„Ich habe gegenüber ein nettes Café gesehen. Vor der Tür können wir dann das Interview machen“, schlägt Jim Nisbet in der pompösen Lobby des Westin Grand Hotel in Berlin-Mitte vor. Er besucht derzeit Italien und sein deutscher Verleger Frank Nowatzki lud ihn für eine Lesung nach Berlin ein.
„In San Francisco ist es bestimmt wärmer“, wende ich, inzwischen wieder halbwegs an das heute wieder unfreundlich windige Hauptstadtwetter gewöhnt, ein.
„Nein, das hier ist das typische Wetter in San Francisco.“ Wegen des Pazifiks sei dort die Temperatur immer ungefähr gleich und sie hätten im Sommer oft wochenlang keinen blauen Himmel. Das typische San-Francisco-Wetter sehe man, so Nisbet, in einer nebligen Szene des Noir „Out of the past“ oder in Hitchcocks „Vertigo“.
Am nahe gelegenen Gendarmenmarkt finden wir einen ruhigen Platz und können uns, nur vom periodisch ertönenden Pressluftbohrern unterbrochen, unterhalten.
Jim Nisbet veröffentlichte zuletzt „Windward Passage“, ein umfangreiches Werk, das auf dem San Francisco Book Fest den Preis als beste Science-Fiction-Buch erhielt.
Für Nisbet ist es kein Science-Fiction, sondern Political Fiction und natürlich auch ein Noir, wobei Nisbet zugibt, dass Noir schwer zu definieren sei. Jim Thompson, David Goodis und William Faulkner waren die ersten Noir-Autoren, die er las.
Bei Faulkner findet er auch schon die Möglichkeit des Mitleids, die ihm auch in seinen Werken wichtig ist. Bei vielen Noirs stört ihn nämlich dieses Fehlen von Menschlichkeit, das zum Leben dazu gehöre und er auch immer wieder erlebt habe. Als er 1967 mit einem Motorrad und ohne Geld durch Deutschland fuhr, war er immer wieder von Deutschen in ihre Häuser eingeladen worden und man habe sich dann irgendwie verständigt. Denn: „Ich konnte kein Deutsch und sie kaum Englisch.“
Außerdem stört ihm beim Standard-Noir, dass dieser keine Entwicklung erlaube. Er versuche dagegen immer ein größeres Bild von den Menschen und der Gesellschaft zu zeichnen. Denn auch die Gesellschaft entwickele sich. Der 1947 geborene Jim Nisbet selbst wuchs in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Süden auf und er war mit den direkten Nachfahren von Sklaven befreundet. Seine Großmutter sah im Fernsehen die Mondladung und jetzt ist Barack Obama Präsident. „Es ist unglaublich, dass ein Schwarzer Präsident ist“, stellt er fest. Noch vor vierzig Jahren war das undenkbar.
Gleichzeitig hat ein Noir auch immer eine dezidierte Haltung zur Gesellschaft. „Ein Kennzeichen eines Noir ist der Ärger, die Ungeduld und die Frustration über die Gesellschaft. Das ist schwer vorzutäuschen“, meint Nisbet. Bei einer Detektivgeschichte könne dagegen mehr geschwindelt werden. Denn dort geht es nur um das Rätsel und die verschiedenen Spuren zur Lösung. Die Autoren seien vielleicht kommerziell erfolgreich, aber nach ihrem Tod verschwänden sie aus den Buchläden.
Nisbets Karriere begann vielversprechend. Seine ersten Noirs veröffentlichte er in der renommierten Black-Lizard-Reihe, die inzwischen zu Random House gehört. Damals, in den den Achtzigern war Barry Gifford (der auch „Wild at Heart“ schrieb) der Herausgeber. Gifford leitete auch die Wiederentdeckung des inzwischen kultisch verehrten Jim Thompson ein. Als Thompson 1977 starb, war keines seiner Bücher mehr erhältlich.
Seitdem waren immer wieder Verlagsleute an Nisbet herangetreten und hatten ihm versprochen, ihn zu einem Bestseller-Autor zu machen. Nisbet hörte sich diese Versprechen immer wieder kopfschüttelnd an. Denn: „Meine Bücher sind nicht für alle. Sie werden keine Bestseller, weil sie der Welt einen Spiegel vorhalten. Das wollen die meisten nicht hören. Sie wollen normal weiterleben und müssen Geld verdienen.“
Nisbet konnte sich, auch weil er es nicht wollte, nie nur vom Schreiben ernähren. Er schrieb einfach immer das, was er wollte und, manchmal mit längeren Unterbrechungen, veröffentlichte er zwischen 1981 und heute elf Romane, die von der Kritik gelobt wurden und Preise erhielten. Zu seinen Fans gehören heute auch Größen wie James Ellroy und Michael Connelly. Aber: „Es ist seltsam. Je mehr ich eines meiner Bücher mag, desto weniger mögen es die anderen.“
Seine letzten Romane veröffentlichte Jim Nisbet in dem kleinen, aber feinen Verlag von Dennis McMillan. McMillans Bücher sind bei Sammlern begehrt und er kann, wenn er seine Bücher ausliefert, von den Buchhändlern verlangen, dass sie ihm eine bestimmte Menge ohne die Möglichkeit einer Rückgabe abnehmen. „Das habe ich bei keinem anderen Verleger gesehen“, erzählt Nisbet. „Außerdem hat Dennis überall Freunde. Als ich mit ihm durch die USA fuhr, konnten wir morgens um fünf Uhr an eine Tür klopfen, die Bewohner freuten sich, dass Dennis da war und wir erhielten ein feines Frühstück.“
Als dann der größere Verlag Overlook Press ihn nach seinem Backkatalog fragte, sagte er nicht nein. Vor wenigen Monaten brachte Overlook seinen neuesten Roman „Windward Passage“ und seinen bereits vor über zwanzig Jahren erstmals erschienenen zweiten Roman „Lethal Injection“ (Tödliche Injektion) heraus.
„Ich bin erstaunt, dass Menschen das Buch heute noch lesen wollen“, meint er. Doch das ist vielleicht nicht so erstaunlich. Denn obwohl „Tödliche Injektion“ in den frühen Achtzigern spielt, ist es nicht veraltet. Es geht um zeitlose Themen. Sein Held ist ein alkoholsüchtiger Arzt, der sein Leben hasst und in einer kaputten Ehe feststeckt (Geht es uns nicht allen so?) und der jetzt die Chance auf eine Flucht aus diesem Leben ergreift (Wollen wir das nicht alle?). Es ist eine Anklage gegen die Todesstrafe, die heute in den USA wesentlich umstrittener ist als damals – und es geht um eine Gesellschaft, die zunehmend auseinanderfällt und auch der Mittelstand um sein Überleben kämpfen muss. Diese Verlustängste sind inzwischen, wie der sonntägliche „Tatort“ wöchentlich zeigt, auch bei den Betroffenen angekommen.
In seinem 2006 erschienen Noir „Dunkler Gefährte“ ist sein Held wieder ein Mann aus dem Mittelstand, der nichts falsch machte und trotzdem alles verliert. Das beginnt schon mit dem Verlust seines Jobs, aus dem er wegrationalisiert wird, weil die Qualitätskontrolle ein überflüssiger Kostenfaktor ist.
„Das Buch schrieb sich wie von selbst. Ich hatte da nur den Anfang, in dem Banerjhee Rolf die Blumen wässert und sich mit seinem zwielichtigen Nachbarn Toby Pride unterhält. Der Rest ergab sich einfach.“
Nisbet plant den Plot normalerweise nicht vor. Am Anfang hat er eine Idee, einen Dialog, eine Szene oder einen Charakter, der ihn genug fasziniert, um mit dem Schreiben zu beginnen.
„Denn wenn ich nicht selbst fasziniert bin von der Geschichte, wie soll es jemand anderes sein?“
Der Plot ergebe sich dann, wie das Leben, bei dem auch nicht alles vorhersehbar sei, beim Schreiben.
Wenn Nisbet mit dem Schreiben einer Geschichte beginnt, geht er es wie einen Job an. Er beginnt um neun Uhr morgens und schreibt bis er sein Tagesziel erreicht hat. „Normalerweise zehn Seiten. Das Problem ist, die richtigen zehn Seiten zu schreiben.“
Die Länge ergebe sich anhand der Geschichte. Deshalb hat „Dunkler Gefährte“ 150 und „Windward Passage“ 450 Seiten.
Bislang hat Nisbet nur Einzelwerke geschrieben. Das mache das Verkaufen schwieriger, aber für ihn sei wichtig, das sein neues Buch nicht wie das vorherige sei.
Bei „Death Puppet“, seinem letzten Black-Lizard-Roman, änderte er sogar in letzter Minute das Ende. Es gab damals einen Eigentümerwechsel und der Managing Editor rief ihn an: „Ich kann das Buch herausbringen, wenn du es heute korrekturliest.“ Nisbet ließ alles stehen und liegen und fuhr zum Verlag nach Berkeley, las das bereits fertig gesetzte Manuskript durch und schrieb das Ende neu.
Nisbet schrieb in den vergangenen Jahrzehnten neben den Romanen auch Gedichte und Theaterstücke. „Für mich ist das alles Literatur. Es sind verschiedene Methoden, wie bei einem Roman, wenn ich von der ersten in die dritte Person wechsele.“
Die Theaterstücke waren Einakter und der Einakter „Notes from the Earth“ ist ein immer wieder aufgeführter Monolog über den letzten Mann auf der Welt, der zu dem Geist seiner verstorbenen Freundin spricht. Nisbet inszenierte die Premiere und ein Schauspieler, der das Stück damals sah, präsentiert es noch heute, wenn er weiß, dass er nicht genommen wird, bei Vorsprechterminen. Er würde dann den Monolog so lange vortragen, bis die Regisseure sagten, es sei genug. Nisbet meint lachend: „Für mich hört sich das wie meine gesamte Karriere an.“
Als ich so langsam richtig durchgefroren bin, entdeckt uns sein deutscher Verleger Frank Nowatzki. Er will demnächst bei Pulp Master Nisbets Deutschlanddebüt „Tödliche Injektion“ wiederveröffentlichen und danach weitere Nisbet-Bücher veröffentlichen.
Für Jim Nisbet ist „Pulp Master“-Macher Frank Nowatzki ein Geistesverwandter von Dennis McMillan: „Es sind diese kleinen Verleger, die das Geschäft am Laufen erhalten.“
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Die bekannten Delikte von Jim Nisbet
The Gourmet, The Damned don’t die (1981)
Tödliche Injektion (Lethal Injection, 1987)
Death Puppet (1989)
Across the Tasman Sea (1997)
Prelude to a Scream (1997)
You Stiffed Me (1998)
The Price of the Ticket (2003)
The Syracuse Codex (2005)
Dunkler Gefährte (Dark Companion, 2006)
The Octopus On My Head (2007)
Windward Passage (2010)
A Moment of Doubt (2010, angekündigt)
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Hinweise
Jim Nisbet in der Kriminalakte
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Die Fotos von Jim Nisbet sind von Frank Nowatzki (Pulp Master). Auf dem dritten Fotos sind, von links nach rechts, Frank Nowatzki, Jim Nisbet und ich am Ende eines langen Tages.





Lieber Axel, vielen Dank für den schönen Bericht.
Eine Frage noch zur Bibliographie: Es soll noch einen weiteren Roman von Nisbet geben, der bisher nur in Frankreich unter dem Titel “Le Chien d’Ulysse” erschienen ist. Weisst Du näheres?
Hallo Claus,
danke!
Stimmt, „Le Chien d’Ulysse“ ist mir in der Bibliographie durch die Lappen gegangen. Das Buch ist bislang nur in Frankreich erschienen und soll auch irgendwann bei Overlook erscheinen.
Auf Nisbets Homepage (bei Reviews) findest du einige Infos zum Buch.
[…] Mein Interview mit Jim Nisbet […]
[…] Nisbet schrieb auch „Tödliche Injektion“ und “Dunkler Gefährte” und bei seinem letzten Deutschlandbesuch durfte ich mich länger mit ihm unterhalten. […]