Die Hochzeit wird geplant und Karen plant schon das erste Kind. Neal Carey, der während seines Studiums (ach ja, seine Arbeit über „Tobias Smollett: Literarischer Außenseiter im England des achtzehnten Jahrhunderts“ ist fast fertig) immer wieder für die inoffizielle Abteilung Friends of the Family einer noblen Privatbank gefährliche, mehr oder weniger illegale Aufträge übernehmen musste, könnte also endlich ein normales Leben führen, wenn Karen ihn, der seinen leiblichen Vater nie kannte, nicht mit ihrem Kinderwunsch schockieren würde. Da freut er sich über den Anruf von Joe Graham, seinem „Dad“, dem Mann, der ihn groß zog und der für die Bank arbeitet. Für die Bank – und das hört sich nach einem wirklich leichten Auftrag an – soll Neal Nathan Silverstein, besser bekannt als Natty Silver, von Las Vegas nach Palm Desert fahren. Seine stinkreiche Nichte sorgt sich um ihn.
Natty ist ein mehr als lebenslustiger, ungefähr 85-jähriger Komiker, bei dem unklar ist, an was er sich noch erinnert und der starrsinniger als ein starrsinniges Kind sein kann. Deshalb fliegen Neal und Natty nicht nach Palm Desert, sondern benutzen das Auto – und sie werden, was Neal allerdings erst viel später erfährt, von zwei mordgierigen Männern verfolgt. Denn Natty ist der Zeuge eines Verbrechens.
„Palm Desert“ ist der fünfte, letzte und kürzeste Neal-Carey-Roman, dessen Geschichte natürlich eine typische Buddy-Geschichte ist, die – wenn man so will – von „Midnight Run – Fünf Tage bis Mitternacht“ (USA 1988) inspiriert ist. Immerhin spielen die Carey-Romane in den siebziger und achtziger Jahren, es gibt immer etliche zeitgeschichtliche Anspielungen und auch formal bezieht Don Winslow sich immer wieder auf damals in Romanen und Filmen beliebte Grundplots, Situationen und Themen, die er eigenständig und mit viel Humor bearbeitete. Weil die Bank in „Palm Desert“ nur eine Nebenrolle als austauschbarer Auftraggeber für einen austauschbaren Auftrag fungiert, ist Neal Careys letzter Fall auch etwas austauschbar in seiner zeitlichen Verortung. Denn er könnte, wenn nicht einmal erwähnt würde, dass Ronald Reagan Präsident ist, auch zu fast jedem anderen Jahrzehnt spielen.
Davon abgesehen sind alle anderen Elemente, die man von einem Neal-Carey-Roman erwartet, auch in „Palm Desert“ enthalten und weil ein ständig quasselnder Komiker im Mittelpunkt steht, gibt es auch einiges zu Lachen. Auch die in der zweiten Hälfte des Romans eingefügte Korrespondenz zwischen Anwälten und der Leiterin der Schadenabteilung der Western States Versicherungsgesellschaft, die einige wichtige Hintergründe erklären, ist pure Comedy im Korsett des offiziellen Schriftverkehrs. Die in der zweiten Hälfte zunehmend grotesk werdenden Verwicklungen und Dialoge zwischen den involvierten Parteien sorgen für weitere Lacher. Denn selbstverständlich ist der einfache Auftrag kein einfacher Auftrag.
„Palm Desert“ ist eine flotte, schnelle, gewohnt witzige Lektüre, die wegen der Kürze allerdings eher wie ein Zwischenspiel, das keine Fortsetzung fand, wirkt. Und selbstverständlich eignet sich „Palm Desert“ auch als Einstieg in die Welt von Neal Carey.
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Don Winslow: Palm Desert
(übersetzt von Conny Lösch)
Suhrkamp, 2016
208 Seiten
10,99 Euro
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Originalausgabe
While Drowning in the Desert
St. Martin’s Press, New York, 1996
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Hinweise
Hollywood & Fine: Interview mit Don Winslow (11. Juli 2012)
Homepage von Don Winslow (etwas veraltet, weil eigentlich eine Verlagsseite)
Deutsche Homepage von Don Winslow (von Suhrkamp)
Don Winslow twittert ziemlich oft
Meine Besprechung von Don Winslows “London Undercover” (A cool Breeze on the Underground, 1991)
Meine Besprechung von Don Winslows “China Girl” (The Trail to Buddha’s Mirror, 1992)
Meine Besprechung von Don Winslows „Bobby Z“ (The Death and Life of Bobby Z, 1997)
Meine Besprechung von Don Winslows „Tage der Toten“ (The Power of the Dog, 2005)
Meine Besprechung von Don Winslows „Pacific Private“ (The Dawn Patrol, 2008)
Meine Besprechung von Don Winslows „Satori“ (Satori, 2011)
Mein Interview mit Don Winslow zu “Satori” (Satori, 2011)
Meine Besprechung von Don Winslows “Savages – Zeit des Zorns” (Savages, 2010)
Meine Besprechung von Don Winslows “Kings of Cool” (The Kings of Cool, 2012)
Meine Besprechung von Don Winslows „Vergeltung“ (Vengeance, noch nicht erschienen)
Meine Besprechung von Don Winslows “Missing. New York” (Missing. New York, noch nicht erschienen)
Meine Besprechung von Don Winslows „Das Kartell“ (The Cartel, 2015)
Meine Besprechung von Don Winslows „Germany“ (Germany, 2016 – noch nicht erschienen)
Meine Besprechung von Oliver Stones Don-Winslow-Verfilmung „Savages“ (Savages, USA 2012)