DVD-Kritik: Der tolle Polit-Thriller „Der dritte Grad“

Irgendwann in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts: in einem anonymen, südländischem Polizeistaat (gedreht wurde in Griechenland, aber es könnte auch eine südamerikanische Militärdiktatur sein) nimmt die Polizei den Reisekaufmann Georgis (Ugo Tognazzi) fest. Er hat sich in einem Café mit einem jungen Mann unterhalten, der ein Revolutionär sein soll.

Der Polizeichef möchte an Georgis eine neue Verhörmethode ausprobieren. Er schickt an einem Sonntag einen Inspektor (Michel Piccoli) und den „Manager“ (Mario Adorf), ein betont südländisch-grobschlächtiger Polizist, der sie in Zentralgefängnis fahren soll, los. Kurz nachdem sie losgefahren sind, bleibt das Auto liegen und sie müssen sich zu Fuß auf den Weg machen. Unklar ist, ob die Autopanne ein technischer Defekt oder Teil eines ausgeklügelten Plans ist, Georgis außerhalb des Verhörzimmers zu einem Geständnis zu bewegen. Und ist der Verdächtige Georgis wirklich so unschuldig und bieder, wie er behauptet?

Der Politthriller „Der dritte Grad“ ist einer der wenigen Ausflüge des Neuen Deutschen Films auf das internationale Parkett und in das Genrekino. Denn auch wenn der Film nicht in Griechenland unmittelbar nach dem Ende der Militärdiktatur gedreht worden wäre, wäre der Einfluss des linksaufklärerischen Kinos von Constantin Costa-Gavras, der mit dem ebenfalls in Griechenland spielendem „Z“ einen Welterfolg hatte und die Grundpfeiler des damaligen Polit-Thrillers markierte, unübersehbar. Costa-Gavras inszenierte, wie damals etliche linke Regisseure, regierungskritische Stoffe, die entschieden für Minderheiten und die Unterdrückten Partei ergriffen, aber mit einer Starbesetzung und getarnt als Genrefime auf das breite Publikum zielten. Diese Methode war damals nicht unumstritten.

Und „Der dritte Grad“-Regisseur Peter Fleischmann, der 1969 mit der Martin-Sperr-Verfilmung „Jagdszenen aus Niederbayern“ einen ersten Erfolg mit einem Heimatfilm abseits der Klischees des damaligen deutschen Heimatfilms hatte, gehörte damals zum Neuen Deutschen Film, der entschieden Großpapas Kino ablehnte. Auch in seinen späteren Filmen „Das Unheil“ (1970), „Dorotheas Rache“ (1973), „Die Hamburger Krankheit“ (1979 – ein deutscher SF-Film), „Frevel“, die Arkadi- und Boris-Strugatski-Verfilmung „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ (1989; – noch ein deutscher SF-Film, der in Russland gedreht wurde und, angesichts der jahrelangen Vorbereitung und des hohen Budgets, ein gigantischer Flop war) versuchte er populäre Erzählformen und gesellschaftlich relevante Themen mit einem eigenen Stempel zu versehen.

Auch „Der dritte Grad“ zielte auf das breite Publikum. Der Thriller ist keine flammende Anklage gegen die Folterregime (Wobei die Szene, in der der Polizeichef durch ein Büro im Polizeirevier geht, und mehrere Beamte seelenruhig Folterverhöre abtippen, und er sich mit Michel Piccoli unterhält, schon sehr erschreckend ist und an der Meinung der Filmemacher zu bestimmten Regierungen keine Zweifel aufkommen lässt. Auch die erste Szene, wenn der Inspektor und Georgis in einer langen und komplizierten Einstellung, die sich nicht vor der ersten Einstellung von Orson Welles‘ „Im Zeichen des Bösen“ verstecken muss, eingeführt werden, ist, in ihrer erzählerischen Ökonomie grandios.), sondern ein psychologischer Thriller, in dem das Verhör, vor traumhafter Kulisse, schnell zu einem spannendem Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem Polizisten und dem Verdächtigen, der einerseits zu harmlos und bieder für einen Revolutionär ist und andererseits zu gewitzt und aufmerksam für einen Reisekaufmann ist, entwickelt. Dabei scheint sich im Lauf des Sommertages sogar so etwas wie Freundschaft zwischen Georgis und dem Inspektor zu entwickeln; – oder ist das nicht auch wieder eine Finte in dem Verhör?

Denn beide wissen, dass dieses freundschaftliche Verhör nur das Vorspiel für ein Folterverhör ist.

Diese Ausgangssituation, in der das Folterregime eine neue, ihrem normalen Gehabe widersprechende und in der Durchführung ziemlich aufwendige Verhörstrategie ausprobieren will, wirkt allerdings etwas konstruiert und einige Twists in der zweiten Hälfte des Films kommen etwas zu plötzlich und wirken etwas zu weit hergeholt; – so als ob Peter Fleischmann, Jean-Claude Carrière und Martin Walser ihrer Prämisse, dem damit verbundenen Thema und den wechselnden Loyalitäten nicht genug vertrauten.

Die Vorlage für den Film ist der 1966 erschienene, mehrfach ausgezeichnete, nur noch antiquarisch erhältliche Roman „Der Fehler“ des Griechen Antonis Samarakis, der darin seine Erfahrungen im Widerstand gegen die Regierung des Generals Metaxas Anfang der 40er Jahre schrieb.

 

Fazit

 

Der dritte Grad“ ist ein mit damaligen Topstars grandios besetzter, vor einer traumhaften Kulisse spielender und mit der immer hörenswerten Musik von Ennio Morricone unterlegter Siebziger-Jahre-Politthriller. Diese absolut lohnenswerte Wiederentdeckung wurde nämlich nach der Kinoauswertung 1976 nur einmal, am 21. Juni 1981 im TV ausgestrahlt, und die VHS-Cassetten sind ebenfalls schon lange nicht mehr erhältlich.

Die jetzige DVD-Ausgabe hinterlässt allerdings ein zwiespältiges Gefühl. Denn, obwohl es eine internationale Produktion ist, findet sich nur die deutsche Tonspur auf der DVD. Der Rest, das Skizzenbuch von Carrière, Pressezitate zum Film und eine Fotogalerie, zeigen immerhin, dass sich bemüht wurde, etwas historische Bonusmaterial zu finden.

Der dritte Grad (La Faille, Deutschland/Frankreich/Italien 1974)

Regie: Peter Fleischmann

Drehbuch: Jean-Claude Carrière, Martin Walser, Peter Fleischmann

LV: Antonis Samarakis: Der Fehler (1966)

mit Michel Piccoli, Ugo Tognazzi, Mario Adorf, Adriana Asti, Dimis Starenios

DVD

Arthaus

Bild: 1,66:1

Sprache: Deutsch (Mono DD)

Untertitel: –

Bonusmaterial: Skizzenbuch von Jean-Claude Carrière; Pressezitate zum Film als PDF; Fotogalerie; Wendecover

Länge: 106 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Wikipedia über Peter Fleischmann

Filmportal über Peter Fleischmann

The Guardian: Nachruf auf Antonis Samarakis

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