Wenn der Postmann zweimal klingelt (USA 1981, R.: Bob Rafelson)
Drehbuch: David Mamet
LV: James M. Cain: The postman always rings twice, 1934 (Wenn der Postmann zweimal klingelt, Die Rechnung ohne den Wirt)
Frank Chambers verliebt sich in Cora, die gelangweilte Frau des Tankstellenbesitzers Nick. Gemeinsam planen sie seinen Tod.
Düsteres Drama mit Jack Nicholson und Jessica Lange. – Das schmale Buch von Cain wurde fünfmal verfilmt und mindestens drei Verfilmungen sind Klassiker: „Ossione“ (I 1942, R.: Lucino Visconti), „Die Rechnung ohne den Wirt“ (USA 1946, R.: Tay Garnett) und „Wenn der Postmann zweimal klingelt“.
Auch für die vierte Ausgabe des Film- und Drehbuchalmanachs „Scenario“ änderte Herausgeber Jochen Brunow nichts am bewährten Aufbau. Es beginnt mit einem langen Interview. Es gibt einige verschieden interessante Essays, ein Tagebuch, Erinnerungen von Drehbuchautoren und die Splitter einer Geschichte des Drehbuchs. Es gibt einige ausführliche Buchbesprechungen und es endet mit dem vollständigen Abdruck des „Drehbuch des Jahres“. Dieses Jahr wurde der Deutsche Drehbuchpreis für das beste unverfilmte Drehbuch an „Mein Bruder, Hitlerjunge Quex“ von Karsten Laske verliehen.
Es gibt natürlich auch einige enttäuschende Texte. Aber insgesamt hat Jochen Brunow wieder eine Menge guter Texte zusammengetragen.
Das beginnt schon mit Jochen Brunows Interview mit Michael Gutmann. Gutmann schrieb die Bücher für „Nach Fünf im Urwald“, „23“, „Crazy“, „Lichter“, „Krakat“ und „Mein Leben – Marcel Reich-Ranicki“ und er führte Regie bei „Rohe Ostern“ und den Tatorten „Der oide Depp“, „Das namenlose Mädchen“ und „Der König kehrt zurück“ (dafür schrieb er auch das Drehbuch). In dem Gespräch werden neben den biographischen Stationen auch Gutmanns Zusammenarbeit mit Hans-Christian Schmid und seine Meinung zu den verschiedenen Drehbuchtheorien erörtert. Die dann folgenden Essays sind durchwachsen. Gerhard Midding schreibt über die Zunahme von Filmen, die auf wahren Ereignissen beruhen. Wieland Bauder über Musiker-Biographien. Beide Texte sind nicht uninteressant, aber in erster Linie liefern sie einen Überblick über einige neue Filme und wie die Macher sich ihrem Sujet nähern. Damit könnten die Essays in jedem Filmbuch stehen.
Keith Cunninghams Manifest „Neue Story-Welten“ ist in seinem Glauben an die Kraft fiktionaler Geschichten sympathisch. Denn für ihn ist die Klimakatastrophe eine Tatsache, die, wie der Kalte Krieg, in jeder Geschichte (auch wenn es nur im Hintergrund ist) thematisiert werden muss. Er hofft so die Menschen zum Schutz des Klimas animieren zu können (und ich fürchte schon den nächsten „Tatort“, in dem die Kommissare über den Schutz des Klimas reden). Gewinnbringender ist die Besprechung von Keith Cunninghams „The Soul of Screenwriting“ und seinem Versuch seiner Lösung des Konflikts zwischen Plot und Charakter: „Cunninghams einfache Antwort auf die Gretchenfrage der Dramaturgen besteht darin, den Übergang von der Figur zur Handlung in der Figurenkonstellation zu suchen – das konventionelle binäre Modell (Figur und Plot) also durch ein ternäres Model aus Figur, Figurenkonstellation und Plot zu ersetzen. (…) Der Plot trägt die als Figurenkonstellation externalisierte innere Spannung einer Figur aus. Andere Figuren sind primär Externalisierungen innerer Spannungen unserer Hauptfigur, die sich im Plot entladen.“
Dorothee Schön, die auch etliche „Tatorte“ schrieb, bietet in ihrem 2009 geführtem Tagebuch einen launigen Überblick über die Kämpfe in der Filmakademie und die Verfilmung von ihrem Drehbuch „Frau Böhm sagt nein“. Das ist ein kleiner Blick hinter die Kulisse. Auf ihre Arbeit als Autorin geht sie kaum ein.
Das tut Thomas Knauf, indem er von seinem letzten DDR-Film „Die Architekten“ (der während der Wende an der Kasse natürlich gnadenlos unterging) und seinem Leben zwischen Hollywood und Babelsberg in den vergangenen zwanzig Jahren. Das liest sich ziemlich ernüchternd.
Ernüchternd sind auch die, von Michael Töteberg aufgeschriebenen, Erfahrungen von Drehbuchautor Johannes Mario Simmel. Bevor er Bestsellerautor wurde, schrieb Simmel auch etliche Drehbücher von heute vergessenen Filmen. Damals hatte er immer wieder Probleme mit den Produzenten und Regisseuren über die Bezahlung und die Geschichte. Mit den Verfilmungen seiner Bücher war er auch nicht zufrieden.
Samson Raphaelson liefert einen sehr lesenswerten und amüsant-lebensweisen Rückblick auf seine Zusammenarbeit mit Ernst Lubitsch. Der bereits 1981 geschriebene Text wurde in „Scenario 4“ erstmals auf Deutsch veröffentlicht.
In seinem Drehbuch „Mein Bruder, Hitlerjunge Quex“ erzählt Karsten Laske die Geschichte des jüngeren Bruders von Alfred Norkus von dessen Tod 1932 bis zu den ersten Nachkriegstagen. Erwin ist das vollkommene Gegenteil des Heldenimages von seinem Bruder, der als „Hitlerjunge Quex“ in dem Propagandabuch und -film bekannt wurde. Laske erzählt die Geschichte episodisch und lässt Erwin durch die Nazi-Diktatur treiben. Weil Erwin keine eigenen Ziele hat und er während seiner Jugend, den Jahren zwischen 1932 und 1946 auf keine größeren Probleme stößt, bleibt er uns als Charakter letztendlich gleichgültig.
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Jochen Brunow (Hrsg.): Scenario 4 – Film- und Drehbuchalmanach
Die Brücken am Fluß (USA 1995, R.: Clint Eastwood)
Drehbuch: Richard LaGravenese
LV: Robert James Waller: The Bridges of Madison County, 1992 (Die Brücken am Fluß)
Francesca stellt sich auf ihrer abgelegenen Farm auf vier ruhige Tage ohne ihren Mann und die Kinder ein. Da taucht ein Fotograf auf, der sie nach dem Weg zu den titelgebenden Brücken fragt. Sie zeigt ihm den Weg und verliebt sich in den geheimnisvollen Fremden.
Die Vorlage soll furchtbar kitschig sein. Der Film ist es nicht.
„Ein meisterhafter Film der Gefühle ohne Duselei, mit Geist, Charme und Lebenserfahrung.“ (Fischer Film Almanach 1996)
mit Clint Eastwood, Meryl Streep, Annie Carley, Victor Slezak
Hans-Christian Schmid fand für seinen neuesten Film „Sturm“ einen ebenso einfachen wie genialen Dreh. Anstatt einfach nur eine weitere Geschichte tränenreiche Geschichte vom Unrecht im ehemaligen Jugoslawien und den Leiden der Opfer zu erzählen (freie Auswahl) oder das Ganze aus der Sicht eines Journalisten (wie zum Beispiel Richard Gere in Richard Shepards „The Hunting Party“) zu zeigen, stellte er eine Anklägerin und die Arbeit des Tribunals in Den Haag in den Mittelpunkt. Damit folgt er zwar oberflächlich den Konventionen eines Gerichtsthrillers, aber weil die Geschichte in einem internationalen Gerichtshof, der noch seine Rolle finden muss, der sich auf juristisches Neuland begibt und dessen Arbeit zwischen Über- und Unterforderung schwankt, liefert „Sturm“ auch den Einblick in eine fremde Welt. Denn dieser Gerichtshof soll Kriegsverbrecher verurteilen, den Opfern Recht geben, die Instanz für fehlende nationale Gerichte sein und gleichzeitig mögliche außenpolitische Verwicklungen beachten.
Gerade die Politik ist Hannah Maynard als Anklägerin egal. Sie übernimmt einen wasserdichten Fall. Sie haben einen Augenzeugen, der vor Gericht aussagen will, wie der serbische Offizier Goran Duric Bosnier umbrachte. Im Zeugenstand zerfetzt die Verteidigung seine Aussage – und, wenn Maynard nicht schnell einen glaubwürdigen Zeugen auftreibt, wird der Kriegsverbrecher freikommen. Damit könnte Maynard leben, wenn ihr Zeuge sich nicht noch in der Nacht nach der Ortsbesichtigung umbringen würde.
Sie besucht die beiden Schwestern des Zeugen, die nicht vor Gericht aussagen wollen. Eine Spur führt Maynard in ein Kurhotel in der Nähe von Kasmaj. Dort wurden im Krieg zahllose Frauen vergewaltigt. Auch die inzwischen in Deutschland lebende Schwester des Kronzeugen war dabei. Maynard kann Mira Arendt zu einer Aussage zu bewegen. Zur gleichen Zeit mahlen die Räder der Justiz und im Hintergrund wir an einem Deal gearbeitet.
Hans-Christian Schmid, der zusammen mit Bernd Lange (der auch das Drehbuch für Schmids vorherigen Film „Requiem“ schrieb), das Drehbuch schrieb, bedient natürlich die Genreerwartungen und wirft einen quasi-dokumentarischen Blick auf die Arbeit einer Institution und wie sie die Menschen formt.
Gleichzeitig wird „Sturm“ immer wichtiger, je länger die Ereignisse zurückliegen. Heute sind die Nachrichtenbilder aus dem ehemaligen Jugoslawien noch sehr gegenwärtig.
In einigen Jahren werden die Nachrichtenbilder vergessen sein. Dann wird „Sturm“ die Erinnerung wach halten. Denn die Jüngeren werden sich lieber einen Spielfilm über diesen Krieg in der Mitte von Europa als eine Dokumentation ansehen. Außerdem ist „Sturm“ eine kritische Liebeserklärung an den Internationalen Gerichtshof, der es gelingt, die Arbeit in einer internationalen Institution mit Leben zu erfüllen.
Das Making-of ist, angesichts des Themas und der Ernsthaftigkeit der Macher, erschreckend dünn. Es unterscheidet sich nämlich kaum von einem typischen Hollywood-Making-of für irgendeinen x-beliebigen Film. In dem Booklet sind lesenswerte Interviews mit den Machern und einige Informationen zum International Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY, wie der Gerichtshof offiziell heißt). Trotzdem ist unverständlich, warum im Making-of Informationen zu Bosnien, zum Kriegsverbrecherprozess und zur Arbeit eines Internationalen Gerichtshofs fehlen. Denn während der Dreharbeiten war sicher die Gelegenheit, auch mit einigen Richtern, Anklägern, Verteidigern, Polizisten und Menschenrechtsaktivisten zu reden. Ebenso hätte man die Berlinale-Pressekonferenz in das Bonusmaterial aufnehmen können.
Sturm (Deutschland/Dänemark/Niederland 2009)
Regie: Hans-Christian Schmid
Buch: Bernd Lange, Hans-Christian Schmid
mit Kerrry Fox, Anamaria Marinca, Stephen Dillane, Rolf Lassgård, Alexander Fehling, Tarik Filipovic, Jesper Christensen
Die zweigeteilte Frau (F/D 2007, R.: Claude Chabrol)
Drehbuch: Claude Chabrol, Cécile Maistre
Weil das Erste vorher den „Tatort“ und „Mankells Wallander“ zeigt, könnte die TV-Premiere von diesem Chabrol-Film (wenige Tage nach seinem achtzigsten Geburtstag) sogar halbwegs pünktlich anfangen. Das ändert aber nichts daran, dass die Uhrzeit eine Frechheit ist – und man auf die Wiederholungen des „Kinohighlights“ (ARD-Selbstbeweihräucherung) in den dritten Programmen und Spartenprogrammen zu einer arbeitnehmerfreundlicheren Zeit hoffen muss.
Als die TV-Wetterfee Gabrielle von ihrem verheirateten Liebhaber, einem deutlich älteren Bestsellerautor, verstoßen wird, nimmt sie sich einen neuen Liebhaber. Dieser hat allerdings einen seelischen Knacks.
In dem ruhigen Krimidrama über eine Frau zwischen zwei verkorksten Männern führt Chabrol wieder einmal die französische Bourgeoisie vor. Sicher nicht sein bester Film und nach dem grandiosen „Geheime Staatsaffären“ eine Enttäuschung.
Mit Ludivine Sagnier, Benoît Magimel, François Berléand, Mathilda May
8 (5) Francisco González Ledesma: Der Tod wohnt nebenan
9 (-) Jiří Kratochvil: Das Versprechen des Architekten
10 (-) John Hart: Das letzte Kind
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In ( ) ist die Platzierung vom Vormonat.
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Hmhm, wahrscheinlich haben die inzwischen eine 50-Prozent-Neueinsteigerquote.
Und nur Übersetzungen.
Ansonsten: „Schneller als der Tod“ fand ich ziemlich langweilig. Die John-Hart-Begeisterung find ich schwer nachvollziehbar. Henning Mankell muss wohl wirklich nicht mehr empfohlen werden. Richard Price, Pete Dexter, Christopher Cook (zwei Bücher, die im Original bereits vor vielen Jahren erschienen sind) und Benjamin Black (angenehm kurze Lektüre) liegen auf meinem Nachttisch.
Charlie Hustons vierter Joe-Pitt-Roman „Bis zum letzten Tropfen“ ist, vor allem nach Sonnenuntergang, mein ständiger Begleiter.
Tatort: Frankfurt-Miami (D 1996, R.: Klaus Biedermann)
Drehbuch: Frédéric Fajardie, Jacques Labib, Simon Michaël
Nachdem im Intercity von Frankfurt nach Paris eine Prostituierte ermordet wird, muss Kommissar Brinkmann (aka “Der Mann mit der Fliege”) zusammen mit einem französischen Kollegen den Mord aufklären. Ihre Ermittlungen führen sie in das Frankfurter Eros-Center “Miami” (was den Titel erklärt).
Der Hessen-Tatort fest in französischer Hand. Damit könnte der selten gezeigte Brinkmann-Fall einen Tick besser als seine anderen Fälle sein.
Mit Karl-Heinz von Hassel, Patrick Chesnais, Ilaria Borrelli, Anne Jacquemin, Martin Semmelrogge
Bekannt ist der Film wegen der Oberweite von Jane Russell.
Produzent und Regisseur Howard Hughes brachte seine Entdeckung mit einem speziellen BH, den sie nach eigener Aussage nie trug, und einem tiefen Ausschnitt opulent ins Bild – und legte sich mit der Zensurbehörde an. Die brüllte „sittenwidrig“.
Hughes plakatierte „What are the two great reasons for Jane Russell’s rise to stardom?“
Der Streit dauerte von 1941 bis 1946. 1943 kam der Film erstmals, für wenige Tage, ins Kino. Danach verschwand er wieder wegen Problemen mit der Zensur und den damaligen puritanischen Moralvorstellungen, die mit dem Hays-Code durchgesetzt werden sollten. 1946 gab es die offizielle Wiederaufführung und „Geächtet“ wurde wegen der Hauptdarstellerin (Ja, wir Jungs sind so berechenbar.) überall ein Hit. In New York war „Geächtet“ bis zum 11. September 1947 verboten. Der deutsche Kinostart war am 16. März 1951.
Aus heutiger Sicht ist der Skandal nur noch schwer nachvollziehbar. Denn es gibt wirklich nichts zu sehen, was nicht heute auch im Nachmittagsprogramm läuft und auch im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Filmen zeigt Hughes wenig, was es nicht auch in anderen Filmen gab (abgesehen von der Szene, in der Jane Russell zu dem fiebernden Billy the Kid ins Bett steigt, um ihn zu wärmen), aber dafür inszenierte er, nachdem er auf Wunsch der Zensoren eine halbe Minute geschnitten hatte, eine beispiellose Werbekampagne, die aus Jane Russell ein wahres Pin-up-Girl machte.
Dabei spielt sie, obwohl die Werbung für den Film sich nur um sie drehte, nur eine Nebenrolle.
Denn, soweit in „Geächtet“ von einer Geschichte gesprochen werden kann, geht es darum, dass Billy the Kid (Jack Buetel) das Pferd von Doc Holliday (Walter Huston, grandios als lebensweis-amüsierter Revolverheld) gestohlen hat. Doc möchte sein Pferd wieder zurückhaben, aber ihm ist der junge Revolverheld auch irgendwie sympathisch. Jedenfalls balgen sie sich wie zwei kleine Kinder um das Pferd. Docs alter Freund Pat Garrett (Thomas Mitchell, schmierig) verdient inzwischen seine Brötchen als Sheriff und er möchte, nachdem Doc und Billy sich verbündet haben, die beiden aus seiner Stadt haben.
Da versucht Rio McDonald (Jane Russell) in einer Scheune Billy the Kid zu ermorden. Sie prügeln sich und Billy erfährt, dass er vor einiger Zeit ihren Bruder erschoss.
Später wird Billy angeschossen. Doc flüchtet mit ihm zu seiner Freundin Rio McDonald und bittet sie, den Verletzten zu pflegen.
Tja, und da verlieben sich Billy und Rio ineinander. Aber in erster Linie balgen sich Doc und Billy bis zum Filmende um das Pferd. Davor müssen sie wieder vor dem Gesetz flüchten. Pat schnappt sie. Indianer wollen sie umbringen – und dann ist da noch die Sache mit dem Pferd.
Denn unter echten Männern zählt ein Pferd einfach mehr als eine Frau.
Das ist ziemlich frauenverachtend und nur wegen des Spiels von Walter Huston, Jack Buetel und Thomas Mitchell erträglich. Sie versuchen das beste aus ihren Szenen herauszuholen, aber auch sie scheinen die meiste Zeit nicht zu wissen, wo das ganze hinführen soll. Jane Russell ist die damalige Version von Megan Fox: ein Augenschmaus, der bestimmt nicht wegen ihrer schauspielerischen Qualitäten die Rolle erhielt. Die Regie von Howard Hughes in seinem zweiten und letztem Spielfilm, der sich anscheinend öfters vertreten ließ, ist amateurhaft. Nie kommt eine echte Western-Atmosphäre auf. Es gibt keine bemerkenswerten Bilder sondern einfach nur eine funktionale Kamera, die man eher in einem der damals zahllosen Serials (Flash Gordon, „Western von Gestern“) und B-Movie-Serien (Sherlock Holmes, Mr. Moto, Charlie Chan, Tarzan) vermutet.
Es gab zahlreiche Nachdrehs, die sicher nicht die Geschichte runder machten.
„Geächtet“ ist, dank der Hauptdarsteller, ein mäßig amüsanter, immer wieder in seine Einzelteile zerfallender Western, der zwar die Heldenimages von Doc Holliday, Pat Garrett und Billy the Kid etwas demontiert ohne sich der historischen Wirklichkeit allzu sehr anzunähern. Stattdessen gibt es eine abstruse und sogar latent homosexuelle Geschichte. Denn die Beziehung zwischen Doc Holliday, Billy the Kid und Pat Garrett kann auch als Liebesgeschichte gesehen werden: dann wären Doc und Pat das alte Liebespaar und Billy der junge Nebenbuhler. Diese Lesart drängt sich, angesichts des offensichtlichen Desinteresses von Doc Holliday und Billy the Kid an den Reizen von Rio McDonald, ihrer Unwilligkeit um sie zu kämpfen und ihrem, eher vorgeschobenen, Interesse an dem Pferd, sogar auf. Aber ob das von Howard Hughes beabsichtigt war?
Der ursprüngliche Regisseur Howard Hawks wollte einen kleinen Western drehen, der in jedem Fall auch ein besserer Film geworden wäre. Als er die höher budgetierte Kriegsheldengeschichte „Sergeant York“ mit Gary Cooper (der dafür seinen ersten Oscar erhielt) drehen konnte, übergab er den Regiestuhl an den Produzenten Howard Hughes. Der tobte sich schon während des Drehs in Richtung Jane Russell aus.
Ohne den Skandal, die gut inszenierte Werbekampagne (Wer kennt nicht die sich im Heu räkelnde Jane Russell?) und den damaligen Kassenerfolg wäre „Geächtet“ heute noch nicht einmal von historischem Interesse.
Auf der DVD ist der Film in Schwarzweiß und einer nachträglich, erst vor kurzem angefertigten kolorierten Version enthalten. Das restaurierte Bild ist durchwachsen. Weitere Extras, wie ein Audiokommentar (auf der US-Fassung enthalten) oder eine Doku, die sich gerade bei diesem Film anbieten würde, fehlen.
The Outlaw – Geächtet (The Outlaw, USA 1940/1943)
Regie: Howard Hughes, Howard Hawks (ungenannt)
Drehbuch: Jules Furthman, Howard Hawks (ungenannt), Ben Hecht (ungenannt) (nach einer Geschichte von Ben Hecht)
mit Jane Russell, Jack Buetel (im Vorspann „Jack Beutel“), Walter Huston, Thomas Mitchell
Das Verfahren ist eingestellt: Vergessen Sie’s! (I 1971, R.: Damiano Damiani)
Drehbuch: Dino Maiuri, Massimo de Rita, Damiano Damiani
LV: Leros Pittoni: Tante sbarre
Architekt Vanzi landet in U-Haft. Er soll Fahrerflucht begangen haben. Weil er unschuldig ist, hofft er bald wieder entlassen zu werden. Aber die U-Haft zieht sich hin und die Mafia regiert auch den Knast.
Etwas spröder Polit-Thriller, bei dem der Knast nur das Sinnbild für die italienische Gesellschaft ist.
„Polit-Thriller, der ein durch und durch korruptes System anprangert.“ (Lexikon des internationalen Films)
Die deutsche Premiere war am 15. Juni 1977 im ZDF.
mit Franco Nero, Riccardo Cucciolla, George Wilson, John Steiner
Auch bekannt als „Die Untersuchung ist abgeschlossen: Vergessen Sie alles“ (DDR-Titel)
Giering wurde von dessen Stiefvater in seiner Wohnung an der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg gefunden, der die Polizei alarmierte. In der Wohnung im 6. Obergeschoss diagnostizierten Feuerwehrsanitäter einen Herz- und Kreislaufstillstand und alarmierten einen Notarzt. Dieser versuchte noch eine Stunde und 14 Minuten lang, den Leblosen zu reanimieren. Um 22.13 Uhr gab er schließlich auf.
Die Polizei hat nach Angaben eines Sprechers bisher keine Anhaltspunkte für ein „Fremdverschulden“.
In jedem Fall hat uns einer der beeindruckensten jungen Schauspieler verlassen. Er debütierte in „Ebbies Bluff“. Mit Michael Hanekes „Funny Games“ hatte er seinen Durchbruch als psychopathischer Killer. Später spielte er in „Absolute Giganten“ eine vollkommen andere Rolle. Danach kamen „Gran Paradiso“, „Ein mörderischer Plan“, „Baader“, „Gangster“, „Die Spielerin“, „Störtebeker“, eine Gastrollen in der Crime-Comedy-TV-Spielfilmserie „Blond, Eva Blond“, der Lena-Odenthal-Tatort „Der glückliche Tod“ (über Sterbehilfe) und ein Ensemblepart in der Krimiserie „Der Kriminalist“.
In den vergangenen Tagen hat sich einiges angesammelt:
„Jonah Hex“ ist in den USA gestartet. Der Trailer war schon „naja“. Die Länge ist mit 80 Minuten extrem kurz. Vor allem weil inzwischen der Abspann bei einem normalen Hollywood-Film die Länge eines Kurzfilms hat.
It’s all patched together in a way that it feels not like a major-studio feature, but some straight-to-video thing that used to serve as the Friday-night premiere on Cinemax in the mid-’90s, like, say, FIST OF THE NORTH STAR. Including credits, the movie clocks in at a mere 80 minutes, barely qualifying as a movie. At that length, you wonder why they didn’t just go the TV route, write it off as a “pilot” and call it a day.
Und bei Tor (Genevieve Valentine):
Though I cannot recommend this film in any way as an example of skillful, or even competent, moviemaking, I can confirm that Jonah Hex is Weird West’s answer to LXG; a movie so bad, it’s extraordinary.
Die Zuschauer bleiben auch weg. Damit dürfte der Western bei uns, trotz der guten Besetzung, direkt auf DVD erscheinen.
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Die Trailer für „Knight & Day“ versprachen dagegen einen ordentlichen Popcorn-Film dagegen eine ordentliche Action-Komödie, die zwar keine Bäume ausreißt, aber gut unterhält.
It’s amazing what you can do with charisma. It can elevate a mediocre movie to greatness and elevate a bad movie to mediocrity. Knight and Day is a case of the latter. The film’s overly-long, paper-thin plot and misogynistic undertones are combated by Tom Cruise’s sheer force of personality, his chemistry with co-star Cameron Diaz, and James Mangold’s skill for shooting exciting set pieces. These elements combine to make Knight and Day a better movie than it should be, but unfortunately aren’t enough to make it as good as it could be.
Lange nichts mehr von Doris Heinze (der ehemaligen NDR-Fernsehspielchefin, die fristlos entlassen wurde, weil sie ihrem Ehemann und sich selbst Drehbuchaufträge verschaffte, sie unter falschen Namen einreichte und sich dafür zu gut bezahlen ließ.) gehört?
Nun, vorm Arbeitsgericht kam es zu einer Einigung: Kündigung war okay, Geld muss zurückbezahlt werden. Damit ist der NDR, soweit man davon sprechen kann, der Gewinner. Denn der Sender muss sinnvolle Kontrollmechanismen, die so etwas verhindern können, installieren.
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Claude Chabrol!
Arte, 20.15
Betty (F 1991, R.: Claude Chabrol)
Drehbuch: Claude Chabrol
LV: Georges Simenon: Betty, 1960 (Betty)
Die vermögende Witwe Laure nimmt die Alkoholikerin Betty bei sich auf. Ein böser Fehler.
Chabrol übernimmt für seine Zustandsbeschreibung die Romanstruktur mit wenigen Ereignissen in der Gegenwart und vielen Rückblenden. Das ist oft schematisch, oft nahe an der Idee eines Filmes ohne Geschichte, und grandios gespielt.
Vor vierzehn Jahren hatte Dave Robicheaux seine ersten Kinoauftritt in der zwiespältigen Verfilmung „Mississippi Delta“. Alex Baldwin spielte den trockenen Alkoholiker und Kleinstadtpolizisten. Die Musik war gut. Die Bilder auch. Aber dem Drehbuch fehlte der letzte Schliff.
Jetzt spielt, nein, verkörpert Tommy Lee Jones den von Krimiautor James Lee Burke erfundenen Charakter, der ihm nach langen Jahren als erfolgloser Autor (erfolgreich war er nur im Sammeln von Ablehnungen) in den späten achtziger Jahren den Durchbruch verschaffte. Inzwischen ist der 1936 geborene Texaner ein Bestsellerautor, er erhielt zahlreiche Preise und er wird von Autoren, Kritikern und Lesern als einer der einflussreichen und wichtigen zeitgenössischen Krimiautoren bezeichnet. In Deutschland wurden seine Bücher bei Ullstein und Goldmann veröffentlicht. „Wurden“ weil er schon seit sechs Jahren keinen deutschen Verleger mehr hat.
Der französische Regisseur Bertrand Tavernier, dem wir schon die Jim-Thompson-Verfilmung „Der Saustall“ und den Jazz-Film „Um Mitternacht“ verdanken, wählte den sechsten Dave-Robicheaux-Roman „Im Schatten der Mangroven“ (In the Electric Mist with Confederate Dead) als Vorlage für seinen ersten amerikanischen Film. Dabei wurde die Geschichte des 1993 erschienenen Noirs in die Gegenwart verlegt.
Tommy Lee Jones spielt den in New Iberia, Louisiana, arbeitenden Detective Dave Robicheaux. Er jagt den Mörder einer neunzehnjährigen Prostituierten. Gleichzeitig wird er mit der Südstaatenvergangenheit konfrontiert: eine Filmcrew dreht einen historischen Film und der Star des Films erzählt Robicheaux, dass er in den Sümpfen die verweste Leiche eines Mannes in Ketten gesehen habe. Das löst bei dem trockenen Alkoholiker Robicheaux Erinnerungen an die eigene Vergangenheit aus – und dann trifft er immer wieder den Geist von Konföderierten-General John Bell Hood.
Schnell legt Robicheaux sich bei seinen Ermittlungen mit dem lokalen Paten und alten Kumpel Julie ‚Baby Feet‘ Balboni, der auch Geld in den Film investiert hat, an. Dabei ist nicht immer erkennbar, wie sehr Robicheaux einen persönlichen Rachefeldzug veranstaltet oder wirklich eine Spur verfolgt.
Der bei wiederholtem Sehen immer besser werdende Film ist, wie Burkes Romane, kein konventioneller Krimi. Er ist vor allem das Porträt eines von den Dämonen der Vergangenheit, der eigenen Schuld, Selbsthass und der Suche nach Erlösung getriebenen Charakters, einer korrupten Gesellschaft, in der sich anscheinend alle Charaktere seit Ewigkeiten kennen und oft eine komplexe Mischung aus Freundschaft, Feindschaft, Achtung und Verachtung pflegen, und einer tropisch-schwülen Landschaft, in der die Vergangenheit noch sehr lebendig ist. So tauchen in Burkes Romanen immer wieder Geister auf. Im Film unterhält Robicheaux sich mit Hood, als wären sie alte Freunde – und auch der Hollywood-Schauspieler hat sich mit Hood unterhalten. Die Bilder des immer noch vom 2005er Hurrikan Katrina zerstörten New Orleans verstärken den Eindruck, dass in den Südstaaten die Vergangenheit noch sehr lebendig ist und dass die Zeit stehengeblieben ist. Denn obwohl der Tote in den Sümpfen erst 1965 erschossen wurde, sieht er wie ein Kettensträfling aus einer noch früheren Zeit aus.
Die Besetzung ist eine hochkarätige Versammlung bekannter Namen, Gesichter und Schauspieler, die man immer wieder gern sieht. Neben Tommy Lee Jones spielen John Goodman, Peter Sarsgaard, Kelly Macdonald, Mary Steenburgen, Justina Machado, Ned Beatty, James Gammon, Pruitt Taylor Vince, Levon Helm und Blues-Musiker Buddy Guy mit. Guy spielt mit „Nathan & the Zydeco Cha Chas“ auf einem großen Fest von Balboni einige Songs, die den größten Teil der geschnittenen Szenen ausmachen. Im Film sind sie nur einige Sekunden im Hintergrund zu hören.
„In the electric mist“ lief bereits erfolgreich auf der Berlinale und dem Fantasy Filmfest. Aber für einen Kinostart hat es nicht gereicht. In den USA erschien der Film, mit Taverniers Einverständnis, in einer anderen Schnittfassung direkt auf DVD. Für den internationalen Markt wurde dann Taverniers auch auf der Berlinale gezeigte Fassung verwandt. Auch bei uns fand sich letztendlich kein Verleiher und so erlebt ein weiterer Film, der sich nicht an ein jugendliches Multiplex-Publikum und nicht an ein distinguiertes Arthaus-Publikum richtet, seine Premiere auf DVD. Weil inzwischen der Umsatz auf dem DVD-Markt höher als im Kino ist und immer mehr Menschen sich ein kleines Heimkino leisten, wird diese ursprüngliche Zweitverwertung auch für eingefleischte Kinogänger, wie ein Blick auf die DVD-Premieren zeigt, immer interessanter.
Als Bonusmaterial gibt es 16 Minuten „Entfallene Szenen“, elf davon Musik, und ein informatives halbstündiges Making-of. Es gibt sehr entspannte Impressionen vom Dreh, etwas Lobhuddelei, vor allem für Tommy Lee Jones, die dieses Mal sogar ehrlich klingt und sehr viele Statements von Regisseur Bertrand Tavernier. Er erzählt, was ihn an der Vorlage faszinierte, wie er arbeitet und wie er die verschiedenen Arbeitsmethoden der Franzosen und der Amerikaner wahrnimmt.
In the Electric Mist – Mord in Louisiana (In the Electric Mist, USA 2009)
Regie: Bertrand Tavernier
Drehbuch: Jerzy Kromolowski, Mary Olson-Kromolowski (nach dem Roman von James Lee Burke)
mit Tommy Lee Jones, John Goodman, Peter Sarsgaard, Kelly Macdonald, Mary Steenburgen, Justina Machado, Ned Beatty, James Gammon, Pruitt Taylor Vince, Levon Helm, Buddy Guy, John Sayles
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DVD
Koch Media
Bild: 1,35:1 (16:9)
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: Making of, Geschnittene Szenen, Originaltrailer, Wendecover
Blade Runner – Der Final Cut (USA 1982, R.: Ridley Scott)
Drehbuch: Hampton Fancher, David Peoples
LV: Philip K. Dick: Do Androids dream of Electric Sheep?; Blade Runner, 1968 (Träumen Roboter von elektrischen Schafen; Blade Runner)
LA, 2019: Rick Deckard soll vier Replikanten finden.
Damals kam er bei der Kritik solala an und im Kino lief er auch nicht so toll. Aber seitdem entwickelte „Blade Runner“ sich zu einem der stilbildenden Science-Fiction-Filme und Lieblingsobjekte von Wissenschaftlern für Interpretationen.
„Der Final Cut“ ist die von Ridley Scott ursprünglich geplante Version, die sich nur in Details von früheren Versionen (Off-Sprecher, Ende, einige Effekte und minimal andere Schnittfolgen) unterscheidet.
Eine zeitgenössische Kritik: „’Blade Runner’ ist ein Film des Dekors (…) Technische Phantasie und die Story, soweit sie erkennbar wird, liegen weit über dem Standard heutiger Science-fiction-Filme. Dennoch ist auch ‘Blade Runner’ ein eher unerfreulicher Film: Er kokettiert nicht nur mit der Gewalt, er schlachtet sie genussvoll aus, menschliche Werte behauptet er nur zu retten, tatsächlich aber versenkt er sie in einem Meer von Zynismus.“ (Fischer Film Almanach 1983)
Ähnlich Ronald M. Hahn/Volker Jansen in „Lexikon des Science Fiction Films“ (1983): „Mehr jedoch als die zum großen Teil unbekannten Schauspieler sind die Trickspezialisten die wahren Stars dieses Films.“
Heute wird’s anders gesehen: „Der Film, der auf der Handlungsebene einem eher einfachen und klar strukturierten Muster folgt (…), eröffnet bei genauerer Betrachtung vielschichtige Bedeutungsebenen, die vor allem zahlreiche Reflexionen über die neuzeitliche Realitätsauffassung und den damit verbundenen Humanitätsbegriff zulassen.“ (Fabienne Will in Thomas Koebner, Hrsg.: Filmgenres Science Fiction, 2003)
„Twenty-five years after its first release Blade Runner is still the benchmark film in tech noir or future noir – a bleak fusion of sci-fi and noir.“ (Alexander Ballinger, Danny Graydon: The Rough Guide to Film Noir, 2007)
Mit Harrison Ford, Rutger Hauer, Sean Young, Edward James Olmos, M. Emmet Walsh, Daryl Hannah, Joanna Cassidy
…denkt sich der Hitchcock-Fan und wirft einen Blick auf seine deutschsprachigen Hitchcock-Bücher: die dicken Biographien von John Russell Taylor und Donald Spoto, das legendäre Interview von Francois Truffaut, den schönen Bildband von Paul Duncan, das schmale Buch von Enno Patalas, den informativen Sammelband von Lars-Olav Beier und Georg Seeßlen.
Das dürfte doch genug Stoff sein.
Aber für den bekennenden Hitchcock-Fan ist Thilo Wydras in der Suhrkamp-Reihe „BasisBiographie“ erschienenes Büchlein auch nicht gemacht. Es ist für den Einsteiger, der noch nichts über Hitchcock weiß und den Gang in die staubigen Antiquariate scheut. Denn fast alle der eben genannten, empfehlenswerten Bücher sind nicht mehr erhältlich.
Wydras Buch ist in zwei große Abschnitte gegliedert: zuerst gibt es eine Tour de Force durch Alfred Hitchcocks Leben von der Geburt bis zum Tod. Dabei widmet er sich vergleichsweise ausführlich Hitchcocks letzten Jahren und seinem körperlichen Verfall. Hier werden auch alle Filme von Hitchcock kurz angesprochen. Wydras Bewertungen bewegen sich dabei fast immer im Mainstream: die bekannten Klassiker werden gelobt, die Fehlschläge werden als Fehlschläge bezeichnet.
Die Fernseharbeiten von Hitchcock und wie es ihm gelang als Präsentator von „Alfred Hitchcock presents“ und „The Alfred Hitchcock Hour“ zu einer nationalen Berühmtheit zu werden (und dabei war Hitchcock als begnadeter Selbstdarsteller schon immer sehr bekannt gewesen), werden nur gestreift.
Im zweiten großen Abschnitt „Werk“ stellt Wydra elf Hitchcock-Filme vor, „die exemplarisch für einzelne Perioden oder Gattungen stehen“. Es sind „Die 39 Stufen“, „Rebecca“, „Im Schatten des Zweifels“, „Berüchtigt“, „Der Fremde im Zug“, „Das Fenster zum Hof“, „Über den Dächern von Nizza“, „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“, „Psycho“, „Die Vögel“ und „Frenzy“. Obwohl diese Auswahl weitgehend okay ist, fehlen „Der Mieter“ (The Lodger; der erste echte Hitchcock-Film, der bereits alle wichtigen Hitchcock-Topoi enthält), „Ich beichte“ (gerade weil der Katholik Hitchcock hier das Beichtgeheimnis in den Mittelpunkt stellt) und „Der unsichtbare Dritte“ (ein Hitchcock-Cocktail oder die Big-Budget-Variante von „Die 39 Stufen“). „Familiengrab“ hätte ich als letzten Hitchcock-Film, verknüpft mit einem Fan-Bonus, ebenfalls aufgenommen. Dagegen hätte ich auf „Die 39 Stufen“ (zugunsten von „Der unsichtbare Dritte“), „Rebecca“ (nur erwähnenswert als Hitchcocks Hollywood-Debüt) und „Frenzy“ (seine Rückkehr nach London) verzichtet.
Bei den Filmvorstellungen reichert Wydra seine umfangreichen Inhaltsangaben nur spärlich mit Interpretationen an. Dafür gibt es aber viele, den Hitchcock-Fans vertraute, Anekdoten. Teilweise, wie bei „Über den Dächern von Nizza“ (Wirklich einer „der am meisten unterschätzten Hitchcock-Filme“?), wird zu sehr auf den Spitznamen des Juwelendiebes, die „Katze“, eingegangen. Dabei verrät schon der Originaltitel „To Catch a Thief“, was alle in dem Film wollen: jeder will einen Dieb (egal ob einen echten oder einen falschen) fangen. In jeder Szene geht es darum, einen Dieb zu fangen – und am Ende sind die Diebe auch gefangen.
Bei „Psycho“ hätte die Frage, warum ein Film, bei dem nach einem Drittel die Hauptfigur gewechselt wird, beim Publikum funktioniert, beantwortet werden müssen. Die Antwort ist, dass wir uns mit Marion Crane und Norman Bates identifizieren können, weil sie aus einem Gefängnis und dem damit verbundenen Druck auf ihr Leben ausbrechen wollen.
Überhaupt nicht erwähnt werden die von Alfred Hitchcock oft liebevoll inszenierten Trailer für seine Filme. Vor allem der Trailer für „Psycho“ ist grandios:
Thilo Wydra liefert mit „Alfred Hitchcock“ einen schnell zu lesenden, guten Einblick in das Leben und Werk des Regisseurs. Denn auf 160 Seiten, inclusive einem zwanzigseitigem Anhang mit Zeittafel, Biblio- und Filmografie, ist mehr kaum möglich.
Obwohl nur die um gut dreißig Minuten gekürzte deutsche Kinoversion gezeigt wird
Arte, 20.15
Der Frauenmörder von Paris (F/I 1963, R.: Claude Chabrol)
Drehbuch: Françoise Sagan
Buch zum Film: Françoise Sagan, Claude Chabrol, Maria Dessauer: Landru, 1963 (Landru)
Während des ersten Weltkriegs wird der Spießbürger Landru zum Mörder. Weil er mit dem Verkauf von Antiquitäten seine Frau, ihre vier Kinder und das Dienstmädchen nicht mehr versorgen kann, macht er sich an reiche, alleinstehende Frauen heran, lässt sich Vollmachten ausstellen, bringt sie um und verbrennt die Leichen in seinem Landhaus. Als er erwischt wird, kann er vor Gericht die Sympathien des Publikums gewinnen.
Chabrols Film beruht auf einem wahren Fall: 1919 wurde Henri Désiré Landru angeklagt, in seinem Landhaus zehn Frauen und einen Jungen ermordet zu haben. In dem Haus wurden Gebiss- und Knochenreste gefunden. Landru leugnete die Taten. Nach einer dreijährigen Untersuchungshaft wurde er in einem Indizienprozess zum Tode verurteilt und 1922 hingerichtet.
Selbstverständlich liefert Claude Chabrol keine detailgenaue Rekonstruktion der Ereignisse. “Der Frauenmörder von Paris” ist eine historische Satire – verbunden mit der sarkastischen Frage, was denn der Tod von zehn Frauen im Vergleich zum Tod Tausender junger Männer in den Schützengräben sei.
Im deutschen Kino lief eine um eine halbe Stunde gekürzte Fassung. Erst 1993 erstellte das ZDF eine restaurierte Fassung, in der die nicht im Kino gezeigten Teile untertitelt eingefügt wurden. Es handelt sich dabei vor allem um die Gerichtsverhandlung am Ende des Films und politische Anspielungen, die Landrus Treiben in Bezug zum Ersten Weltkrieg setzen und auf Militär und Politik ein schlechtes Licht werfen. Außerdem fehlten einige kürzere Szenen, wie der Kauf einer Fahrkarte, wie Landru in einer Bank seine Frau überredet, eine Unterschrift zu fälschen und einige Morde.
Der Fall Landru war auch der Ausgangspunkt für Charlie Chaplins “Mr. Verdoux – Der Frauenmörder von Paris” (USA 1947) und Jürgen Alberts halbdokumentarischen Roman “Landru” (1987).
Mit Charles Denner, Michèle Morgan, Danielle Darrieux, Hildegard Knef (als Hildegarde Neff), Stéphane Audran