DVD-Kritik: „The Assault“ verschenkt seinen Stoff

Was für ein Stoff!

Am Heiligabend 1994 kapern vier Mitglieder der Groupe Islamique Armé (GIA, Bewaffnete Islamische Gruppe) in Algier den Air France Flug 8969. Nach längeren Verhandlungen und nachdem die Terroristen mehrere Geisel erschossen haben, startet das Passagierflugzeug in Richtung Paris. In Marseille muss der Airbus am 26. Dezember zum Tanken landen. Die GIGN (Groupe d’Intervention de la Gendarmerie Nationale), der französische Pendant zur GSG 9, stürmt mit dreißig Mann die Maschine und kann in einem zwanzigminütigem Feuergefecht die Geiselnahme blutig beenden. Es gab 25 Verwundete. Die Terroristen wurden erschossen.

Später wurde gesagt, dass die Terroristen die Maschine in den Eiffelturm fliegen sollte.

Was für eine enttäuschende Umsetzung.

Das beginnt mit der modischen, aber meist einfach nur nervenden Wackelkamera. So auch in „The Assault“. Denn anstatt ein Gefühl von „dabei sein“ zu vermitteln, reißt sie einen immer wieder aus der Geschichte heraus. Das geht weiter mit der absolut bescheuerten Idee, den Film in einer so farbentsättigten, viel zu dunklen Version zu zeigen, dass er wie ein Schwarz-Weiß-Film wirkt. Der Regisseur dachte sich wohl, was bei „Schindlers Liste“, „The good German“ und „Sin City“ funktionierte, funktioniert auch bei mir. Aber „Schindlers Liste“ war ein historisches Drama, aus einer Zeit, als es kaum Farbfilme und Farbfotos gab und Steven Spielberg wollte so auch an unser Bild von dieser Zeit anknüpfen. Steven Soderbergh wollte in seinen Period Piece „The good German“ die späten vierziger Jahre und die damaligen Hollywood-Filme, die erkennbar in Kulissen gedreht wurden, wieder aufleben lassen. Ich sage nur „Casablanca“ und, obwohl in Wien gedreht, „Der dritte Mann“. Und in „Sin City“ wurde ein betont kunstvoller Comic von Frank Miller sehr werkgetreu von Robert Rodriguez und Frank Miller in ein anderes Medium übertragen und, zur allgemein Überraschung, funktionierte das Experiment.

In „The Assault“ fragt man sich dagegen nur, was das soll. Auch weil die wenigen Farbtupfer, im Gegensatz zu denen in „Schindlers Liste“ und „Sin City“, absolut beliebig sind.

Dazu kommt noch ein Drehbuch, das aus dem Stoff nichts macht. Ziemlich zusammenhanglos springt Regisseur Julien Leclerq zwischen den Terroristen im Flugzeug, dem französischen Krisenstab, der Spezialeinheit beim Training für irgendwelche anderen Einsätze und den besorgten Frauen der Polizisten. Der Film plätschert bis zur Erstürmung des Flugzeugs vor sich hin. Die vielen Charaktere bleiben weitgehend austauschbar und wenn dann am Filmende das Flugzeug gestürmt wird, dürfen wir einen unglaublich schlecht geplanten Einsatz eines Spezialkommandos und eine höchst dilettantisch inszenierte Action-Szene erleiden.

Gerade im Vergleich mit dem ähnlich gelagerten deutschen Film „Mogadischu“ von Roland Suso Richter über die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ 1977 fallen die Defizite von „The Assault“, der seinen großartigen Stoff vollkommen verschenkt, noch deutlicher auf.

The Assault (L’Assaut, Frankreich 2010)

Regie: Julien Leclercq

Drehbuch: Simon Moutairou, Julien Leclercq

LV: Roland Môntins, in Zusammenarbeit mit Gilles Cauture: L’assaut, 2007

Mit Vincent Elbaz, Mélanie Bernier, Philippe Bas, Marie Guillard

DVD

Atlas Film

Bild: 1.85:1 (16:9)

Ton: Deutsch, Französisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Trailer

Länge: 90 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

(Blu-ray identisch)

Hinweise

Französische Homepage zum Film

Wikipedia über „The Assault“ und über die Entführung (englisch, französisch)

 

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