LV: Jeanne Marie Laskas: Game Brain, 2009 (GQ-Reportage)
Der aus Nigeria kommende Dr. Bennet Omalu ist Gerichtsmediziner in Pittsburgh. Im September 2002 diagnostiziert er bei dem mit fünfzig Jahren, nach einer langen Krankengeschichte, durch einen Herzinfarkt verstorbenen und bei den Fans immer noch hochverehrten Ex-Football-Spieler Mike Webster der Pittsburgh Steelers CTE.
CTE (Chronisch-traumatische Enzephalopathie oder Dementia pugilistica) entsteht durch Erschütterungen des Gehirns, die normale Menschen höchstens bei einem Autounfall erleben. Bei Football-Spielern kann das während eines Spiels mehrmals geschehen. Omalu hält das für die Ursache von Websters frühem Tod. Er veröffentlicht in einem wissenschaftlichen Magazin einen Aufsatz dazu und legt sich – weil er keine Ahnung über die National Football League (NFL) und die Bedeutung von Football für die US-Kultur hat – mit der NFL an.
Auf wahren Ereignissen basierendes Drama, das vor allem ein filmisches Denkmal für Dr. Bennet Omalu und ein Aufruf zur Zivilcourage ist.
mit Will Smith, Alec Baldwin, Gugu Mbatha-Raw, Arliss Howard, Paul Reiser, Luke Wilson, Adewale Akinnuoye-Agbaje, David Morse, Albert Brooks, Eddie Marsan, Hill Harper
Was ist schlimmer? Wenn der Freund via SMS die Beziehung beendet oder wenn er ein Spion ist? Also kein langweiliger Sesselfurzer, sondern eher so der durchtrainierte, smarte James-Bond-Typ.
Audrey (Mila Kunis) glaubt zuerst ersteres. Aber dann eröffnet ihr ihr lange spurlos verschwundener Freund, dass er ein Spion sei und gerade mächtig Ärger habe. Angesichts der wilden Schießerei in ihrer Wohnung hätte sie das eh vermutet. Kurz bevor er vor ihren Augen erschossen wird, bittet er sie, einen superwichtigen USB-Stick nach Wien zu bringen. Die supergeheimen und in den falschen Händen extrem gefährlichen Informationen dürfen unter keinen Umständen in die falschen Hände fallen.
Zusammen mit ihrer Kindergartenfreundin Morgan (Kate McKinnon) macht Audrey sich von den USA auf den Weg nach Europa zu dem Übergabeort: ein nobles Café in Wien.
Dort geraten sie in die nächste Schießerei. Denn alle Restaurantgäste sind schwerbewaffnete und extrem tötungswillige Agenten., Killer und Verbrecher. So genau kann man das nicht auseinanderhalten.
Audrey und Morgan können unverletzt entkommen und beginnen ihre Tour durch Europa als extrem schusseliges Damenduo, das den extrem gefährlichen Agenten zeigt, dass „Bad Spies“ in diesem Fall die besseren Spione sind. Dabei haben die beiden chaotischen Quasselstrippen die meiste Zeit überhaupt keine Ahnung davon, in welchen Schlamassel sie hineingeraten sind, wer die Guten und wer die Bösen sind, wem sie vertrauen können und gegen wen sie kämpfen.
Vor drei Jahren schickte Paul Feig Melissa McCarthy in „Spy – Susan Cooper Undercover“ (Spy, USA 2015) auf eine ähnliche Mission und sein Film ist ungleich gelungener als Susanna Fogels „Bad Spies“. Das liegt vor allem an den Witzen, die in „Bad Spies“ nicht besonders witzig sind und oft sogar nerven, wenn Mila Kunis und Kate McKinnon ewig improvisieren, ohne zu einem Punkt zu kommen. Es ist der auch aus anderen US-Komödien bekannte Impro-Klamauk.
Die Action ist dagegen gut gemacht, knackig und ziemlich brutal. Das liegt sicher auch daran, dass Stunt-Koordinator und Second-Unit-Regisseur Gary Powell verpflichtet wurde. Er war bei „Ready Player One“, „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“, den letzten James-Bond-Filmen und den Jason-Bourne-Filmen für die Stunts verantwortlich. Und auch für „Bad Spies“ inszenierte er einige beeindruckende Stunt-Sequenzen. Die Härte bei diesen Szenen war von Regisseurin Fogel gewollt: „Es war mir wichtig, dass die Action genauso skrupellos ist wie in einem Film mit männlichen Helden und dass wir nichts zurückhalten oder abmildern.“.
Diese Härte verträgt sich dann nicht besonders gut mit dem leichten Ton der Comedy.
Die Story bemüht sich gar nicht, mehr als der lose Kitt zwischen Action und Blödeleien zu sein. So ist die Actionkomödie mäßig unterhaltsam und schnell vergessen.
Bad Spies (The Spy who dumped me, USA 2018)
Regie: Susanna Fogel
Drehbuch: David Iserson
mit Mila Kunis, Kate McKinnon, Justin Theroux, Gillian Anderson, Sam Heughan, Hasan Minhaj, Ivanna Sakhno, Paul Reiser, Jane Curtin
Drehbuch: James Cameron (nach Charakteren von Dan O’Bannon und Ronald Shusett)
Ripley soll einige Marines auf einen Alien-verseuchten Planeten begleiten und beim Kampf gegen die ihr bekannten Aliens helfen.
Inzwischen ein SF-Klassiker, der als Kriegsfilm die harten Soldaten fröhlich als Kanonenfutter verheizt.
„‚Aliens‘ (und das leistet eine Fortsetzung selten) entwickelt den Spukhaus-im-Weltraum-Plot von ‚Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt‘ (Alien, 1979) weiter, indem er sämtliche monströsen Highlights des Vorgängers aufgreift und in den Kontext eines anderen, in den Weltraum verlagerten Genres stellt. (…) Cameron (…) kocht hier sein eigenes Süppchen mit hartgesottenen Heldinnen, Biomechanoiden, politischer Paranoia und atemloser Spannung, wobei er die Prämisse des ersten Filmes beibehält.“ (Phil Hardy, Hrsg.: Die Science Fiction Filmenzyklopädie, 1998)
Zum Kinostart urteilte der Fischer Film Almanach anders: „Mit ‚Alien‘ von Ridley Scott (…), mit der phantastischen Welt und den Kreaturen von H. R. Giger hat dieser Film nichts mehr gemein. (…) Fortsetzung folgt – hoffentlich nicht.“ und über Ripley wurde gesagt „eine zu allem entschlossene Amazone, eine Art Über-Mutter im Rambo-Look“
Auch „Zoom“ war ungnädig: „War der erste ‚Alien‘-Film (…) noch durchaus raffiniert, so wird in der Fortsetzung ganz auf drastische Schockeffekte und die üblichen Technik-Spielereien gesetzt.“
Tja, damals regierte Ronald Reagan die USA, im Kino sorgten Rambo, „Missing in Action“ Chuck Norris und Konsorten im Kampf gegen „Die rote Flut“ für volle Kassen und die Filmkritik beurteilte Filme auch vor dem politischen Klima der USA, der Rambo-Ideologie.
mit Sigourney Weaver, Carrie Henn, Michael Biehn, Paul Reiser, Lance Henricksen, Bill Paxton, William Hope
Aliens – Die Rückkehr (USA 1986, Regie: James Cameron)
Drehbuch: James Cameron (nach Charakteren von Dan O’Bannon und Ronald Shusett)
Ripley soll einige Marines auf einen Alien-verseuchten Planeten begleiten und beim Kampf gegen die ihr bekannten Aliens helfen.
Inzwischen ein SF-Klassiker, der als Kriegsfilm die harten Soldaten fröhlich als Kanonenfutter verheizt.
Kabel 1 zeigt den längeren Director’s Cut. Um 20.15 Uhr in einer gekürzten Version, in der Nachtwiederholung um 01.50 Uhr wahrscheinlich ungekürzt. Dazwischen, ab 23.25 Uhr, läuft „Prometheus – Dunkle Zeichen“, der ab heute vorletzte „Alien“-Film.
„‚Aliens‘ (und das leistet eine Fortsetzung selten) entwickelt den Spukhaus-im-Weltraum-Plot von ‚Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt‘ (Alien, 1979) weiter, indem er sämtliche monströsen Highlights des Vorgängers aufgreift und in den Kontext eines anderen, in den Weltraum verlagerten Genres stellt. (…) Cameron (…) kocht hier sein eigenes Süppchen mit hartgesottenen Heldinnen, Biomechanoiden, politischer Paranoia und atemloser Spannung, wobei er die Prämisse des ersten Filmes beibehält.“ (Phil Hardy, Hrsg.: Die Science Fiction Filmenzyklopädie, 1998)
Zum Kinostart urteilte der Fischer Film Almanach anders: „Mit ‚Alien‘ von Ridley Scott (…), mit der phantastischen Welt und den Kreaturen von H. R. Giger hat dieser Film nichts mehr gemein. (…) Fortsetzung folgt – hoffentlich nicht.“ und über Ripley wurde gesagt „eine zu allem entschlossene Amazone, eine Art Über-Mutter im Rambo-Look“
Auch „Zoom“ war ungnädig: „War der erste ‚Alien‘-Film (…) noch durchaus raffiniert, so wird in der Fortsetzung ganz auf drastische Schockeffekte und die üblichen Technik-Spielereien gesetzt.“
Tja, damals regierte Ronald Reagan die USA, im Kino sorgten Rambo, „Missing in Action“ Chuck Norris und Konsorten im Kampf gegen „Die rote Flut“ für volle Kassen und die Filmkritik beurteilte Filme auch vor dem politischen Klima der USA, der Rambo-Ideologie.
mit Sigourney Weaver, Carrie Henn, Michael Biehn, Paul Reiser, Lance Henricksen, Bill Paxton, William Hope
Wiederholung: Freitag, 19. Mai, 01.50 Uhr (Taggenau!)
Wenn ich „Dirty Cops: War on Everyone“ nicht unmittelbar nach der US-Präsidentenwahl gesehen hätte, würde meine Besprechung von John Michael MdDonaghs neuem Film vielleicht etwas positiver ausfallen. So konnte ich bei dieser Komödie nicht einmal lachen; ein, zweimal vielleicht schmunzeln. Ich sah immer das Trump-Amerika aus Hass, Rassismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Ignoranz und grenzenloser, von sich überzeugter Dummheit, das gerade die Präsidentschaft gewonnen hat und, wenn man sich die Meldungen aus dem Trump-Tower durchliest, alles tut, um ohne einen Funken Verantwortungsgefühl, ein riesiges, globales Desaster zu hinterlassen.
Das Buddy-Cop-Movie ist vor dieser Interpretationsfolie ein Abstieg in einen reaktionären Sumpf, der durchgehend aus der Perspektive des Weißen Mannes, der sich für die Krone der Schöpfung hält, erzählt ist. Er schaut auf alle anderen herab und gebraucht seine Hautfarbe (und Dienstmarke) als Rechtfertigung für schlechtes Benehmen.
Im Mittelpunkt von „Dirty Cops“ stehen die Polizisten Bob Bolaño (Michael Peña) und Terry Monroe (Alexander Skarsgård), die sich nur in ihrer Hautfarbe unterscheiden. Jeder könnte jederzeit die Sätze des anderen übernehmen. Manchmal hatte ich sogar den Eindruck, dass Michael Peña und Alexander Skarsgård das gerade getan hatten. Eine irgendwie geartete Biographie hat keiner der beiden. Es sind Comicfiguren, die höchsten für einen Sketch taugen. Über die Länge eines Spielfilms fragte ich mich, warum die nette Frau bei Bolaño bleibt und warum Bolaño, der auch ein liebevoller Vater sein soll, seinen übergewichtigen Sohn mobbt und warum der gefühlskalte Monroe sich verliebt und plötzlich um ein fremdes Kind kümmert.
Die „Story“, eigentlich ist „Dirty Cops“ nur eine Ansammlung misslungener Sketche, geht um Mangan (Theo James), einen britischen Pseudo-Snob, der in Albuquerque, New Mexico, der Obergangster werden will und bei einem Überfall eine Million erbeutete. Bolaño und Monroe wollen das Geld; – weil das so im Drehbuch steht.
Soweit das kaum erkennbare, schlampig skizzierte und schnell vergessene Handlungsgerüst, das nur dazu dient, die Szenen irgendwie hintereinander anzuordnen. Eine Geschichte entsteht daraus nicht.
Dabei hat John Michael McDonagh, ein irischstämmiger Londoner, mit seinem Regiedebüt „The Guard – Ein Ire sieht schwarz“, das gelungen mit Vorurteilen spielt, und seinem zweiten „Am Sonntag bist du tot”, der mir nicht so gefiel, der aber durchgehend eine große Sympathie für seine gefallenen Charaktere erkennen lässt, gezeigt, dass er schräge Komödien erzählen kann. Dass er diesen reaktionären Mist ohne eine Spur von Selbstironie oder Distanzierung geschrieben und gedreht hat, ist unglaublich.
Wenn man „Dirty Cops“ mit Robert Rodriguez‘ „Machete“ vergleicht, wird das Desaster noch deutlicher. In „Machete“ wehrten sich die Unterdrückten gegen die Unterdrücker. In „Dirty Cops“ sollen wir mit den Unterdrückern, die Recht haben mit Rechts sein verwechseln und am Ende in jeder Beziehung Recht bekommen, lachen. Das ist nicht witzig und, was ja gerne als Rechtfertigung für politisch unkorrekten Humor genommen wird, auch nicht therapeutisch. Dann hätte der Humor und das Lachen immerhin etwas befreiendes.
Dirty Cops: War on Everyone (War on Everyone, Großbritannien 2016)
Regie: John Michael McDonagh
Drehbuch: John Michael McDonagh
mit Michael Peña, Alexander Skarsgård, Tessa Thompson, Theo James, Stephanie Sigman, Malcolm Barrett, Tait Fletcher, Caleb Landry Jones, Paul Reiser, David Wilmot
Als die Oscar-Nominierungen veröffentlicht wurden und farbige Künstler wieder einmal nicht beachtet wurden, entspann sich vor allem in den USA eine heftige Diskussion über den Rassismus der preisverleihenden Academy of Motion Picture Arts and Sciences und es wurden auch einige Beispiele für nominierungswürdige Schauspielerleistungen genannt. Will Smiths Porträt von Dr. Bennet Omalu in „Erschütternde Wahrheit“ wurde auch öfter genannt. Dabei empfand ich, was auch an dem nicht wirklich packendem Film liegen kann, seine Leistung jetzt nicht als so herausragend, was auch daran liegen kann, dass der im Zentrum des Films stehende, aus Nigeria kommende Immigrant Dr. Bennet Omalu ein zwar intelligenter, aber sehr höflicher Mensch ist, der, abseits von seiner Arbeit, bei der er nur fehlerfreie Arbeit leisten will, ein allein lebender Mann ist, der nicht auffallen und nur ein vorbildlicher Amerikaner sein will. So ein Charakter hat nicht die großen Gefühlsausbrüche oder egomanisch-größenwahnsinnigen Anwandlungen, die normalerweise mit großen Schauspielleistungen assoziiert werden. Und er musste auch nicht so leiden, wie Leonardo DiCaprio in „The Revenant“, oder, was ja auch gerne ausgezeichnet wird, einen Behinderten spielen. Zur Not tut es auch eine Geschlechtsumwandlung. Omalu ist einfach nur ein ganz normaler, gebildeter Mann, der an die Wissenschaft glaubt und der ein unauffälliges Leben führen möchte.
Er ist in Pittsburgh Gerichtsmediziner, der bei seinen Kollegen durch seine akkurate Arbeit nach Lehrbuch auffällt. Das OP-Besteck wird nach jeder Obduktion weggeworfen. Auf saubere Kleidung wird geachtet. Verunreinigungen könnten das nächste Obduktionsergebnis verfälschen. Und jede Leiche wird auch auf die entlegendsten Todesmöglichkeiten untersucht. Bei seinen Kollegen kommt diese gründliche Arbeit nicht so gut an, aber so stößt der penible Neuropathologe Bennet Omalu im September 2002 bei dem mit fünfzig Jahren, nach einer langen Krankengeschichte, durch einen Herzinfarkt verstorbenen und bei den Fans immer noch hochverehrten Ex-Football-Spieler Mike Webster der Pittsburgh Steelers auf CTE.
CTE (Chronisch-traumatische Enzephalopathie oder Dementia pugilistica) entsteht durch die Erschütterungen des Gehirns, wenn die Spieler mit Geschwindigkeiten aufeinanderprallen, die sonst nur bei einem Autounfall vorkommen. Aber während Normalsterbliche eine solche Gehirnerschütterung selten bis nie erleben, ist sie für Football-Spieler Alltag. Die Krankheit selbst tritt erst Jahre nach der Sportkarriere auf und führt zu einem frühen Tod. Omalu entdeckt bei weiteren jung verstorbenen Spielern CTE, was erst nach ihrem Tod durch eine Obduktion festgestellt werden kann. Als Wissenschaftler weiß er, dass die Krankheit und der frühe Tod der Football-Spieler durch ihre Profisportlerkarriere verursacht wurden. Denn die statistischen Befunde, die Abweichungen von der Norm und die damit zusammenhängenden Wahrscheinlichkeiten sprechen eine klare Sprache.
Omalu geht mit seiner Entdeckung an die Öffentlichkeit. Zuerst nur an die wissenschaftliche, später auch an die breitere. Er denkt, dass die National Football League (NFL) sich über seine Erkenntnisse freut. Aber die NFL will von seiner Entdeckung nichts wissen. Stattdessen zweifelt sie seine Forschungsergebnisse an, diskreditiert ihn und versucht seine Existenz zu vernichten.
Denn aus Sicht der NFL stehen die Verletzungen, die Football-Spieler während des Spiels erfahren, in keinem Zusammenhang mit CTE. Die Tabaklobby behauptete, vor einigen Jahren, so etwas ähnliches über die eigentlich ebenso offensichtlichen Gefahren des Rauchens.
Ex-Journalist Peter Landesman (der auch das Drehbuch für den durchwachsenen Thriller „Kill the Messenger“ schrieb) inszenierte diese auf Tatsachen basierende David-gegen-Goliath-Geschichte – auch wenn einige Ereignisse und Konflikte verstärkt und erfunden wurden – strikt entlang der Fakten und der wahren, sich über ein Jahrzehnt erstreckenden Geschichte, in der wir auch einiges über das Privatleben von Omalu erfahren. Allerdings lässt „Erschütternde Wahrheit“, im Gegensatz zum kommende Woche startenden, hochspannenden Journalismus-Thriller „Spotlight“ (über die Recherchen des „Boston Globe“ über pädophile katholische Priester in Boston), eben jene Zuspitzungen und Pointierungen vermissen, die aus „Erschütternde Wahrheit“ mehr als nur eine brave, etwas zu lang geratene Spielfilm-Dokumentation gemacht hätten.
Insofern funktioniert „Erschütternde Wahrheit“ vor allem als filmisches Denkmal für Dr. Bennet Omalu und als Aufruf zur Zivilcourage.
Der neunzehnjährige Andrew Neiman (Miles Teller) ist ein begeisterter Schlagzeuger, der seinem Vorbild Buddy Rich (kein Kommentar) nacheifert. Dafür übt er Stunden alleine vor sich hin. Für ihn steht die Musik an erster Stelle und er will unbedingt in die Klasse von Terence Fletcher (J. K. Simmons, grandios) aufgenommen werden. Fletcher ist bekannt als Lehrer, der seine Schüler zu Höchstleistungen animiert. Er ist, so wird uns gesagt, der Beste. Gezeigt wird uns ein Diktator, für den die Ausbildung ein erweitertes Boot Camp ist. Er schlägt und brüllt seine Schüler an. Er schüchtert sie ein. Er quält sie verbal in jeder Minute. Seine Lehrmethoden rechtfertigt er mit den von ihm vermuteten Erfolgen. Wenn die Schüler gut seien, würden sie dank seiner Terror-Ausbildung zu Stars. Wenn nicht, gäben sie halt die Musik auf und uns bleibe ein weiterer mittelmäßiger Musiker erspart. Es gebe sowieso nur noch mittelmäßige Musiker, weil alle dem Dogma der Mittelmäßigkeit gehorchten und keiner mehr Spitzenleistungen fordere. Als Beleg für seine Ausführungen erzählt er immer wieder seine Version eines Auftritts von Charlie Parker bei einer Jam Session, der vom Schlagzeuger rüde unterbrochen wurde. Diese Episode spielte sich allerdings anders ab.
Neiman, der Fletcher wie einen Guru verehrt, will sich unbedingt Fletchers Respekt erspielen.
„Whiplash“ ist ein allgemein abgefeiertes, effizient erzähltes Musikerdrama, das sich immer wieder dramaturgische Freiheiten nimmt, um das Gefühl der Angst zu verdeutlichen. So trommelt Neiman sich die Hände blutig. Er tritt unmittelbar nach einem Autounfall, mit einer blutenden Kopfwunde auf und niemand stört sich an dem Blut in seinem Gesicht. Und am Ende sollen wir glauben, dass eine Big-Band ein niemals gemeinsam geprobtes Stück spielen soll?
Aber viel mehr als diese dramaturgischen Freiheiten, die natürlich die Beziehung von Neiman und Fletcher verdeutlichen, störten mich bei dem Film zwei Dinge.
Erstens wird hier Jazz nur als eine stupid-seelenlose Hochleistungsmusik gezeigt, bei der es nur auf Präzision und Schnelligkeit ankommt. Nie wird deutlich, welche Freiheiten die Jazzmusik bietet und nie wird deutlich, wie schön und befreiend musizieren sein kann. Es wird auch nie gezeigt, dass Improvisationen und die spontane Kommunikation der Musiker untereinander ein wichtiger Bestandteil dieser Musik sind. Denn trotz allem Konkurrenzdruck und Perfektionismus, der an den renommierten Jazzschulen herrscht, geht es auch immer um das Zusammenspielen, das Improvisieren, die Freude an der Musik, das sich selbst ausdrücken in der Musik und das Finden einer eigenen Stimme. In „Whiplash“ ist Jazz dagegen nur schneller-schneller-fehlerfreier.
Zweitens ist der Lehrer – wieder einmal – ein Diktator, der als Schullehrer ein vollkommen ungeeigneter Psychopath ist und dessen Lehrmethode eine absolut keiner Überprüfung standhaltenden Ideologie sind. Denn egal, ob der Schüler weitermacht mit der Musik oder aufhört oder sich sogar umbringt, Fletcher wird am Ende behaupten, dass der Schüler einfach nicht das Material für einen grandiosen Musiker in sich hatte und er das eben mit seiner Ausbildung enthüllt hatte. Seine Ausbildung besteht aus physischem und psychischem Terror. Er beleidigt und brüllt die Schüler an. Er lässt sie nach höchstens zwei Noten abbrechen, weil er gehört hat, was er hören wollte. Er schlägt sie. So will er Neiman beim ersten Vorspielen das richtige Tempo beibringen, indem er ihn im Takt ohrfeigt.
Diese Lehrmethoden haben vielleicht bei der Ausbildung von Soldaten, bei der es darum geht, einen Menschen nach militärischen Interessen zu formen, eine gewisse Rechtfertigung. Immerhin müssen die Soldaten sich im Kampfeinsatz aufeinander verlassen können. Ihr Leben hängt davon ab. Aber schon bei der Resozialisierung von Straffälligen ist diese Erziehungsmethode – höflich formuliert – sehr umstritten und auch nicht so erfolgreich, wie deren Verfechter behaupten.
In der Schule und in der Musik haben solche menschenverachtenden Methoden nichts zu suchen. Denn hier stirbt dagegen niemand, wenn ein Musiker beim Spielen einen Fehler macht.
Fletcher ist kein Lehrer, denn man auf seine Kinder loslassen möchte. Und er ist auch kein Lehrer, der sich für seine Schüler irgendwie interessiert. Er ist ein Sadist, der seinen Sadismus in eine wohl klingende Theorie von der Auslese der Besten kleidet.
– Musiker und Jazzlehrer Mark Sherman (u. a. Juilliard School) über den Film It makes me feel bad that people are being led to believe that trying to get a career in music or jazz … this is what you got to go through. I teach at a place like Juilliard, which is top-tier, and a lot of these kids are under a lot of pressure, yes. But not that kind of pressure. The pressure, ultimately, is the pressure you put on yourself, to survive and succeed in the industry. (…) This type of mental and verbal abuse, borderlining on physical, is taken so seriously that he’d be thrown out of Juilliard and most schools no matter how great he was. If Wynton Marsalis, who’s my boss here at Juilliard, did that — called kids „cocksuckers“ and badgered kids like that — he’d be thrown out.