Beim DOK.fest München erhielt „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“ den Megaherz Student Award. Beim Saarbrücker Filmfestival den Max Ophüls Preis als bester Dokumentarfilm und jetzt ist er, fast als Film der Stunde, im Kino. Denn im Juni 2020 beherrschte der Coronavirus-Massenausbruch im Tönnies-Stammwerk in Rheda-Wiedenbrück die Schlagzeilen. In dem Moment wurde viel über die Zustände in der Fabrik für Schlachtvieh und Mensch, in den Unterkünften für die Leiharbeiter und der großen Bedeutung der Firma für den Ort und die Region geschrieben.
Yulia Lokshina liefert die Bilder dazu. Für ihren Abschlussfilm von der Hochschule für Fernsehen und Film München recherchierte die 1986 in Moskau geborene Regisseurin, schon Jahre vor dem Coronavirus-Ausbruch, in Rheda-Wiedenbrück. Sie sprach mit den osteuropäischen, nur für wenige Wochen und Monate in der Fabrik arbeitenden Leiharbeitern. Sie nahm sie auch in ihren Quartieren und kärglichen Zimmern, die den Charme einer Jugendherbergsunterkunft haben, auf. Sie filmte den schon lange bestehenden Protest vor Ort gegen die Arbeits- und Vertragsbedingungen. In der Fabrik am Fließband drehte sie nicht und Tönnies verweigerte jede Stellungnahme. Immerhin gibt es eine Szene, in der ein Mitarbeiter der Firma während einer Diskussion auf dem Marktplatz die Firma mit den üblichen Floskeln verteidigt.
Zwischen diese Szenen schneidet Lokshina die Proben einer Münchner Gymnasialklasse für Bertold Brechts Stück „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“. Die zunächst desinteressierten Schüler bemerken schnell, wie aktuell Brechts Stück von 1931 immer noch ist. Am Ende sehen wir Ausschnitte aus ihrer Aufführung des Stücks.
„Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“ ist ein beobachtender Dokumentarfilm. Die Regisseurin schaut zu, lässt die Protagonisten reden und verzichtet auf ein Voice-Over, mit dem Hintergründe, Zusammenhänge und Regeln erklärt werden könnten, die außerhalb des Wissens oder Interesses der Gesprächspartner liegen. Das ist ein generelles Problem dieses Ansatzes, der sich auf das Sichtbare beschränkt. Oder, um es anders zu sagen: die Regeln eines Fußballspiels erschließen sich durch das reine Beobachten des Spiels nicht.
Die Gegenüberstellung von Brecht und der Situation in den Schlachthöfen und der Conclusio, dass Brechts Analyse heute immer noch zutrifft, ist für eine tiefergehende Analyse unseres Kaufverhaltens, kapitalistischer Strukturen und sie verändert werden können, doch etwas platt.
Dabei sind die Situation für Mensch und Tier in Schlachthöfen durchaus einige Dokumentarfilme wert. Nur informativer und analytischer sollten sie dann sein. In „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“ erfährt man, außer dem Blick in die Arbeiterunterkünfte, nicht viel mehr, als man sich sowieso schon gedacht hat.
Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit (Deutschland 2020)
Regie: Yulia Lokshina
Drehbuch: Yulia Lokshina
mit Peter Kossen, Inge Bultschnieder, Alexander Klessinger
Länge: 96 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Filmportal über „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“
Moviepilot über „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“