Im Verhörzimmer: Peter Schmidt mit „Einsteins Gehirn“

August 31, 2012

In seinem neuesten Roman „Einsteins Gehirn“ schickt Peter Schmidt ein vierzehnjähriges Genie um die halbe Welt. Denn Albert Pottkämper glaubt nicht, dass sein Vater, ein durchschnittlich begabter Schwindler, sein Erzeuger ist. Eher schon Albert Einstein und die im heimischen Keller stehende, aus Princeton geklaute Stickstoffflasche, über die sein Vater nicht reden will, erhärtet seinen Verdacht. Dort unterrichtete und starb Albert Einstein. Also benutzt Albert Pottkämper das Verschwinden seiner Schwester für eine kleine Flucht, auf der er dem Präsidenten der USA, dem Papst und dem Dalai Lama zu persönlichen Gesprächen trifft, in den Armen einer Schauspielerin seine Unschuld verliert und irgendwie herausfindet, wer sein Vater ist.

In den vergangenen dreißig Jahren schrieb Peter Schmidt neben Komödien und Science-Fiction-Geschichten vor allem Polit-Thriller, die internationales Niveau erreichten, und für die er dreimal den Deutschen Krimipreis erhielt. Jochen Schmidt nennt Peter Schmidts Debütroman „Mehnerts Fall“ (1981) „das wichtigste Debüt im deutschen Krimi seit dem Erscheinen von Richard Heys Erstling 1973“ (Jochen Schmidt: Gangster, Opfer, Detektive, 1989/2009 [Tipp: Erstausgabe antiquarisch suchen]). Rudi Kost und Thomas Klingenmaier sagten in ihrem 1995 erschienenem Autoren-ABC „Steckbriefe“ (antiquarische Suche lohnt sich): „Peter Schmidt hat hierzulande den Polit-Thriller salonfähig gemacht und ohne sonderliche Mühe einen Standard erreicht, der internationalen Vergleichen standhalten kann.“

Seine Geschichten aus der Welt der Geheimdienste sollte man sich heute, mit dem NSU-Desaster der Sicherheitsbehörden im Hinterkopf, noch einmal durchlesen. Inzwischen hat er über dreißig Romane veröffentlicht und „Einsteins Gehirn“ zeigt keine Spur von Altersmilde. Aber das kann auch an dem jungen Erzähler liegen, der keinen Respekt vor den Obrigkeiten hat.

Jedenfalls war die Veröffentlichung von „Einsteins Gehirn“ für die Kriminalakte die Gelgenheit, dem Autor einige Fragen zu stellen:

 

Was war die Initialzündung für „Einsteins Gehirn“?

 

Ich habe mich fast totgelacht, als ich den Grundeinfall hatte. Und dann weiter jeden Tag während des Schreibens – gelacht über meine verrückten jungen Oberklugscheißer Albert …

Als das Buch fertig war, stand ich morgens auf und ging barfuss und im Schlafanzug ins Arbeitszimmer, um etwas im Manuskript nachzusehen. Und der Bursche hat es geschafft, dass ich noch mal 45 Seiten vom Anfang meines eigenen Romans las – und lachte …

Das ist tatsächlich passiert. Aber Vorsicht. Alberts kommt erst mal harmlos und witzig daher, doch vielleicht wird man damit ja in eine Falle gelockt? Wenn man das Ganze mit seinen verschiedenen Ebenen überblickt, ist es ein äußerst durchtriebenes, ja geradezu hinterhältiges Buch.

 

Einige Ihrer Romane sind Ich-Erzählungen. Andere nicht. Wie wählen Sie die Erzählperspektive aus? Und haben Sie eine Lieblingsperspektive?

 

Die Perspektive entwickelt sich aus dem Bauchgefühl heraus, was für den Stoff am effektivsten erscheint. Bei Einsteins Gehirn musste ich unbedingt in die Ich-Erzähler-Rolle des kleinen Besserwissers schlüpfen – der dann ja eigentlich in vielen Bereichen ein exzellenter Fachmann ist – was man natürlich eher mitbekommt, wenn man selber einer ist …

 

Obwohl Sie als Polit-Thriller-Autor bekannt sind, haben Sie immer auch in anderen Genres Geschichten erzählt. Wonach entscheiden Sie, welches Genre Sie bedienen?

 

Zunächst einmal ist es mein Bedürfnis nach Abwechslung. Wobei der Polit- und Spionagethriller wegen seiner vielen gesellschaftlichen Facetten und Möglichkeiten durchaus eine Sonderstellung einnimmt. Aber ich fände es langweilig, immer nur in einem „Stil“ zu malen. Oder mein Leben mit dem immer selben Detektiv zu verbringen. Wie eine meiner Freundinnen sagte, bevor sie mich verließ: „Du bist nur ein Lebensabschnittsgefährte“. Krimi-Schemata nach dem Motto: „Hier liegt die Leiche und nun kommt der Kommissar, Detektiv oder einer seiner anderen modernen Protagonisten, z. B. Gerichtsreporter, und findet den Täter“, scheinen mir meist zu abgegriffen.

 

Was halten Sie von den Genreregeln?

 

In Einsteins Gehirn gibt es ein – oder mehrere? – Verbrechen. Auch drei Leichen … aber womöglich gibt es am Ende gar keinen Mörder? Statt dessen „nur“ Schuldige? Und es gibt Gauner und Betrüger. Aber keinen Ermittler im klassischen Sinne. Albert will zwar die wahren Hintergründe des Gaunerstücks ergründen, dem er sein Leben verdankt. Doch dann passiert ihm die Aufklärung sozusagen wie nebenher auf seinem Roadtrip um die Welt. Nehmen wir nur den Zufall, dass er in einem New Yorker Hotel Zeuge eines Selbstmordversuchs wird, ohne den er später bei seinen Recherchen nicht weitergekommen wäre. Wir haben es also mit einem Krimi anderer Art zu tun. Mal liegt der Fokus auf der Verfolgung der Spuren und Indizien, mal auf anderen Themen. Zum Beispiel auf dem „sexuellen Irrsinn“ des Pubertierenden, der Klimakatastrophe, dem Problem der Willensfreiheit, der Theodizee, auf Schönheit, Glück, Fühlen, Determinismus, Quantenphysik. Oder auf Alberts interessantem Versuch der Moralbegründung. Auf den Ungerechtigkeiten innerhalb demokratischer Gesellschaften und der Möglichkeit neuer Kriege. Und unserer (manchmal) dubiosen Medienkultur mit ihren aufgesetzten Talkshows.

Genau dieses Miteinander von Themen und Kriminalhandlung erscheint mir reizvoller, als der einfache Krimi, weil der oft eingezwängt in einem belletristischen Korsett daherkommt.

 

Wie sind ihre Schreibroutinen?

 

Mit den Jahren hat sich eine Arbeitsweise herausgebildet, die sich vor allem am Vorankommen orientiert: Die „innere Flamme“ muss brennen. Es gibt ein Exposé, einen möglichst weit entwickelten Entwurf, aber kein tägliches Pensum. Überarbeiten? Das Ding ist nie fertig. Rituale? Nein, abgedunkeltes Zimmer, gelegentliche Tasse Tee oder Espresso, sonst nichts.

 

Welche fünf Bücher würden Sie für ein langes Sommerwochenende empfehlen?

 

Außer dem verrückten Albert und „Einsteins Gehirn“? – Ich finde, Albert ist auf so abenteuerliche Weise durchgeknallt und sagt dabei so viel Wichtiges, dass ein langes Wochenende kaum ausreichen würde, um seine Wahrheiten – und Hinterfotzigkeiten – auszuloten …

 

Aber gut, das neue Jahrhundert ist noch jung. Nehmen wir mal ein paar Klassiker des 20. Jahrhunderts:

Der Spion, der aus der Kälte kam“ (John le Carré)

Der Prozess“ (Franz Kafka)

Die Stunde der Komödianten“ (Graham Greene)

Der alte Mann und das Meer“ (Ernest Hemingway)

 

Vielen Dank für die Antworten! Sie dürfen das Verhörzimmer jetzt verlassen.

Peter Schmidt: Einsteins Gehirn

Gmeiner, 2012

320 Seiten

11,90 Euro

Hinweise

Homepage von Peter Schmidt

Lexikon der deutschen Krimi-Autoren über Peter Schmidt

Krimi-Couch über Peter Schmidt

Wikipedia über Peter Schmidt

 


TV-Tipp für den 31. August: Familiengrab

August 31, 2012

WDR, 00.45

Familiengrab (USA 1976, R.: Alfred Hitchcock)

Drehbuch: Ernest Lehman

LV: Victor Canning: The rainbird pattern, 1972 (später “Family plot”; „Auf der Spur“)

Mrs. Rainbird verspricht dem Medium Blanche 10.000 Dollar, wenn sie ihren vor Jahrzehnten verstossenen Neffen findet. Dieser finanziert inzwischen seinen Lebensunterhalt mit Entführungen und unterstellt Blanche und ihrem Freund George niedere Motive.

Was für ein Abgang: eine lockere Krimikomödie mit tiefschwarzem Humor.

Ernest Lehman: „Was Hitchcock wirklich an diesem Filmprojekt faszinierte, war die Idee von zwei getrennt ablaufenden unterschiedlichen Geschichten, die langsam zueinander finden und letztlich zu einer Geschichte werden. Ich ließ nicht locker, ihn darauf hinzuweisen, dass das Publikum nicht einen Film aufgrund seiner einzigartigen Struktur sehen will – es sei denn, Hitchcock plane, den Film als eine Art Dozent zu begleiten und ihn den Zuschauern zu erklären.“ – Mmh, da hat er Recht. „Family Plot“ (hübsch doppeldeutiger Titel) ist beim zweiten, dritten Sehen besser als beim Ersten. Und die Rückprojektionen sind schlecht wie immer.

Mit Karen Black, Bruce Dern, Barbara Harris, William Devane, Ed Lauter, Cathleen Nesbitt

Hinweise

Wikipedia über Victor Canning

Kaliber .38 über Victor Canning

Fanseite über Victor Canning

Wikipedia über Alfred Hitchcock (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 2“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 2“

Meine Besprechung von Alfred Hitchcocks „Mr. und Mrs. Smith“

Meine Besprechung von Thilo Wydras „Alfred Hitchcock“

Alfred Hitchcock in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: Woody Allens neueste Postkarte: „To Rome with Love“

August 30, 2012

Seit einigen Jahren hinterlässt Woody Allen seinen Fans filmische Postkarten aus Europas schönsten Gegenden. Er war in England („Match Point“, „Scoop – Der Knüller“, „Cassandras Traum“, „Ich sehe den Mann deiner Träume“), Spanien („Vicky Cristiana Barcelona“), Frankreich („Midnight in Paris“) und ist jetzt in Italien angekommen. „To Rome with Love“ heißt seine starbesetzte Postkarte aus der italienischen Hauptstadt, in der Woody Allen sich gar nicht mehr die Mühe macht, eine Geschichte zu erzählen oder die verschiedenen Geschichten in eine zeitlich logische Reihenfolge zu ordnen. Ihm genügt, dass sie so irgendwie zusammenpassen und wir unseren Spaß an diesem Spiel mit Schein und Sein haben. Während in „Midnight in Paris“ das Paris der Gegenwart und der Vergangenheit noch voneinander getrennt war, aber jeder es als gegeben hinnahm, dass wir durch die Zeit reisen können, drängelt sich in Rom Alec Baldwin, der einen Stararchitekten spielt, der als junger Mann in Rom lebte, als besserwisserischer Geist in das Leben seines jungen Bewunderers Jack (Jesse Eisenberg). Jacks brave Freundin Sally (Greta Gerwig) und deren Freundin Monica (Elle Page), die als Filmschauspielerin alle Register der weiblichen Verführungskunst zieht, reden ebenfalls mit dem Geist. Jedenfalls manchmal. Manchmal scheinen sie ihn auch nicht zu sehen, aber solche kleinen logischen Brüche kümmern Woody Allen nicht mehr.

Denn er will noch einige andere Geschichten erzählen.

Avantgarde-Opernregisseur Jerry (Woody Allen), im Un-Ruhestand, reist mit seiner Frau Phyllis (Judy Davis) nach Rom, um den Zukünftigen ihrer Tochter Hayley (Alison Pill) kennen zu lernen. Michelangelo (Flavio Parenti) ist Anwalt und ein prinzipientreuer Kommunist, was Jerry überhaupt nickt akzeptieren kann. Erst als er bemerkt, dass Michelangelos Vater Giancarlo (Tenor Fabio Armiliato in seinem Filmdebüt) unter der Dusche ein fantastischer Opernsänger ist, hat er eine neue Aufgabe.

Hier ist Woody Allen Woody Allen, seine lebenskluge Frau ist auch Psychiaterin und er kann einige nett-belanglose Witze auf Kosten des Kulturbetriebs machen.

Es gibt die Geschichte eines jungen Ehepaares, das aus der Provinz nach Rom kommt, weil die sittenstrenge Verwandtschaft ihm einen Job angeboten hat. Als Milly (Alessandra Mastronardi in einer sehr Woody-Allenhaften Rolle) sich auf der Suche nach einem Frisör verläuft und, zuerst auf einem Filmset, später in den Armen des von ihr bewunderten Filmstars landet, springt die Prostituierte Anna (Penélope Cruz) in das Bett des herrlich verklemmten Göttergatten Antonio (Alessandro Tiberi; – Yep, neben Jesse Eisenberg ist das natürlich ein weiteres männliches Alter Ego von Woody Allen). Selbstverständlich öffnen die Verwandten, wie es sich für eine Boulevard-Komödie gehört, in der falschen Sekunde die Hotelzimmertür und Antonio muss mit Anna das High-Society-Touristenprogramm mit einem Besuch im Vatikan und einer Party mit Roms einflussreichen Männern in einem prächtigen Garten, inclusive einem kleinen, von Anna erzwungenen Seitensprung ins Gebüsch, absolvieren.

Die vierte und letzte Geschichte ist die von Leopoldo Pisanello (Roberto Benigni), der als einfacher Angestellter plötzlich und ohne irgendeinen ersichtlichen Grund berühmt und von Paparazzi und schönen Frauen verfolgt wird.

Dabei ist Woody Allens Rom immer das Fantasie-Rom eines Touristen, der Rom durch die Augen des Pauschaltouristen, angereichert mit den Erinnerungen an unzählige Filme, die in den vergangenen Jahrzehnten in Rom spielten, sieht und der sich seine Ferien nicht von einem Blick auf die unschöne Realität stören lassen will.

Diesen Blick gab es vor vierzig Jahren in „Fellinis Roma“, der ebenfalls episodischen, wunderschön burlesken, autobiographischen Liebeserklärung von Regisseur Frederico Fellini an seine Heimat, die ein ähnlich überhöhtes, aber auch viel bodenständigeres Bild von Rom bot. Denn wo bei Fellini immer auch der Blick auf die Realität vorhanden war und die Szenen in jeder Beziehung üppig ausgestattet sind, regiert bei Woody Allen in seiner flüchtig hingetupften römischen Pastiche, garniert mit vielen Woody-Allen-Weisheiten, immer das skizzenhafte.

So ist „To Rome with Love“ mit gut zwei Stunden einer von Woody Allens längsten Filmen, der dennoch kurzweilig und nett unterhält. Letztendlich ist „To Rome with Love“ das filmische Äquivalent zu einem Sommersalat.

To Rome with Love (To Rome with Love, USA/Italien 2012)

Regie: Woody Allen

Drehbuch: Woody Allen

mit Woody Allen, Alec Baldwin, Roberto Benigni, Penélope Cruz, Judy Davis, Jesse Eisenberg, Greta Gerwig, Ellen Page, Antonio Albanese, Fabio Armiliato (Filmdebüt des Tenors), Alessandra Mastronardi, Ornella Muti, Alison Pill, Flavio Parenti, Alessando Tiberi, Riccardo Scamarcio

Länge: 110 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „To Rome with Love“

Metacritic über „To Rome with Love“

Rotten Tomatoes über „To Rome with Love“

Wikipedia über „To Rome with Love“ (deutsch, englisch)

Homepage von Woody Allen

Deutsche Woody-Allen-Seite

Meine Besprechung von Robert B. Weides „Woody Allen: A Documentary“ (Woody Allen: A Documentary, USA 2012)

Woody Allen in der Kriminalakte

 

 


TV-Tipp für den 30. August: Broken Flowers

August 30, 2012

3sat, 22.25

Broken Flowers – Blumen für die Ex (USA/Frankreich 2005, R.: Jim Jarmusch)

Drehbuch: Jim Jarmusch (inspiriert von einer Idee von Bill Raden und Sara Driver)

Don Johnston (Stoneface Bill Murray) lungert nur noch in seiner Wohnung herum und träumt von seinen früheren Frauen. Eines Tages erhält er einen anonymen Brief, in dem steht, dass er einen 19-jährigen Sohn habe. Don, der bislang von seinem Vaterglück nichts wusste, macht sich auf den Weg quer durch die USA zu seinen alten Freundinnen, die er seit Ewigkeiten nicht gesehen hat und von denen eine die Mutter sein muss.

Jim Jarmusch erhielt für sein lakonisches Road-Movie über verpasste Chancen den Großen Preis der Jury in Cannes, einige weitere Preise, viel Kritikerlob – und an der Kinokasse lief der Film auch gut.

Mit Bill Murray, Julie Delpy, Jeffrey Wright, Sharon Stone, Frances Conroy, Chloë Sevigny, Jessica Lange, Tilda Swinton

Hinweise

Film-Zeit über „Broken Flowers“

Metacritic über „Broken Flowers“

Rotten Tomatoes über „Broken Flowers“

Wikipedia über „Broken Flowers“ (deutsch, englisch)

Jim Jarmusch in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: Der teuerste Mashup aller Zeiten: „The Expendables 2“

August 29, 2012

Beim ersten Mal war es ein Gag; sozusagen ein Fanvideo für den Achtziger-Jahre-Action-Junkie.

Beim zweiten Mal sagten sich die Macher, dass es vollkommen idiotisch wäre, ein bewährtes Rezept zu ändern. Auch wenn jetzt von einem 100-Millionen-Dollar-Budget gesprochen wird. Aber natürlich kann man alles etwas größer machen. Deshalb sind in „The Expendables 2“ nicht nur die alten Knochen Sylvester Stallone, Dolph Lundgren, Bruce Willis und Arnold Schwarzenegger (beide dieses Mal mit mehr Leinwandzeit), sondern auch Jean-Claude Van Damme und Chuck Norris, der für sein Gastspiel als „Lone Wolf“ seinen siebenjährigen Ruhestand unterbrach, dabei.

Außerdem sind, von der jüngeren Garde der Action-Stars Jason Statham, Jet Li, Randy Couture und Terry Crews wieder dabei. Als Neulinge sind Liam Hemsworth und Yu Nan im „Expendables“-Team dabei.

Die Story, nun, die war schon damals in den Achtzigern nicht so wichtig, und solange es genug Action und One-Liner gab, hat man darüber hinweggesehen. Die One-Liner gibt es auch in „The Expendables 2“. Denn die Stars nehmen sich und ihr Image lustvoll auf die Schippe. Schwarzenegger darf seine ikonischen „Terminator“-Sätze sagen, Willis etwas die harden und Chuck Norris ist der Mann, der alleine arbeitet, niemals nachladen muss (im Gegensatz zu den Expendables, denen ständig die Munition ausgeht) und einige der unglaublichsten Geschichten über ihn – Remember the Chuck-Norris-Facts! – bestätigt.

Und dann gibt es noch die grandiosen und sehr bleihaltigen Action-Szenen, die sich um eine rudimentäre Story reihen: also: Barney Ross (Stallone) und seine „Expendable“-Jungs Lee Christmas (Jason Statham), Yin Yang (Jet Li), Gunnar Jensen (Dolph Lundgren), Toll Road (Randy Couture), Hale Caesar (Terry Crews) und Billy the Kid (Liam Hemsworth) sollen im Auftrag von Mr. Church (Bruce Willis) aus einen supergesicherten Safe („Der Code ändert sich alle 120 Sekunden.“ und bei dem falschen Code macht es BUMM) eine Festplatte herausholen. Der Safe ist in einem in der albanischen Einöde abgestürztem Flugzeug. Kaum haben sie das Teil geborgen, wird es ihnen von Jean Vilain (Jean-Claude Van Damme – Ja, die Namensgebung ist sehr einfallsreich.) geklaut und Vilain macht seinem Namen alle Ehre, indem er kaltblütig vor den Augen der Expendables ihren Neuzugang, den Sniper Billy the Kid, der sowieso das Team verlassen wollte, ersticht.

Klarer Fall, dass die „Expendables“ jetzt auf Rache aus sind. Und dass Vilain mit dem auf der Festplatte enthaltenem Code den Zugang zu fünf Tonnen waffenfähigem Plutonium (oder: zu viel Wumms in den falschen Händen) hat, treibt sie noch etwas mehr an. Oh, und Vilain unterdrückt in Bulgarien einen ganzen Landstrich, indem er die Männer der Dörfer in den unterirdischen Gängen der Sowjetmilitärstation nach dem Plutonium graben lässt.

Okay, ihr habt es gemerkt: einen Pulitzer-Preis wird diese Story nicht erhalten. Aber dafür bietet sie, neben ordentlichen Portionen Sentiment, auch das Gerüst für eine atemberaubende Pre-Title-Sequenz, in der Ross‘ Söldnergruppe in Nepal zwei Geisel befreit, dabei zuerst den Ort in Schutt und Asche legt, durch den Dschungel und über einen Fluss flüchtet und immer wild um sich schießt; einen ausgedehnten Schusswechsel in einem ehemaligen Trainingsgelände der sowjetischen Armee, das vor der Schießerei wie eine US-Kleinstadt aussah (Hm, „Die rote Flut“?); eine Brückensprengung mit anschließender, abenteuerliche Bruchlandung und am Ende des Films treffen sich dann die Guten und die Bösen auf einem Flughafen, der anschließend eine umfassende Renovierung benötigt.

Das ist ziemlich sinnfreies, testerongestärktes, sehr gewalttätiges Action-Entertainment, das sich – zum Glück – nicht sonderlich ernst nimmt, die Genre-Klischees ironisch bestätigt und sich auf grob gestrickte Unterhaltung beschränkt; im Gegensatz zu den reaktionären 80er-Jahre-Actionfilmen, wie die „Missing in Action“-Filme, „Invasion USA“, der zweite und dritte „Rambo“-Film oder „Delta Force“, in denen der Held lässig Hundertschaften böser Kommunisten und andere Feinde der Freiheit tötete. In „The Expendables 2“ sind die Handlanger des Bösewichts nur noch williges Kanonenfutter.

Simon West, der mit „Con Air“ krachend die Filmszene betrat und später „Lara Croft: Tomb Raider“ über den Globus hetzte, setzt auch die Expendables kompetent und optisch sehr ansprechend in Szene. Auch auf dieser Ebene ist „The Expendables 2“ deutlich gelungener als das von Sylvester Stallone höchstselbst inszenierte Macho-Abenteuer „The Expendables“.

Achtziger-Jahre-Action-Fans werden entzückt sein. Die anderen werden sich, wie schon damals, in Grausen abwenden.

The Expendables 2 (The Expendables 2, USA 2012)

Regie: Simon WestdeutschenDrehbuch: Richard Wenk, Sylvester Stalone (nach einer Geschichte von Ken Kaufman & David Agosto und Richard Wenk, nach den Figuren von David Callaham)

mit Sylvester Stallone, Jason Statham, Jet Li, Dolph Lundgren, Chuck Norris, Jean-Claude Van Damme, Bruce Willis, Arnold Schwarzenegger, Terry Crews, Randy Couture, Liam Hemsworth, Scott Adkins, Amanda Ooms, Charisma Carpenter

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „The Expendables 2“

Metacritic über „The Expendables 2“

Rotten Tomatoes über „The Expendables 2“

Wikipedia über „The Expendables 2“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Simon Wests „The Mechanic“ (The Mechanic, USA 2011)

 


Kurzkritik: Thierry Jonquet: Die Haut in der ich wohne

August 29, 2012

Wenn Alfred Hitchcock einen Roman verfilmte, ging er mit der Vorlage oft ziemlich freizügig um. Auch bei Pedro Almodóvars Verfilmung von Thierry Jonquets Roman „Die Haut, in der ich wohne“ kann man sich, bei einem Blick auf die Geschichte schon fragen, wo die großen Gemeinsamkeiten sind und das liegt nicht nur daran, dass der Roman 1984 und der Film heute spielt.

Damals war die Schönheitschirurgie noch nicht so weit entwickelt. Doch über weite Strecken ist in Thierry Jonquets Roman der Beruf von Richard Lafargue austauschbar. Wichtiger ist, dass er in seiner Villa seine Frau gefangen hält, sie unter Drogen setzt und zum Sex mit Freiern zwingt, während er sie dabei beobachtet. Bis wir erfahren, warum er das tut, vergeht einige Zeit, in der wir einen jungen Mann kennen lernen, der eine Bank überfiel, dabei einen Polizisten erschoss, selbst verletzt wurde und sein Gesicht der Überwachungskamera präsentierte. Jetzt ist sein Porträt auf allen Titelseiten.

Und in einer Höhle hält ein Mann einen jungen Mann fest, der sich verzweifelt fragt, warum er gefangen genommen wurde und was mit ihm geschehen soll.

Erst mit der Zeit kristallisiert sich heraus, wie diese drei parallel erzählten und fast gleichberechtigten Geschichten miteinander zusammenhängen und die Lösung ist atemberaubend perfide.

Thierry Jonquet, der in Frankreich fünfzehn Kriminalromane und etliche Jugendbücher veröffentlichte, mehrere Drehbücher schrieb und einige Preise erhielt, ist bei uns fast unbekannt. Neben „Die Haut, in der ich wohne“ wurde nur „Die Goldräuber“ und „Die Unsterblichen“ übersetzt. Dabei reiht er sich mit „Die Haut, in der ich wohne“ in die Riege der guten französischen Noir-Autoren ein, die eine vollkommen schräge Geschichte absolut glaubhaft erzählen und die sich nicht scheuen, gesellschaftlicher Außenseiter und wahnwitzige Obsessionen in den Mittelpunkt ihrer Geschichte zu rücken. In Jonquets angenehm kurzen Roman ist es ein Racheplan, der in seiner Gemeinheit weit über das Alte Testament hinausgeht und der dann doch in einer Liebesgeschichte mündet, die aber letztendlich nur die gegenseitige Abhängigkeit der Charaktere auf eine neue Ebene hebt.

Almodóvar erzählt in seinem, in der Gegenwart spielendem Film eine durchaus ähnliche Geschichte, veränderte aber auch so viel, dass, ausgehend von einigen Gemeinsamkeiten, eine vollkommen andere Geschichte entstand. Vor allem ist bei ihm Antonio Banderas als Schönheitschirurg die Hauptfigur; soweit bei einem Almodóvar-Film davon gesprochen werden kann.

Die anderen Änderungen verschweige ich jetzt, um nicht den Spaß an der Lektüre zu mindern. Denn ich frage mich immer noch, ob Thierry Jonquet oder Pedro Almodovar die gemeinere Geschichte erzählt.

Thierry Jonquet: Die Haut, in der ich wohne

(übersetzt von Holger Fock und Sabine Müller)

Heyne, 2009

144 Seiten

7,99 Euro

Deutsche Erstausgabe

Hoffmann und Campe, 2008

Originalausgabe

Mygale

Éditions Gallimard, Paris 1984

Verfilmung

Die Haut, in der ich wohne (La Piel que habito, Spanien 2011)

Regie: Pedro Almodóvar

Drehbuch: Pedro Almodóvar

mit Antonio Banderas, Elena Anaya, Marisa Paredes, Blanca Suárez, Jan Cornet, Edard Fernández, Ana Mena, Roberto Alamo

Hinweise

Homepage von Thierry Jonquet

Wikipedia über Thierry Jonquet (englisch, französisch)

Krimi-Couch über Thierry Jonquet

Film-Zeit über „Die Haut, in der ich wohne“


TV-Tipp für den 29. August: Der Texaner

August 29, 2012

SWR, 23.00

Der Texaner (USA 1976, R.: Clint Eastwood)

Drehbuch: Phil Kaufman, Sonia Chernus

LV: Forrest Carter: The Rebel Outlaw: Josey Wales, 1973 (Gone to Texas; The Outlaw Josey Wales; Josey Wales

Missouri, während des Bürgerkriegs: Marodierende Nordstaatler bringen die Familie von Farmer Josey Wales um. Er schwört Rache, schließt sich den Südstaatlern an, ergibt sich nicht am Ende des Bürgerkrieges, wird als Outlaw gejagt und will irgendwann nur noch seine Ruhe haben. Aber langsam hat er eine Ersatzfamilie im Schlepptau.

Ein feiner Western

mit Clint Eastwood, Chief Dan George, Sondra Locke, Bill McKinney, John Vernon, Paula Trueman, Sam Bottoms

Hinweise

Wikipedia über “Der Texaner” (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Pierre-Henri Verlhacs (Herausgeber) „Clint Eastwood – Bilder eines Lebens“ (2008)

Kriminalakte: Glückwünsche zum achtzigsten Geburtstag von Clint Eastwood

Meine Besprechung von Clint Eastwoods “Hereafter – Das Leben danach” (Hereafter, USA 2010)

Clint Eastwood in der Kriminalakte


Cover der Woche

August 28, 2012


TV-Tipp für den 28. August: Justified: Schwarzbrenner

August 28, 2012

Kabel 1, 22.10

Justified: Scharzbrenner (USA 2011, R.: Adam Arkin)

Drehbuch: Graham Yost, VJ Boyd

Erfinder: Graham Yost

LV: Elmore Leonard: Fire in the Hole, 2001 (Kurzgeschichte, auch in „When the Women come out to dance“, 2002, veröffentlicht; aber eigentlich ist es der von Elmore Leonard erfundene Charakter)

Das ging schnell: Erst vor wenigen Wochen beendete Kabel 1 die erste Staffel und sagte nichts über die Ausstrahlung der zweiten Staffel. Ehrlich gesagt war ich damals schon froh, dass sie die gesamte erste Staffel, die erstaunlich gut den trockenen Elmore-Leonard-Tonfall trifft, gezeigt hatten. Denn „Justified“ folgt nicht der 08/15-CSI-Krimiformel.

Jetzt zeigen sie die zweite Staffel sogar Dienstags zur fast besten Sendezeit, nach einer Doppelfolge „Blue Bloods“ (New-York-Polizeiserie mit Tom Selleck) und vor einer Folge der hochgelobten Los-Angeles-Polizeiserie „Southland“.

In der ersten Folge der zweiten „Justified“-Staffel jagt US Marshal Raylan Givens einen Sexualstraftäter.

Ach, und der Originaltitel „The Moonshine War“ ist natürlich der Titel von einem frühen Elmore-Leonard-Roman.

mit Timothy Olyphant (Raylan Givens), Nick Searcy (Chief Deputy Art Mullen), Joelle Carter (Ava Crowder), Jacob Pitts (Tim Gutterson), Erica Tazel (Rachel Brooks), Natalie Zea (Winona Hawkins), Walton Goggins (Boyd Crowder)

Wiederholung: Mittwoch, 29. August, 02.00 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Homepage zur Serie

Kabel 1 über “Justified”

Wikipedia über „Justified“ (deutsch, englisch)

Christian Science Monitor: Interview mit Elmore Leonard (18. Januar 2012)

Homepage von Elmore Leonard

Meine Besprechung von Elmore Leonards „Dschibuti“ (Djibouti, 2010)

Meine Besprechung von Elmore Leonards „Djibouti“ (2010)

Meine Besprechung von Elmore Leonards „Road Dogs“ (Road Dogs, 2009)

Meine Besprechung von Elmore Leonards „Up in Honey’s Room“ (2007)

Meine Besprechung von Elmore Leonards „Gangsterbraut“ (The hot Kid, 2005)

Meine Besprechung von Elmore Leonards „Callgirls“ (Mr. Paradise, 2004)

Mein Porträt „Man nennt ihn Dutch – Elmore Leonard zum Achtzigsten“ erschien im „Krimijahrbuch 2006“

Meine Besprechung der Elmore-Leonard-Verfilmung „Sie nannten ihn Stick“ (Stick, USA 1983)

Meine Besprechung der Elmore-Leonard-Verfilmung „Killshot“ (Killshot, USA 2008)

Elmore Leonard in der Kriminalakte


DVD-Kritik: Ist Christian Slater der „Dawn Rider“?

August 27, 2012

Kaum kehrt der verlorene Sohn, verfolgt von einem skrupellosen Kopfgeldjäger, zurück in die alte Heimat und versöhnt sich wieder mit seinem Vater, wird dieser in der Poststation von einigen Strauchdieben erschossen. John Mason will jetzt die Mörder seines Vaters finden. Dummerweise ist der Bruder seiner wieder entflammten Jugendliebe der Anführer der Banditen und der würde alles tun, um die hochverschuldete, von den Eltern geerbte Ranch zu retten.

Aus dieser zünftigen Ausgangslage machen Regisseur Terry Miles und die Drehbuchautoren Joseph Nasser und Evan Jacobs allerdings nur ein belangloses, von A bis Z vorhersehbares Westernabenteuer, das man sich an einem verregneten Sonntagnachmittag wegen der Hauptdarsteller ansehen kann. Donald Sutherland als Kopfgeldjäger hat einige markante Auftritte, die er allein mit seiner Präsenz trägt. „Crossing Jordan“ Jill Hennessy als schlagkräftige Ranchbesitzerin ist ein Augenschmaus, aber in „Small Town Murder Songs“ überzeugte sie auch als Schauspielerin. Christian Slater als John Mason bleibt dagegen erstaunlich blass und er ist vollkommen deplatziert; was etwas erstaunlich ist, weil er seine Karriere mit „Im Namen der Rose“ und „Robin Hood – König der Diebe“ im Mittelalter begann, sich quer durch die Genres und Jahrhunderte spielte und oft der einzige Grund war, sich den Film anzusehen. In „Dawn Rider“ ist er fast der Grund, sich den Film nicht anzusehen.

Und das wären schon die Gründe, sich diesen mit einem arg überschaubaren Budget inszenierten Western anzusehen, der nie die Weite des Wilden Westens, sondern eher die Ärmlichkeit der Poverty Row atmet.

Ach ja, „Dawn Rider“ ist ein Remake. Die Geschichte wurde erstmals 1931 als „Galloping Thru“ verfilmt. Der Western gilt als verschollen. Die letzte Verfilmung war 1938 als „Western Trails“. Aber die bekannteste Verfilmung ist von 1935. Denn da spielte John Wayne die Hauptrolle. „Dawn Rider“ hieß der für Lone Star Western in fünf Tagen gedrehte Western, in dem die Dialoge nur die Verschnaufpause für die Pferde waren und eine zünftige Schlägerei Freundschaften festigte und beendete. In Deutschland wurde der Film nie gezeigt, aber in der Reihe „Western von Gestern“ wäre er gut aufgehoben gewesen.

Das kann von der 2012er Version der Geschichte nicht gesagt werden. Denn jetzt wird deutlich mehr gesprochen und geküsst, als geschlagen, geritten und geschossen. Obwohl auch in Terry Miles‘ „Dawn Rider“ etliche Männer sterben.

Dawn Rider (Dawn Rider, USA 2012)

Regie: Terry Miles

Drehbuch: Joseph Nasser, Evan Jacobs

mit Christian Slater, Donald Sutherland, Jill Hennessy, Lochlyn Munro, Ben Cotton

DVD

Koch Media

Bild: 1,78:1 (16:9)

Ton Deutsch (Dolby Digital 5.1, DTS 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Trailer (deutsch, englisch)

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Dawn Rider“

Vans Cine Blog über „Dawn Rider“

Dust on Movies über „Dawn Rider“

Bonusfilm

John Wayne in „Dawn Rider“ (USA 1935, Regie: Robert N. Bradbury) in sehr bescheidener Bild- und Tonqualität

Auch im Internet Archive gibt es das Werk.

 

 

 


TV-Tipp für den 27. August: Der Mann aus dem Westen

August 27, 2012

Arte, 20.15

Der Mann aus dem Westen (USA 1958, R.: Anthony Mann)

Drehbuch: Reginald Rose

LV: Will C. Brown: The Border Jumpers, 1955

1874: Link Jones hat die Verbrecherlaufbahn zugunsten eines bürgerlichen Lebens aufgegeben. Als er während einer eines Zugüberfalls mit zwei Mitreisenden zurückbleibt führt er sie in eine Hütte, in der sie bereits von seinen alten Freunden erwartet werden. Ihr Anführer freut sich, dass das verlorene Schaf wieder zurückgekehrt ist. Aber ist das so?

Als der Film in die Kinos kam, war er bei der Kritik und dem Publikum ein Reinfall. Die französischen Kritiker waren begeistert und heute zählt „Der Mann aus dem Westen“ zu den anerkannten Western-Klassikern.

„’Man of the West’ zählt mit ‚The Naked Spur’ und ‚The Far Country’ zu seinen besten Western und damit zu de Hauptwerken des Genres überhaupt.“ (Joe Hembus: Das Western-Lexikon)

„Gary Coopers erste und einzige Begegnung mit dem Meisterregisseur Anthony Mann resultierte folgerichtig in dem ersten und einzigen wirklich großen Western seiner langen Karriere.“ (Homer Dickens: Gary Cooper und seine Filme)

„Mit Anthony Mann entdecken wir den Western als Arithmetik, wie in der ersten Mathematikstunde. Was bedeutet, dass ‚Der Mann aus dem Westen’ der intelligenteste aller Filme ist und zugleich der einfachste.“ (Jean-Luc Godard, Cahiers du Cinéma)

Reginald Rose schrieb auch die Drehbücher für „Die zwölf Geschworenen“ (nach seinem Theaterstück), „Ist das nicht mein Leben?“, „Die Wildgänse kommen“, „Die Seewölfe kommen“, „Das Kommando“ und „Wildgänse II – Sie fliegen wieder“.

Mit Gary Cooper, Julie London, Lee J. Cobb, Arthur O’Donnell, Jack Lord

Wiederholung: Mittwoch, 29. August, 14.35 Uhr

Hinweise

Wikipedia über „Der Mann aus dem Westen“

Turner Classic Movies über „Der Mann aus dem Westen“

Rotten Tomatoes über „Der Mann aus dem Westen“

The Western Review über „Der Mann aus dem Westen“

Film School Rejects über „Der Mann aus dem Westen“

Bonushinweis

Und wer den Film verpasst, kann sich die DVD besorgen. Koch Media veröffentlichte den Film „remasteres in HD“ (sieht gut aus). Außerdem gibt es eine hübsche Bildergalerie und ein Essay von Jean-Luc Godard zum Film.


TV-Tipp für den 26. August: Miami Vice

August 26, 2012

RTL II, 20.15

Miami Vice (USA 2006, R.: Michael Mann)

Drehbuch: Michael Mann

Die Polizisten Crockett und Tubbs jagen einen mächtigen Drogenhändler.

Optisch überzeugendes, inhaltlich schwaches Remake der erfolgreichen von Michael Mann und Anthony Yerkovich erfundenen bahnbrechenden TV-Serie. Denn in dem Spielfilm zeigt Mann nichts, was er nicht schon besser in der Serie gezeigt hat. Der Film ist nur ein optisch (also Mode, Musik und Technik) auf den aktuellen Stand gebrachtes Best-of der ersten Staffel von „Miami Vice“.

Mit Colin Farrell, Jamie Foxx, Gong Li, Naomie Harris, Ciarán Hinds, Justin Theroux

Wiederholung: Montag, 27. August, 01.15 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Film-Zeit über „Miami Vice“

Rotten Tomatoes über „Miamic Vice“

Wikipedia über „Miami Vice“ (deutsch, englisch)

Spielfilm.de: Interview mit Michael Mann zum Film

Confessions of a film critic: Interview mit Michael Mann zum Film

Drehbuch “Miami Vice” von Michael Mann (First Draft, 22. September 2004)

Meine Besprechung der ersten Staffel von „Miami Vice“

Michael Mann in der Kriminalakte


TV-Tipp für den 25. August: Knallhart

August 25, 2012

WDR, 21.45

Knallhart (D 2006, R.: Detlev Buck)

Drehbuch: Zoran Drvenkar, Gregor Tressnow

LV: Gregor Tressnow: Knallhart, 2004

Der fünfzehnjährige Michael muss sich in Neukölln gegen Jugendgangs behaupten. Als einzigen Ausweg gegen die alltäglichen Demütigungen sieht er den Weg in die Kriminalität.

Gut der Abstieg aus der noblen Grunewald-Villa in den schlimmsten Neuköllner Häuserblock geht etwas schnell. Ebenso die Anpassung des Grunewald-Bengels an die für ihn neuen Ghettoregeln.

Aber davon abgesehen ist „Knallhart“ ein verdammt gutes Stück Kino. Der Buck kann’s, wenn er will.

Mit David Kross, Jenny Elvers-Elbertzhagen, Erhan Emre, Oktay Özdemir, Kida Ramadan, Arnel Taci, Kai Müller, Hans Löw, Jan Henrik Stahlberg

Hinweise

Homepage zum Film

Film-Zeit über „Knallhart“

Wikipedia über „Knallhart“


Mit Robert B. Parker in die „Wildnis“ und nach „Appaloosa“

August 24, 2012

Robert B. Parker hat neben den erfolgreichen Kriminalromane mit Privatdetektiv Spenser auch einige andere Romane geschrieben. Dazu gehört die kurzlebige Serie mit Privatdetektivin Sunny Randall, die eine so überdeutliche weibliche Version von Spenser war, dass sie in der Krimi-Szene niemals akzeptiert wurde. Besser erging es Parker mit dem Kleinstadtpolizisten Jesse Stone. Diese Romane weichen deutlich von der „Spenser“-Formel ab. Die erfolgreichen TV-Filme mit Tom Selleck als Jesse Stone halfen auch. Inzwischen führen Ace Atkins die Spenser-Serie und Michael Brandman die Jesse-Stone-Serie fort.

Außerdem schrieb Robert B. Parker einige Einzelwerke, wie „Wildnis“, oder den Western „Appaloosa“, der dann doch der Erste von weiteren Virgil-Cole/Everett-Hitch-Romanen war.

1979, nach fünf „Spenser“-Romanen und dem autobiographischen „Three Weeks in Spring“ geschrieben mit seiner Frau Joan H. Parker über ihren Kampf gegen den Brustkrebs, veröffentlichte Robert B. Parker seinen ersten Einzelroman: „Wildnis“. In dem Thriller kollidiert Spensers Welt mit der des erfolgreichen, glücklich verheirateten Autors Aaron Newman. Er beobachtet beim Joggen einen Mord, geht zur Polizei und kann den Täter identifizieren: den skrupellosen Gangster Adolph Karl, dem es bislang immer gelang, durch die Maschen des Gesetzes zu schlüpfen. Die Beamten freuen sich, dass sie endlich einen Zeugen haben, der vor Gericht nicht einknicken will.

Als Aaron vom Polizeirevier zurückkehrt, findet er seine Frau Janet gefesselt auf ihrem Bett liegen und eine Botschaft von Adolph Karl. Er zieht seine Aussage zurück und damit könnte die Sache, abgesehen von etwas geknickter Ehre und einigen Vorwürfen seiner Frau, erledigt sein.

Aber sein Freund Chris Hood, ein Kriegsveteran, der für den Krieg lebt, setzt ihm den Floh ins Ohr, dass sie den Gangster töten müssen. Auch damit Aaron seine verletzte Ehre wiederherstellt.

Sie beobachten den Verbrecher und als er sich auf den Weg zu seinem einsam gelegenem Wochenendhaus macht, beschließen Aaron, Janet und Chris Hood ihn und seine Begleiter während einer Wanderung durch die titelgebende Wildnis zu töten.

Wildnis“, das jetzt in einer überarbeiteten Übersetzung vorliegt, ist ein fast schon archetypischer Thriller, in dem Parker sehr schön zeigt, was passiert, wenn kein Hardboiled-Detektiv, sondern ein Normalbürger gegen einen skrupellosen Gangster kämpfen muss. Eben diese veränderte Ausgangslage verändert auch die Diskussionen über Ehre und Selbstjustiz, die hier zwischen dem liberalen Intellektuellen Aaron Newman, der höchstens in seinen Romanen gewalttätig ist, und Chris Hood, der hier die Rolle von Spensers skrupellosem Freund Hawk übernimmt, stattfinden. Hood ist gleichzeitig, obwohl er im Korea-Krieg war, ein Kriegsversehrter, der sich nur im Krieg, im direkten Kampf um Leben und Tod zwischen Männern, lebendig fühlt. Für ihn ist die Jagd nach dem Gangster auch der Beweis, dass er noch lebt.

Allerdings ist die Art, wie in „Wildnis“ über das männliche Selbstverständnis und über seine Rolle als Beschützer gesprochen wird und wie liberale Ansichten über einen funktionierenden Rechtsstaat gegen alttestamentarische Western-Mythen, in denen ein Mann tut, was ein Mann tun muss, aufeinanderprallen, zutiefst ein Diskurs aus den siebziger Jahren, als das traditionelle Bild des Mannes heftig angegriffen wurde.

Abgesehen von diesen gesellschaftspolitischen Implikationen, der naheliegenden Überlegung, wie sehr Robert B. Parker sich in „Wildnis“ fragte, was er in so eine Situation tun würde und dem mühelosem Entdecken von zahlreichen autobiographischen Details (ein erfolgreicher Autor, der an einer Universität unterrichtet, schreibt über einen gleichaltrigen erfolgreichen Autor …), kann „Wildnis“ auch einfach als spannender Seventies-Thriller (Für euch Jungspunde: das war die Zeit vor PCs und Handys) verschlungen werden.

Obwohl Robert B. Parker in seinen Romanen immer wieder Western-Motive aufgreift, wandte er sich erst 2001 dem Western zu. Da erschienen der Spenser-Roman „Potshot“, ein Quasi-Western, und „Gunman’s Rhapsody“ über Wyatt Earp, seine Liebe zu dem Revuemädchen Josie Marcus und wie es zu der Schießerei am O. K. Corral kam.

2005 folgte „Appaloosa“, der erste Roman mit Virgil Cole und Everett Hitch, die als Revolvermänner ihre Art von Recht und Gesetz durchsetzen. Denn gerade Coles Selbstrechtfertigung, dass er sich immer an das Gesetz halte, wenn er jemand erschieße und ihn das von anderen Revolvermännern, die für Geld jeden erschießen, wird immer fadenscheiniger, weil Cole sich nur an die von ihm propagierten Gesetze hält.

Jetzt werden sie nach Appaloosa gerufen. Dort erschoss der Ranchbesitzer Randall Bragg kaltblütig den City Marshal. Virgil Cole, der in der Vergangenheit bereits mehrere Städte mit Everett Hitch (der die Geschichte erzählt) befriedete, wird von den Stadtoberen als sein Nachfolger eingestellt. Als erstes hängt Cole seine Gesetze aus – und wer sich nicht an sie hält, wird, nachdem er freundlich darauf hingewiesen wurde, erschossen. Das bekommt auch Bragg zu spüren, den sie, nachdem ein Zeuge auftaucht, verhaften.

Appaloosa“ nimmt selbstverständlich die bekannten Themen von Freundschaft, Ehre und Verantwortung auf, die wir aus Robert B. Parkers anderen Romanen kennen und die Gespräche zwischen Cole und Hitch sind gar nicht so weit entfernt von den Gesprächen zwischen Spenser und seinem skrupellosem Freund Hawk oder ihm und seiner Freundin Susan. Entsprechend vertraut klingen sie für langjährige Parker-Leser.

Die Geschichte liest sich wie ein Best-of der aus zahlreichen anderen Western bekannten Motive und Situationen. So verhaften Cole und Hitch Bragg, sperren ihn im Gefängnis ein, müssen das Gefängnis gegen die Gefolgsleute von Bragg verteidigen, Bragg wird später aus einem Zug befreit, es gibt eine Verfolgungsjagd durch die Wildnis, eine Belagerung von Indianern, ein Shoot Out in einem Kaff und Bragg, der später versucht, die Stadt mit seinem Geld zu kaufen.

Insofern überzeugt „Appaloosa“ durchaus als zünftiger Western, der den Eindruck hinterlässt, dass Robert B. Parker sich hier beim Schreiben etwas mehr Gedanken über die Handlung gemacht hat, als bei seinen letzten Spenser-Romanen: – was vielleicht auch daran liegt, dass „Appaloosa“, nachdem sie sich bei dem TV-Western „Monte Walsh“ (USA 2003) kennen lernten, als Drehbuch für einen Western mit Tom Selleck begann und, via Romanveröffentlichung, zu einem Western mit Ed Harris, Viggo Mortensen, Renée Zellweger, Jeremy Irons und Lance Henriksen wurde, der dem Buch bildgewaltig ohne große Änderungen folgt.

Trotzdem hatte ich beim Lesen von „Appaloosa“ den Eindruck, dass mehr möglich gewesen wäre. So ist es nur ein flott zu lesender Western, in dem Robert B. Parker seine vertrauten Themen in einem anderen Setting behandelt.

Robert B. Parker: Wildnis

(vollständig überarbeitete und aktualisierte Übersetzung, übersetzt von Ute Tanner)

Pendragon, 2012

288 Seiten

10,95 Euro

Originalausgabe

Wilderness

Delacorte, 1979

Deutsche Erstausgabe

Ullstein, 1984

Robert B. Parker: Appaloosa

Berkley Books, 2006

320 Seiten

7,99 US-Dollar

(derzeit bei Amazon für 6,30 Euro erhältlich)

Erstausgabe

G. P. Putnam’s Sons, 2005

Verfilmung

Appaloosa (Appaloosa, USA 2008)

Regie: Ed Harris

Drehbuch: Robert Knott, Ed Harris

mit Ed Harris, Viggo Mortensen, Renée Zellweger, Jeremy Irons, Lance Henriksen

(Boston Film Festival: Preis für bester Film und bestes Drehbuch)

 

Hinweise

Homepage von Robert B. Parker

Mein Porträt der Spenser-Serie und von Robert B. Parker

Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Die blonde Witwe“ (Widow’s walk, 2002)

Meine Besprechung von Robert B. Parkers “Alte Wunden” (Back Story, 2003)

Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Der stille Schüler“ (School Days, 2005)

Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Der gute Terrorist“ (Now & Then, 2007)

Meine Besprechung von Robert B. Parkers “Hundert Dollar Baby” (Hundred Dollar Baby, 2006)

Meine Besprechung von Robert B. Parkers „Trügerisches Bild“ (Painted Ladies, 2010)

Meine Besprechung von Robert B. Parkers “Bitteres Ende” (The Professional, 2009)

Mein Nachruf auf Robert B. Parker

Robert B. Parker in der Kriminalakte

 


TV-Tipp für den 24. August: Sugarland Express

August 24, 2012

ARD, 00.25

Sugarland Express (USA 1974, R.: Steven Spielberg)

Drehbuch: Hal Barwood, Matthew Robbins (nach einer Geschichte von Steven Spielberg, Hal Barwood und Matthew Robbins)

Die junge Mutter Lou Jean befreit ihren Mann aus dem Gefängnis. Gemeinsam wollen sie ihr Baby vor einer Zwangsadoption bewahren. Auf ihrer Fahrt zu den Pflegeeltern werden sie, verfolgt von einer Polizeiarmada, zu Volkshelden.

Steven Spielbergs erster Spielfilm (denn „Duell“ war ein Fernsehfilm, der auch im Kino ausgewertet wurde) ist einer seiner schönsten Filme.

‚The Sugarland Express‘ ist größtenteils eine ausgelassene, verrückte, kapriolenreiche Verfolgungskomödie – eine lebendige Situationskomödie nach Art der Roadrunner-Zeichentrickfilme, nur in Spielfilmlänge.“ (Variety)

Sein nächster Film war „Der weiße Hai“ und der Rest ist Geschichte.

mit Goldie Hawn, Ben Johnson, Michael Sacks, William Atherton, Gregory Walcott, Harrison Zanuck, Louise Latham

Hinweise

Wikipedia über „Sugarland Express“ (deutsch, englisch)

Rotten Tomatoes über „Sugarland Express“

Meine Besprechung von Steven Spielbergs “Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels” (Indiana Jones and the kingdom of the skull, USA 2008)

Meine Besprechung von Steven Spielbergs “Gefährten” (War Horse, USA 2011)

Steven Spielberg in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: Die Philip-K.-Dick-Verfilmung „Total Recall“, zweiter Versuch

August 23, 2012

Len Wisemans Remake von Paul Verhoevens Science-Fiction-Actionthriller „Total Recall“ ist eine wirklich seltsame Angelegenheit. Denn einerseits bietet der Film unzählige Ansätze für einen Totalverriss, aber andererseits langweilte ich mich beim Ansehen auch niemals. Ich genoss das Remake wie eine Geisterbahnfahrt: ich war mir immer bewusst, dass ich in einem Wagen sitze, während die plötzlich auftauchenden Geister und die schauerlichen Geräusche mich mehr oder weniger gut erschreckten. Gut, eher weniger. Jedenfalls ist eine Geisterbahnfahrt nur eine Abfolge von Schocks, ohne einen tieferen Sinn und eine irgendwie schlüssige Geschichte.

Die Macher von „Total Recall“, die Drehbuchautoren Kurt Wimmer („Equilibrium“, „Ultraviolet“, „Salt“) und Mark Bombach („Stirb langsam 4.0“, „Unstoppable – Außer Kontrolle“) und Regisseur Len Wiseman („Underworld“, „Stirb langsam 4.0“), nahmen einfach die Geschichte des Arnold-Schwarzenegger-Films und folgen ihr, oft sogar bis in die Dialoge, weitgehend ohne Änderungen. Allerdings warfen sie die gesamte Logik des Originals weg und entsorgten dabei auch die einfachen, aber sehr effektiven und glaubwürdigen Motive und Handlungen der Charaktere, bis nur noch ein bunter, aber sinnfreier Actionreigen, teils mit ebenso sinnfreien, aber CGI-intensiven Actionszenen übrig blieb und der geneigte Science-Fiction- und Action-Filmfan eifrig die Vorbilder auf einer beeindruckend langen Liste abhaken kann. Denn die einzige wirklich originelle Idee in dem Remake ist, dass die Welt nach einer Katastrophe, bis auf zwei Zentren, unbewohnbar ist. Das eine Zentrum ist im heutigen London die United Federation of Britain, das andere in Australien, die Kolonie, die auch ganz banal „The Colony“ heißt, und etliche Bewohner der Kolonie (die wie ein vergessenes „Blade Runner“-Set aussieht) fahren täglich mit dem „Fall“, einem Fahrstuhl mit Sitzgelegenheit, in 16 Minuten (Wow, das ist schnell.) von der einen Seite der Erde die 12.700 Kilometer auf die andere Seite der Erde.

Dass dieser Fahrstuhl durch den Erdkern eine vollkommen absurde Idee ist, soll uns nicht weiter kümmern. Denn die Macher versuchen auch nie, ihre in dem Science-Fiction-Spektakel entworfene Welt schlüssig zu erklären. Denn hätten sie das auch nur eine Nanosekunde versucht, hätten sie kein Best-of der SF-Filme der letzten Jahre auf die Leinwand geklatsch.

Unser Held Douglas Quaid (Colin Farrell) lebt mit seiner Frau Lori (Kate Beckinsale) in der Kolonie. In London baut er im Akkord die Synths zusammen. Diese menschenähnlichen Polizeiroboter erinnern an das Kanonenfutter aus den „Krieg der Sterne“-Filme. Er hat auch Alpträume und irgendwann geht er zu „Rekall“, einer Firma, die anscheinend in einer hinteren Ecke des Vergnügungsviertels liegt und wie die Hollywood-Version eines chinesischem Freudenhaus mit Triadenconnection aussieht. „Rekall“ implantiert falsche Erinnerungen. Quaid hätte gerne die Erinnerungen vom gefahrvollen Leben eines Geheimagenten. Als die Ärzte ihm die Erinnerungen implantieren wollen, stellen sie fest, dass Quaid Geheimagent ist – und schon stürmt eine Armada schwerbewaffneter Soldaten in den Raum. Quaid tötet sie und kann flüchten. Zu Hause erfährt er, dass seine Frau eine Agentin ist, die ihn bewachen sollte und jetzt töten will.

Ab da ist „Total Recall“ nur noch einige einzige Jagd, unterbrochen von spartanischen Erklärungen und einer kleinen Etüde auf dem Klavier.

Und man kann sich, auch ohne das Original zu kennen (schwierig) oder es noch szenengenau im Kopf zu haben (schon eher möglich), über den unlogischen Plot nur wundern. Denn es wird niemals klar, wogegen die Rebellen rebellieren, warum der Bösewicht so böse ist und warum Lori ihren Geheimagenten-Göttergatten wie gedopt im allerbesten Terminator-Stil verfolgt. Das ist alles l’art pour l’art.

Es wird auch nie ein schlüssiges Bild der Zukunft gezeichnet. Da geht alles kunterbunt durcheinander und die Logik ist in „Total Recall“ nicht mehr der ärgste Feind des Regisseurs. Denn hier ist nichts logisch.

Die Actionszenen sind zwar zahlreich und auf den ersten Blick auch optisch beeindruckend, wenn es lange Verfolgungsjagden, natürlich immer mit exzessivem Schusswaffengebrauch, in halb fliegenden Autos (weil sie zwar fliegen, aber durch Magneten auf der Fahrbahn gehalten werden) und zwischen sich in rätselhafter Weise kreuz und quer bewegenden Fahrstühlen gibt.

Gute Schauspieler, wie Bill Nighy als Rebellenführer Matthias, werden lieblos mit einer beliebigen Szene abgefertigt. Aber warum sollte es ihm besser gehen als der Frau mit den drei Brüsten. Im Original hatte sie eigene kleine Geschichte und deshalb berührte uns ihr Tod. Im Remake entblößt sie sich am Anfang und zeigt dem an ihren Reizen desinteressierten Quaid den Weg zu „Rekall“. Das hat die Qualität eines Cameos, das die Macher schnell und lieblos hinter sich bringen, um die Zuschauer nicht von der eigentlichen Geschichte abzulenken.

Insofern ist Wisemans Remake ein grandioses Beispiel für ein gescheitertes Remake: denn anstatt die Fehler des Originals auszumerzen oder der bekannten Geschichte neue Aspekte abzugewinnen oder sie für die Gegenwart zu aktualisieren oder, basierend auf der Prämisse der literarischen Quelle eine neue Geschichte zu erzählen, begnügt sich Wiseman mit einem Malen nach Zahlen. Seinem Remake fehlt der schwarze Humor, die Inspiration, der Ideenreichtum, auch im detaillierten Zeichnen einer damals fernen Zukunft mit Bildtelefonen, implantierten GPS-Sonden und zimmergroßen Flachbildschirmen, das vielschichtige Ansprechen von philosophischen Fragen, wie dem Unterschied von Realität und Traum, und die ätzende Kapitalismuskritik des Originals.

Es gibt eigentlich nichts, was wirklich für Len Wisemans Film spricht oder ihn über das Niveau eines 08/15-Actionfilms mit den schon hunderttausendmal gesehenen Standardsituationen hebt, abgesehen natürlich von den guten Schauspielern, den hübschen Tricks und der Philip-K.-Dick-Vorlage, die ungleich witziger, absurder und logischer als diese Verfilmung ist.

Und trotzdem hat mir der Film gefallen. Beim Sehen. Denn die Erinnerung verblasst schnell.

Total Recall (Total Recall, USA 2012)

Regie: Len Wiseman

Drehbuch: Kurt Wimmer, Mark Bomback (nach einer Geschichte von Ronald Shusett & Dann O’Bannon und John Povill und Kurt Wimmer)

LV: Philip K. Dick: We can remember it for you wholesale (Kurzgeschichte, Erstveröffentlichung in „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“, April 1966, deutscher Titel „Erinnerungen en gros“, zahlreiche Nachdrucke in beiden Sprachen in verschiedenen Sammelbänden)

mit Colin Farell, Kate Beckinsale, Jessica Biel, Bryan Cranston, John Cho, Bill Nighy, Bokeem Woodbine

Länge: 118 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Total Recall“

Metacritic über „Total Recall“

Rotten Tomatoes über „Total Recall“

Wikipedia über „Total Recall“ (deutsch, englisch)

Homepage von Philip K. Dick

Philip K. Dick in der Kriminalakte

 

 


Neu im Kino/Filmkritik: Meditieren mit „Samsara“

August 23, 2012

Eine „geführte Meditation“ sei ihr Film „Samsara“, sagen Regisseur Ron Fricke und Produzent Mark Magidson. „Samsara“ ist das Sanskrit-Wort für das unaufhörlich drehende Rad des Lebens, den Kreislauf des Entstehens und Vergehens, der in hundert Filmminuten visualisiert wird.

Zu einer Meditation gehören, jedenfalls bei einem Kinofilm, Musik und Bilder. Die Musik ist von Ambient-Musiker Michael Stearns, „Dead Can Dance“-Sängerin Lisa Gerrard und Marcello De Francisci. Die Bilder wurden in den letzten fünf Jahren rund um den Globus aufgenommen und sie sind, auf der großen Leinwand, ziemlich atemberaubend.

Fricke und Magidson waren in 25 Ländern. Indien, Japan, Türkei, China, Myanmar, Äthiopien, Frankreich, USA und Brasilien standen auf ihre Reiseliste und dort besuchten sie auch abgelegene und entsprechend selten bis nie abgefilmte Orte.

Sie beobachteten die Natur. Sie filmten alte, neue und auch zerstörte Gebäude. Sie filmten Menschen, bevorzugt in der Masse, beim Sport und Tanz und Soldaten beim Paradieren. Sie werfen einen Blick in eine Schlachterei und in eine Massentierhaltung. Es gibt die Performance eines Künstlers, der sich mit Lehm beschmiert. Es werden Schusswaffen gezeigt, die sich auch in den Händen von Afrikanern befinden.

Sie zeigen diese Bilder mal in Zeitlupe, öfters aber im Zeitraffer.

Mit der Musik entwickelt sich dann ein eigener Rhythmus, bei dem vor allem die ästhetische Komponente zählt. Letztendlich haben das Elend in Afrika, die Akkordarbeit in Fabriken und die giftigen Dämpfe einer Schwefelmine in Indonesien nur noch eine fotogene Funktion, bei der sich, in ihrer Wirkung, die Bilder von einem Slumviertel nicht mehr von den nächtlichen Bildern einer Metropole unterscheiden.

Denn die Gegenüberstellung vom Leben der buddhistischen Mönche, die im Einklang mit der Natur leben, und dem entseelten Leben im Westen, sich blindwütig-monoton bewegenden Menschenmassen, Akkordarbeitern in Schlachtereien und vom Kapitalismus zerstörten Gegenden ist doch arg plakativ und letztendlich ohne größeren Erkenntnisgewinn.

Allerdings sind diese wortlosen, nicht-narrativen Experimentalfilme – Fricke war auch in „Koyaanisqatsi“, „Chronos“ und „Baraka“ involviert – im Kino nichts für mich. Denn ich sehe sie nicht als Kinofilme, sondern als Musikvideos oder Kunstinstallationen in einem Museum oder auch, ganz respektlos, als Bildteppich in einer Kneipe und auf dieser rein ästhetischen Ebene ist „Samsara“ durchaus gelungen.

Samsara (Samsara, USA 2011)

Regie: Ron Fricke

Drehbuch: Ron Fricke

Länge: 100 Minuten

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Samsara“

Metacritic über „Samsara“

Rotten Tomatoes über „Samsara“

Wikipedia über „Samsara“


TV-Tipp für den 23. August: Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir

August 22, 2012

ZDF Kultur, 22.15

Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir (D 2009, Regie: Christoph Schlingensief)

Drehbuch: Christoph Schlingensief

In seinem für das Theater geschriebenem Fluxus-Oratorium thematisiert Christoph Schlingensief seine Krebserkrankung.

Hinweise

Homepage zu „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“

Nachtkritik über „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“

Homepage von Christoph Schlingensief

Wikipedia über Christoph Schlingensief

ZDF Kultur über Christoph Schlingensief (wenig Infos, aber im Moment noch mit einen 75-minütigem Interviewfilm)


R. i. P. Tony Scott

August 22, 2012

R. i. P.: Tony Scott (21. Juni 1944, North Shields, England – 19. August 2012, San Pedro, Kalifornien/USA)

Am Sonntagnachmittag sprang Tony Scott von der Vincent-Thomas-Hängebrücke, die Los Angeles mit San Pedro verbindet. Seinen Selbstmord hatte der Regisseur gut geplant: im Auto lag eine Liste mit den Menschen, die benachrichtigt werden sollen, und in seinem Büro ein Abschiedsbrief. Der Grund für seinen Selbstmord ist bis jetzt noch nicht bekannt. Denn er war gesund (so heißt es) und er arbeitete an mehreren Projekten.

Tony Scott, der jüngere Bruder von „Alien“- und „Blade Runner“-Regisseur Ridley Scott, drehte keine Filme, die Kritiker zu Jubelstürmen hinrissen. Aber schon in seinem ersten Spielfilm, der Vampirliebesgeschichte „Begierde“ (The Hunger, USA 1983) mit Catherine Deneuve, David Bowie und Susan Sarandon, ist sein durch unzählige Werbefilme geschulter bildgewaltiger Stil vorhanden, den er in den nächsten Jahren vor allem in Thrillern, die fast immer auch Kassenhits waren, weiterentwickelte und der etliche jüngere Regisseure beeinflusste.

Sein zweiter Film, die Militärschmonzette „Top Gun“ (USA 1986), mit Tom Cruise, war dann der große Durchbruch. „Beverly Hills Cop II“ (USA 1987) ist so etwas wie ein Tony-Scott-Best-of. Danach kamen „True Romance“ (USA 1993), nach einem Drehbuch von Quentin Tarantino, „Der Staatsfeind Nr. 1“ (Enemy of the State, USA 1998) und „Mann unter Feuer“ (Man on Fire, USA 2004), obwohl er den Film durch seine damalige Manie, möglichst jede Zehntelsekunde einen Schnitt zu setzten, fast ruinierte. Bei dem Komplettdesaster „Domino“ (USA 2005) gelang ihm das. Danach wurden seine Filme wieder ruhiger und Denzel Washington, der schon in in den Tony-Scott-Filmen „Crimson Tide – In tiefster Gefahr“ (USA 1995) und „Mann unter Feuer“ der Hauptdarsteller war, übernahm auch in Scotts nächsten und letzten drei Spielfilmen „Déjà Vu – Wettlauf gegen die Zeit“ (USA 2006), „Die Entführung der U-Bahn Pelham 123“ (The Taking of Pelham 123, USA 2009) und „Unstoppable – Außer Kontrolle“ (USA 2010), die Hauptrolle. Es waren nicht seine schlechtesten Filme, denn in ihnen ist eine leichte Altersweisheit und eine, im heutigen Kino, angenehme Hinwendung zu altmodischen Erzähltugenden erkennbar.

Nachrufe gab es unter anderem in der New York Times, Los Angeles Times, Spiegel, Die Zeit und der taz.

Und jetzt seht euch in aller Ruhe das Interview an.

 

 


Frau Käßmann findet den „Schatz im Silbersee“ in Berlin

August 22, 2012

Dann mache ich mal etwas „Copy&Paste“ für die Deutsche Filmakademie und Margot Käßmann, weil wir Western-Junkies nicht jeden Tag die Möglichkeit bekommen, einen alten Winnetou-Film auf der großen Leinwand zu sehen und „Der Schatz im Silbersee“ wirklich, wirklich, auch dank der regelmäßigen Wiederholungen im TV, zu unseren Jugenderinnerungen gehört:

 

Die Deutsche Filmakademie setzt ihre Veranstaltungsreihe MEIN FILM fort: Margot Käßmann stellt am 29. August in der Astor Film Lounge DER SCHATZ IM SILBERSEE (Regie: Harald Reinl) vor.

MEIN FILM heißt die öffentliche Veranstaltungsreihe der Deutschen Filmakademie, die mit Peer Steinbrück vergangenen Winter eröffnet wurde. Am 29. August steht die Fortsetzung an: Margot Käßmann, Theologin und Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum 2017, präsentiert DER SCHATZ IM SILBERSEE und wird darüber sprechen, warum die Verfilmung des Karl-May-Klassikers ihre Liebe zum Kino geweckt hat. „DER SCHATZ IM SILBERSEE war mein erster Kinofilm. Und ich war absolut fasziniert: von den Charakteren, dem Ringen zwischen Gut und Böse, der Musik und der Landschaft“, begründet Käßmann ihre Wahl.

 

DER SCHATZ IM SILBERSEE, BRD/JUG/F 1962, 111 Minuten

 

Margot Käßmann im Gespräch mit Alfred Holighaus

29. August in der Astor Film Lounge | Kurfürstendamm 225 | 10719 Berlin

Kaufkarten im Vorverkauf und an der Abendkasse (12 Euro) | Einlass 19:00 Uhr | Beginn 19:30 Uhr

 

DER SCHATZ IM SILBERSEE (Regie: Harald Reinl, 1962) war der erste von insgesamt elf überaus erfolgreichen Karl-May-Western, die in den sechziger Jahren entstanden. Die Berliner Produzenten-Legende Horst Wendlandt hatte sich diese Reihe ausgedacht und die meisten der Filme produziert. Eine der Hauptrollen besetzte er mit dem Hollywood-Schauspieler Lex Barker, der in vielen Tarzan-Verfilmungen zu sehen war und später hauptsächlich in Europa arbeitete, beispielsweise mit Federico Fellini (LA DOLCE VITA). Er war Old Shatterhand. Für den Apachen-Häuptling Winnetou fand Wendlandt einen relativ unbekannten französischen Theater- und Filmschauspieler namens Pierre Brice. Für ihn sollte das die Rolle seines Lebens werden.

Die deutsch-jugoslawisch-französische Koproduktion lockte schätzungsweise 17 Millionen Zuschauer in die Kinos und versammelte neben Barker, Brice und dem britischen Kinostar Herbert Lom (DER ROSAROTE PANTHER) auch ein deutsches Ensemble um Götz George, Karin Dor, Eddi Arent, Ralf Wolter und Marianne Hoppe. Das Titelthema der von Martin Böttcher komponierten Filmmusik – die „Old Shatterhand-Melodie“ – führte 1962 17 Wochen lang die Charts in Deutschland an und wurde mehr als 100.000 Mal verkauft.

Noch in diesem Herbst soll die Reihe mit einem weiteren spannenden Gast aus dem öffentlichen Leben fortgesetzt werden. MEIN FILM ist eine Veranstaltungsreihe der Deutschen Filmakademie in Zusammenarbeit mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit freundlicher Unterstützung des Hôtel Concorde Berlin und der Astor Film Lounge.

 

Ach, und das Kino ist auch schön.


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