Karin Slaughter kann’s auch (fast) unblutig

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Sie ist jung, sieht gut aus, ihr Name ist Programm und sie verkauft massenweise Bücher. Kein Wunder, dass Kritiker ihr etwa soviel Wohlwollen entgegenbringen wie den Filmen von Mario Barth und Til Schweiger. Qualität und Quantität schließen sich nach einer Volksweisheit aus und damit ist der Fall erledigt. Auch ich verspürte bislang kein großes Interesse an einer Slaughter-Lektüre.

Doch jetzt erschien mit „Unverstanden“ ein kurzer, für den niederländischen „Monat des Thrillers“ geschriebener Roman von Karin Slaughter. Das ist, sagte ich mir, doch eine gute Gelegenheit, sich schnell eine eigene Meinung über Karin Slaughter zu bilden. Die ersten Zeilen gefallen mir und gute zwei Stunden später ist das Werk gelesen:

Martin Reed war schon vor langer Zeit zu der Einsicht gelangt, dass er in den falschen Körper hineingeboren wurde. Er fragte sich oft, wie anders sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn dieser amorphe Klops, der ihn aus seinem ersten Babyfoto anstierte, auch nur ein Minimum an Potenzial hätte vermuten lassen.

In der Schule war Martin für alle der Prügelknabe. Jahre später im Job ist es nicht anders. Er ist Chefbuchhalter bei Southern Toilet Supply und wird immer noch von seinen Schulkameraden, die jetzt Arbeitskollegen in der Produktion sind, gehänselt und von seiner Mutter unterdrückt. In den Lack von seinem fast abbezahlten Toyota Camry hat jemand „Schlappschwanz“ eingeritzt und heute Morgen ist die Stoßstange fast abgerissen.

Der Tag beginnt für Martin mal wieder gewohnt Scheiße. Aber es wird noch besser. Denn die Polizei verhaftet ihn. Er soll mit seinem Auto seine Kollegin Sandy Burke überfahren haben. Ihr Blut ist, vermischt mit seinem, an der Stoßstange.

Ihr letzter Anschlag auf Martin war ein an seinen Schreibtisch festgeklebter dreißig Zentimeter langer, vibrierender Gummidildo. Martin sagt gegenüber der Polizei, dass das nur ein Scherz gewesen war. Für sein an der Stoßstange klebendes Blut hat er zwar eine glaubwürdige Erklärung, aber er will nicht verraten, wo er zur Tatzeit war.

Detective Anther ‚An’ Albada weiß nicht, ob Reed so unschuldig und naiv ist, wie er tut. Aber irgendwie findet sie ihn sympathisch. Sie selbst ist allerdings auch nicht ganz koscher. Denn nach dem Tod ihres Mannes wurde das Gerede ihrer Kollegen über ihre sexuelle Orientierung unerträglich. Irgendwann erfand sie eine lesbische Freundin und hatte ihre Ruhe. Seitdem die Freundin an Krebs gestorben ist, hoffen ihre Kollegen für sie auf eine neue Beziehung. Aber Albada will im Moment keine neue Geliebte erfinden.

Dieser gelungenen ersten Hälfte folgt eine deutlich schlechtere zweite Hälfte, in der Slaughter verrät, was Reed in der Mordnacht tat, und wie er die Stunden vor dem zweiten Mord an einer anderen Arbeitskollegin verbrachte. Dabei wird Reeds Charakter zunehmend unglaubwürdiger. Denn abgesehen von seiner beruflichen Qualifikation ist er ein extrem verweichlichtes Muttersöhnchen, das sich wirklich alles gefallen lässt, sich von jedem herumstoßen lässt, sich dafür noch bedankt und über keinerlei eigenen Antrieb verfügt. Er ist genau der Schlappschwanz, für den ihn seine Bekannten halten und wird einem so zunehmend gleichgültiger. Auch das unglaubwürdige Ende der schwarzen Komödie ändert daran nichts.

Letztendlich sind die Charaktere in „Unverstanden“ nur Erfüllungsgehilfen für einen unwahrscheinlichen und psychologisch unglaubwürdigen Plot. Das dünne Buch ist keine komplette Zeitverschwendung (es gibt Namedropping, einige treffende Beschreibungen und Lacher), aber die Geschichte hat auch nichts, das Karin Slaughter auf meine Zu-Lesen-Liste katapultiert.

Karin Slaughter: Unverstanden

(übersetzt von Klaus Berr)

Blanvalet, 2009

176 Seiten

6,95 Euro

Originalausgabe

Martin Misunderstood

Arrow Books, London, 2008

Hinweise

Homepage von Karin Slaughter

Deutsche Homepage von Karin Slaughter

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