Spannender Gerichtskrimi aus Deutschland

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„Die deutsche Antwort auf John Grisham“ sagt der Verlag ganz unbescheiden. Das weckt bei mir, weil ich kein Grisham-Fan bin, kein besonderes Interesse. Der Autor ist auch noch Richter. Haben wir nicht schon aus Amiland genug schreibende Juristen? Muss jetzt auch noch ein Deutscher dicke Gerichtsthriller schreiben? Aber dann wird mir „Zug um Zug“ von Andreas Hoppert wärmstens empfohlen, das Buch wird aus dem Stapel gezogen und die ersten Seiten sind gelungen.

Kurz vor Feierabend taucht bei Marc Hagen ein neuer Klient auf. Hasso von Neuendorff heißt er und nach Hagens Ansicht ist er ein Arschloch. Aber er kann ihn, den Juristen mit entzogener Lizenz, und seine Chefin, die Alkoholikerin Dr. Irene von Kleist, bezahlen. Also verteidigen sie von Neuendorff entsprechend seinen Wünschen gegen den berechtigten Vorwurf der Wilderei. Von Neuendorff kommt mit einer Geldstrafe davon und ist sehr zufrieden mit den Beiden, obwohl von Kleist nicht zur Verhandlung erschien und Hagen ihn über eine Ausnahmegenehmigung vertreten musste.

Kurz darauf wird von Neuendorff verhaftet. Er soll seine Freundin Barbara Beck erschossen haben. Er beauftragt von Kleist und Hagen mit seiner Verteidigung. Die Anklage ist überzeugend, aber Hagen findet Zeugen, die ihren Klienten entlasten.

Soweit, so vertraut. Aber „Zug um Zug“ ist nicht „Ein Fall für zwei“. Höchstens bei den ersten Fällen von Anwalt Renz und seinem Detektiv Matula waren die Klienten ähnlich zwiespältig. Doch das war vor über zwanzig Jahren.

Denn von Neuendorff sagte vor der Mordanklage zu Hagen: „Wenn jeder weiß, was geschehen ist, aber man dem Täter trotzdem nichts anhaben kann. Das ist es, was ich unter einem perfekten Mord verstehe.“ Er ist Großmeister im Schach – was ihn dazu befähigt, weit vorausschauende Pläne zu machen -, Hoppert gab seiner Geschichte den Titel „Zug um Zug“, strukturierte die Geschichte in vier, Schachspielern geläufige, Teile – Vorbereitung, Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel – und erklärte die einzelnen Phasen des Spiels mit Zitaten aus „Meyers Schachlexikon“.

Außerdem lässt die Wahl des in Mordklagen vollkommen unerfahrenen, anwaltlichen Katastrophenduo von Kleist/Hagen beim Leser alle Alarmglocken schrillen und kaum an der Schuld von Neuendorffs zweifeln.

Doch dann findet Hopperts Held Hagen immer wieder genügend Beweise für die Unschuld ihres Klienten und es erscheint auch für uns denkbar, dass von Neuendorff hereingelegt wurde. Schließlich gibt irgendjemand der Polizei immer wieder anonyme Hinweise, die von Neuendorff schwer belasten und die Anklage nimmt diese Beweise ohne eine weitere Prüfung gerne in ihre Beweisführung auf. Dieser Tippgeber könnte der Mörder sein.

Während Andreas Hoppert noch die be- und entlastenden Indizien und Aussagen für von Neuendorffs Schuld präsentiert, jagt er uns durch die Feinheiten des deutschen Rechts und der Rechtssprechung. Dieser, etwa die Hälfte des Romans einnehmende Teil, ist spannend erzählt und steht den aus US-amerikanischen Thrillern bekannten Gerichtsverfahren und Tricks in Nichts nach.

Erst auf den letzten Seiten, dem schachtechnisch gesprochen „Endspiel“ verlässt Hoppert der Mut. Denn hier führt er, wenn wir im Spielduktus bleiben, einen neuen Spieler ein und er wechselt das Brett. Das ist aber nur ein kleiner Schönheitsfehler bei einem ansonsten gelungenen Gerichtsthriller.

Insofern ist der Vergleich mit John Grisham nicht vollkommen falsch. Für mich ist Andreas Hoppert eine der Entdeckungen des Jahres.

 

Andreas Hoppert: Zug um Zug

Grafit, 2006

352 Seiten

9, 95 Euro

 

Weitere Informationen:

Grafit-Verlag: Interview mit Andreas Hoppert zu „Zug um Zug“: http://intra.grafit.de/archive/upload/buecher_interview_45000176.pdf

4 Responses to Spannender Gerichtskrimi aus Deutschland

  1. Linder sagt:

    Lieber Herr Bussmer,

    ich bitte um Verständnis, Sie haben eine meiner Obsessionen getroffen: Steht in dem Roman wirklich ‚Klient‘ für ‚Mandant‘ und ‚Lizenz‘ für ‚Zulassung‘?

    Mit bestem Dank im voraus: JL

  2. AxelB sagt:

    Hallo JL,
    Obsessionen sollten befriedigt werden. Natürlich benutzt ein Richter vom Sozialgericht Detmold die juristisch treffenden Worte.
    Ruhiges Wochenende
    AxelB

  3. Linder sagt:

    Danke! JL

  4. […] Meine Besprechung von „Zug um Zug“ […]

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