Virgil Wounded Horse ist ein privater Vollstrecker. Immer wenn die Reservatspolizei nicht zuständig ist und das eigentlich zuständige FBI nichts tun will, was ziemlich oft geschieht, wird er gebeten, für Gerechtigkeit zu sorgen. Das klingt jetzt vielleicht honorig, aber letztendlich ist er ein bezahlter Schläger.
Jetzt bittet ihn Ben Short Bear, Mitglied der Stammesregierung im Rosebud-Indianerreservat in South Dakota, etwas gegen Rick Crow zu unternehmen. Crow soll Heroin in das Reservat schmuggeln und die Jugendlichen abhängig machen. Rauschgifthandel ist so ein Verbrechen, bei dem eigentlich das FBI zuständig ist. Aber weil in diesem Fall nur Native Americans abhängig werden und sterben, interessieren sie sich nicht dafür.
Noch während Virgil überlegt, ob er den Auftrag annehmen soll, wird sein vierzehnjähriger Neffe Nathan ins Krankenhaus eingeliefert. Er wäre fast an einer Überdosis gestorben.
Das ist der Moment, in dem Virgil beschließt, gegen Crow vorzugehen.
Das ist auch der Moment, in dem David Heska Wanbli Weidens Kriminalromandebüt „Winter Counts“ die vertrauten Krimipfade verlässt. Bis dahin war es nur ein gut geschriebener, gut geplotteter Hardboiled-Krimi mit einem ungewöhnlichen Schauplatz. Schließlich spielen nur wenige Krimis in einem Indianerreservat und noch weniger Krimis benutzen das Reservat nicht nur als pittoreske Kulisse.
Die bekanntesten Indianerkrimis sind immer noch die Romane von Tony Hillerman. Zwischen 1970 und 2006 schrieb er achtzehn in Arizona im Navajo Reservat spielende Romane. Über die Jahre entstand durch die mit dem Land und den Menschen eng verknüpften Fälle auch eine Chronik des sich verändernden Lebens im Reservat. Besonders die sich über viele Seiten erstreckenden, sehr präzisen, eigentlich schon ethnographischen Schilderungen indianischer Riten trugen zum Erfolg der Bücher bei. Aktuell sind sie bei uns nur noch antiquarisch erhältlich.
Zu den neueren, auch bei uns erschienenen lesenswerten Krimiautoren, die sich mit dem heutigen Leben der Native Americans beschäftigen, gehören Marcie Rendon und jetzt auch David Heska Wanbli Weiden. Beide sind, im Gegensatz zu Hillerman und anderen Autoren, die ‚Native crime fiction‘ schreiben, Native Americans. Weil sie über ihre Erfahrungen und ihre Kultur schreiben, haben sie einen anderen Blick auf das Leben im Reservat.
Weidens Roman „Winter Counts“ ist ein überzeugender Hardboiled-Krimi mit glaubhaften Figuren, realistischen Verwicklungen (gut, wenn Virgil Nathan im Reservat sucht und er glaubt, ihn zufällig zu finden, ist das allein schon aufgrund der Größe des Reservats etwas unrealistisch) und einem ungeschöntem Einblick in das heutige Leben im Rosebud-Indianerreservat. Die Probleme, mit denen Virgil sich herumschlagen muss, sind so ähnlich auch in anderen Reservaten zu finden.
In den USA war der Noir in der Krimigemeinde ein Erfolg. Als erster Native erhielt Weiden den Anthony- und Thriller Award. Und er ist der zweite Native American, der für den renommierten Edgar Award nominiert wurde. Der Edgar wird seit 1946 verliehen.
Außerdem erhielt „Winter Counts“, normalerweise für das beste Debüt, den Barry Award, den Lefty Award, den Macavity Award und zwei Spur Awards. Dieser Preis wird seit 1953 von den Western Writers of America verliehen.
„Winter Counts“ war außerdem, um noch schnell zwei Krimi-Preise zu nennen, nominiert für den Dashiell Hammett Prize und den Shamus Award und stand, wenig verwunderlich angesichts des Preisregens, auch auf einigen Jahresbestenliste.
Diese Preise zeigen vor allem, dass ich mit meiner Begeisterung nicht allein bin und dass inzwischen etliche Menschen auf das nächste Abenteuer von Virgil Woundet Horse warten.
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David Heska Wanbli Weiden: Winter Counts
(übersetzt von Harriet Fricke) (mit Nachbemerkungen von James Anderson und Thomas Jeier)
polar Verlag, 2022
464 Seiten
16 Euro
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Originalausgabe
Winter Counts
Ecco, 2020
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Hinweise
Homepage von David Heska Wanbli Weiden
Zum Weiterlesen: David Heska Wanbli Weiden empfiehlt einige Krimis
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Marcie Rendon unterhält sich mit David Heska Wanbli Weiden über seinen Roman
Stephen Graham Jones unterhält sich mit seinem Kollegen Weiden über Weidens Roman
Weiden im AWP Buchclub
und bei PowWows ist er ab Minute 14.30 dabei
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