Achtung, Kritik enthält Spoiler! Deshalb:
„Ehre, wem Ehre…“ von W. W. Domsky ist ein banal-ärgerlicher Krimi, der vollkommen unbemerkt erschienen wäre, wenn es da nicht ein buchbegleitendes Ereignis gegeben hätte, das – ohne Kenntnis des Werkes – zu einer erregten Debatte über die Kunst- und Meinungsfreiheit führte.
Weil sich in einem halben Jahr niemand mehr daran erinnert, muss auch das hier erklärt werden.
Der Skandal
Der Droste-Verlag will den Krimi wegen islamfeindlicher Passagen nicht veröffentlichen. Er habe ihn vor der Veröffentlichung von einer Islam-Expertin prüfen gelassen. Diese hätte einige Passagen als problematisch markiert und, nachdem eine Rücksprache mit der Autorin fruchtlos verlief, entschied er sich, das im Katalog bereits angekündigte Werk nicht zu veröffentlichen.
Die Autorin Gabriele Brinkmann, die „Ehre, wem Ehre…“ als W. W. Domsky veröffentlichen wollte, geht Anfang Oktober an die Öffentlichkeit. Sie wolle sich nicht vorschreiben lassen, was sie zu schreiben habe und außerdem beträfen die kritisierten Passagen Dialoge.
Es gibt eine Debatte, ob die Angst des Verlegers vor Anschlägen berechtigt sei. Immerhin gab es in den vergangenen Jahren große Proteste gegen Mohammed-Karikaturen und einen Ehrenmord-„Tatort“. Etliche Komiker haben sich zu dem Thema freiwillig eine Maulsperre verordnet. In Berlin wurde eine “Idomeneo“-Aufführung in der Deutschen Oper wegen diffuser Warnungen der Polizei vom Spielplan abgesetzt (das Stück wurde später ohne Proteste aufgeführt).
Andererseits wurde die Freiheit der Kunst und die Meinungsfreiheit angeführt. Denn selbstverständlich darf in einer liberaldemokratischen Demokratie keine Gruppe einer anderen vorschreiben, was sie zu sagen hat. Ausnahmen bestätigen diese Regel. Es wurde gesagt, dass ein Romancharakter sich islamfeindlich äußere und dass so etwas als die Rede einer erfundenen Figur nicht zensiert werden könne.
Währenddessen griff – der Dramaturgie von Skandalen gehorchend – ein anderer Verlag zu und veröffentlichte den Roman pünktlich zur Frankfurter Buchmesse. Selbstverständlich publizierte der Leda-Verlag das Manuskript ohne Änderungen.
Meine Meinung zu Skandalen
Sie sind oft die Aufregung nicht wert.
Oft ist das einzig Interessante an dem Skandalwerk der Skandal.
Oft wird an dem Werk etwas skandalisiert, das vor allem zeigt, dass die Empörten das Werk nicht genauer betrachtet und verstanden haben.
Das Werk
Auch bei „Ehre, wem Ehre…“ ist der Skandal das Interessantestes an dem Krimi, der in der Debatte nur die Funktion eines MacGuffins für die altbekannten Reflexe hatte. Denn als spannender und aufklärerischer Krimi ist „Ehre, wem Ehre…“ gründlich misslungen. Die Ermittlerin ist unsympathisch, das Plotting ist überraschungsfrei und das Thema Ehrenmord wird eindimensional behandelt.
Die Heldin des Romans ist Kommissarin Thea Zinck. Sie ist eine rechthaberische, rassistische Alkoholikerin, die, wenn sie nicht schon besoffen zur Arbeit erscheint, sich umstandslos mit der im Schreibtisch gelagerten Schnapspulle versorgt. Trotzdem darf sie weiter arbeiten. Denn betrunken zur Arbeit zu erscheinen, ist im Öffentlichen Dienst anscheinend kein Entlassungsgrund.
Als an einem Samstagmorgen im Ruhrpott auf offener Straße mehrere Türken erschossen werden, kennt die besoffen am Tatort erscheinende Kommissarin sofort das Motiv und damit auch die Täter. Das Massaker war ein Ehrenmord und die Familie der toten Türkin hat’s getan. Beweise hat sie selbstverständlich keine. Ihr Chef favorisiert dagegen als Mordmotiv einen Bandenkrieg. Aber nach einigen Schnäpsen bei einem mit ihr befreundeten Unterweltboss ist die für sie sowieso unhaltbare These von einem Bandenkrieg endgültig aus der Welt geschafft. Im folgenden bemüht Zinck sich, möglichst jeden Türken, den sie trifft, zu beleidigen.
Das gelingt ihr auch ausgezeichnet.
Überhaupt nicht gelingt es dagegen der Autorin W. W. Domsky die Gründe für das unsoziale und beleidigende Verhalten ihrer Kommissarin zu erklären. Es wird niemals deutlich, woher Kommissarin Zincks Hass auf alles Türkische und Islamische kommt und warum sie Alkoholikerin wurde. Damit wird auch jede Form von Anteilnahme und Sympathie für sie ausgeschlossen. Denn wer möchte schon einer Rassistin zujubeln? Wer bewundert schon eine Alkoholikerin? Und wer möchte gerne seine Zeit mit einer Rechthaberin verbringen?
Als mögliche Gegenpole zu der unsympathischen Hauptfigur funktionieren ihre Kollegen nicht. Ihr Partner Kai Stettner ist ein heulsuseliger Naivling, der wohl den archetypischen Gutmenschen verkörpern soll. Ihre Kollegen sind zwar keine Alkoholiker, aber erwachsene Menschen sind sie auch nicht. Denn sie tragen ihre Konflikte auf einem Niveau aus, für das sich sogar Kindergartenkinder schämen würden.
Dass bei Domsky kein Türke einen grammatikalisch korrekten deutschen Satz sagen kann, verstärkt den Eindruck, dass sie alle rückständige Trottel sind, die immer noch in einer archaischen Welt leben.
Dieser die gesamte Geschichte durchziehende Rassismus könnte noch gerade so goutiert werden, wenn das Ende wenigstens, wie bei einem klassischen Hollywood-Gangsterfilm, einen anderen Akzent setzen würde. Aber nein. Zuerst behält die Rassistin recht. Es war ein Ehrenmord. Und dann wird auf der letzten Seite, für alle, die bis dahin die Botschaft der Autorin noch nicht begriffen haben, noch einmal in diese Kerbe gehauen. Denn der gerade aus der Türkei ankommende Bruder ersticht auf dem Flughafen vor den Augen der Polizei seine ältere Schwester.
Immerhin hat in diesem Moment einer von Domskys Charakteren etwas gelernt. Ihr letzter Satz ist: „Kai Stettner zog seine Waffe und schoss.“
„Ehre, wem Ehre…“ ist ein eindimensionales Islam- und Türkenbashing, das mit großem Getöse offene Scheunentore einrennt. Denn natürlich kann, wie ein Besuch in der nächsten Buchhandlung zeigt, kritisch über den Islam, die Türkei, die mangelhafte Integration von Gastarbeitern und Ehrenmorde geschrieben werden. Auch die türkische Gemeinschaft (jedenfalls hier in Berlin; aber im Ruhrpott dürfte es nicht anders sein) spricht diese Probleme an und es wird gemeinsam nach Lösungen gesucht..
W. W. Domsky: Ehre, wem Ehre…
Leda, 2009
256 Seiten
9,90 Euro
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Hinweise
Homepage von Edda Minck (dem anderen Pseudonym von Gabriele Brinkmann)
taz: Interview mit Verleger Felix Droste (8. Oktober 2009)
Spiegel Online: Angst vor Islamisten (3. Oktober 2009 – der Artikel, mit dem alles begann)

Lieber Kommentator,
Sie können, dürfen und müssen alles über den Krimi sagen, was und wie es Ihnen beliebt, aber müssen Sie auch noch die gesamte Auflösung und das Ende erzählen? Mal ein bisschen aufgepasst/mitgedacht! Vielleicht möchten andere sich eine Meinung über und mit dem Buch bilden, ohne gleich die ganze Story, inklusive Schlussakkord präsentiert zu kriegen.
Ein wenig Rücksicht könnte nicht schaden. Auch Kritisieren mit Niveau will gelernt sein.
Deshalb steht groß „Spoiler“ drüber.
Sehr geehrter Spoiler,
sind Sie bisher kaum beachteter Krimiautor oder Türke – oder sogar beides? Oder, dritte Möglichkeit: Sie haben das Buch allenfalls mit bereits vorgefasster Meinung gelesen und hatten keine Lust, noch einmal nachzudenken?
Warum nur hat man als unbedarfter Krimi-Leser in diesen Krimi-Blogs und -Foren ständig den Eindruck, dass frustrierte Fast-Autoren ihre – in durchaus wohlgesetzte Worte gefassten – Rezensionen in die Öffentlichkeit blubbern müssen, weil sie sonst von keinem gelesen werden und weil ihnen gerade DIESER Plot „schon wieder nicht selbst eingefallen ist“ :-).
Lieber Spoiler, um mal zu Potte zu kommen: Was haben Sie persönlich zur veröffentlichten deutschen Krimiliteratur-Landschaft persönlich beigetragen, was einer Amazon-Kritik würdig wäre?