DVD-Kritik: Der gemeine Thriller „The Stepfather“

The Stepfather“ ist ein kleiner, hundsgemeiner Thriller, der in den Achtzigern, als Ronald Reagan Präsident war, der Patriotismus fröhliche Urstände feierte und konservative Familienwerte mal wieder hochgehalten wurde, die Vorstellung von der heilen Familie gründlich entzaubert.

Die pubertierende Stephanie (Jill Schoelen) hat Probleme mit ihrem neuen Stiefvater. Irgendetwas, glaubt sie, stimmt nicht bei ihm. Dabei wird Jerry Blake (Terry O’Quinn, „Millenium“, „Lost“) von allen anderen geliebt und geachtet. Er ist neu in dem kleinen Ort in der Nähe von Seattle, hat aber als Makler innerhalb eines Jahres bereits einen großen Freundeskreis aufgebaut. Ihre Mutter Susan (Shelley Hack, „Drei Engel für Charlie“) liebt den fürsorglich-verständnisvollen Mann. Sie glaubt, dass ihre Tochter nur einige Zeit braucht, um über den Verlust ihres vor einem Jahr gestorbenen Vaters hinwegzukommen und den neuen Mann als ihren neuen Vater zu akzeptieren. Stephanie hat halt die normale Teenage Paranoia, die sich mit der Zeit erledigt. Und, zum Glück, ist Jerry Blake sooo verständnisvoll.

Drehbuchautor Donald E. Westlake verarbeitete in „The Stepfather“ Probleme und Gespräche, die er damals mit seiner Stieftochter hatte. Denn auch sie lehnte ihn, egal was er tat, ab.

Aber wir Zuschauer wissen bereits von der ersten Minute, dass Stephanie sich nicht irrt. Denn Jerry Blake hat seine vorherige Familie umgebracht.

Diese fünfminütige Einführung, die ohne einen einzigen Satz alles verrät, ist, wenn man die Geschichte nicht kennt, genial – und wenn man sie kennt, ist sie immer noch ein tolles, gern zitiertes Beispiel für effektives Geschichtenerzählen: Die Kamera bewegt sich langsam durch eine normale Vorortstraße auf ein zweistöckiges Haus zu. Jerry Blake steht im Badezimmer vor einem Spiegel. Er hat einige rote Spritzer auf seinem Holzfällerhemd und in seinem Gesicht. Wahrscheinlich Farbe von einer Renovierung. Er zieht sich aus, duscht sich, rasiert sich den Bart ab und zieht sich anschließend einen Anzug an. Man könnte meinen, er ist ein Handelsvertreter oder ein Banker, der sich nach einer langen Hausrenovierung, in dem er zum ‚Mann aus den Bergen‘ wurde, wieder auf seine Arbeit vorbereitet.

Er geht durch den Flur, hebt ein Plastikschiff auf und legt, ganz der liebevoll-ordentliche Vater, das Schiff im Kinderzimmer in eine mit Spielzeug randvoll gefüllte Truhe.

Er geht die Treppe hinunter. An der Wand sind einige Blutspritzer. Alles ist, bis auf die Filmmusik, ruhig.

Er geht durch den Eingangsbereich. Im Hintergrund ist das Esszimmer des traditionell geschnittenen Hauses zu sehen und überall liegen verstümmelte Leichen.

Hier hat ein Massaker stattgefunden und er ist der Täter, der jetzt den Tatort verlässt.

Er schließt die Haustür ab und geht eine ganz gewöhnliche Straße einer ganz gewöhnlichen US-amerikanischen Vorstadt hinunter, auf dem Weg zu seiner nächsten Traumfamilie.

In den folgenden knapp neunzig Minuten wird dann der Traum von der heilen Familie gründlich demontiert. Denn die Wirklichkeit kollidiert immer wieder mit Blakes Fantasie. Die Kinder achten den Vater nicht genug. Sie wollen einen Freund und, was noch schlimmer ist, wahrscheinlich vorehelichen Sex haben. Sie sind renitent und widerspenstig. Sie schnüffeln sogar in seiner Vergangenheit herum.

Zusätzliche Spannung erhält der Film durch die kluge Konstruktion, die sicher auch ein Hommage an Alfred Hitchcock und seinen Kleinstadt-Krimi „Im Schatten des Zweifels“ (Shadow of a Doubt, 1943) ist. Beide Filme sind verdächtig ähnlich aufgebaut. In beiden Filmen kommt das Böse von außen und beide Male muss eine junge Frau sich gegen den von allen geachteten Fremden (bei Hitchcock Joseph Cotten, der einen Frauenmörder spielt, bei Ruben Terry O’Quinn, der einen Familienmörder spielt) wehren. Und beide Male, was keine große Überraschung ist, muss sie am Ende den Bösewicht besiegen.

Aber bei Hitchcock wird Charlotte ‚Charlie‘ Newton (Teresa Wright) von ihrem Lieblingsonkel Charlie Oakley enttäuscht. Sie muss erkennen, dass ihr Bild von ihrem Onkel nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt.

Bei Westlake (denn Ruben hat als Regisseur doch ein eher unsortiertes Sortiment mit einem Hang zu Krimis) wird dagegen ein amerikanischer Mythos lustvoll zerstört. Gleichzeitig drehen die Macher in ihrem Drei-Personen-Stück „The Stepfather“ von der ersten Minute an unerbittlich an der Suspense-Schraube.

Zum Gelingen des Films trägt auch der Verzicht auf eine psychologische Erklärung für Jerry Blakes Taten, die auf dem wahren Fall von John List basieren, bei. Er ist, was er ist – und, wenn wir nicht von Anfang an wüssten, dass er ein Mörder ist, wäre er uns ganz sympathisch. Nur sein absolut nachvollziehbares Ziel, der unerfüllbare Traum von der perfekten Familie und seine ewige Suche danach (denn er hat in der Vergangenheit schon mehrere Familien ermordet), ist wichtig. Warum ihm das so wichtig ist, ist egal. Dadurch wirkt er noch dämonischer. Terry O’Quinn spielte ihn hübsch doppelbödig. Für sein Spiel war für den Saturn Award (der Academy of Science-Fiction, Fantasy and Horror Films) und den Independent Spirit Award als bester Darsteller nominiert.

Donald Westlakes Buch für den gut erhaltenen 80er-Jahre-Thriller, dessen Thema inzwischen wieder aktuell ist, war für einen Edgar nominiert.

2009 wurde ein Remake gedreht, das sich bis auf eine kleine, entscheidende Änderung an das Original hielt: aus Stephanie wurde ein Junge. Ein Soldat. Bei Rotten Tomatoes erhält das gleichnamige Remake von den Kritikern einen deprimierenden Frischegrad von elf Prozent. Mehr muss zu dem Remake wohl nicht gesagt werden. Vor allem wenn das wesentlich frischere Original erhältlich ist.

The Stepfather (The Stepfather, USA 1986)

Regie: Joseph Ruben

Drehbuch: Donald E. Westlake (nach einer Geschichte von Carolyn Lefcourt, Brian Garfield und Donald E. Westlake)

mit Terry O’Quinn, Shelly Hack, Jill Schoelen

auch bekannt als „Kill, Daddy, kill“ (Kinotitel) und „Spur in den Tod II“

DVD

Epix

Bild: 1,78:1 (anamorph/16:9)

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0)

Untertitel: –

Bonusmaterial: Deutscher und Originaltrailer, Wendecover

Länge: 86 Minuten

FSK: ab 18 Jahre (Hm, eigentlich zu hoch. „Ab 16“ wäre angemessen)

Hinweise

Wikipedia über „The Stepfather“ (deutsch, englisch)

Wikipedia über John List

Homepage von Brian Garfield

Homepage von Donald E. Westlake

Kriminalakte: Nachruf auf Donald E. Westlake

Kriminalakte: Covergalerie Donald E. Westlake

Meine Besprechung von Donald E. Westlakes Dortmunder-Roman „What’s so funny?“

Meine Besprechung von Donald E. Westlakes Dortmunder-Roman „Watch your back!“

Meine Besprechung von Donald E. Westlakes Dortmunder-Kurzroman „Die Geldmacher“ (Walking around money; erschienen in „Die hohe Kunst des Mordens“ [Transgressions])

Meine Besprechung von Donald E. Westlakes „Mafiatod“ (361, 1962)

Meine Vorstellung von Westlakes als Richard Stark geschriebener Parker-Serie (mit „Nobody runs forever“)

Meine Besprechung von Richard Starks Parker-Romans „Ask the Parrot“

Meine Doppelbesprechung von Richard Starks Parker-Romanen „Fragen Sie den Papagei“ (Ask the Parrot) und „Dirty Money“

5 Responses to DVD-Kritik: Der gemeine Thriller „The Stepfather“

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