Neu im Kino/Filmkritik: Nope, „Nope“

August 11, 2022

Ein Teil meiner Enttäuschung hängt sicher mit den Erwartungen zusammen. Die Trailer versprachen viel und verrieten wenig. Die offizielle Synopse ebenso: „Emerald ‚Em‘ (Keke Palmer) und OJ (Daniel Kaluuya) sind die Eigentümer einer Farm für Hollywood-Filmpferde. Ihre kalifornische Haywood-Ranch, weitab von den ersten Anzeichen menschlicher Zivilisation, ist bereits seit Jahrzehnten in Familienbesitz. Eines Nachts beobachten sie auf ihrem Land schockierende Phänomene, für die es keinerlei Erklärung zu geben scheint. Dabei ahnen sie nicht, dass es sich nur um die Vorboten eines grauenerregenden Geheimnisses handelt…“

Die Kritiken und Publikumsmeinungen aus den USA sind überaus positiv. Alle, die den Film vor mir gesehen hatten, wollten mit mir über das Ende reden. Das war der Moment, in dem ich immer sagte: „Darüber reden wir, wenn ich ihn gesehen habe.“

Also erwartete ich einen besonderen Film mit einem Shyamalan-Twist am Ende. Außerdem gefielen mir Jordan Peeles vorherige Filme, „Get Out“ gefiel mir sehr gut. „Wir“ weniger. An der Kinokasse waren beide Filme äußerst erfolgreich – und „Nope“ ist das Ergebnis. Der Regisseur erhält ein größeres Budget und freie Hand.

Das benutzt er für eine gewöhnliche Alien-Invasionsgeschichte mit vielen losen Enden, die dazu führen, dass im Internet inzwischen munter spekuliert wird, was was bedeutet und wie das alles miteinander zusammenhängt. Also wer der Motorradfahrer ist, der aus dem Nichts auftaucht als die Geschwister die Aliens anlocken wollen, warum wir so viel über eine 90er-Jahre-Sitcom erfahren und was das damalige Unglück mit den Ereignissen in der Gegenwart zu tun hat. Außer dass Ricky ‚Jupe‘ Park (Steven Yeun) damals als Kinderdarsteller zum Ensemble der Sitcom gehörte und er heute, immer noch von seinem Hollywood-Ruhm zehrend, in der Nähe der Farm der beiden Haywood-Geschwister einen Wilder-Westen-Goldrausch-Themenpark betreibt. Wie der Zusammenhang zwischen Menschen die in oder mit Hollywood Geld verdienen mit den Aliens ist. Undsoweiterundsofort.

Die Story selbst ist ein aufgeblasenes Nichts. In der ersten Hälfte wird angedeutet, dass die Aliens in einer sich nicht bewegenden Wolke am Himmel über der Pferdefarm sind. Ihren Angriffen scheint man, wie schon der Trailer andeutet, entkommen zu können, wenn man sie bei Angriffen nicht ansieht. In der zweiten Hälfte kämpfen dann die Farmbesitzer OJ und seine Schwester Emerald gegen die Aliens. Ihnen helfen der Computerfreak, Slacker und Angestellte der Elektronikkette Fry’s Electronics, Angel Torres (Brandon Perea), der ihre Videoüberwachungsanlage auf den neuesten Stand brachte (was ihnen bei den Angriffen nicht hilft), und der etwas durchgeknallte Dokumentarfilm-Kameramann Antlers Holst (Michael Wincott). Holst ist dabei, weil echte Aufnahmen von Aliens eine Sensation wären.

Das sieht in jedem Moment, auch das zeigt der Trailer, gut aus. Allerdings zieht sich die Story wie Kaugummi. Vieles wird angedeutet. Vieles wird angesprochen, aber fast nichts wird konsequent zu Ende geführt. Das weckt natürlich durchgehend Erwartungen auf eine große Auflösung am Ende. Diese Überraschung gibt es nicht. Und das ist dann auch eine Art von Überraschung. Wie ein Witz ohne Pointe.

So ist „Nope“ ein bildgewaltiger lahmer Schocker, der ein Manifest der Hybris des Regisseurs ist. Hoffentlich fällt Jordan Peeles nächster Film wieder überzeugender aus.

Nope (Nope, USA 2022)

Regie: Jordan Peele

Drehbuch: Jordan Peele

mit Keke Palmer, Daniel Kaluuya, Brandon Perea, Steven Yeun, Michael Wincott, Devon Graye, Keith David, Eddie Jemison, Osgood Perkins, Wrenn Schmidt

Länge: 131 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Nope“

Metacritic über „Nope“

Rotten Tomatoes über „Nope“

Wikipedia über „Nope“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jorda Peeles „Get out“ (Get out, USA 2017)

Meine Besprechung von Jordan Peeles „Wir“ (Us, USA 2019)


Neu im Kino/Filmkritik: „Hustlers“ – Ex-Stripperinnen auf der Suche nach Geld

Dezember 1, 2019

Nach der Finanzkrise überlegen einige Stripperinnen, wie sie an Geld kommen können. Dabei erinnern sie sich an ihre alte Kundschaft, die spendierfreudigen Wall-Street-Banker, und an ihre Talente, die sie jetzt mit zunehmend geschärftem kriminellem Bewusstsein einsetzen.

Diese Art der Geldbeschaffung sorgt dann für andere Probleme, Ärger mit dem Gesetz und eine lange „New York Magazine“-Story, die jetzt von Lorene Scafaria nach ihrem Drehbuch, mit einem fast rein weiblichen Cast (u. a. Jennifer Lopez) und, immerhin spielt der Film in der Welt der Stripclubs, viel nackter Haut verfilmt wurde. Wobei der Anteil nackter Haut in Deutschland gerade so für eine FSK-12-Freigabe reichte. In den prüderen USA gab es ein R-Rating und ein gutes Einspielergebnis an der Kinokasse.

Den Rahmen des Films bildet ein Geständnis von Destiny (Constance Wu). Sie spricht direkt zu ihrer erst sehr spät im Film gezeigten Gesprächspartnerin. Ihr Blick ist in den Kinosaal gerichtet und damit werden wir Zuschauer zu Destinys Vertrauten und Verbündeten. Sie erzählt, wie sie zu einer Stripperin wurde. Sie braucht Geld für ihre bedürftige Großmutter und sich. Und als Stripperin scheint man sehr schnell sehr viel Geld zu verdienen. Sie wird von Ramona (Jennifer Lopez), der Königin des Clubs, unter die Fittiche genommen. Vor der Bankenkrise verdienen sie im Stripclub als glückliche Familie viel Geld.

Nach der Bankenkrise, als viele Wall-Street-Banker nicht mehr kommen und die, die doch noch kommen, sie mit 1-Dollar-Noten abspeisen, haben sie eine höchst illegale Idee um für den dringend nötigen Unterhalt zu sorgen. Denn sie sind nicht nur Stripperinnen, sondern auch Mütter, die ihre Kinder groß ziehen und ein fast schon bürgerliches Leben leben.

Scarafia zeichnet die Welt im Stripclub und die Stripperinnen als eine Frauengemeinschaft, in der die Stripperinnen sich nicht von anderen Frauen unterscheiden. Hinter der Bühne werden Gesundheits- und Schönheitstipps ausgetauscht und über die Kundschaft getratscht.

Das erinnert an Steven Soderberghs ungleich gelungeneres Drama „Magic Mike“ über die unbekannte Welt männlicher Stripper, ihre Träume und ihren Kampf ums Überleben. Bei ihm und Scarafia ist der Stripclub eine sehr offensichtliche Metapher für den US-amerikanischen Kapitalismus, bei dem sich alles um Geld dreht.

Es gibt allerdings einen gewaltigen Unterschied. Bei Soderbergh arbeiten die Stripper in einem ungewöhnlichen, gesellschaftlich nicht angesehenem Beruf, aber sie übertreten keine Gesetze.

Bei Scarafia werden die Stripperinnen zu Verbrecherinnen. Sie nehmen die reichen Wall-Street-Banker aus, die mit ihren Spekulationen das Geld von Millionen Amerikaner verbrannten und die sich durchgehend wie Arschlöcher verhalten. Zuerst indem sie sie mit Alkohol gefügig machen und sie dann überhöhte Rechnungen bezahlen lassen. Später indem sie mit Drogen nachhelfen und die Kreditkarten der Betäubten bis zum Limit ausschöpfen. Ihre Opfer zahlen und schweigen aus Scham darüber, von einer Gruppe Frauen ausgenommen worden zu sein.

Aber Ramona, Destiny und die anderen Stripperinnen tun es nicht als weibliche Robin Hoods. Sie wollen das Geld für sich haben. Sie wollen es für Luxusgüter ausgeben. Skrupel oder ein schlechtes Gewissen haben sie nicht. Letztendlich unterscheiden sich sich nicht von ihren Opfern. Entsprechend überschaubar bleibt dann die Sympathie für sie. Gleichzeitig fällt die Kritik am Kapitalismus, seinen Exzessen und seiner verlogenen Moral erstaunlich zahm aus.

So befriedigt „Hustlers“ am Ende, wie eine Stripshow, in der wohlproportionierte, junge, gutaussehende Frauen vor Geld werfenden Männern tanzen, vor allem Oberflächenreize.

Hustlers (Hustlers, USA 2019

Regie: Lorene Scafaria

Drehbuch: Lorene Scarafia

LV: Jessica Pressler: The Hustlers at Scores: The Ex-Strippers who stole from (mostly) rich men and gave, well, themselves (New York Magazine, 28. Dezember 2015)

mit Constance Wu, Jennifer Lopez, Julia Stiles, Keke Palmer, Lili Reinhart, Mercedes Ruehl, Cardi B, Lizzo, Mette Towley, Wai Ching Ho, Marcy Richardson, Usher (Cameo)

Länge: 111 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Moviepilot über „Hustlers“

Metacritic über „Hustlers“

Rotten Tomatoes über „Hustlers“

Wikipedia über „Hustlers“

Meine Besprechung von Lorene Scafarias „Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt“ (Seeking a Friend for the End of the World, USA 2012)

Meine Besprechung von Lorene Scarafias „Mit besten Absichten“ (The Meddler, USA 2015)