„Die Meinungsmacher“?!

Ich habe keine Ahnung, ob der Hauptstadtjournalismus in Rom, Paris, Wien, London oder Washington (wobei Washington wahrlich keine Kulturhauptstadt ist) besser oder schlechter als unser Hauptstadtjournalismus ist, aber dass es, sicher auch durch den gleichzeitigen Aufstieg des Internets zum Massenmedium, einen qualitativen Unterschied zwischen dem Bonner und dem Berliner Journalismus gibt, wird niemand leugnen. Und die meisten werden auch der knackigen Unterzeile „Über die Verwahrlosung des Hauptstadtjournalismus“ von Leif Kramp und Stephan Weicherts „Die Meinungsmacher“ zustimmen. Dafür muss man sich nur an eine der zahlreichen Kampagnen der vergangenen Jahre erinnern, bei denen die öffentliche Aufregung in einem groben Missverhältnis zu dem Gegenstand des Skandals stand. Ich sage nur Bonusmeilen, außereheliche Affären, Dienstwagenbenutzung in Spanien, Reisebegleitungen oder zuletzt die von-der-Leyen-Nummer. Da wurde breit in allen Qualitätszeitungen über eine mögliche Kandidatur von ihr als Bundespräsidentin geschrieben, während dagegen die inzwischen ziemlich zurückgezogenen Ideen von Gesundheitsminister Philipp Rösler zur Kopfpauschale wesentlich weniger thematisiert wurden.

In ihrem Buch liefern die beiden Wissenschaftler Leif Kramp und Stephan Weichert auf etwas über zweihundert Seiten eine dichte Beobachtung des Hauptstadtjournalismus von der Euphorie vor dem Umzug nach Berlin, der Symbiose zwischen Journalismus und Politik (dank begnadeter Selbstdarsteller wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer), der Boulevardisierung und der inzwischen einsetzenden Depression, gemischt mit hysterischen Untertönen, über die Bedrohung durch das Internet.

Für die Boulevardisierung und den damit verbundenen Qualitätsverfall ist die journalistische Kaste selbst verantwortlich. Sie orientiert sich an Talkshows, die mehr Theater als politische Aufklärung sind. Sie entwickelt einen Herdentrieb, der eine eigenständige Analyse ersetzt. Denn die Hauptstadtjournalisten sehen sich, bei all ihren Unterschieden in Einkommen, Anstellung und Renommee, einerseits als Elite und folgen andererseits einfach dem lautesten Rufer, der oft zu der kleinen Gruppe der bundesweit bekannten Alpha-Journalisten und Leitmedien wie Spiegel Online gehört.

Außerdem gibt es viele Berufseinsteiger. Sie sind unerfahren und beschäftigen sich lieber mit einfachen Themen, wie den unendlichen Farbspielen vor Wahlen, Personalien und der Skandalisierung von Nebensächlichkeiten. Immerhin kann darüber schnell und ohne Fachwissen ein Artikel geschrieben werden. Das Einschätzen von arbeitsmarkt- und gesundheitspolitischen Vorschlägen ist dagegen schon schwieriger. Vor allem wenn es mehr als ein Abschreiben der zunehmend besser geschriebenen offiziellen Verlautbarungen sein soll. Dafür benötigt man Kontakte, Zeit für Recherche (die oft nicht bezahlt wird) und muss das Thema kennen.

Auffallend ist in dieser zweihundertseitigen Analyse der Hauptstadtjournalisten, dass TV und Radio kaum vorkommen. Die traditionellen Qualitätszeitungen und -magazine, wie Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Spiegel und Die Zeit, stehen im Mittelpunkt. Sie prägen den Hauptstadtjournalismus. Sie liefern Analysen des politischen Geschehens. Das Fernsehen liefert die Bilder, aber nicht die Enthüllungen. So verblüffend dies auf den ersten Blick ist, so sehr wird diese Einschätzung von der Wirklichkeit gedeckt. Denn neben den Nachrichtensendungen gibt es im Fernsehen kaum noch politische Informationen, aber dafür viel Spektakel.

Kramp und Weichert schließen „Die Meinungsmacher“ mit zehn Thesen ab. Diese sind nicht unbedingt revolutionär, meistens sogar offensichtlich und ergeben sich, wie bei wissenschaftlichen Arbeiten oft, nur zum Teil aus der vorherigen Analyse:

– Meinungsmacher sein ist ein Privileg, das nicht missbraucht werden darf.

– Die Informationsflut erfordert mehr Recherchekompetenz, um den Fastfoodjournalismus einzudämmen.

– Entschleunigung und Nachhaltigkeit (Slow Media) sind das stärkste Mittel gegen den Glaubwürdigkeitsverlust.

– Innovation, nicht Rückspiegelung sichert die Zukunft des Politikjournalismus in der Hauptstadt.

– Politikberichterstattung braucht Lotsen und starke Wege, aber keinen Boulevard.

– Ohne Rückzugsräume wird Selbstkorrektur in den Redaktionen ein Fremdwort bleiben – und das ist schlecht.

– Das Internet ist nicht der Feind des Journalisten, sondern seine Zukunft.

– Mitmachjournalismus in allen Ehren, aber Profis sind weiterhin gefragt.

– Wer bloggt, der bleibt: Das neue Leitprinzip politischer Kommunikation.

– Hauptstadtjournalismus braucht Leitwölfe und Vorbilder.

Die restlichen fünfzig Seiten, und hier zeigt sich wieder im positiven Sinn, dass die beiden Autoren Wissenschaftler sind, werden mit Textnachweisen, einem Stichwortverzeichnis, verdienstvollen Begriffserklärungen und Kurzbiographien der Gesprächspartner gefüllt.

Gerade weil sich inzwischen der Staub der ersten Stampede gelegt hat, viele Hauptstadtredaktionen wieder aufgelöst oder kräftig reduziert wurden, die Auswirkungen des Umzugs von Bonn nach Berlin offensichtlich sind und Kramp und Weichert keine gehypten Sensationen, sondern eine ziemlich nüchterne Bestandsaufnahme liefern, ist „Die Meinungsmacher“ lesenswert. Mit ihren zehn Thesen wollen sie einen Selbstheilungsprozess in Gang setzen.

Wenn er gelingt, würde der sich immer noch vor allem in den Qualitätstageszeitungen stattfindende Hauptstadtjournalismus sich wieder auf die alten journalistischen Tugenden besinnen.

Wenn nicht, muss nach neuen Modellen gesucht werden. Denn ein Kennzeichen des Kapitalismus ist die Zerstörung; – und die Zerstörung des im Moment oft hysterisch-gehaltlosen Hauptstadtjournal wäre nicht unbedingt das schlechteste.

Leif Kramp/Stephan Weichert: Die Meinungsmacher – Über die Verwahrlosung des Hauptstadtjournalismus

Hoffmann und Campe, 2010

304 Seiten

20,00 Euro

5 Responses to „Die Meinungsmacher“?!

  1. Der Gedanke, dass der Journalismus ein anderer wäre, wenn Bonn Bundeshauptstadt geblieben wäre, ist kühn und meines Erachtens mit nichts zu belegen. Die beschriebenen medialen Phänomene existieren unabhängig vom jeweiligen Ort. Ich glaube, dass sind Zeit- und Mentalitätsphänomene.

    Ich habe neulich die Erinnerungen eines ehemaligen Büroleiters von Willy Brandt gelesen, der die Jahre von 1972 bis 1974 recht ausführlich schilderte. Das Chaos innerhalb der politischen Klasse war damals schon ähnlich, nur die Zahl der Journalisten waren weniger und es gab noch so etwas wie Diskretion und eine gewisse Distinktion.

    Von einer „Verwahrlosung“ des Hauptstadtjournalismus zu sprechen ist ja selber wieder eine solche sensationalistische Vokabel und damit vielleicht unfreiwillig Beleg für die eigenen Thesen der Verfasser.

    Das alles steht und fällt m. E. mit dem Konsumenten. Solange Polittalkshows noch verhältnismässig hohe Quoten haben und diese komplexitätsreduzierenden Aussagen derart erfolgreich sind, wird sich daran nichts ändern.

  2. Eine Gewinn- und Verlustrechnung für die Medien…

    Wenn ein kleiner Junge, anstatt seine Hausaufgaben zu machen, lieber Sandburgen zertrampelt, dann will irgendwann keiner mehr mit ihm spielen. Wenn er die anderen Kinder auch noch beschimpft und mit Dreck bewirft, machen diese einen Bogen um ihn und be…

  3. monologe sagt:

    „Das alles steht und fällt m. E. mit dem Konsumenten.“ schreibt hier ein Kommentator. Schön, und an dieser recht hübschen Formel hängt nun alles: „Äätsch, warum hast dus denn gelesen?! ´türlich wars Mist!“ oder „Was, das hast du geglaubt? Für so blöd hätt ich dich aber nicht gehalten.“ usw. Ersatz für ein Beruftsethos, einen Stolz auf Qualität und die in anderen Branchen selbstverständliche, ja unverzichtbare Achtung vor dem allseits beliebten „Konsumenten“, der ja schließlich die Wahl hat. Keine Rede von systematischer Ablenkung, von Politiker-Journalisten-Vetternwirt- und seilschaften, von abgehobener Wichtigtuerei und Dilettantismus. Einfach hanebüchen, dieser Verblödungsapparat, der da gar nicht mehr zu wissen scheint, was er tut.
    Gut aber der Beitrag, um den es geht. Danke.

  4. Tigerle sagt:

    Natürlich ist eine Aussage zu Unterschieden zwischen Bonn und Berlin nur schwer zu beweisen, weil man diese Städte zeitlich nicht vergleichen kann. Aber man kann die Aussagen der Politiker über diese Städte vergleichen, und da fällt auf, dass mehrere Politker über Bonn geäussert haben, dass diese kleine verschlafene Stadt dazu angehalten habe, nicht abzuheben. Über Berlin sind mir solche Aussagen nicht bekannt.

    Die Eigenheiten einer Stadt kann zumindest sehr wohl das politische Leben prägen. Inwieweit es Einfluß auf die Medienwelt hat, läßt sich natürlich nur schwer feststellen.

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