„Choke“ ist nicht „Fight Club“, obwohl die erste Szene von „Choke“ an „Fight Club“ erinnert. Clark Greggs Debütfilm beginnt mit einem Treffen der Anonymen Sexsüchtigen. Sie sitzen im Kreis in einem anonymen Raum in einer Kirche auf viel zu kleinen Stühlen und Erzähler Victor Mancini (grandios: Sam Rockwell) stellt die anderen Sexsüchtigen kurz und sarkastisch vor. Danach verzieht er sich mit einer Sexsüchtigen auf die Toilette.
Aber im Gegensatz zu dem „Fight Club“-Erzähler will Victor sich bessern. Er kann es nur nicht. Er kommt einfach nicht über die vierte Stufe des Programms, in dem er alle seine Sünden aufschreiben soll, hinaus. Seine kärglichen Brötchen verdient er sich als Darsteller in einem historischen Themenpark. Dort arbeitet auch sein Freund Denny, ein weiterer Sexsüchtiger, der für seine Verfehlungen (wie historisch falsche Kleidung, Accessoires und Sprache) öfters am Pranger steht (und so immerhin nicht masturbiert). Den Unterhalt für seine demenzkranke Mutter verdient Victor vor allem, indem er in Nobelrestaurants am Essen erstickt und sich von einer hilfsbereiten Hand retten lässt. Der Retter fühlt sich als sein Beschützer und schickt ihm immer wieder Geld.
In Victors Leben ist seine Mutter Ida Mancini (Anjelica Huston in einer weiteren Paraderolle) der Dreh- und Angelpunkt. Mit ihr erlebte er in seiner Jugend, wenn er nicht von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht wurde, zahlreiche Abenteuer. Denn Ida lebte in ständiger Opposition zur Gesellschaft. Jetzt ist sie, dank übermäßigem Drogenkonsum, frühzeitig gealtert. Victor hätte gerne seine alte, lebenslustig-anarchistische Mutter zurück. Jedenfalls irgendwie.
Da bietet die Ärztin Dr. Paige Marshall eine abenteuerliche Therapie an und der sexsüchtige Victor hat erstmals Probleme mit einem Orgasmus. Denn er verliebt sich in die Ärztin.
Während das Buch (wenigstens in der deutschen Übersetzung) eine ziemlich zähe Lektüre ist, ist die Verfilmung eine flotte, schwarzhumorige Groteske über Abhängigkeiten und die Sucht danach, anderen Menschen zu gefallen. Denn hier spielt jeder Charakter den anderen etwas vor und alle Beziehungen sind gestört.
Vor allem Victor hat kein eigenes Leben. Er wird immer nur dann lebendig, wenn er in eine Rolle schlüpft, die andere Menschen (scheinbar) von ihm erwarten. Dabei ist er überhaupt nicht glücklich. Es ist eine kindische Gefallsucht, die ihn aber nicht zu einem Heiligen macht. Denn sein Leitspruch ist „Was würde Jesus nicht tun?“.
Die Charakterstudie „Choke“ ist das Kinodebüt von Schauspieler Clark Gregg. Aber dank guter Darsteller und eines pointierten Drehbuchs fallen die geringe Drehzeit und das überschaubare Budget (vor allem im Vergleich zu „Fight Club“) kaum auf.
Störend ist allerdings, wie schon bei dem Roman, eine gewisse Zeit- und Ortlosigkeit. Denn alles spielt an austauschbaren, oft künstlichen Orten, wie einem Themenpark, einem Altersheim, einem Stripclub, Sexsüchtigen-Treffen und in Victors Junggesellenwohnung. Das alles könnte irgendwann in den vergangenen Jahrzehnten irgendwo in den USA spielen. Insofern ist die filmische Zustandsbeschreibung genauso heimatlos wie seine Charaktere.
Das sehenswerte Bonusmaterial ist, wie immer, wenn eine kleine Produktion auch ein Liebhaberprojekt ist, sehr umfangreich ausgefallen. Es gibt entfallene Szenen mit sehr selbstkritischen Kommentaren von Regisseur und Drehbuchautor Clark Gregg (Schade, dass er keinen Audiokommentar aufgenommen hat.), zwei informative Auftritte von Chuck Palahniuk und Clark Gregg (einmal beim L. A. Film Festival, einmal in einem persönlichen Gespräch), und zwei ausführliche Featurettes.

Choke (Choke, USA 2008)
Regie: Clark Gregg
Drehbuch: Clark Gregg
LV: Chuck Palahniuk: Choke, 2001 (Der Simulant)
mit Sam Rockwell, Anjelica Huston, Kelly MacDonald, Brad William Henke, Clark Gregg
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DVD
Laufzeit: 88 Minuten
Bild: 1.85:1 (16:9)
Sprachen: Deutsch, Englisch (DTS, Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: Deleted Scenes (ca. 11 Minuten, mit Audiokommentar von Clark Gregg und Sam Rockwell), Gag Reel (ca. 2 Minuten), Clark Gregg im Gespräch mit Chuck Palahniuk (ca. 11 Minuten), „Mein Name ist Victor und ich bin sexsüchtig“ – Featurette mit Sam Rockwell (ca. 16 Minuten), „Die Leibe einer Mutter“ – Featurette mit Anjelica Huston (ca. 6 Minuten), Aufnahmen vom L. A. Film Festival (ca. 4 Minuten)
FSK: ab 16 Jahren
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Die Vorlage
Chuck Palahniuk: Der Simulant
(übersetzt von Werner Schmitz)
Goldmann, 2002
320 Seiten
8,95 Euro
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Originalausgabe
Chuck Palahniuk: Choke
Doubleday, 2001
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Hinweise
Slashfilm: Interview mit Clark Gregg über „Choke“ (23. Januar 2008)
[…] Meine Besprechung der Chuck-Palahniuk-Verfilmung „Choke“ […]