Das Werk steht auf der aktuellen KrimiWelt-Bestenliste, die Kritiker sind unisono begeistert und auch ich habe mich auf „Fettsack“ von Rex Miller gefreut. Das vor zwanzig Jahren in den USA erschiene Buch „Fettsack“ war für den Bram-Stoker-Preis in der Kategorie Debüt nominiert. Stephen King, um nur den Bekanntesten zu nennen, blurbt (allerdings ist der König des Horrorromans ein notorischer Blurber). „Fettsack“ dürfte, so dachte ich zutreffend, weniger die Freunde von kriminalistischen Serienkillerthrillern à la Thomas Harris und seinem „Roter Drache“, sondern eher die Horrorfans bedienen. Und Horror ist das Buch auch. Aber anders als erwartet.
Die Story ist in ihren Grundzügen einfach, effektiv und lässt viel Raum für Variationen: Daniel ‚Chaingang’ Bunkowski, ein fünfhundert Pfund schweres Monstrum auf zwei Beinen, hat während des Vietnam-Krieges das Morden gelernt. In den heutigen USA (circa 1986) ermordet er grundlos in einem wahren Blutrausch Menschen. Weil er seine Spuren gut verwischt, weiß die Polizei nichts von ihm. Doch jetzt, in Chicago, wird er nachlässig. Die dortige Polizei zieht Serienkiller-Spezialist Jack Eichord hinzu.
Dieses Duell zwischen Killer und Polizist ist bei Rex Miller allerdings nicht die Grundlage für einen Thriller. “Fettsack” ist, höflich formuliert, ein essayistischer Roman, der eher der Logik eines Alptraums gehorcht, eine Collage aus verschiedenen Stimmen und Erzählhaltungen, oder einfach ein Griff in den Zettelkasten.
Denn die Hinweise auf Chaingangs schlimme Jugend, die skrupellosen Geheimdienste und die bösen Medien sind so plakative wie austauschbare Red Herrings für willige Interpretatoren, die allerdings für Chaingangs Entwicklung letztendlich absolut bedeutungslos sind. Denn er war einfach schon immer böse. „Er war ein Autodidakt, ein Selfmade-Killer, dessen erschreckender Hang zu Gewalttätigkeit, wie es aussah, allenfalls vom Intellekt eines Genies übertroffen wurde.“ Das geheime Regierungsprojekt in den sechziger Jahren, das ihn zum Ein-Mann-Kampfkommando für den Dschungelkrieg machte, perfektionierte Chaingangs skrupelloses Wesen nur noch.
Die plakative Medienkritik erschöpft sich weitgehend in einen Auftritt von Eichord im Fernsehen. Eichord sitzt, auf Wunsch seiner Vorgesetzten, die einen schnellen Abschluss der Ermittlungen wollten und dafür auch einen Mann als Serienmörder präsentieren, der es nach Eichords Ansicht nicht war, in einer Talkshow, beantwortet einige Fragen und wird anschließend vom zweiten Moderator Onkel George nachdrücklich nach den Fehlern in den Ermittlungen gefragt. In dieser Szene kommt das Fernsehen, auch wenn Miller es als alptraumhaftes Ereignis für Eichord schildert, einfach nur seiner Informationspflicht nach.
(Joe R. Lansdale hat in seinem grandiosen Debüt „Akt der Liebe“ (Act of love, 1981) die Rolle der Medien bei der Jagd nach einem Serienmörder schon besser und zynischer thematisiert.)
Polizeiliche Ermittlungen, die in einem Kriminalroman das Rückgrat der Erzählung bilden, finden überhaupt nicht statt. Stattdessen verliebt sich der nett-verständnisvoll-unauffällige Jack Eichord in Edie Lynch, deren Mann von Chaingang umgebracht wurde. Miller schildert diese Liebesgeschichte in epischer Breite. Erst auf Seite 185 stolpert Eichord, dank eines Fehlers in der Verwaltung, über den Eintrag „Offiziell gelöscht“. Jetzt weiß er, dass die Daten des Killers in staatlichen Akten gespeichert sind. Nach einigen Telefonaten kennt er dann die Akte und hat auf Seite 193 Namen und Foto des von ihm gesuchten Mannes. Doch die polizeiliche Suche nach Chaingang ist erfolglos und schon wieder kommt der Zufall Eichord zur Hilfe: Chaingang entführt Edie Lynch und alles ist bereit für den Showdown.
Durch den Verzicht auf den normalen Ballast einer Krimigeschichte könnte Rex Miller sich seinen Charakteren und ihren Problemen zuwenden. Doch gerade der Bösewicht Daniel „Chaingang“ Bunkowski bleibt letztendlich nur ein eindimensional als Monstrum ohne irgendwelche Gefühle geschildertes Wesen: „ein menschlicher King Kong“, „Müllschlucker auf zwei Beinen“, „Monster“, „Killer von fünfhundert, Killer von Familien, Killer von Profisöldnern, Killer von Kopfgeldjägern, Killer von Elitesoldaten, der Mörder von Mördern“. So bleibt der in der Kanalisation hausende Chaingang dank der ständigen abwertenden Beschreibungen bis zum Ende nur eine Cartoon-Figur, die mampfend und mordend durch die Geschichte geht.
Dass ihr dies allerdings ungefähr fünfzehn Jahre – die Zeit zwischen Vietnam und der Handlungszeit der Geschichte – ohne entdeckt zu werden gelang, ist nicht logisch. Dafür sind seine Morde zu einmalig (er reißt das Herz heraus), zu viel (auch ohne Vietnam einige hundert), er selbst ist zu auffällig (groß, ungewaschen, primitiv). Es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb Chaingang jetzt beginnt, Spuren zu hinterlassen. Und natürlich müsste der Geheimdienst, der ihn ausgebildet hat, ein Interesse daran haben, die von ihnen geschaffene Killermaschine aus der Welt zu schaffen.
Das Ende des langweilig-chaotischen Romans spekuliert schamlos in schlechter B-Picture-Manier auf eine Fortsetzung, die es dann auch drei Jahre später gab.
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Rex Miller: Fettsack
(neu übersetzt von Joachim Körber)
Edition Phantasia, 2008
272 Seiten
15,90 Euro
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Deutsche Erstausgabe
Im Namen des Todes
Bastei-Luebbe, 1991
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Originalausgabe
Slob
Signet, 1987
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Hinweise

Lieber Herr Bussmer,
ich wundere mich ja auch darüber, daß die Neuauflage von ‚Slob‘ hierorts als Krimi rezipiert und gelobt wird. Allein die Figur des Chaingang-Monsters verbietet doch jede Anwendung der Krimi-Normen und der Krimi-Logik. Zweihundert Jahre Literatur- und Film- und Comicgeschichte sowie hundert Jahre populärer Lust-, Massen- und Serienmordkriminologiediskussionen (und -repräsentationen) stecken in diesem Monster (das übrigens keineswegs gefühllos ist), und dann tut man so, als wärs ein Stück von Norberthorsteckertheiland.
Beste Grüße!
HalloJL,
nun, wenn der Verlag es in der eigens geschaffenen Krimireihe herausgibt, schürt er natürlich eine bestimmte Erwartungshaltung.
Grüße
das seh‘ ich, lieber Herr Bussmer. Aber der Roman dementiert solche Erwartungen von Anfang an. Großartig ist er trotzdem.
Sei’s drum: JL
Stimmt, wer nach fünf Seiten „Fettsack“ immer noch einen normalen Serienkillerthriller erwartet, kann nicht lesen. Deshalb habe ich hier auch mal auf die Verlagsseite verlinkt. Dort gibt es eine Leseprobe. Denn der Millersche Sound muss einem gefallen.
Gilt genauso für David Peace und Norbert Horst.
Ich hab bei „Fettsack“ schon vorm Lesen etwas anderes erwartet. Trotzdem halte ich „Fettsack“ absolut nicht für großartig und fühle mich, wie schon bei „Kalteis“ in der Minderheitenpositon ganz wohl.