TV-Tipp für den 1. Mai: Two Lovers

April 30, 2022

Und gleich noch ein Film mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle

Servus TV, 20.15

Two Lovers (Two Lovers, USA 2008)

Regie: James Gray

Drehbuch: James Gray, Rick Menello

Nicht der Plot (eigentlich ein 08/15-Liebedrama: Leonard lebt, nach mehreren Selbstmordversuchen, wieder in seinem Jugendzimmer. Seine Eltern wollen ihn mit Sandra verkuppeln. Aber er ist in Michelle verliebt.), sondern die Machart ist entscheidend. Und die stimmt bei „Two Lovers“.

Denn „Two Lovers“ ist wie Grays vorherige Filme „Little Odessa“, The Yards – Im Hinterhof der Macht“ und „Helden der Nacht“ hochkarätig besetztes Schauspielerkino ohne einen falschen Ton. Weder im Spiel, noch in der Kameraführung, dem Schnitt, der Ausstattung oder der Musikauswahl. Und keines dieser Elemente drängt in den Vordergrund. Sie alle dienen der Geschichte. Wieder einmal ist Grays Blick für die Details bemerkenswert. Teilweise fallen sie beim ersten Sehen nicht auf, aber alle zusammen machen die Geschichte glaubwürdig. Es sind Kleinigkeiten, wie die Fotowand in der Wohnung der Kraditors, Leonards Jugendzimmer, die kleinen Gesten und Blicke, die in Sekundenbruchteilen alles erklären und Entscheidungen, wie Joaquin Phoenix während eines Geständnisses mit dem Rücken zur Kamera spielen zu lassen, auf einen Schnitt zu verzichten, das Licht in einer besonderen Art zu setzen und eine – teilweise unsichtbare – Zeitlupe einzusetzen.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Joaquin Phoenix, Gwyneth Paltrow, Vinessa Shaw, Moni Moshonov, Isabella Rossellini, Elias Koteas

Wiederholung: Montag, 2. Mai, 01.50 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Rotten Tomatoes über „Two Lovers“

Wikipedia über “Two Lovers” (deutsch, englisch)

IFC: Interview mit James Gray über „Two Lovers“

Spout Blog: Interview mit James Gray über „Two Lovers“

Coming Soon: Interview mit James Gray über “Two Lovers”

Collider: Interview mit James Gray über “Two Lovers”

IndieWire: Interview mit James Gray über “Two Lovers”

Meine Besprechung von James Grays „Two Lovers“ (Two Lovers, USA 2008)

Meine Besprechung von James Grays „Die versunkene Stadt Z“ (The lost City of Z, USA 2016)

Meine Besprechung von James Grays „Ad Astra: Zu den Sternen“ (Ad Astra, USA 2019)


Neu im Kino/Filmkritik: Über den Animationsfilm „Die Odyssee“

April 30, 2022

Als ein Nachbardorf überfallen wird, beginnt für die dreizehnjährige Kyona und ihren jüngeren Bruder Adriel die titelgebende Odyssee durch eine Welt voller Gefahren. Zuerst mit ihren Eltern, später allein stolpern sie durch ein dystopisches Europa. Die Bilder und die Erlebnisse der beiden Kinder erinnern dabei an die Katastrophen, Diktaturen und Migrationsbewegungen des vergangenen Jahrhunderts in Europa, Osteuropa und der Levante.

Florence Miailhes erzählt in ihrem Langfilmdebüt die Geschichte von Kyona und Adriel. Sehenswert ist der Film wegen seiner Geschichte und seiner Machart. Bekannt ist Miailhe als Regisseurin von animierten Kurzfilmen. „A Summer Night Rendez-Vous“ erhielt 2001 den César als bester Kurzfilm. „Conte de Quartier“ 2006 eine Lobende Erwähnung bei den Filmfestspielen von Cannes. 2015 wurde sie beim Animationsfilmfestival von Annecy für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet.

In „Die Odyssee“ erzählt sie eine Geschichte, die von der Flucht ihrer Urgroßeltern aus der jetzt zur Ukrainie gehörenden Hafenstadt Odessa inspiriert ist. Wie viele andere verließen sie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wegen antisemitischen Pogromen ihre Heimat Odessa.

Sie könnte wegen ihrer Machart – „Die Odyssee“ ist ein Animationsfilm – fast überall und zu fast jeder Zeit spielen könnte. Denn alles, was auf ein bestimmtes Jahr oder Jahrzehnt deutet, wurde entfernt. Miailhe und ihre Co-Autorn Marie Desplechin ließen sich auch von Ereignissen und Bildern inspirieren, die später stattgefunden hatten. Gleichzeitig benutzten sie viele Märchenmotive. Sie abstrahierten also immer mehr von einem konkreten historischen Hintergrund zugunsten eines märchenhaften Tonfalls. Eines Horrormärchens, das die Welt aus der Sicht der durch mehrere Länder flüchtenden Geschwister betrachtet und in der sie von einem furchterregendem Erlebnis zum nächsten stolpern und sie Monstern, die wie Menschen aussehen, begegnen.

Und damit ist sie heute, während viele Ukrainer ihre Heimat mit unklarem Ziel verlassen müssen, wieder brennend aktuell.

Allerdings ist diese Aktualität ein Zufall. Denn Miailhe begann mit den Arbeiten für den Film schon vor Jahren. Ihre ersten Arbeiten an der Geschichte waren 2006. 2010 erhielten sie und Marie Desplechin den Drehbuchpreis auf dem Festival Premier Plans in Angers. Danach musste der Film noch finanziert werden. Die Produktion dauerte dann drei Jahre. Denn Miailhe erstellte auch ihr Langfilmdebüt mit der von ihr favorisierten Öl-auf-Glas-Technik: „Ich habe schon immer mit animierter Malerei direkt unter der Kamera gearbeitet. Diese Praxis erfordert präzises und intuitives Arbeiten. Ich habe sie im Laufe meiner filmischen Karriere immer weiter verfeinert. Die Animation wird Bild für Bild auf mehreren Glasschichten direkt unter der Kamera ausgeführt. Dieses System ist so aufgebaut, dass so weit wie möglich alles zur gleichen Zeit und von der gleichen Person gemacht wird: die Figuren, das Set, die Effekte, die Farbe. So kann das Bild jederzeit in seiner Gesamtheit konzipiert werden. Für Animator*innen fühlt es sich an, als würden sie ein Gemälde zum Leben erwecken. Es stimmt, dass animierte Malerei etwas länger dauert als andere Animationstechniken, aber vor allem, weil die Arbeit schwieriger zu teilen ist. Wir sind gezwungen, in einem kleinen Team zu arbeiten und die Produktion dauert deshalb viel länger. Abhängig von Aufnahmen und Animator*innen konnten pro Tag mal 6 Sekunden, dann wieder nur eine Sekunde Film entstehen.“

Die so entstehenden Bilder sehen prächtig aus und sie sind auch sehr farbenprächtig. Außerdem unterscheiden sie sich wohltuend von anderen Animationsfilmen, die sich doch sehr oft sehr ähneln.

Zu den eindrucksvollen Bildern kommt eine wirklich furchterregende und Gänsehaut erzeugende Tonspur, die hörbar macht, was in den Zeichnungen nicht zu sehen ist. Das macht „Die Odyssee“ zu einem Trickfilm, der kein Kinderfilm ist.

Die Odyssee (La Traversée, Frankreich/Deutschland/Tschechische Republik 2021)

Regie: Florence Miailhe

Drehbuch: Marie Desplechin, Florence Miailhe

mit Hanna Schygulla (Erzählerin)

Länge: 84 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

AlloCiné über „Die Odyssee“

Filmportal über „Die Odyssee“

Moviepilot über „Die Odyssee“

Rotten Tomatoes über „Die Odyssee“

Wikipedia über „Die Odyssee“


TV-Tipp für den 30. April: The Master

April 29, 2022

Servus TV, 20.15

The Master (The Master, USA 2012)

Regie: Paul Thomas Anderson

Drehbuch: Paul Thomas Anderson

USA, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg: Ex-Soldat Freddie Quell (Joaquin Phoenix) driftet ständig alkoholisiert durch die USA. Bis er auf Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman) trifft. Dodd ist ein Guru, der eine Schar devoter Jünger und vermögender Spender um sich versammelt hat. Jetzt will er Quell zu einem Mitglied seiner Sekte machen.

TV-Premiere; – unglaublich, aber wahr: das Meisterwerk läuft erst über neun Jahre nach seinem deutschen Kinostart im TV.

Packendes, grandios inszeniertes Schauspielerduell, in dem Paul Thomas Anderson einem großen Auftritt von Hoffman oder Phoenix immer mehr Zeit einräumt als einer stringent entwickelten Geschichte. Dazu gibt es auch einige Einblicke in die Techniken, mit denen Gurus Menschen manipulieren.

mit Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams, Jesse Plemons, Laura Dern, Barlow Jacobs, Ambyr Childers, Rami Malek

Wiederholung: Sonntag, 1. Mai, 01.00 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „The Master“

Wikipedia über „The Master“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Paul Thomas Andersons „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ (Inherent Vice, USA 2015)

Meine Besprechung von Paul Thomas Andersons „Der seidene Faden“ (Phantom Thread, Großbritannien 2017)

Meine Besprechung von Paul Thomas Andersons „Licorice Pizza“ (Licorice Pizza, USA 2021)


Neu im Kino/Filmkritik: Über Gaspar Noés „Vortex“

April 29, 2022

Beginnen wir mit der Wohnung in der das ältere Ehepaar anscheinend schon seit Jahrzehnten lebt und die das Flair einer seit den sechziger Jahren nicht mehr renovierten Wohnung ausstrahlt. Sie ist groß, aber auch zu klein. Viel zu klein. Sie ist vollgestopft mit Büchern und Erinnerungen an ihr gemeinsames und berufliches Leben. Das sind unter anderem Videocassetten, Plakate und Requisiten (vulgo Staubfänger) von Filmen. Und viele Büchern. Also wirklich immens viele Bücher, die auch noch alle aussehen, als seine sie mehrmals gelesen worden. Sogar auf dem Klo stapeln die Bücher sich ohne eine erkennbare Ordnung. Das habe ich bei mir noch nicht geschafft.

Bewohnt wird diese bewohnbare Bücherkammer von zwei Menschen, die im Film nur Sie/Mutter und Er/Vater heißen. Sie wird gespielt von Françoise Lebrun. Bekannt wurde sie 1973 mit Jean Eustaches „Die Mama und die Hure“. Zu ihren jüngeren Filmen gehören „Schmetterling und Taucherglocke“, „Séraphine“, „Julie & Julia“, „Die Nonne“, „Die Entführung des Michel Houellebecq“ und „Porto“.

Er wird gespielt von Dario Argento in seiner ersten Hauptrolle. In seinen Filmen hatte er ab und an Cameos, einmal sah man seine Hände und er war auch öfters in der Originalfassung der Erzähler. Zu seinen Filmen gehören die Giallos „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ (sein Regiedebüt), „Rosso – Die Farbe des Todes“ (Profondo Rosso), „Suspiria“, „Tenebre“ und „Terror in der Oper“ (Opera). Er war auch am Drehbuch von „Spiel mir das Lied vom Tod“ beteiligt und er erstellte den legendären Europa-Cut von George A. Romeros „Zombie“ (Dawn of the Dead). Davor war er Filmkritiker. Diesen Beruf übte er jetzt auch in „Vortex“ aus. Seine Frau war Psychoanalytikerin. Jetzt hat sie Alzheimer in einem fortgeschrittenem Stadium. Sie vergisst immer mehr Sachen. Damit ist auch klar, in welche Richtung sich der Film, der mit einem glücklichen Moment zwischen beiden beginnt, bewegen wird und wie er endet. Denn beide sind immer weniger im Besitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte.

Aber wie Gaspar Noé diese sich im Lebenstempo alter Menschen entfaltende Geschichte erzählt, ist dann doch ungewöhnlich. Gedreht wurde ohne ein Drehbuch. Es gab nur eine ungefähr fünfzehnseitige Skizze. Sie war die Basis für die Improvisationen von Lebrun, Argento, ihrem Filmsohn Alex Lutz und einigen weiteren Schauspielern in kleineren Rollen. Noé, der ursprünglich nur in einigen Szenen die Splitscreen-Technik anwenden wollte, änderte während des Drehs seine Meinung. Jetzt läuft der gesamte Film in meistens zwei getrennten Bildern ab, die jeweils die halbe Leinwand beanspruchen und durch einen schwarzen Balken deutlich voneinender getrennt sind. Es sind Bilder und eine Gestaltung, die sich der üblichen Schnittdramaturgie widersetzen. Oft beobachtet Noé sie und ihn in langen Szenen. Oft ohne, selten mit wenigen Schnitten, die in dem Moment ein kleiner Zeitsprung sind. Durch die Gleichzeitigkeit der Präsentation von Ereignissen entsteht eine eigentümliche Spannung. Normalerweise würde zwischen ihr, die sich in ihrer Demenz vom Hinterhof auf die Straße verirrt und einkaufen geht, und ihm, dem irgendwann in der Wohnung auffällt, dass sie schon länger weg ist und er sie sucht, hin und her geschnitten. Jetzt beobachten wir gleichzeitig auf der linken und rechten Bildhälfte, was sie und er tut.

Es sind auch Bilder, die eine große Ruhe ausstrahlen, wenn sie am Filmanfang gemeinsam im Bett liegen. Dann steht sie auf, macht ihre Morgentoilette und bereitet das Frühstück vor, während er langsam aufsteht. Am Frühstückstisch treffen sie sich wieder.

Diese Inszenierung zeigt eindrücklich, wie getrennt sie voneinander sind und wie sehr sie doch noch zusammen leben.

Vortex“ ist kein einfacher Film. Das liegt an der formalen Gestaltung mit dem durchgehend geteiltem Bild und den langen Szenen, in denen oft wenig bis nichts passiert. Außer dem Warten auf den Tod. Das liegt auch an der Geschichte, die langsam und humorfrei auf das Ende zusteuert und dabei manchmal wie ein Horrorfilm wirkt. Auch weil wir nicht wissen, was die Mutter und der Vater im nächsten Moment tun und ob sie wissen, was sie tun. Noé sagt zu seinem neuesten Film: „Es ist einfach die Geschichte eines genetisch programmierten Zerfalls, bei dem das ganz Kartenhaus in sich zusammenfällt.“

Vortex (Vortex, Frankreich/Belgien 2021)

Regie: Gaspar Noé

Drehbuch: Gaspar Noé

mit Dario Argento, Françoise Lebrun, Alex Lutz, Kylian Dheret

Länge: 142 Minuten

FSK: ab 12 Jahre (aber kein Film für Zwölfjährige)

Hinweise

AlloCiné über „Vortex“

Moviepilot über „Vortex“

Metacritic über „Vortex“

Rotten Tomatoes über „Vortex“

Wikipedia über „Vortex“ (englisch, französisch)

Meine Besprechung von Gaspar Noés „Love 3D“ (Love, Frankreich/Belgien 2015)

Meine Besprechung von Gaspar Noés „Climax“ (Climax, Frankreich 2018)


Neu im Kino/Filmkritik: „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ weil ihr Sohn Murat in Guantanamo ist

April 29, 2022

Im Oktober 2001, also wenige Wochen nach dem 11. September 2001 und den die Welt erschütternden terroristischen Anschlägen von al-Qaida auf das World Trade Center und andere US-Gebäude, fliegt der neunzehnjährige Murat Kurnat von Frankfurt am Main nach Pakistan. Dort wird er verhaftet und kurz darauf nach Guantanamo gebracht. Er soll ein islamistischer Terrorist sein. Die Presse nennt ihn, nachdem sie von seiner Verhaftung erfährt, den ‚Bremer Taliban‘.

In Bremen erfährt seine Mutter Rabiye Kurnaz davon. Sie will ihren Sohn zurückhaben und beginnt dafür Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen. Ihr Helfer wird der Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke. Beide sind ein filmreifes Paar: hier die übergewichtige hochemotionale türkische Mutter, die mit ihren Gefühlen, Ansprüchen und auch ihrem übergriffigen Umsorgen alle erdrückt, dort der unterernährte, nordisch spröde, gebildete Schlacks, sympathisch links-alternativ und kundig in Rechtsfragen.

Sie beginnen einen jahrelangen Kampf um Murats Entlassung. Ihre Gegner sind die deutsche, türkische und amerikanische Regierung und der Sicherheitsapparat, der in jedem Muslim einen Terroristen vermutet. Vor allem wenn er in die Hochburg der Terroristen fliegt.

Andreas Dresen und seine Stammautorin Laila Stieler verfilmten jetzt diese Geschichte als ein Feelgood-Justizdrama. Das liegt an den beiden gegensätzlichen Hauptfiguren, die von Alexander Scheer und Meltem Kaptan nah an den realen Vorbildern gespielt werden. Scheer ist als wandlungsfähiger Schauspieler bekannt. So spielte er in Dresens „Gundermann“ den titelgebenden DDR-Liedermacher. Kaptan ist vor allem als Comedienne bekannt, die hier ihr Kinodebüt gibt. Auf der Berlinale wurde sie für diese Rolle als beste Darstellerin ausgezeichnet. Ihr Zusammenspiel und ihre Einzelauftritte sind immer gut für einen Lacher. Zum Beispiel wenn Rabiye als Autofahrerin mal wieder fröhlich alle Verkehrsregeln missachtet.

Der Fall selbst wird akkurat aufgedröselt. Die großen Skandale und damaligen Diskussionen über den Rechtsstaat und seine Grenzen im Kampf gegen den Terrorismus werden angesprochen, aber nicht vertieft. Dazu gehört auch der perfide Versuch, Murat Kurnaz seine Aufenthaltsgenehmigung zu entziehen, weil er sich (in Guantanamo sitzend) nicht bei der Ausländerbehörde meldete. Die juristische Grundlage dafür lieferte Hans-Georg Maaßen, der damals Referatsleiter im Bundesinnenministerium war. Sein Name wird im Film nicht erwähnt. Dass Murat Kurnaz in Guantanamo gefoltert wird, wird im Film zwar erwähnt, aber das ist da nur Hörensagen. Kurnaz selbst schrieb über seine Haft in Guantanamo 2007 das Buch „Fünf Jahre meines Lebens“. Stefan Schaller verfilmte es 2013 gelungen als „5 Jahre Leben“.

Dresen und Stieler entschieden sich dafür, Rabiye Kurnaz in den Mittelpunkt zu stellen und all die politischen und juristischen Dimensionen des Falles herunterzukochen zu einem Hollywood-Drama, in dem eine Mutter darum kämpft, ihren Sohn wieder umarmen zu dürfen. Garnieren tun sie es mit einer ordentlichen Portion Humor.

Das führt dazu, dass am Ende alle Rabiye die Daumen drücken können und sich mit ihr freuen dürfen, wenn sie am 24. August 2006 ihren Sohn wieder umarmen und mit ihrer überschwänglichen mütterlichen Liebe wieder bemuttern kann.

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush (Deutschland/Frankreich 2022)

Regie: Andreas Dresen

Drehbuch: Laila Stieler

mit Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Charly Hübner, Nazmi Kirik, Sevda Polat, Abdullah Emre Öztürk

Länge: 118 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“

Moviepilot über „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“

Rotten Tomatoes über „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“

Wikipedia über „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“

Meine Besprechung von Andreas Dresens „Als wir träumten“ (Deutschland/Frankreich 2015)

Meine Besprechung von Andreas Dresens James-Krüss-Verfilmung „Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“ (Deutschland 2017)

Meine Besprechung von Andres Dresens „Gundermann“ (Deutschland 2018)


TV-Tipp für den 29. April: Gegen die Zeit

April 28, 2022

Tele 5, 20.15

Gegen die Zeit (Nick of Time, USA 1995)

Regie: John Badham

Drehbuch: Patrick Sheane Duncan

Mr. Smith macht dem unscheinbarem Gene Watson ein Angebot, das er nicht ablehnen kann: wenn er in wenigen Minuten bei Wahlkampfauftritt in einem Hotel die Gouverneurin erschießt, lassen sie seine kleine Tochter wieder frei. Aber Watson möchte nicht zum Mörder werden.

Spannender Echtzeit-Thriller, der bei uns nur auf Video (DVD gab es damals noch nicht) veröffentlicht wurde.

intelligentes Katz-und-Maus-Spiel“ (Fischer Film Almanach 1997)

mit Johnny Depp, Christopher Walken, Peter Strauss, Courtney Chase, Charles S. Dutton, Gloria Reuben

Wiederholung: Freitag, 6. Mai, 02.05 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Gegen die Zeit“

Wikipedia über „Gegen die Zeit“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „Final Account“ – Zeitzeugengespräche mit SS-Mitgliedern

April 28, 2022

2008 führte Luke Holland das erste Interview für „Final Account“. In den folgenden zehn Jahren nahm er 250 Gespräche mit SS-Mitgliedern und Menschen auf, die anderweitig in die NS-Herrschaft involviert waren, aber nicht zu den wichtigen und bekannten Entscheidern gehörten.

Die Initialzündung für das Projekt lag in seiner Familiengeschichte. Seine Mutter war 1938 aus Wien nach England geflohen. Seine Großeltern mütterlicherseits wurden in einem Konzentrationslager ermordet. Er wurde 1948 in Ludlow, Großbritannien, geboren und wuchs in Paraguay in einer deutschsprachigen christlichen Gemeinschaft auf. Erst viel später erfuhr er, dass er Jude war. Anfang des Jahrhunderts wollte er mehr über seine Familiengeschichte erfahren. Dazu gehörten dann auch diese Interviews, in denen er herausfinden wollte, wer die Menschen waren, die seine Großeltern ermordeten. Zu dem Zeitpunkt arbeitete er als Regisseur und Produzent. Zu seinen Werken gehören die BBC-Serie „A Very English Village“, „Ich war Hitlers Sklave“ und „Good Morning, Mr. Hitler“.

Aus den Gesprächen, die insgesamt 500 Stunden umfassen, erstellte er den 94-minütigen Film „Final Account“. Es ist sein letzter Film. Er starb am 10. Juni 2020, drei Monate vor der Premiere des Films auf den Filmfestspielen von Venedig.

Final Account“ ist eine mit historischen Aufnahmen angereicherte Collage von Zeitzeugengesprächen. Die im Film präsentierten Zeitzeugen kamen zwischen 1914 und 1927 auf die Welt; die meisten von ihnen in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre. Sie waren Mitglieder der NSDAP, der SS, auch der SS-Leibstandarte Adolf Hitler und des SS-Totenkopfverband, der Wehrmacht, beim Bund Deutscher Mädchen, Kindermädchen bei einer SS-Familie und Buchhalterin.

Holland lässt sie reden. Er fragt manchmal nach und er stellt das Gesagte auch in einen hier in Deutschland allgemein bekannten Kontext. In anderen Ländern ist das anders. Er konzentriert sich in seinem Dokumentarfilm auf die Seite der Täter, wie sie die Zeit wahrgenommen haben und wie sie sie heute wahrnehmen. Also wie sich Neunzigjährige an ihre Pubertät und die ersten Jahre ihres Erwachsenenlebens erinnern und was sie von ihren damaligen Taten und Ansichten halten.

Für Nicht-Deutscher ist sicher erschreckend, wie sehr die SS-Mitglieder ihre Beteiligung kleinreden, wie stolz sie auf ihre Arbeit sind, wie wenig Reue sie zeigen und wie sehr sie die schlimmen Seiten der Nazi-Diktatur verdrängen.

Zwanzigjährige und jüngere Deutsche werden das vielleicht ähnlich sehen.

Für alle anderen, also für alle Deutschen, die über Dreißig sind, ist der Dokumentarfilm das filmische Äquivalent zur Familienfeier mit dem Nazi-Opa und der Nazi-Oma, die begeistert von den schönsten Jahren ihres Lebens erzählen.

Sie erfahren beim Ansehen des Films nichts neues. Stattdessen müssen sie neunzig Minuten zuhören, wie SS-Leute ihre Vergangenheit verklären. Dafür müssen sie nicht ins Kino gehen.

Final Account (Final Account, Großbritannien/USA 2020)

Regie: Luke Holland

Drehbuch: Luke Holland

Länge: 94 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Final Account“

Metacritic über „Final Account“

Rotten Tomatoes über „Final Account“

Wikipedia über „Final Account“


TV-Tipp für den 28. April: Drei Tage und ein Leben

April 27, 2022

WDR, 23.45

Drei Tage und ein Leben (Trois jours et une vie, Frankreich 2019)

Regie: Nicolas Boukhrief

Drehbuch: Pierre Lemaitre, Perrine Margaine

LV: Pierre Lemaitre: Trois jours et une vie, 2016 (Drei Tage und ein Leben)

Kurz vor Weihnachten verschwindet in den belgischen Ardennen ein Kind. Die Suche verläuft ergebnislos. Auch weil der zwölfjährige Antoine, der weiß, was passiert ist, schweigt. Fünfzehn Jahre später kehrt er in das Dorf zurück.

TV-Premiere. Ruhiger Thriller, der an Claude Chabrols schwarzhumorige Abrechnungen mit dem französischen Bürgertum erinnert. Auch wenn die Geschichte in Belgien spielt.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Sandrine Bonnaire, Pablo Pauly, Charles Berling, Philippe Torreton, Margot Bancilhon, Jeremy Senez, Dimitri Storoge, Arben Bajraktaraj

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

AlloCiné über „Drei Tage und ein Leben“

Moviepilot über „Drei Tage und ein Leben“

Wikipedia über „Drei Tage und ein Leben“

Meine Besprechung von Nicolas Boukhriefs „Drei Tage und ein Leben“ (Trois jours et une vie, Frankreich 2019)


Literarischer Frühjahrsputz: ein gutes Dutzend Buchempfehlungen

April 27, 2022

Ich muss unbedingt meinen Schreibtisch aufräumen. Deshalb gibt es jetzt einen Schwung  kurzer Besprechungen von Büchern, die ich teilweise schon vor Monaten gelesen habe. Aus verschiedenen Gründen kam ich nicht dazu, sie zu besprechen; wobei der Hauptgrund ein aus vier Buchstaben bestehendes, mit „Z“ beginnendes Wort ist.

Also dann, ohne weitere Vorbemerkungen:

Ursula López lernten wir in „Falsche Ursula“ kennen. In dem Roman verwechselten einige dusselige Entführer sie mit einer anderen Ursula. Ursula nahm die Gelegenheit wahr. Sie mischte sich in die Pläne der Entführer ein und entdeckte dabei ungeahnte kriminelle Talente. Das erkleckliche Lösegeld konnte sie auch gut gebrauchen.

In „Krokodilstränen“ und „Der Ursula-Effekt“ erzähl Mercedes Rosende die in Montevideo spielende Geschichte von Ursula weiter. Sie gerät in neue kriminelle Abenteuer, wir erfahren einiges über ihre Vergangenheit und vor allem, dass sie gar nicht so unschuldig ist, wie wir in „Falsche Ursula“ geglaubt haben.

Die drei schwarzhumorigen Krimis sollten chronologisch gelesen werden. Im Gegensatz zu anderen Trilogien bauen sie wirklich aufeinander auf. Der eine Roman schließt unmittelbar an den vorherigen Roman an und die Ereignisse und Verwicklungen werden konsequent weitererzählt bis zum großen Finale. Eigentlich sind die drei Bücher ein einziger großer Roman.

Mercedes Rosende: Krokodilstränen

(übersetzt von Peter Kultzen)

Unionsverlag, 2020

224 Seiten

12,95 Euro

Deutsche Erstausgabe

Unionsverlag, 2018

Originalausgabe

El Miserere des los Cocodrilos

Estuario Editora, 2016

Mercedes Rosende: Der Ursula-Effekt

(übersetzt von Peter Kultzen)

Unionsverlag, 2021

288 Seiten

18 Euro

Originalausgabe

Qué ganas de no verte nunca más

Editorial Planeta, 2019

Hinweise

Unionsverlag über Mercedes Rosende

Wikipedia über Mercedes Rosende

Meine Besprechung von Mercedes Rosendes „Falsche Ursula“ (Mujer equivocada, 2011/2017)

In einer neuen Übersetzung ist jetzt Neal Stephensons grandioser Cyberpunk-Roman „Snow Crash“ wieder erschienen.

Im Mittelpunkt des Pageturners steht der Hacker Hiro Protagonist. In der Realität schlägt er sich schlechtbezahlt als Pizza-Ausliefer für den Mafiosi Onkel Enzo und als Freier Informant der Central Intelligence Corporation durch. In der virtuellen Realität, dem Metaverse, ist er der beste Schwertkämpfer dieser Welt. Dort entdeckt er den Computervirus Snow Crash. Dieser Virus kann nicht nur Computer, sondern auch Menschen befallen und töten. Nachdem einer seiner Freunde durch ihn stirbt, nimmt er den Kampf gegen den tödlichen Virus auf.

Als „Snow Crash“ 1992 im Original und 1994 auf Deutsch erschien, wurde der Roman in der Science-Fiction-Gemeinschaft sofort als bahnbrechendes Werk anerkannt und zum Klassiker der Science-Fiction-Literatur. Für seinen nächsten Roman „Diamond Age“ erhielt Neal Stephenson den Hugo und Locus Award. Der Rest ist Geschichte.

Snow Crash“ ist ein abgefahrenes Lese-Vergnügen, das uns damals Dinge erklärte, die es noch nicht gab. Denn in den frühen Neunzigern war das Internet nur etwas für ganz wenige Nerds, Cyberspace etwas für Science-Fiction-Romane und die „Matrix“ gab es noch nicht.

Ein Trip, zu dem Sie nicht Nein sagen können.

Neal Stephenson: Snow Crash

(übersetzt von Alexander Weber)

FISCHER Tor, 2021

576 Seiten

16,99 Euro

Deutsche Erstausgabe (übersetzt von Joachim Körber)

Goldmann Verlag, 1994

Originalausgabe

Snow Crash

Bantam Books, 1992

Hinweise

Homepage von Neal Stephenson

Wikipedia über „Snow Crash“ (deutsch, englisch) und Neal Stephenson (deutsch, englisch)

Fratelli“ ist keine Verherrlichung vom Drogenkonsum und auch keine Philippika dagegen, sondern ein nostalgisches ‚So ist es‘. Alessandro Tota erzählt vom Leben der beiden Brüder Cosimo und Nerone und ihren Freunden in der süditalienischen Hafenstadt Bari in den Neunzigern. Sie leben in den Tag hinein, nehmen Drogen und wollen (erfolglos) mit Betrügereien zu Geld kommen. Denn ihre Pläne misslingen mit fast hunderprozentiger Sicherheit.

So ist das Leben von Möchtegern-Kleingangstern halt. Auch wenn einer von ihnen ein begnadeter Zeichner ist.

Alessandro Tota: Fratelli

(übersetzt von Myriam Alfano)

Reprodukt, 2021

160 Seiten

20 Euro

Originalausgabe

Fratelli

Coconino Press, Bologna, 2011

Hinweis

Reprodukt über Alessandro Tota

Die!Die!Die!“ ist eine neue Serie von „The Walking Dead“-Erfinder Robert Kirkman, die er zusammen mit Scott M. Gimple (u. a. Showrunner und mehrere Drehbücher für die TV-Serie „The Walking Dead“) und Zeichner Chris Burnham schreibt. Bei Cross Cult sind die beiden in den USA erhältlichen Sammelbände erschienen. In den Comics geht es um eine geheime Killertruppe der Regierung der USA, die skrupellos, chaotisch und mit einem drastischen Vokabular mordet.

Das ist in seiner unbändigen Lust auf Vulgärvokabular und garantiert nicht-jugendfreie Gewaltexzesse hoffnungslos übertrieben. Die Story schwankt zwischen ’nicht vorhanden‘ und ’nicht nachvollziehbar‘. Das ist aber egal, wenn am Ende des zweiten Sammelbandes Barack Obama in den Boxring steigt.

Trotz des Cliffhanger-Endes am Ende des zweiten „Die!Die!Die!“-Sammelbandes sind seitdem in den USA keine weiteren Hefte erschienen.

Robert Kirkman/Scott M. Gimple/Chris Burnham/Nathan Fairbairn: Die!Die!Die! (Band 1)

(übersetzt von Franz He)

Cross Cult, 2019

200 Seiten

22 Euro

Originalausgabe

Die!Die!Die! – Volume 1

Skybound/Image Comics 2019

enthält

Die!Die!Die! # 1 – 8

Robert Kirkman/Scott M. Gimple/Chris Burnham/Nathan Fairbairn: Die!Die!Die! (Band 2)

(übersetzt von Franz He)

Cross Cult, 2021

144 Seiten

22 Euro

Originalausgabe

Die!Die!Die! – Volume 2

Skybound/Image Comics 2021

enthält

Die!Die!Die! # 9 – 14

Hinweise

Wikipedia über Robert Kirkman (deutsch, englisch)

Kriminalakte: Meine Gesamtbesprechung der ersten zehn „The Walking Dead“-Bände

 Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead 11: Jäger und Gejagte“ (The Walking Dead Vol. 11: Fear the hunters)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead 12: Schöne neue Welt“ (The Walking Dead Vol. 12: Life among them)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead 13: Kein Zurück“ (The Walking Dead Vol. 13: Too far gone, 2011)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead 14: In der Falle“ (The Walking Dead Vol. 14: No way out, 2011)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns “The Walking Dead 15: Dein Wille geschehe” (The Walking Dead Vol. 15: We find ourselves, 2012)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Eine größere Welt (Band 16)“ (The Walking Dead, Vol. 16: A larger world, 2012)

 Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Fürchte dich nicht (Band 17)“ (The Walking Dead, Vol. 17: Something to Fear, 2013)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Grenzen (Band 18)“ (The Walking Dead, Vol. 18: What comes after, 2013)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Auf dem Kriegspfad (Band 19)“ (The Walking Dead, Vol. 19: March to War, 2013)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Stefano Gaudiano/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Krieg – Teil 1 (Band 20)“ (The Walking Dead, Vol. 20: All Out War, Part One, 2014)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Tony Moore/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead – Die Cover, Volume 1“ (The Walking Dead: The Covers, Vol. 1, 2010)

Meine Besprechung der TV-Serie „The Walking Dead – Staffel 1“ (USA 2010)

Meine Besprechung der TV-Serie „The Walking Dead – Staffel 2“ (USA 2011/2012)

Meine Besprechung der TV-Serie “The Walking Dead – Staffel 3″ (USA 2013)

Kriminalakte: das Comic-Con-Panel zur TV-Serie

“The Walking Dead” in der Kriminalakte 

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Nick Spencer (Autoren)/Shawn Martinbroughs (Zeichner) „Dieb der Diebe: „Ich steige aus“ (Band 1)“ (Thief of Thieves # 1 – 7, 2012)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Phil Hester/Cory Walker/Khary Randolphs „Ant-Man Megaband “ (The Irredeemable Ant-Man, 2006/2007)

Lange, eigentlich so lange, dass niemand mehr mit einer dritten „Batman: Erde Eins“-Geschichte gerechnet hat, hat es gedauert, bis Autor Geoff Johns und Zeichner Gary Frank jetzt ihre Batman-Geschichte weitererzählen. Denn Volume 1 erschien 2012, Volume 2 2015 und dann gab es nur noch Ankündigungen, dass auch ein dritter Band erscheinen soll.

Erde Eins ist im DC-Kosmos eine Parallelwelt, in der bekannte Superhelden, unabhängig von ihren anderen Abenteuern, neu interpretiert werden. Auch in dieser Welt wacht Batman über Gotham City. Inzwischen wird die Stadt von Jessica Dent, der Zwillingsschwester von Harvey Dent, regiert. Sie ist mit Bruce Wayne liiert. Ihr Bruder starb am Ende des zweiten Bandes.

Jetzt scheint er zurückgekehrt zu sein und er beginnt die Bösewichter von Gotham unter seiner Führung zu vereinen.

Mehr soll über das feine Batman-Abenteuer nicht verraten werden.

Geoff Johns/Gary Frank: Batman: Erde Eins – Band 3

(übersetzt von Ralph Kruhm)

Panini, 2021

164 Seiten

19 Euro

Originalausgabe

Batman: Earth One – Volume Three

DC, 2021

Hinweise

Homepage von Geoff Jones

DC Comics über „Batman: Earth One“

Meine Besprechung von Geoff Johns/Gary Franks „Batman: Erde eins“ (Batman: Earth One, 2012)

Bleiben wir noch einen Moment in Gotham City.

Panini veröffentlichte jetzt Alan Moores erstmals 1988 erschienene, mit dem Eisner Award ausgezeichnete Batman-Geschichte „Killing Joke- Ein tödlicher Witz“ in Schwarz-Weiß und in einem größeren Format.

In dieser Geschichte mietet der Joker einen verlassenen Rummelplatz. Dort versteckt er den von ihm entführten Polizeichef von Gotham City, James Gordon. Er verlangt allerdings kein Lösegeld. Er will, dass Gordon verrückt wird.

Zusätzlich zu dieser Joker-Geschichte gibt es die jeweils nur wenige Seiten umfassenden Geschichten „Die Entstehung des Jokers“ (The Origin of the Joker, September 2007) und „Ein ganz normaler Typ“ (An innocent Guy, September 1996) und eine fast fünfzigseitigen Cover-Galerie.

Alan Moore/Brian Bolland: Batman Noir: Killling Joke – Ein tödlicher Witz

(übersetzt von Steve Kups)

Panini, 2022

112 Seiten

23 Euro

Originalausgabe/enthält

Batman: The Killing Joke

DC, Juli 1988

Hinweise

Comic Book Database über Alan Moore

Alan-Moore-Fanseite (etwas veraltet)

Wikipedia über Alan Moore (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Alan Moore/Dave Gibbons’ „Watchmen” (Watchmen, 1986/1987)

Meine Besprechung von Alan Moore/Eddie Campbells “From Hell” (From Hell, 1999)

Meine Besprechung von Alan Moore (Manuskript, Original-Drehbuch)/Malcolm McLaren (Original-Drehbuch)/Antony Johnston (Comic-Skript)/Facundo Percio (Zeichnungen) „Fashion Beast: Gefeuert (Band 1)“ (Fashion Beast # 1 – 5, 2012/2013)

Meine Besprechung von Alan Moore/Kevin O’Neills „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: 2009“ (The League of Extraordinary Gentlemen #3: 2009, 2011)

Meine Besprechung von Alan Moore/Kevin O’Neills „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: Das schwarze Dossier“ (The League of Extraordinary Gentlemen: Black Dossier, 2007)

Meine Besprechung von Alan Moore/Jacen Burrows’ „Neonomicon“ (The Courtyard, 2003; Neonomicon #1 – 4, 2010/2011)

Meine Besprechung von Alan Moore/Gabriel Andrades „Crossed + Einhundert (Band 1)“ (Crossed plus one hundred # 1 – 6, 2015)

Meine Besprechung von Alan Moore/Kevin O’Neills „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen – Band 3: Century“ (The League of extraordinary Gentlemen, Volume III: Century # 1: 1910, #2: 1969, #3: 2009; 2009/2011/2012)

Meine Besprechung von Alan Moore/Tony S. Daniel/Kevin Conrads „Spawn: Bloodfeud – Blutfehde“ (Spawn: Blood Feud, 1995)

Meine Besprechung von Alan Moore/Kevin O’Neills „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: Nemo – Fluss der Geister“ (Nemo: River of Ghosts, 2015)

Meine Besprechung von Alan Moore/Jacen Burrows‘ „Providence – Band 1“ (Providence, #1 – 4, 2015)

Meine Besprechung von Alan Moore/Ian Gibson/Barbara Nosenzos „Die Ballade von Halo Jones – Band 1“ (The Ballad of Halo Jones, 1984)

Meine Besprechung von Alan Moore/Ian Gibson/Barbara Nosenzos „Die Ballade von Halo Jones – Band 2“ (The Ballad of Halo Jones, 1984)

Meine Besprechung von Alan Moore/Ian Gibson/Barbara Nosenzos „Die Ballade von Halo Jones – Band 3“ (The Ballad of Halo Jones, 1986)

In zwei Bänden liegen jetzt (lies: schon länger) alle von Simon Spurrier geschriebenen „John Constantine: Hellblazer“-Geschichten vor. Alan Moore hat John Constantine als einen kettenrauchenden, Trenchcoat tragenden Okkultisten und Privatdetektiv erfunden. Zu den späteren Autoren gehören Garth Ennis, Warren Ellis, Brian Azzarello, Denise Mina, und Neil Gaiman.

15 Jahre nach dem magischen Krieg kehrt John Constatine zurück nach London. Die letzten Jahre verbrachte er, abgeschirmt von der Welt, in der Ravenscar-Klinik. In London muss er sich erst einmal an die neue Realität gewöhnen. London ist sauber, in den Pubs wird nicht mehr geraucht, Telefonzellen gibt es nicht mehr und er muss sich ein Smartphone besorgen. Er macht neue Bekanntschaften und trifft alte Bekannte, wie den Zauberer Timothy Hutton, wieder.

Noch während er versucht, sich anzupassen, ist er wieder in Schwierigkeiten.

Für Neueinsteiger ist dieser Neustart natürlich ein guter Beginn, um in die Welt von Constantine einzutauchen. Allerdings schwanken die einzelnen Geschichten für mein Empfinden zu unentschlossen zwischen Einzelgeschichten und einer ab und zu angedeuteten größeren Geschichte. Einige Figuren erfahren auch einen etwas lieblosen Umgang. So sind die beiden im DC Black Label erschienenen Bände dann doch eine etwas enttäuschende Lektüre.

Die Serie wurde nach dem zwölften Heft wegen der Coronavirus-Pandemie eingestellt.

Simon Spurrier/Aaron Campbell: John Constantine: Hellblazer – Band 1 (DC Black Label)

(übersetzt von Josef Rother)

Panini, 2020

220 Seiten

23 Euro

Originalausgabe/enthält

The Sandman Universe presents Hellblazer 1

John Constantine: Hellblazer # 1 – 6

Books of Magic 14

DC, 2019/2020

Simon Spurrier/Aaron Campbell/Matías Bergara: John Constantine: Hellblazer – Band 2 (DC Black Label)

(übersetzt von Joseph Rother)

Panini, 2021

172 Seiten

19 Euro

Originalausgabe/enthält

John Constantine: Hellblazer # 7 – 12

DC, 2020

Hinweise

Homepage von Simon Spurrier

Wikipedia über John Constantine (deutsch, englisch), und Simon Spurrier

Meine Besprechung von Simon Spurrier/Fernando Heinz/Fafael Ortiz‘ „Crossed + Einhundert: Band 2“ (Crossed plus one hundert # 7 – 12, 2016)

Meine Besprechung von Simon Spurrier/Rafael Ortiz/Martin Tunica‘ „Crossed + Einhundert: Band 3“ (Crossed plus one hundert # 13 – 18, 2016)

Zum Abschluss noch ein Buch, das vor allem etwas für historisch interessierte Comicfans ist. „Die Eiserne Hand – Der Unsichtbare“ von Autor Ken Bulmer und Zeichner Jesús Blasco ist ein Serial, das im Original im britischen Comic-Magazin „Valiant“ von 1962 bis 1973 in 472 Episoden erschien. Jede Folge bestand aus zwei Seiten. Entsprechend atemlos, wendungsreich und auch sinnfrei schreitet die Handlung voran. Aufgrund des Formats musste jede Woche eine kleine Story erzählt werden.

In Deutschland erschienen die Geschichten im „Kobra“-Magazin. Für die Buchausgabe wurde eine neue Übersetzung erstellt und auch einige Anpassungen vorgenommen, die teils wieder näher beim Original sind, teils nicht. So wurden die Namen der Protagonisten nicht verändert (damals wurde Louis Crandell zu Bert Crandell). Der Verweis auf „die kommende Woche“, also auf das nächste Heft, und die Zusammenfassung am Textanfang (also alle zwei Seiten) wurde verändert. Letztendlich ging es um das Schaffen eines Leseerlebnisses, das die Serialität des Originals beibehält und heute als Sammelband lesbar ist.

Die titelgebende Eiserne Hand (im Original: Steel Claw) ist der Forscher Louis Crandell. Bei einem Laborunfall wird er einer Strahlung ausgesetzt, die ihn unsichtbar macht. Man sieht nur noch seine künstliche Metallhand. Außerdem veränderte der Unfall seinen Charakter zum Schlechten.

Crandell beginnt ein Leben als Verbrecher. Nicht irgendein Verbrecher, sondern der Verbrecher, vor dem die ganze Welt Angst hat. Er überfällt eine Bank. Wenige Seiten später verübt er Anschläge auf Flugzeuge und Schiffe und er will in New York eine Megabombe zünden. Verfolgt wird er von seinem früheren Chef, Professor Barringer, und Inspector Lynch.

Die Eiserne Hand – Der Unsichtbare“ erschien jetzt in einer schönen großformatige Ausgabe mit informativen Vorbemerkungen von Steffen Volkmer, Joachim Guhde und Übersetzer Peter Mennigen.

Ken Bulmer/Jesús Blasco: Die Eiserne Hand – Der Unsichtbare

(übersetzt von Peter Mennigen)

Panini, 2021

116 Seiten

30 Euro

Originalausgabe/enthält

The Steel Claw

Valiant, 6. Oktober 1962 – 21. September 1963

Hinweis

Wikipedia über „Die Eiserne Hand“


TV-Tipp für den 27. April: Das Fenster zum Hof

April 26, 2022

One, 21.55

Das Fenster zum Hof (Rear Window, USA 1954)

Regie: Alfred Hitchcock

Drehbuch: John Michael Hayes

LV: Cornell Woolrich: Rear Window, 1942 (Das Fenster zum Hof, Kurzgeschichte)

Fotograf Jeffries liegt mit einem gebrochenen Bein in seinem Hinterhofzimmer und beobachtet gelangweilt seine Nachbarn. Eines Tages glaubt er, Mr. Thorwald habe seine Frau umgebracht. Aber wie kann er es beweisen?

Ein Meisterwerk. Ein perfekter Film über Männer und Frauen, über alle Facetten des Zusammenlebens (eigentlich der Unmöglichkeit des Zusammenlebens zwischen Mann und Frau) und über Voyeure – gedreht in einem einzigen Studio (der gesamte Hinterhof wurde dort „funktionsfähig“ nachgebildet) aus einer einzigen Perspektive (wir sind mit James Stewart in seinem Zimmer gefangen).

Mit James Stewart, Grace Kelly, Thelma Ritter, Raymond Burr

Wiederholung: Donnerstag, 28. April, 01.30 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Das Fenster zum Hof“

Wikipedia über „Das Fenster zum Hof“ (deutsch, englisch) und Alfred Hitchcock (deutsch, englisch)

Senses of Cinema (Ken Mogg) über Alfred Hitchcock

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 2“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 2″

Meine Besprechung von Alfred Hitchcocks “Mr. und Mrs. Smith” (Mr. and Mrs. Smith, USA 1941)

Meine Besprechung von Thilo Wydras “Alfred Hitchcock”

Alfred Hitchcock in der Kriminalakte

Meine Besprechung von Robert V. Galluzzos “Psycho Legacy” (The Psycho Legacy, USA 2010 – eine sehenswerte Doku über die “Psycho”-Filme mit Anthony Perkins, mit vielen Stunden informativem Bonusmaterial)

Meine Besprechung von Stephen Rebellos “Hitchcock und die Geschichte von ‘Psycho’” (Alfred Hitchcock and the Making of ‘Psycho’, 1990)

Meine Besprechung von Sacha Gervasis Biopic “Hitchcock” (Hitchcock, USA 2012)

Meine Besprechung von Henry Keazors (Hrsg.) “Hitchcock und die Künste” (2013)

Wikipedia über Cornell Woolrich (deutsch, englisch)

Krimi-Couch über Cornell Woolrich

Mordlust über Cornell Woolrich

DetNovel (William Marling) über Cornell Woolrich

Meine Besprechung von Robert Siodmaks Cornell-Woolrich-Verfilmung „Zeuge gesucht“ (Phantom Lady, USA 1943)

Cornell Woolrich in der Kriminalakte


Cover der Woche

April 26, 2022

Grandiose Krimikomödie. Leider nicht übersetzt.


TV-Tipp für den 26. April: Zeugin der Anklage

April 25, 2022

Hessen, 23.25

Zeugin der Anklage (Witness for the Prosecution, USA 1957)

Regie: Billy Wilder

Drehbuch: Larry Marcus, Billy Wilder, Harry Kurnitz

LV: Agatha Christie: The Witness for the Prosecution, 1925 (Kurzgeschichte, erschien ursprünglich als „Traitor’s Hands“ in Flynn’s, 31. Januar 1925, später unter dem heute bekannten Titel in der Kurzgeschichtensammlung „The Hound of Death and Other Stories, 1933; deutscher Titel: Zeugin der Anklage)

Hat Leonard Vole eine reiche Witwe erschlagen? Für Staranwalt Sir Wilfried hängt alles von der Aussage von Voles Frau Christine ab.

Prototyp aller Gerichtsfilme und immer noch weitaus spannender als die jüngeren Gerichtsthriller (obwohl die Pointe bekannt sein dürfte), mit – in glänzender Spiellaune – Marlene Dietrich, Charles Laughton, Tyrone Power

Das Drehbuch war für einen Edgar nominiert. „Die zwölf Geschworenen“ gewann ihn. Agatha Christie gefiel die Verfilmung sehr gut.

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Zeugin der Anklage“

Wikipedia über „Zeugin der Anklage“ (deutsch, englisch)

Homepage von Agatha Christie

Krimi-Couch über Agatha Christie

Meine Besprechung von Agatha Christies „Mord im Orientexpress“ (Murder on the Orient Express, 1934)

Meine Besprechung von John Guillermins Agatha-Christie-Verfilmung “Tod auf dem Nil” (Death on the Nile, Großbritannien 1978)

Meine Besprechung von Michael Winners Agatha-Christie-Verfilmung „Rendezvous mit einer Leiche“ (Appointment with Death, USA 1988)

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs Agatha-Christie-Verfilmung „Mord im Orientexpress“ (Murder on the Orient Express, USA 2017)

Meine Besprechung von Gilles Paquet-Brenner Agatha-Christie-Verfilmung „Das krumme Haus“ (Crooked House, USA 2017) (und Buchbesprechung)

Meine Besprechung von Kennetz Branaghs Agatha-Christei-Verfilmung „Tod auf dem Nil“ (Death on the Nile, USA/Großbritannien 2022) (und Buchbesprechung)


Ausgezeichnete Bücher: Über David Heska Wanbli Weidens „Winter Counts“

April 25, 2022

Virgil Wounded Horse ist ein privater Vollstrecker. Immer wenn die Reservatspolizei nicht zuständig ist und das eigentlich zuständige FBI nichts tun will, was ziemlich oft geschieht, wird er gebeten, für Gerechtigkeit zu sorgen. Das klingt jetzt vielleicht honorig, aber letztendlich ist er ein bezahlter Schläger.

Jetzt bittet ihn Ben Short Bear, Mitglied der Stammesregierung im Rosebud-Indianerreservat in South Dakota, etwas gegen Rick Crow zu unternehmen. Crow soll Heroin in das Reservat schmuggeln und die Jugendlichen abhängig machen. Rauschgifthandel ist so ein Verbrechen, bei dem eigentlich das FBI zuständig ist. Aber weil in diesem Fall nur Native Americans abhängig werden und sterben, interessieren sie sich nicht dafür.

Noch während Virgil überlegt, ob er den Auftrag annehmen soll, wird sein vierzehnjähriger Neffe Nathan ins Krankenhaus eingeliefert. Er wäre fast an einer Überdosis gestorben.

Das ist der Moment, in dem Virgil beschließt, gegen Crow vorzugehen.

Das ist auch der Moment, in dem David Heska Wanbli Weidens Kriminalromandebüt „Winter Counts“ die vertrauten Krimipfade verlässt. Bis dahin war es nur ein gut geschriebener, gut geplotteter Hardboiled-Krimi mit einem ungewöhnlichen Schauplatz. Schließlich spielen nur wenige Krimis in einem Indianerreservat und noch weniger Krimis benutzen das Reservat nicht nur als pittoreske Kulisse.

Die bekanntesten Indianerkrimis sind immer noch die Romane von Tony Hillerman. Zwischen 1970 und 2006 schrieb er achtzehn in Arizona im Navajo Reservat spielende Romane. Über die Jahre entstand durch die mit dem Land und den Menschen eng verknüpften Fälle auch eine Chronik des sich verändernden Lebens im Reservat. Besonders die sich über viele Seiten erstreckenden, sehr präzisen, eigentlich schon ethnographischen Schilderungen indianischer Riten trugen zum Erfolg der Bücher bei. Aktuell sind sie bei uns nur noch antiquarisch erhältlich.

Zu den neueren, auch bei uns erschienenen lesenswerten Krimiautoren, die sich mit dem heutigen Leben der Native Americans beschäftigen, gehören Marcie Rendon und jetzt auch David Heska Wanbli Weiden. Beide sind, im Gegensatz zu Hillerman und anderen Autoren, die ‚Native crime fiction‘ schreiben, Native Americans. Weil sie über ihre Erfahrungen und ihre Kultur schreiben, haben sie einen anderen Blick auf das Leben im Reservat.

Weidens Roman „Winter Counts“ ist ein überzeugender Hardboiled-Krimi mit glaubhaften Figuren, realistischen Verwicklungen (gut, wenn Virgil Nathan im Reservat sucht und er glaubt, ihn zufällig zu finden, ist das allein schon aufgrund der Größe des Reservats etwas unrealistisch) und einem ungeschöntem Einblick in das heutige Leben im Rosebud-Indianerreservat. Die Probleme, mit denen Virgil sich herumschlagen muss, sind so ähnlich auch in anderen Reservaten zu finden.

In den USA war der Noir in der Krimigemeinde ein Erfolg. Als erster Native erhielt Weiden den Anthony- und Thriller Award. Und er ist der zweite Native American, der für den renommierten Edgar Award nominiert wurde. Der Edgar wird seit 1946 verliehen.

Außerdem erhielt „Winter Counts“, normalerweise für das beste Debüt, den Barry Award, den Lefty Award, den Macavity Award und zwei Spur Awards. Dieser Preis wird seit 1953 von den Western Writers of America verliehen.

Winter Counts“ war außerdem, um noch schnell zwei Krimi-Preise zu nennen, nominiert für den Dashiell Hammett Prize und den Shamus Award und stand, wenig verwunderlich angesichts des Preisregens, auch auf einigen Jahresbestenliste.

Diese Preise zeigen vor allem, dass ich mit meiner Begeisterung nicht allein bin und dass inzwischen etliche Menschen auf das nächste Abenteuer von Virgil Woundet Horse warten.

David Heska Wanbli Weiden: Winter Counts

(übersetzt von Harriet Fricke) (mit Nachbemerkungen von James Anderson und Thomas Jeier)

polar Verlag, 2022

464 Seiten

16 Euro

Originalausgabe

Winter Counts

Ecco, 2020

Hinweise

Homepage von David Heska Wanbli Weiden

Zum Weiterlesen: David Heska Wanbli Weiden empfiehlt einige Krimis

Marcie Rendon unterhält sich mit David Heska Wanbli Weiden über seinen Roman

Stephen Graham Jones unterhält sich mit seinem Kollegen Weiden über Weidens Roman

Weiden im AWP Buchclub

und bei PowWows ist er ab Minute 14.30 dabei

 


TV-Tipp für den 25. April: Über den Todespass

April 24, 2022

Arte, 20.15

Über den Todespass (The Far Country, USA 1954)

Regie: Anthony Mann

Drehbuch: Borden Chase

Alaska, 1899, während es Klondike-Goldrauschs: Jeff Websters Viehherde stört in Skagway eine Hinrichtung. Als Strafe behält der örtliche Gesetzeshüter die Tiere. Jeff will das nicht akzeptieren – und das ist der Beginn vieler Abenteuer.

Westernklassiker und Teil der erfolgreichen, sich über acht Filme erstreckenden Zusammenarbeit zwischen Anthony Mann und James Stewart.

mit James Stewart, Ruth Roman, Carinne Calvet, Walter Brennan, John McIntire, Jay C. Flippen

Wiederholung: Mittwoch, 27. April, 14.15 Uhr

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Über den Todespass“

Wikipedia über „Über den Todespass“ (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 24. April: Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen

April 23, 2022

Pro7, 22.55

Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen (Doctor Sleep, USA 2019)

Regie: Mike Flanagan

Drehbuch: Mike Flanagan

LV: Stephen King: Doctor Sleep, 2013 (Doctor Sleep)

TV-Premiere. Was geschah nach den Ereignissen von „Shining“ mit Danny Torrace, dem Jungen, der das Shining hat? 2013 erzählte Stephen King das in „Doctor Sleep“ und 2019 verfilmte Mike Flanagan das Buch und setzte Stanley Kubricks Film fort.

Okaye Stephen-King-Verfilmung, die durchgehend zu nah am Buch und der unfilmischen Struktur des Buches bleibt. Das ist beim Lesen, wegen Stephen Kings Schreibstil, kein Problem. Beim Film vergeht dann viel Zeit, bis die Story endlich beginnt.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Ewan McGregor, Rebecca Ferguson, Kyliegh Curran, Cliff Curtis, Zahn McClarnon, Emily Alyn Lind, Selena Anduze, Robert Longstreet, Carl Lumbly, Bruce Greenwood, Jacob Tremblay, Henry Thomas

Die Vorlage

Stephen King: Doctor Sleep

(übersetzt Bernhard Kleinschmidt)

Heyne, 2019 (Filmausgabe)

720 Seiten

12,99 Euro

Deutsche Erstausgabe

Heyne, 2013

Originalausgabe

Doctor Sleep

Scribner, New York, 2013

Hinweise

Moviepilot über „Doctor Sleep“

Metacritic über „Doctor Sleep“

Rotten Tomatoes über „Doctor Sleep“

Wikipedia über „Doctor Sleep“ (deutsch, englisch)

Homepage von Stephen King

Mein Porträt zu Stephen Kings Geburtstag

Meine Besprechung von Stephen Kings/Richard Bachmans „Qual“ (Blaze, 2007)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Nachgelassene Dinge“ (The things they left behind) in Ed McBains „Die hohe Kunst des Mordens“ (Transgressions, 2005)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Colorado Kid“ (The Colorado Kid, 2005)

Meine Besprechung von Joe Hill/Stephen King/Richard Mathesons „Road Rage“ (Road Rage, 2012)

Meine Besprechung der auf Stephen Kings Novelle “The Colorado Kid” basierenden TV-Serie “Haven”

Meine Besprechung von Kimberly Peirces Stephen-King-Verfilmung “Carrie” (Carrie, USA 2013)

Meine Besprechung von Tod Williams‘ Stephen-King-Verfilmung „Puls“ (Cell, USA 2016)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Der dunkle Turm: Schwarz“ (The Dark Tower: The Gunslinger, 1982) und von Nikolaj Arcels Romanverfilmung „Der dunkle Turm“ (The dark Tower, USA 2017)

Meine Besprechung von Andy Muschiettis „Es“ (It, USA 2017)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Friedhof der Kuscheltiere“ (Pet Sematary, 1983) und Kevin Kölsch/Dennis Widmyers Romanverfilmung „Friedhof der Kuscheltiere“ (Pet Sematary, USA 2019)

Meine Besprechung von Andy Muschietti Stephen-King-Verfilmung „Es Kapitel 2″ (It Chapter 2, USA 2019)

Meine Besprechung von Mike Flanagans „Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen“ (Doctor Sleep, USA 2019) (wahrscheinlich einer der Filmtitel, die kein Mensch an der Kinokasse vollständig ausgesprochen hat)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Doctor Sleep“ (Doctor Sleep, 2013)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Später“ (Later, 2021)

Stephen King in der Kriminalakte, in seinem Trailer-Park und auf Europa-Tour


TV-Tipp für den 23. April: Mr. Holmes

April 22, 2022

SWR, 23.50

Mr. Holmes (Mr. Holmes, Großbritannien 2015)

Regie: Bill Condon

Drehbuch: Jeffrey Hatcher

LV: Mitch Cullin: A slight trick of the mind, 2005 (Neuausgabe als „Mr. Holmes“)

Sherlock Holmes, inzwischen ein alter Tattergreis, löst seinen letzten Fall.

Überzeugendes, auf mehreren Ebenen spielendes Schauspielerkino, das daran krankt, dass der Protagonist Sherlock Holmes sein soll und dass der Fall ziemlich durchschaubar ist. So durchschaubar, dass der echte Sherlock Holmes ihn innerhalb einer Mikrosekunde gelöst hätte.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Ian McKellen, Laura Linney, Milo Parker, Hiroyuki Sanada, Hattie Morahan, Patrick Kennedy, Nicholas Rowe

Hinweise

Moviepilot über „Mr. Holmes“

Metacritic über „Mr. Holmes“

Rotten Tomatoes über „Mr. Holmes“

Wikipedia über „Mr. Holmes“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Bill Condons „Inside Wikileaks – Die fünfte Gewalt“ (Inside Wikileaks, USA 2013)

Meine Besprechung von Bill Condons „Mr. Holmes“ (Mr. Holmes, Großbritannien 2015)

Meine Besprechung von Bill Condons „Die Schöne und das Biest“ (Beauty and the Beast, USA 2016)

Meine Besprechung von Bill Condons „The good Liar – Das alte Böse“ (The good Liar, USA 2019)

Homepage von Sir Arthur Conan Doyle (Erben)

Krimi-Couch über Sir Arthur Conan Doyle

Kirjasto über Sir Arthur Conan Doyle

Wikipedia über Sir Arthur Conan Doyle (deutsch, englisch)

Sherlockian.net (Einstiegsseite mit vielen Links)

Facebook-Seite der deutschen Sherlock-Holmes-Gesellschaft

Thrilling Detective über Sherlock Holmes

Meine Besprechung Arthur Conan Doyles „Sherlock Holmes – Sämtliche Werke in 3 Bänden“ (Die Erzählungen I, Die Erzählungen II, Die Romane) (3 Bände im Schuber)

Meine Besprechung von Arthur Conan Doyles “Sherlock Holmes Geschichten”, “Sherlock Holmes Kriminalgeschichten” und “The Adventures of Sherlock Holmes” (und hier eine Auflistung der in diesen Werken enthaltenen Geschichten)

Meine Besprechung von Arthur Conan Doyles „Sherlock Holmes – Seine Abschiedsvorstellung“ (His last Bow, 1917)

Meine Besprechung von Arthur Conan Doyles „Sherlock Holmes‘ Buch der Fälle“ (The Case-Book of Sherlock Holmes, 1927)

Meine Besprechung von Anthony Horowitz‘ „Das Geheimnis des weißen Bandes“ (The House of Silk, 2011)

Meine Besprechung von Anthony Horowitz‘ „Der Fall Moriarty“ (Moriarty, 2014)

Meine Besprechung von Mattias Boströms „Von Mr. Holmes zu Sherlock“ (Fran Holmes till Sherlock, 2013)

Meine Besprechung von Ian Edginton (Autor)/Davide Fabbris (Zeichner): Victorian Undead: Sherlock Holmes vs. Zombies! (Victorian Undead: Sherlock Holmes vs. Zombies, 2010)

Meine Besprechung von Ian Edginton (Autor)/Horacio Domingues/Davide Fabbris (Zeichner) „Victorian Undead: Sherlock Holmes vs. Dracula“ (Victorian Undead: Sherlock Holmes vs. Jekyll/Hyde; Victorian Undead: Sherlock Holmes vs. Dracula, 2010/2011)

Meine Besprechung von „Sherlock: Ein Fall von Pink“ (A Study in Pink, GB 2010)

Meine Besprechung von „Sherlock: Eine Legende kehrt zurück – Staffel 1“ (Sherlock, GB 2010)

Meine Besprechung von “Sherlock: Eine Legende kehrt zurück -Staffel 2″ (Sherlock, GB 2012)

Meine Besprechung von „Sherlock – Staffel 3“ (Sherlock, GB 2014)

Meine Besprechung von „Sherlock: Die Braut des Grauens“ (Sherlock: The Abominable Bride, Großbritannien 2016)

Mein Hinweis auf „“Sherlock: Eine Legende kehrt zurück – Staffel 4“ (Sherlock, GB 2017)

Meine Besprechung von “Sherlock: Ein Skandal in Belgravia” (A Scandal in Belgravia, GB 2012)

Meine Besprechung von Guy Ritchies „Sherlock Holmes: Spiel im Schatten“ (Sherlock Holmes: A Game of Shadows, USA 2011)

Meine Besprechung von Bill Condons „Mr. Holmes“ (Mr. Holmes, Großbritannien 2015)

Sherlock Holmes in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: „Die wundersame Welt des Louis Wain“ ist voller Katzen

April 22, 2022

Er malte Katzen und zwar so, dass H. G. Wells über ihn sagte: „Er erfand einen Stil für Katzen, eine Gesellschaft für Katzen, eine ganze Katzenwelt. Englische Katzen, die nicht so aussehen wie Katzen von Louis Wain, sollten sich was schämen.“

Dieser Louis Wain, der vom 5. August 1860 bis zum 4. Juli 1939 lebte, wird jetzt in einem Biopic von Benedict Cumberbatch gespielt. Für ihn ist das die Gelegenheit, seiner Kollektion außergewöhnlicher Figuren eine weitere mit vielen Marotten ausgestatteten Exzentriker hinzuzufügen. Schon in den ersten Minuten von „Die wundersame Welt des Louis Wain“ erscheint Louis Wan als ein höchst seltsamer Vogel. Nach dem Tod seines Vaters lebt der Zwanzigjährige in einem Haushalt mit seiner Mutter und seinen fünf Schwestern. Er muss sie, entsprechend den damaligen gesellschaftlichen Regeln, als Oberhaupt der Familie versorgen. Gleichzeitig ist er dafür vollkommen ungeeignet. Er kann keine Verantwortung übernehmen. Noch nicht einmal für sich selbst. Er ist schüchtern, schusselig und vollkommen verpeilt. Und er hat einen wahrlich atemberaubenden Zeichenstil. Er zeichnet, ohne auf das Papier zu gucken, gleichzeitig mit beiden Händen und hektischen Bewegungen seine Bilder. Diese sind, erstaunlicherweise, äußerst gelungen. Gerne zeichnet er Katzen, die er vermenschlicht. Anfangs verschenkt er die Bilder. Später wird er mit ihnen ein Vermögen machen. Obwohl ihn Geld absolut nicht interessiert. Und weil er sich nicht um die Rechte an seinen Bildern kümmert, ist das Geld auch schnell wieder weg.

Dazu kommen der frühe Tod seiner Frau Emily 1887 und seine über die Jahre zunehmenden psychischen Probleme. Er stellte Emily, auf das Drängen seiner Schwestern, als Gouvernante ein und verliebte sich sofort in sie. Wain litt an Schizophrenie und wohl noch einigen weiteren nicht diagnostizierten psychischen Krankheiten. Diese Probleme wurden so schlimm, dass er 1924 in die Armenstation im „Springfield Mental Hospital“ eingeliefert wurde. Dank prominenter Fürsprecher, wie H. G. Wells, wurde er später in eine bessere Anstalt verlegt.

Will Sharpe erzählt in seinem edel besetztem Biopic „Die wundersame Welt des Louis Wain“ das Leben dieses Mannes von seinen von seinen Anfängen als Illustrator für die „Illustrated London News“ (er zeichnete schneller als alle anderen) über seine große Popularität als Katzenzeichner bis zu seinem Tod. Das ist vor allem am Anfang, also wenn es um seinen Aufstieg als Zeichner (wobei er durchgängig vollkommen desinteressiert an Geld ist), seine große Liebe Emily, seine Beziehung zu seinen Schwestern und zu Katzen geht, sehr gelungen und auch witzig.

Mit zunehmender Laufzeit wird Will Sharpes Künstlerbiographie zu einer episodischen und damit auch langweiligen Abhandlung von Waines Leben. In schneller Folge werden neue Jahreszahlen eingeblendet und weitere Stationen in Wains Leben abgehandelt. Der klare Fokus der ersten Hälfte geht verloren zugunsten eines bebilderten Wikipedia-Artikels.

Die wundersame Welt des Louis Wain (The Electrical Life of Louis Wain, Großbritannien 2021)

Regie: Will Sharpe

Drehbuch: Simon Stephenson, Will Sharpe (basierend auf einer Geschichte von Simon Stephenson)

mit Benedict Cumberbatch, Claire Foy, Andrea Riseborough, Toby Jones, Sharon Rooney, Aimee Lou Wood, Hayley Squires, Stacy Martin, Phoebe Nicholls, Nick Cave, Taika Waititi, Richard Ayoade, Olivia Colman (Erzählerin)

Länge: 111 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Die wundersame Welt des Louis Wain“

Metacritic über „Die wundersame Welt des Louis Wain“

Rotten Tomatoes über „Die wundersame Welt des Louis Wain“

Wikipedia über „Die wundersame Welt des Louis Wain“ (deutsch, englisch) und Louis Wain (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „River“ erzählt von Flüssen und Wasser

April 22, 2022

Kommen wir zum zweiten Film mit Willem Dafoe, der diese Woche in den Kinos startet. In „The Northman“ ist er als Hofnarr Heimir unter der Maske nicht erkennbar. In „River“ ist er in der Originalfassung nur hörbar.

Er liest einen von dem bekannten Reise- und Naturschriftsteller Robert Macfarlane geschriebenen Text vor. Macfarlane schrieb unter anderem die Bücher „Karte der Wildnis“, „Alte Wege“ und, zuletzt, „Im Unterland. Eine Entdeckungsreise in die Welt unter der Erde“.

In dem von Dafoe vorgetragenem Text geht es um Flüsse und die Bedeutung von Wasser für die Erde und die Menschen. Dazu gibt es Bilder von Flüssen und Musik vom Australischen Kammerorchester. Dieses spielt eine während des gesamten Films erklingende Partitur aus viel klassischer Musik und wenig speziell für den Film komponierten Stücken. Zu den Repertoir-Komponisten gehören Johann Sebastian Bach, Antonio Vivaldi, Gustav Mahler, Jean Sibelius, Maurice Ravel und Jonny Greenwood. Die Originalmusik ist von Richard Tognetti, William Barton und Piers Burbrook de Vere.

Auffallend ist bei „River“, vor allem im Vergleich zu anderen die Schönheit der Natur hymnisch preisenden und vor ihrer Zerstörung warnenden experimentellen Dokumentarfilmen, wie sehr hier die Bilder, die Musik und der Text nebeneinander her laufen und sich teilweise von ihren Stimmungen sogar widersprechen. Denn normalerweise beabsichtigen diese Filme nur die visuelle Überwältigung.

Formal wechseln Regisseurin Jennifer Peedom und ihr Co-Regisseur Joseph Nizeti dabei zwischen SW- und Farbaufnahmen, zwischen historischen und aktuellen Aufnahmen und zwischen Zeitlupe und Zeitraffer. Diese rund um den Globus und aus dem Weltraum aufgenommenen Bilder sehen und wirken auf der großen Leinwand selbstverständlich überwältigend. Aber, wie auch andere essayistische Dokumentarfilme in der Tradition von „Koyaanisqatsi“ (1982), der ganz auf Dialoge und einen Erzähler verzichtet, ist die Botschaft überschaubar einfach und unkontrovers. Sie bleibt, bei aller visuellen Überwältigung, auf dem Niveau eines Kalenderspruchs oder, in diesem Fall, auf dem Niveu einer banalen Meditation.

In Australien plant das Australische Kammerorchester Auftritte mit dem Film. Das ist sicher eine angemessene Art, den Film zu präsentieren.

River“ ist der zweite Teil einer geplanten Trilogie, die, so die Macher, „die Auswirkungen der Landschaft auf das menschliche Herz erforschen“ sollen. Der erste Film der Trilogie war vor fünf Jahren „Mountain“. Ebenfalls von und mit Jennifer Peedom (Regie), Robert Macfarlane (Text), Willem Dafoe (Erzähler), Joseph Nizeti (Co-Regie), Richard Tognetti (Künstlerischer Leiter des Australischen Kammerorchesters) und Jo-anne McGowan (Produzentin). Der auch in Deutschland in den Kinos gezeigte Film war 2017 in Australien der umsatzstärkste einheimische Dokumentarfilm.

Ihr neuer Film „River“ zeigt die Schönheit von Flüssen, ihre Bedeutung für das Leben auf der Erde und wie die Menschen sie bezwingen, begradigen und die Flusslandlandschaften vernichten. Er ist ein Aufruf, die Schönheit der Natur wahrzunehmen und sie zu schützen.

River (River, Australien 2021)

Regie: Jennifer Peedom, Joseph Nizeti

Drehbuch: Robert Macfarlane, Jennifer Peedom, Joseph Nizeti

mit Willem Dafoe (Erzähler)

Länge: 75 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „River“

Rotten Tomatoes über „River“

Wikipedia über „River“

 


Neu im Kino/Filmkritik: Eine Nacht in der Notaufnahme „In den besten Händen“

April 22, 2022

Raphaela ‚Raf‘ stürzt unglücklich und landet in der Notaufnahme.

Yann wird bei einer Demonstration verletzt und landet ebenfalls in der Notaufnahme eines Krankenhauses mitten in Paris. Vor der Tür gibt es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den gegen die Regierung protestierenden Gelbwesten. Im Krankenhaus wird wie immer gearbeitet. Mit zu wenig Personal und zu vielen Patienten, die mehr oder weniger stark verletzt sind und mehr oder wenig nervig sind. Wobei Raf und Yann, die im gleichen Zimmer landen, zu den nervigen Patienten gehören.

Raf ist Comcizeichnerin, besorgte Mutter (ihr Sohn demonstriert) und seit zehn Jahren mit ihrer Verlegerin Julie liiert. Jetzt, nachdem Raf in der Nacht der neben ihr schlafenden Julie im Sekundentakt eine Suada aus beleidigenden Kurznachrichten schickte, hatten sie wieder Streit und trennten sich. Danach stürzte Raf unglücklich und brach sich den Arm.

Yann ist auf den ersten Blick das komplette Gegenteil von der hysterischen Raf. Der LKW-Fahrer fuhr, mit dem Firmen-LKW, aus der Provinz nach Paris um dort gegen die Politik von Präsident Macron zu demonstrieren. Bei der Demonstration wurde er von der Polizei verprügelt. In einer Mischung aus panischer Angst seinen Job zu verlieren und sturer Selbstüberschätzung, dass er trotz seiner schweren Beinverletzungen das Krankenhaus verlassen kann, versucht er immer wieder aufzustehen.

Beide sind von ihrer Weltsicht überzeugt, glauben, dass die Welt sich nur um sie dreht und dass alle anderen Idioten sind.

Zwischen ihnen versucht die seit einer Woche in der Nachtschicht arbeitende Krankenschwester Kim (Aissatou Diallo Sagna) zu schlichten. Wenn sie sich nicht, wie meistens, um andere Patienten kümmern muss, die echte Notfälle sind.

In ihrem neuen Film „In den besten Händen“ erzählt „La Belle Saison“-Regisseurin Catherine Corsini, was in einer Nacht in einer Notaufnahme geschieht; wobei es wegen der Proteste eine besondere Nacht ist und Corsini, künstlerisch verdichtet, von einer Nacht erzählt, in der die Hölle los ist. Denn, seien wir ehrlich, wenn alle Nächte in der Notaufnahme so anstrengend wären, würde niemand mehr in der Notaufnahme arbeiten. Trotzdem ist die Situation im Gesundheitswesen auch in Frankreich nicht gut.

Dieser Einblick in die Arbeit in einer Notaufnahme bildet den Hintergrund für das Aufeinanderprallen zweier gegensätzlicher und doch sehr ähnlicher Charaktere. Raf und Yann gehören zwar zwei vollkommen verschiedenen Schichten der französischen Gesellschaft an, aber als Menschen sind sie für ihre Umgebung die meiste Zeit hysterische, egozentrische Nervensägen. Vor allem Raf.

Ihnen zur Seite steht ein Ensemble knapp gezeichneter Figuren, wie die Krankenschwester Kim, Rafs Freundin Julie und Zufallsbegegnungen, die aus „In den besten Händen“ einen richtigen Ensemblefilm machen. Sie bilden einen Mikrokosmos der französischen Gesellschaft und sie zeigen gesellschaftliche Probleme und Verwerfungen auf.

Corsini erzählt das hochenergetisch, oft am Rand der Hysterie und mit viel trockenem, schwarzen und auch verzweifeltem Humor, der entsteht, um eine unerträgliche Situation erträglich zu machen.

Das ist teils etwas platt, teils etwas zu didaktisch (wenn Yann Raf und der gesamten Notaufnahme lautstark erklärt, warum er protestiert) und immer wieder arg plakativ. Eine Nacht in der Notaufnahme, wenn alle Nerven zum Zerreißen gespannt sind, ist halt nicht der Ort für differenzierte Analysen. „In den besten Händen“ ist in jeder Beziehung eine knallige Situationsbeschreibung.

In den besten Händen (La Fracture, Frankreich 2021)

Regie: Catherine Corsini

Drehbuch: Catherine Corsini

mit Marina Foïs, Valeria Bruni Tedeschi, Pio Marmaï, Aissatou Diallo Sagna, Caroline Estremo, Jean-Louis Coulloc’h, Camille Sansterre, Marin Laurens, Ferdinand Perez

Länge: 99 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

AlloCiné über „In den besten Händen“

Moviepilot über „In den besten Händen“

Metacritic über „In den besten Händen“

Rotten Tomatoes über „In den besten Händen“

Wikipedia über „In den besten Händen“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Catherine Orsinis „La belle saison – Eine Sommerliebe“ (La belle saison, Frankreich/Belgien 2015) und der Blu-ray


TV-Tipp für den 22. April: Der Mann, der zu viel wusste

April 21, 2022

BR, 22.50

Der Mann, der zuviel wusste (The man who knew to much, USA 1956)

Regie: Alfred Hitchcock

Drehbuch: John Michael Hayes, Angus McPhail (ungenannt)

Eigentlich wollten die McKennas nur einen schönen Marokko-Urlaub verbringen. Aber dann erfahren sie von einer Verschwörung und ihr Sohn wird entführt.

Hitchcocks äußerst gelungenes Remake von seinem gleichnamigen Film aus dem Jahr 1934: mit einem größeren Budget, in Farbe und einer erträglichen Doris Day. Höhepunkt ist die zehnminütige Konzertszene in der Royal Albert Hall, deren Höhepunkt – während eines Beckenschlages – ein Schuss auf den Botschafter ist.

Mit James Stewart, Doris Day, Daniel Gélin, Brenda de Banzie, Bernard Miles, Ralph Truman, Reggie Maldar

Hinweise

Rotten Tomatoes über “Der Mann, der zuviel wusste”

Wikipedia über „Der Mann, der zuviel wusste“ (deutsch, englisch) und über Alfred Hitchcock (deutsch, englisch)

Senses of Cinema (Ken Mogg) über Alfred Hitchcock

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 2“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 2″

Meine Besprechung von Alfred Hitchcocks “Mr. und Mrs. Smith” (Mr. and Mrs. Smith, USA 1941)

Meine Besprechung von Thilo Wydras “Alfred Hitchcock”

Alfred Hitchcock in der Kriminalakte

Meine Besprechung von Robert V. Galluzzos “Psycho Legacy” (The Psycho Legacy, USA 2010 – eine sehenswerte Doku über die “Psycho”-Filme mit Anthony Perkins, mit vielen Stunden informativem Bonusmaterial)

Meine Besprechung von Stephen Rebellos “Hitchcock und die Geschichte von ‘Psycho’” (Alfred Hitchcock and the Making of ‘Psycho’, 1990)

Meine Besprechung von Sacha Gervasis Biopic “Hitchcock” (Hitchcock, USA 2012)

Meine Besprechung von Henry Keazors (Hrsg.) “Hitchcock und die Künste” (2013)


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