Gleich zwei Serien von Brian Azzarello steuern auf ihr Ende zu. Einmal die geniale, auf hundert Hefte angelegte Noir-Serie „100 Bullets“, einmal die eher konfuse Westernserie „Loveless“, die ursprünglich als ein großes Epos geplant war, aber nach 24 Heften eingestellt wurde.
Bereits in den ersten „Loveless“-Heften fragte man sich, was Brian Azzarello da eigentlich anstellt. Die Prämisse (Wes Cutter kehrt aus dem Krieg zurück und will sich rächen) ist einfach, aber tragfähig. Die Idee, die Zeit nach dem Bürgerkrieg ungeschminkt zu zeigen, verspricht durchaus einige spannende Geschichten, die ein unbekanntes Licht auf die amerikanische Geschichte werfen und gegen einen zünftigen Western ist auch nichts einzuwenden. Besonders wenn die ersten Seiten einen Mix aus Spaghetti-Western und Deadwood versprechen. Aber schon in den ersten Heften wurde die Rachegeschichte zugunsten verschiedener heftlanger Episoden und unmotivierter Aktionen von Wes Cutter, die vielleicht die Bewohner von Blackwater provozieren, ihn aber nicht näher an sein Ziel bringen, vernachlässigt. Am Ende des zweiten „Loveless“-Bandes „Begraben in Blackwater“ gab es dann den großen Schock: Wes Cutter wird von einem gedungenen Mörder erschossen.
Im dritten, jetzt erschienenen Band „Saat der Vergeltung“ nimmt Cutters Frau Ruth das Heft des Handelns in die Hand. Immerhin hat sie jetzt einen weiteren Grund, sich an den Einwohnern von Blackwater und den dort brutal agierenden Nordstaaten-Soldaten zu rächen. Aber vor der Rache gibt es erst einmal ein Bündel Charakterstudien, die den einzelnen Charakteren mehr Tiefe verleihen, ohne den Hauptplot (der jetzt wohl ‚Ruth Cutter will sich rächen‘ ist) erkennbar voranzutreiben. Dafür erzählt Azzarello in der drei Hefte umfassenden Geschichte „Stunde der Abrechnung“, wie ein ultrabrutaler Nordstaatler den Grundstein für den Klu Klux Klan legt und es entsteht langsam ein düsteres Bild, wie sich der Hass zwischen Nord- und Südstaatlern, politische und ökonomische Interessen miteinander verknüpfen. Es bleibt aber immer noch die Frage, wie das alles in dem vierten und abschließendem, für Ende September angekündigten „Loveless“-Band „Stunde der Abrechnung“ enden soll.
Wie das Enden soll fragt man sich auch bei „100 Bullets“. Denn Autor Brian Azzarello und Zeichner Eduardo Risso haben nur noch siebzehn Hefte um den Kampf zwischen den Minutemen und den verschiedenen Häusern des Trusts zu einem sicher für viele Charaktere tödlichem Ende zu führen und die vielen offenen Fragen zu klären.
In dem elften „100 Bullets“-Sammelband „Das Einmaleins der Macht“ springen Azzarello und Risso so sehr zwischen den einzelnen Subplots und Zeitebenen, dass die Geschichte kaum noch nacherzählt werden kann.
Aber das ist auch irgendwie müßig. Denn die „100 Bullets“-Fans werden die Story verschlingen, Neueinsteiger werden sich im elften „100 Bullets“-Sammelband sehr verloren vorkommen. Daran ändert auch die kurze Zusammenfassung am Anfang des Buches nichts.
Hier muss wirklich mit dem ersten Heft begonnen werden. Denn letztendlich ist kein Charakter und keine Geschichte überflüssig. Sie alle (Tote ausgenommen) tauchen irgendwann wieder auf und oft erscheint ihr früheres Handeln in einem neuen Licht.
Im Gegensatz zu der verunglückten Westernserie „Loveless“ (außer Brian Azzarello findet noch einen überraschenden Abschluss) ist die Noir-Serie „100 Bullets“ absolut empfehlenswert.
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Brian Azzarello/Danijel Zezelj/Werther Dell’Edera: Loveless – Saat der Vergeltung (Band 3)
(übersetzt von Bernd Kronsbein)
Vertigo/Panini 2010
148 Seiten
16,95 Euro
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Originalausgabe
Loveless – Blackwater Falls
Vertigo Comics, 2008
(die Originalausgabe enthält Volume 13 – 24)
Die deutsche Ausgabe Volume 13 – 18, Vertigo Comics 2007
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Brian Azzarello/Eduardo Risso: 100 Bullets – Das Einmaleins der Macht (Band 11)
(übersetzt von Claudia Fliege)
Vertigo/Panini 2010
196 Seiten
19,95 Euro
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Originalausgabe
100 Bullets – Once upon a crime
Vertigo, 2007
(enthält Volume 27 – 83, DC Comics 2006/2007)
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Hinweise
Wikipedia über „100 Bullets“ (deutsch, englisch)
Britische Fanseite zu „100 Bullets“
News A Rama: Interview mit Brian Azzarello (Oktober 2006)
UGO: Interview mit Brian Azzarello (circa 2006)
Comics Bulletin: Interview mit Brian Azzarello (circa 2006/2007)
Meine Besprechung von Brian Azzarello/Eduardo Rissos “Jonny Double” (Jonny Double, 2002)