Neu im Kino/Filmkritik: „Das Mädchen und der Künstler“ und die Einsamkeit der Pyrenäen

Dezember 26, 2013

 

Fernando Truebas neuer Film ist etwas aus der Zeit gefallen. Nicht unbedingt, weil er Schwarz-Weiß ist. Das waren zuletzt unter anderem auch „The Artist“, der sogar ein Stummfilm ist, „Oh Boy“, „Frances Ha“, „A Field in England“ und „Die andere Heimat“ und, demnächst, „Nebraska“. Auch nicht, weil er in der Vergangenheit spielt oder mit Jean Rochefort und Claudia Cardinale zwei seit Jahrzehnten bekannte Schauspieler, Stars des europäischen Kinos, für wichtige Rollen verpflichtete oder das Drehbuch mit Jean-Claude Carriére schrieb, sondern weil Fernando Trueba in „Das Mädchen und der Künstler“ eine Liebeserklärung an die Kunst, die Schönheit und die Weiblichkeit, formuliert, die heute wie das Echo aus einer längst vergangenen Zeit wirkt.

Immerhin ist der berühmte Bildhauer Marc Cros (Jean Rochefort) mit seinen achtzig Jahren nicht mehr der Jüngste. Seine Tage verbringt er, indem er durch die französischen Wälder nahe der spanischen Grenze streift und auf dem Dorfplatz gelangweilt das Geschehen beobachtet. Während sein Blick auf einigen jungen Frauen ruht, paradieren plötzlich Soldaten schneidig ins Bild. Wir sind im von den Deutschen besetzten Frankreich im Kriegsjahr 1943.

Cros‘ Frau Léa (Claudia Cardinale), die ihren Mann vor Jahrzehnten als sein Modell kennenlernte, entdeckt auf dem Dorfplatz das Mädchen Mercè (Aida Folch), eine junge Katalanin, die vor Francos Truppen nach Frankreich flüchtete. Léa bietet ihr einen Unterschlupf in der abgelegen in den Bergen liegenden Werkstatt von ihrem Mann an, wenn sie ihm dafür Modell steht. Mercè geht, auch wenn sie keine Ahnung von der Arbeit als Modell hat, auf das Angebot ein. Marc Cros beginnt sie, als Vorstudien für seine Skulptur, in der Landschaft zu porträtieren, meistens nackt, und auch in seiner Werkstatt beginnt er Modelle von ihr anzufertigen. Sie könnte, nach einer jahrelangen Pause, sein letztes Werk werden, für das er die Ruhe der Berge braucht. Trotzdem durchbricht die Kriegswirklichkeit immer wieder die Käseglocke des Bildhauers.

Fernando Trueba, zu dessen früheren Filmen der mit dem Oscar als bester ausländischer Film „Belle Époque – Saison der Liebe“, die missglückte Donald-E.-Westlake-Verfilmung „Eine Blondine zuviel – Two Much“, „Das Mädchen deiner Träume“ und der Oscar-nominierte Animationsfilm „Chico & Rita“ gehören, beobachtet die sich entwickelnde Freundschaft zwischen dem Künstler und seinem Modell und das Leben im Dorf, wenn beispielsweise die Dorfkinder unbedingt herausfinden wollen, was in der Werkstatt von Cros passiert, mit einem altersmilden Blick, der auch der von Cros ist, der nur noch in seinem Elfenbeinturm lebt. Es ist auch ein Blick, der aus jedem Bild ein Stillleben macht und der sommerlich entspannt in ruhigem Tempo durch die Geschichte schreitet. Immerhin entsteht eine Skulptur nicht in einem furiosen Ausbruch künstlerischer Energie, sondern langsam über mehrere Wochen in einem von der Welt abgeschiedenem Landstrich, in dem – bis auf die wenigen Belästigungen des Krieges, wie über die Berge kommende Flüchtlinge und deutsche Soldaten, von denen der eine, den wir genauer kennen lernen, ein Kunstliebhaber ist, der seine Dissertation über Marc Cros schreiben will – die Welt noch in Ordnung ist.

Das Mädchen und der Künstler - Plakat

Das Mädchen und der Künstler (El artista y la modelo, Spanien 2012)

Regie: Fernando Trueba

Drehbuch: Fernando Trueba, Jean-Claude Carriére

mit Jean Rochefort, Aida Folch, Claudia Cardinale, Götz Otto, Chus Lampreave, Christian Sinniger

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Spanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Das Mädchen und der Künstler“

Moviepilot über „Das Mädchen und der Künstler“

Metacritic über „Das Mädchen und der Künstler“

Rotten Tomatoes über „Das Mädchen und der Künstler“

Wikipedia über „Das Mädchen und der Künstler“ (englisch, spanisch)