Ein alltäglicher Fall, ein moralisches Dilemma

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Kann ein Krimi ohne einen Mord spannend sein? Auch wenn die Antwort in Zeiten einer steigenden Zahl von Leichen pro Krimi überraschen mag: Ja, natürlich. Gianrico Carofiglio bringt in seinem dritten Roman „Das Gesetz der Ehre“ niemanden um. Eigentlich geht es nur um einen kleinen Rauschgiftfall, der sogar in der Saure-Gurken-Zeit kaum Chancen hat in den Kleinmeldungen erwähnt zu werden.

Fabio Paolicelli ist bereits rechtskräftig verurteilt vierzig Kilo Rauschgift nach Italien geschmuggelt zu haben. Er wurde an der Grenze erwischt und gestand die Tat. Aber jetzt leugnet er die Tat. Er behauptet, jemand habe ihm die Drogen untergeschoben. Er behauptet, von den Beamten erpresst worden zu sein, ein Geständnis zu unterschreiben oder seine Familie werde angeklagt. Er feuert seinen unfähigen Anwalt und bittet Guido Guerrieri ihn zu verteidigen.

Denn während er seinen ersten Anwalt aufgrund einer dubiosen Empfehlung engagierte, hat Paolicelli sich dieses Mal unter den Knastkumpanen umgehört und sich dann für den Besten entschieden: „Von Ihnen wird behauptet, Sie hätten keine Angst. Es heißt, Sie würden nicht kneifen, wenn es darum geht, sich für eine gerechte Sache einzusetzen. Es heißt, Sie seien anständig. Und Sie gelten als sehr guter Anwalt“, antwortet er auf die Frage Guerrieris, warum er sich für ihn entschieden habe.

Aber Paolicelli hat bei seiner Wahl eines vergessen. Guerrieri kennt ihn von früher. Als Halbstarker war Paolicelli bei den Nazis und, zusammen mit seinen Freunden, verprügelte er vor über zwanzig Jahren Guerrieri. Damals schwor der Anwalt Rache und jetzt sitzt er vor seinem damaligen Feind: „Ich begriff, klar und deutlich, dass ich eher sein Richter – und vielleicht auch sein Henker – sein wollte als sein Anwalt. Ich wollte eine alte Rechnung begleichen.“

Damit ist der Grundkonflikt von „Das Gesetz der Ehre“ bereits umrissen. Guerrieri steht vor der Entscheidung, sich für vergangenes Unrecht zu rächen oder, indem er seine Arbeit macht, einem Angeklagten zu helfen.

Denn auch in Italien gilt, wie der Originaltitel „Ragionevoli dubbi“ verrät, das Prinzip, dass der Verteidiger für einen Freispruch berechtigte Zweifel an der Version der Anklage säen muss und der Richter im Zweifel für den Angeklagten entscheiden muss. Als Guerrieri mit seiner Arbeit beginnt, beginnt er auch schnell die Version Paolicellis für wahrscheinlich zu halten. Denn warum sonst sollte ein Unbekannter Paolicellis Frau auf offener Straße ansprechen und ihr einen Anwalt aus dem fernen Rom nennen, der dann das Mandat übernimmt, ohne jemals dafür auch nur einen Cent zu verlangen.

Doch Guerrieri fragt sich weiterhin, warum er diesem Angeklagten helfen soll. Denn neben dem alten Racheschwur ist Guerrieri einsam. Seine Freundin hat einen Job in New York angenommen und Paolicellis gutaussehende, japanische Frau lässt seine Hormone verrückt spielen. Er könnte gleichzeitig seinen alten Schwur erfüllen und einen Nebenbuhler aus dem Weg räumen.

Gianrico Carofiglios dritter Roman mit dem Anwalt und Ich-Erzähler Guido Guerrieri ist wieder einmal spannende Unterhaltung aus Italien. In „Das Gesetz der Ehre“ erzählt Carofiglio schnörkellos die Geschichte eines kleinen, alltäglichen Falles, der am Ende eine ganz neue und viel größere Dimension bekommt. Doch das ist eine andere Geschichte, mit der Guerrieri nichts mehr zu tun hat. Der in „Das Gesetz der Ehre“ erzählte Fall des verurteilten Rauschgiftschmugglers wird durch das moralische Dilemma für den Helden spannend. Ein Dilemma, das jeder kennt und auf das es keine endgültige Antwort gibt.

 

 

Gianrico Carofiglio: Das Gesetz der Ehre

(übersetzt aus dem Italienischen von Claudia Schmitt)

Goldmann Verlag, 2007

272 Seiten

19,95 Euro

 

Originalausgabe

Ragionevoli dubbi

Sellerio editore Palermo, 2006

 

Lesungen

Berlin: Montag, 18. Februar, 19.00 Uhr, Italienisches Kulturinstitut

Zürich: Donnerstag, 13. März, 20.30 Uhr, Orell Füssli Buchhandlung am Bellevue

München: Freitag, 14. März, 18.00 Uhr, Landeskriminalamt

 

Goldmann über Gianrico Carofiglio

Meine Besprechung von Gianrico Carofiglios „In freiem Fall“

One Response to Ein alltäglicher Fall, ein moralisches Dilemma

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