama über Waffenhändler

September 30, 2016

Vom Regisseur von „Hangover“ und anderer Komödien, die für eher groben Humor bekannt sind, mit Jonah Hill in der Hauptrolle, der zwar schon zweimal für den Oscar nominiert wurde, aber immer noch vor allem als Komiker bekannt ist und mit einem Trailer gesegnet, der die nächste Hollywood-Kriegskomödie erwarten lässt, die primär auf platte Gags und knallige, eher grobe Satire setzt: das sind Zeichen, die die Erwartungen dämpfen. Schließlich waren zuletzt „Whiskey Tango Foxtrot“ mit Tina Fey und „Rock the Kasbah“ mit Bill Murray ziemlich enttäuschende und rundum harmlose Kriegssatiren.

Und wenn dann die ersten Minuten direkt aus „Lord of War – Händler des Todes“ geklaut sind, dann fragt man sich, ob man sich wirklich ein inoffizielles Remake von „Lord of War“ ansehen muss. Immerhin hat Andrew Niccol in seinem grandiosen Film über internationale Waffenhändler alles gesagt, was gesagt werden muss.

Daran ändert der Hinweis, dass die Geschichte von „War Dogs“ auf der wahren Geschichte von Efraim Diveroli und David Packouz basiert, nichts. Die beiden Schulfreunden begannen 2005 als Anfang-Zwanzigjährige kleine Beschaffungsaufträge des Militärs, die öffentlich ausgeschrieben werden müssen, abzustauben. Ihr großer Coup gelang ihnen Anfang 2007, als sie für dreihundert Millionen Dollar vom US-Militär den Auftrag für die Lieferung von Waffen und Munition an die Afghanische Nationalarmee erhielten.

Sie hatten – und das zeigt der Trailer, der eigentlich alle Gags enthält – die Konkurrenz unwissentlich um über fünfzig Millionen Dollar unterboten.

Diese Szene ist relativ spät im Film, der sich nach seinem verunglückten „Lorld of War“-Anfang schnell zu einem Drama über Freundschaft und den amerikanischen Traum entwickelt. Das ist absolut sehenswert und immer wieder gelungen satirisch zugespitzt.

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War Dogs (War Dogs, USA 2016)

Regie: Todd Phillips

Drehbuch: Stephen Chin, Todd Phillips, Jason Smilovic

LV: Guy Lawson: Arms and the Dudes (Artikel Rolling Stone, 2011)

mit Miles Teller, Jonah Hill, Ana de Armas, Bradley Cooper, Kevin Pollak

Länge: 115 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

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Rotten Tomatoes über „War Dogs“

Wikipedia über „War Dogs“ (deutsch, englisch)

 


Neu im Kino/Filmkritik: „Die Bestimmung – Allegiant“ – erste Runde im Finale

März 17, 2016

Was bei Harry Potter, Twilight und Die Tribute von Panem funktionierte, soll auch bei „Die Bestimmung“ funktionieren: das Finale, die Verfilmung des abschließenden Romans der Trilogie, wird auf zwei Filme aufgeteilt zu einer „Trilogie in vier Filmen“. Deshalb wird die Geschichte gestreckt, es gibt Veränderungen zur Vorlage (hier die Details LINK) und der Film endet einfach mitten in der Geschichte, was dazu führt, dass man einen halben Film besprechen soll und die Zuschauer zwei Tickets lösen müssen, um eine Geschichte zu sehen. Dabei war und ist „Die Bestimmung“ nicht „Die Tribute von Panem“. Also von ihrer Qualität. Die Story selbst folgt den ausgetretenen dystopischen Pfaden, die sich nur anhand ihrer Hauptdarstellerin unterscheiden.
Am Ende von „Die Bestimmung – Insurgent“ warf Beatrice „Tris“ Prior (Shailene Woodley) einen Blick über die gut gesicherte Mauer von ihrer Welt, dem zerstörten Chicago und entdeckte eine Welt dahinter.
Jetzt flüchtet sie, bepackt und bekleidet als ginge es zum nächsten Café, mit ihren Freunden, die wir aus den vorherigen Filmen kennen, aus der Stadt. Tori (Maggie Q) stirbt dabei (sie ist ja auch wirklich zu alt, um mit einigen Jugendlichen abzuhängen). Peter (Miles Teller) wird mitgenommen, weil er verspricht, sich jetzt wirklich zu benehmen. Der Opportunist tut es natürlich nicht, sondern verbündet sich wieder mit den bösen, erwachsenen Mächtigen. Dieses Mal verkörpert von David (Jeff Daniels), dem Leiter des „Amt für genetisches Sozialwesen“.
David will Tris für seine Zwecke einspannen. Denn, so erklärt er Tris, Chicago sei Teil eines genetisches Experiments, das die Fehler eines vorherigen genetisches Experiments beheben soll. Tris, die zu keiner Fraktion (das waren die aufgrund ihrer Eigenschaften, vulgo Gene, in Gruppen sortierte Menschen) gehöre, sei, die Auserwählte. Ihr Genpool sei rein und daher sei sie das gelungene Ergebnis des zweihundertjährigen Experiments. Deshalb will er mit ihren reinen Genen weiterarbeiten. Sie vervielfältigen und weitere reine Menschen schaffen, während sich in Chicago die Menschen mit den defekten Genen gegenseitig weiter töten dürfen.
Ähem, abgesehen von dem idiotischen Lösungsvorschlag, misslungene genetische Experimente mit noch mehr Genetik zu beheben, ist diese Gesellschaft ein einziger faschistoider Staat, was aber die frei denkende Tris, die ja in Chicago gegen verschiedene Diktaturen kämpfte und sich eben nicht in irgendeine Gesellschaft einordnen wollte, nicht daran hindert, von Davids Vision begeistert zu sein. Jedenfalls zunächst und eher so Drehbuch-begeistert.
Wer „Die Bestimmung – Divergent“ und „Die Bestimmung – Insurgent“ nicht gesehen hat und auch nicht plant, sich in einem Jahr den Abschluss der Trilogie anzusehen, kann getrost auf „Die Bestimmung – Allegiant“ verzichten. Es ist ein Film ohne Anfang und ohne Ende. Es ist, als ob man eine Folge aus einer mediokren Soap Opera sieht und sich dabei ständig fragt: Was soll das? Weder die Welt, noch die Hauptfiguren und die Konflikte werden eingeführt, weil man das ja schon in den vorherigen beiden Filmen getan hat. Es gibt auch keine erklärende Einführung oder Zusammenfassung bisheriger Ereignisse, weil Zuschauer ja die vorherigen beiden Filmen gesehen haben.
Aber auch als weiteres Bindeglied zwischen dem Anfang der Geschichte in „Die Bestimmung – Divergent“ und dem Abschluss, nächstes Jahr in „Die Bestimmung – Ascendant“ funktioniert „Die Bestimmung – Allegiant“ nicht. Die gänzlich humorfreie Handlung, wenn man sie denn so nennen will, bewegt sich im Schneckentempo mit, jedenfalls bis zum Abschluss dieses Films, verzichtbaren Subplots, voran. So als strecke man eine dünne Suppe noch weiter. Die Konflikte sind unklar, weil einfach zwischen den verschiedenen Handlungsorten und Erzählsträngen hin und her gewechselt wird, ohne dass sie in einer erkennbaren Beziehung zueinander stehen. Anstatt die Handlung voranzutreiben, entschleunigen sie sie weiter. Die Charaktere sind erschreckend blass. Und das gilt auch für die schon aus den beiden vorherigen Filmen bekannten Figuren. Die utopische Welt ist hirnrissig in ihrer Mischung aus glänzendem High Tech und zerstörter Kriegslandschaft. Chicago sieht, immer noch, wie das zerbombte Berlin zwei Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus. Die menschenfeindliche Kloake um Chicago, durch die Tris und ihre Freunde gehen, wie die DDR zur Wende. Bitterfeld lässt grüßen.
Mit seinem „Amt für genetisches Sozialwesen“ (bin ja gespannt auf die anderen Projekte des Amtes) hat David mitten in einer stinkend-toxischen Müllkippe eine kleine Insel geschaffen, in der die unteren Ränge in einer riesigen Lagerhalle ohne irgendeinen Hauch von Privatsphäre übernachten müssen, während David in einem großen Zimmer logiert und die Forschungsabteilung ebenso pompös ausgestattet ist.
Hätten sie nicht in den vergangenen zwei Jahrhunderten etwas terraforming betreiben können? Und warum will irgendjemand, der High-Tech-Labore schaffen kann, nicht auch einmal etwas aufräumen? Zweihundert Jahre sollten doch genügen, um etwas Ordnung zu schaffen. Und auch bei uns ist in Internaten, Kasernen, Krankenhäusern und Gefängnissen die Zeit der Schlafsäle schon lange vorbei. Sogar Mehrbettzimmer werden immer seltener.
Auch in der dritten „Die Bestimmung“-Episode bleiben die Hauptfiguren, wie gesagt, blass. Teilweise, was vor allem für die Erwachsenen gilt, werden sie sogar zunehmend uninteressanter und hängen nur so im Film herum, um, vielleicht, im Finale eine wichtige Rolle zu haben. Den Jugendlichen geht es nur etwas besser.
Tris, die uns ja als weibliche Heldin verkauft wird, fällt im Zweifelsfall in die vertrauten, konservativen Rollenmuster zurück. Anstatt selbst zu kämpfen, lässt sie sich von ihrem Freund retten und überlässt ihm das Kämpfen. Ellen Ripley wäre das niemals eingefallen.
Wetten, dass sich am Ende von „Die Bestimmung – Ascendant“ Tris Priors Ambitionen für ihr weiteres Leben auf das Gründen einer Familie und sonntägliche Kirchenbesuche beschränken?

Die Bestimmung - Allegiant - Plakat

Die Bestimmung – Allegiant (The Divergent Series: Allegiant, USA 2016)
Regie: Robert Schwentke
Drehbuch: Noah Oppenheim, Adam Cooper, Bill Collage
LV: Veronica Roth: The Divergent Series: Allegiant, 2013 (Die Bestimmung – Letzte Entscheidung)
mit Shailene Woodley, Theo James, Jeff Daniels, Miles Teller, Ansel Elgort, Zoë Kravitz, Maggie Q, Octavia Spencer, Naomi Watts, Ray Stevenson, Mekhi Phifer, Daniel Dae Kim, Bill Skarsgard, Jonny Weston
Länge: 120 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

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Rotten Tomatoes über „Die Bestimmung – Allegiant“
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Meine Besprechung von Robert Schwentkes „Die Bestimmung – Insurgent“ (The Divergent Series: Insurgent, USA 2015)


Neu im Kino/Filmkritik: „Die Bestimmung – Insurgent“ in der zweiten Runde

März 19, 2015

Kann man ohne die Kenntnis von „Die Bestimmung – Divergent“ oder der Lektüre der enorm erfolgreichen „Die Bestimmung“-Jugendbuchromantrilogie von Veronica Roth überhaupt „Die Bestimmung – Insurgent“ verstehen und vollumfänglich genießen? Ich befürchte, obwohl Regisseur Robert Schwentke sich viel Mühe gibt, nicht. Wobei auch der vorherige Film beim Verständnis der Handlung und Konflikte kaum hilft.
„Die Bestimmung – Insurgent“ ist der Mittelteil einer in der Zukunft spielenden Trilogie, die 2016 und 2017 im Kino als Zweiteiler „Allegiant“ (Die Bestimmung – Letzte Entscheidung), wieder inszeniert von Schwentke, ihren Abschluss finden soll. Die Heldin der Serie ist Beatrice ‚Tris‘ Prior (Shailene Woodley). Sie ist ein sogenannter Divergent, eine Unbestimmte. Denn in dieser sektenhaft christlich konnotierten und Dystopie werden die Menschen ausgehend von ihren Fähigkeiten in fünf Fraktionen aufgeteilt: die Altruan sind die Selbstlosen, die Amite die Freundlichen und Friedfertigen, die Candor die Freimütigen, die Ferox die Furchtlosen und die Ken die Gelehrten. Jede Fraktion übt dann in der friedlichen Gesellschaft, die auch keine äußeren Feinde hat, eine bestimmte Tätigkeit aus: zum Beispiel die Landarbeit, die Forschung oder die Verteidigung. Und obwohl die Sechzehnjährigen (in dem Alter wird der Eignungstest gemacht) sich danach freiwillig für eine Fraktion entscheiden können, sind sie implizit verpflichtet, die Fraktion zu wählen, zu der sie nach dem Eignungstest gehören. Ein späterer Wechsel ist ausgeschlossen. Und dann gibt es noch die Fraktionslosen. Sie sind die Ausgestoßenen, die in „Die Bestimmung – Divergent“ als eine Mischung aus Zombie und Obdachloser stumm in der Gegend herumhängen. In „Die Bestimmung – Insurgent“ sind sie dann eine äußerst kämpferische Widerstandsbewegung, die aus nie geklärten Gründen gegen das System kämpft. Naja, die Revolution ist in dem Film auch nur eine vernachlässigbare Nebensache und gegen das System zu kämpfen ist ja prinzipiell in Ordnung.
Im Mittelpunkt steht eine superwichtige, fünfeckige Box mit einem unbekannten Inhalt. Jeanine Matthews (Kate Winslet), die schon im ersten Teil mit blonder Betonfrisur und viel Schminke die Bösewichtin war, hat sie in ihrem Besitz. Sie sucht jetzt Unbestimmte. Denn nur sie haben, so glaubt Jeanine, die Fähigkeit, die Box zu öffnen, weil, – ähem -, die Unbestimmten in ihrem Denken die Fähigkeiten von allen Fraktionen aufnehmen können und nur so kann die Box geöffnet werden.
Jeanine, die zu der Fraktion der Gelehrten zählt (die es in dieser Gesellschaft wohl nicht so mit dem freien Denken haben), schickt die Soldaten (also die furchtlosen Ferox) los. Sie sollen in der gesamten Stadt Unbestimmte suchen und, wenn ihr Unbestimmtheitsgrad (vulgo die Fähigkeit zum freien Denken) hoch genug ist, verhaften und in Jeanines bestens gesichertes Forschungslabor bringen.
Tris, die am Ende von „Die Bestimmung – Divergent“ mit ihren Freunden aus Chicago in das nahe gelegene Umland flüchtete, ist in einer friedlichen Landkommune untergetaucht. Als Eric (Jai Courtney) und seine Soldaten auf der Suche nach Unbestimmten die Kommune verwüsten, können Tris und einige ihrer Freunde, auch weil die Bösewichter alle extrem schlechte Schützen sind, flüchten. In Chicago treffen sie auf eine Gruppe Widerstandskämpfer. Der Kopf der Widerstandsbewegung ist Evelyn (Naomi Watts), die totgeglaubte Mutter von ihrem Freund Tobias ‚Four‘ Eaton (Theo James).
Und dann beginnt ein furchtbar kompliziertes, aber auch furchtbar banales und fürchterlich unlogische Spiel zwischen den verschiedenen Gruppen. Ich hatte immer das Gefühl, dass im Film nur einige Höhepunkte und wichtige Szenen aus dem Roman aneinandergereiht werden. Die jugendlichen, eher weiblichen Fans freuen sich über die Bebilderung des ihnen bekannten Buches. Die anderen runzeln die Stirn über die mangelnde erzählerische Stringenz dieses zweistündigen Trailers zum Buch. Denn obwohl es mehrere Szenen gibt, in denen die Vorgeschichte ausführlich ausgebreitet und die Motivationen angesprochen werden, stolpern die Charaktere kopflos und fremdbestimmt durch den Plot.


Zum Beispiel nachdem Tris und ihre Freunde gerade einen großen Angriff der Ferox auf ihre zeitweilige Unterkunft bei den freimütig-wahrheitsliebenden Candor (fragt nicht warum. Es ist halt so und im Roman wird das sicher schlüssig erklärt) abwehren konnten und, ziemlich früh im Film, ein wichtiger Bösewicht umstandslos erschossen wird (da sieht man, dass der Film nicht der Dramaturgie eines Einzelspielfilms, sondern der Dramaturgie einer TV-Serie oder eines Fortsetzungsromans folgt), begibt Tris sich freiwillig und ohne Not in die Hände von Jeanine. Sie hat nur die irrationale Hoffnung, dass sie, ein ziemlich normales und bis jetzt unwichtiges Mädchen, den Krieg von Jeanine gegen die anderen Fraktionen beenden könne. Natürlich wird sie von Jeanine gezwungen, mit ihren geistigen Kräften die Box zu öffnen, die bis jetzt zum Tod von jeder Person führte, die es vor ihr versuchte. Um die Box zu Öffnen, begeben wir uns mit Tris in eine halluzinatorische Simulation, das SIM. Diese Illusionen sind natürlich ein Fest für die Programmierer, während wir emotional unbeteiligt ein CGI-Effektgewitter bestaunen dürfen.
Währenddessen und off screen stürmt ihr Freund Four die Festung und, gerade als er Tris aus ihrer gefährlichen Lage befreien konnte (Merke: auch Amazonen wollen vor allem von Männern gerettet werden), geht sie freiwillig wieder zurück in das Labor. Dabei hat Tris in dem Moment viele Gründe, das Gebäude, mit oder ohne Box, zu verlassen und keinen in ihm zu bleiben.
Genauso konfus wie die Handlung sind auch die Strukturen der Gesellschaft. Auch wenn man den ersten Teil gesehen hat, kann man mit dieser Welt wenig anfangen. Denn furchtbar viel Sinn ergibt das System nicht. Aber dafür gibt es jetzt auch eine plötzlich aufpoppende Untergrundgewegung und irgendein Beziehungsgeflecht und Konflikte zwischen den Fraktionen, die alle in einem Chicago leben, das ein fotogener Mix aus Ruinenstadt und High Tech ist. Ich meine: hätten sie in den vergangenen Jahrzehnten nicht die Stadt wieder aufbauen und für ein einheitliches Technik-Niveau sorgen können? So ist die „Die Bestimmung“-Welt einer Siedlergemeinschaft um 1900 im Wilden Westen nachempfunden, die unter einer Käseglocke lebt und einige moderne Computer und High-Tech-Spielereien, aber keine Videoüberwachung oder ein anderes Ortungssystem hat.
Und, wenn wir zum Konzept der Fraktionen zurückkehren: einerseits basiert es auf Vorherbestimmung und einer Negation des freien Willens. Diese Prämisse wird aber nicht stringent durchgehalten. Einen freien Willen und einen moralischen Kompass, der uns bestimmte Handlungen verbietet, gibt es immer dann, wenn es den Machern gerade passt. Deshalb müssen am Ende von „Die Bestimmung – Divergent“ die Soldaten auch mit einer Droge infiziert werden, die sie zu willenlosen Werkzeugen von Jeanine machen.
Das Ende von „Die Bestimmung – Insurgent“ ist in ähnlicher Weise idiotisch und hat noch nicht einmal einen vielversprechenden Cliffhanger.
Die schlüssigste Erklärung vor die von der bekennenden Christin Veronica Roth in ihren Romanen entworfene Welt ist, dass sie eine Metapher für ihrer eigenen, widersprüchlichen Gefühle am Beginn ihres Studiums ist. Sie steht, wie Tris, nach einigen Beratungsgesprächen über ihre Interessen vor der Frage, welches Studienfach sie wählen soll und sie glaubt, dass diese Wahl ihr gesamtes Leben bestimmen wird.
Das erklärt dann auch, warum Tris, die keine Probleme hat, Männer zu verkloppen und zu töten, am liebsten die ‚damsel in distress‘ ist, die natürlich immer wieder von ihrem Traumprinz aus der Bredouillie gerettet werden muss. Der kriegt dann dafür einen Augenaufschlag und einen dicken Schmatzer.
Da ist die „The Hunger Games/Die Tribute von Panem“-Heldin Katniss Everdeen erheblich selbstständiger und die Welt von Panem ist auch deutlich schlüssiger.
Immerhin ist die immer unblutige Action in „Die Bestimmung – Insurgent“ von Robert Schwentke kompetent inszeniert. Die Tricks sind gut, aber nicht weltbewegend. Vor allem die Szenen, die im Kopf von Tris spielen, sind ein Fest für die CGI-Crew. Dann darf die Heldin durch Glas springen, aus einem Hochhaus springen und durch die Hochhäuserschluchten fliegen, während um sie herum Hochhäuser fotogen zerfallen. Sie muss auch ihre ‚Mutter‘ aus einem fliegendem Containerhaus retten. Das sieht zwar gut aus, wurde in den vergangenen Jahren, seit „Matrix“, aber auch so oft gezeigt, dass es inzwischen nicht mehr besonders aufregend ist.
Der 3D-Effekt störte mich fast während des gesamten Film. Das lag vielleicht auch an meinem Sitzplatz am linken Rand des Kinosaals.
Aber, das muss konstatiert werden: Regisseur Robert Schwentke, der mit „Tattoo“, „Flightplan“ und „R. E. D.“ kompetente Genrefilme ablieferte, gelingt es, die Geschichte, die nur auf den dritten und abschließenden Teil vorbereiten soll, so zügig zu erzählen, dass es nie wirklich langweilig wird. Und Schwentkes Stammkameramann Florian Ballhaus fand schöne Bilder.
Für die Filmgeschichte sind sie ja nicht verantwortlich.

Die Bestimmung - Insurgent - Plakat

Die Bestimmung – Insurgent (The Divergent Series: Insurgent, USA 2015)
Regie: Robert Schwentke
Drehbuch: Brian Duffiled, Akiva Goldsman, Mark Bomback
LV: Veronica Roth: Divergent #2: Insurgent, 2012 (Die Bestimmung – Tödliche Wahrheit)
mit Shailene Woodley, Theo James, Octavia Spencer, Jai Courtney, Ray Stevenson, Zoë Kravitz, Miles Teller, Ansel Elgort, Maggie Q, Naomi Watts, Kate Winslet, Mekhi Phifer, Ashley Judd, Jonny Feston
Länge: 119 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Homepage zum Film
Film-Zeit über „Die Bestimmung – Insurgent“
Moviepilot über „Die Bestimmung – Insurgent“
Metacritic über „Die Bestimmung – Insurgent“
Rotten Tomatoes über „Die Bestimmung – Insurgent“
Wikipedia über „Die Bestimmung – Insurgent“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „Whiplash“ – oder „Full Metal Jacket“ in der Jazzschule

Februar 20, 2015

Der neunzehnjährige Andrew Neiman (Miles Teller) ist ein begeisterter Schlagzeuger, der seinem Vorbild Buddy Rich (kein Kommentar) nacheifert. Dafür übt er Stunden alleine vor sich hin. Für ihn steht die Musik an erster Stelle und er will unbedingt in die Klasse von Terence Fletcher (J. K. Simmons, grandios) aufgenommen werden. Fletcher ist bekannt als Lehrer, der seine Schüler zu Höchstleistungen animiert. Er ist, so wird uns gesagt, der Beste. Gezeigt wird uns ein Diktator, für den die Ausbildung ein erweitertes Boot Camp ist. Er schlägt und brüllt seine Schüler an. Er schüchtert sie ein. Er quält sie verbal in jeder Minute. Seine Lehrmethoden rechtfertigt er mit den von ihm vermuteten Erfolgen. Wenn die Schüler gut seien, würden sie dank seiner Terror-Ausbildung zu Stars. Wenn nicht, gäben sie halt die Musik auf und uns bleibe ein weiterer mittelmäßiger Musiker erspart. Es gebe sowieso nur noch mittelmäßige Musiker, weil alle dem Dogma der Mittelmäßigkeit gehorchten und keiner mehr Spitzenleistungen fordere. Als Beleg für seine Ausführungen erzählt er immer wieder seine Version eines Auftritts von Charlie Parker bei einer Jam Session, der vom Schlagzeuger rüde unterbrochen wurde. Diese Episode spielte sich allerdings anders ab.
Neiman, der Fletcher wie einen Guru verehrt, will sich unbedingt Fletchers Respekt erspielen.
„Whiplash“ ist ein allgemein abgefeiertes, effizient erzähltes Musikerdrama, das sich immer wieder dramaturgische Freiheiten nimmt, um das Gefühl der Angst zu verdeutlichen. So trommelt Neiman sich die Hände blutig. Er tritt unmittelbar nach einem Autounfall, mit einer blutenden Kopfwunde auf und niemand stört sich an dem Blut in seinem Gesicht. Und am Ende sollen wir glauben, dass eine Big-Band ein niemals gemeinsam geprobtes Stück spielen soll?
Aber viel mehr als diese dramaturgischen Freiheiten, die natürlich die Beziehung von Neiman und Fletcher verdeutlichen, störten mich bei dem Film zwei Dinge.
Erstens wird hier Jazz nur als eine stupid-seelenlose Hochleistungsmusik gezeigt, bei der es nur auf Präzision und Schnelligkeit ankommt. Nie wird deutlich, welche Freiheiten die Jazzmusik bietet und nie wird deutlich, wie schön und befreiend musizieren sein kann. Es wird auch nie gezeigt, dass Improvisationen und die spontane Kommunikation der Musiker untereinander ein wichtiger Bestandteil dieser Musik sind. Denn trotz allem Konkurrenzdruck und Perfektionismus, der an den renommierten Jazzschulen herrscht, geht es auch immer um das Zusammenspielen, das Improvisieren, die Freude an der Musik, das sich selbst ausdrücken in der Musik und das Finden einer eigenen Stimme. In „Whiplash“ ist Jazz dagegen nur schneller-schneller-fehlerfreier.
Zweitens ist der Lehrer – wieder einmal – ein Diktator, der als Schullehrer ein vollkommen ungeeigneter Psychopath ist und dessen Lehrmethode eine absolut keiner Überprüfung standhaltenden Ideologie sind. Denn egal, ob der Schüler weitermacht mit der Musik oder aufhört oder sich sogar umbringt, Fletcher wird am Ende behaupten, dass der Schüler einfach nicht das Material für einen grandiosen Musiker in sich hatte und er das eben mit seiner Ausbildung enthüllt hatte. Seine Ausbildung besteht aus physischem und psychischem Terror. Er beleidigt und brüllt die Schüler an. Er lässt sie nach höchstens zwei Noten abbrechen, weil er gehört hat, was er hören wollte. Er schlägt sie. So will er Neiman beim ersten Vorspielen das richtige Tempo beibringen, indem er ihn im Takt ohrfeigt.
Diese Lehrmethoden haben vielleicht bei der Ausbildung von Soldaten, bei der es darum geht, einen Menschen nach militärischen Interessen zu formen, eine gewisse Rechtfertigung. Immerhin müssen die Soldaten sich im Kampfeinsatz aufeinander verlassen können. Ihr Leben hängt davon ab. Aber schon bei der Resozialisierung von Straffälligen ist diese Erziehungsmethode – höflich formuliert – sehr umstritten und auch nicht so erfolgreich, wie deren Verfechter behaupten.
In der Schule und in der Musik haben solche menschenverachtenden Methoden nichts zu suchen. Denn hier stirbt dagegen niemand, wenn ein Musiker beim Spielen einen Fehler macht.
Fletcher ist kein Lehrer, denn man auf seine Kinder loslassen möchte. Und er ist auch kein Lehrer, der sich für seine Schüler irgendwie interessiert. Er ist ein Sadist, der seinen Sadismus in eine wohl klingende Theorie von der Auslese der Besten kleidet.

Musiker und Jazzlehrer Mark Sherman (u. a. Juilliard School) über den Film
It makes me feel bad that people are being led to believe that trying to get a career in music or jazz … this is what you got to go through. I teach at a place like Juilliard, which is top-tier, and a lot of these kids are under a lot of pressure, yes. But not that kind of pressure. The pressure, ultimately, is the pressure you put on yourself, to survive and succeed in the industry. (…) This type of mental and verbal abuse, borderlining on physical, is taken so seriously that he’d be thrown out of Juilliard and most schools no matter how great he was. If Wynton Marsalis, who’s my boss here at Juilliard, did that — called kids „cocksuckers“ and badgered kids like that — he’d be thrown out.

Whiplash

Whiplash (Whiplash, USA 2014)
Regie: Damien Chazelle
Drehbuch: Damien Chazelle
mit Miles Teller, J. K. Simmons, Melissa Benoist, Paul Reiser, Austin Stowell, Nate Lang
Länge: 107 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Whiplash“
Moviepilot über „Whiplash“
Metacritic über „Whiplash“
Rotten Tomatoes über „Whiplash“
Wikipedia über „Whiplash“ (deutsch, englisch)
Vulture unterhält sich mit Multi-Instrumentalist Mark Sherman, Mitglied der Jazzfakultät der Juilliard School, New Jersey City University, und des New York Jazz Workshop über den Film

Damien Chazelle, Miles Teller und J. K. Simmons sprechen beim TIFF über den Film

DP/30 unterhält sich mit Damien Chazelle


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