„Finsterau“ ist nur eine „Tannöd“-Kopie

März 7, 2012

Nachdem ihr letzter Roman „Bunker“ (naja, von der Länge her eigentlich Novelle oder etwas längere Kurzgeschichte) ein komplettes Desaster war, hat Andrea Maria Schenkel sich wahrscheinlich gesagt „back to basics“.

Denn ihr neuester Roman, wieder in der typischen Schenkel-Länge von 128 Seiten, nimmt sich wie in ihrem Debüt „Tannöd“ einen historischen Kriminalfall vor. In „Finsterau“ wird kurz nach dem zweiten Weltkrieg auf einem bayerischen Dorf eine junge Frau und ihr uneheliches Kind auf dem Hof ihres Vaters ermordet. Der wahre Fall, über den ich auf die Schnelle nichts gefunden habe, geschah in Kempten. Wieder wird der Fall erst Jahre nach der Tat aufgeklärt und die Ermittlungsarbeit wird auf den Leser verlagert. In „Tannöd“ war diese Erzählweise ein interessantes literarisches Experiment, weil die verschiedenen Berichte der Dorfbewohner gegenüber einer unbekannten Person langsam ein vollständiges Bild des Tathergangs gaben und am Ende der Täter enthüllt wurde. „Finsterau“ ist nur eine leicht variierte Wiederholung, indem sich aus verschiedenen Perspektiven, die von einem auktorialem Erzähler reichlich distanziert erzählt werden, und den Aussagen eines Polizisten und eines Hausierers 18 Jahre nach der Tat langsam die Tat (denn wer nicht den Klappentext gelesen hat, wird sich über viele Seiten fragen, wohin die einzelnen, eher unzusammenhängenden Kapitel führen sollen) und der Tathergang herausschält. Dafür bedient Andrea Maria Schenkel sich wieder der altbekannten Whodunit-Struktur, nach der der Reihe nach einige Verdächtige aufgebaut werden und man als Leser milde rätselt, wer von den wenigen Verdächtigen denn nun der Täter ist.

Weggelassen hat sie in ihrem neuesten Buch die Gebete, die in „Tannöd“ von vielen kritisiert wurden, und sie verzichtet auf ihre sprachlichen Marotten, die mit „Kalteis“ und „Bunker“ immer nerviger wurden.

Aber das ändert nichts daran, dass „Finsterau“ als Selbstplagiat eine exakte Kopie von „Tannöd“ ist.

Andrea Maria Schenkel: Finsterau

Hoffman und Campe, 2012

128 Seiten

16,99 Euro

Hinweise

Homepage von Andrea Maria Schenkel

Meine Besprechung von Andrea Maria Schenkels „Kalteis“ (2007)

Meine Besprechung von Andrea Maria Schenkels „Bunker“ (2009)

Andrea Maria Schenkel in der Kriminalakte


Gerne „Die Lust am Genre“

März 7, 2012

Als auf der Berlinale „Im Schatten“, „Im Angesicht des Verbrechens“, „Die Räuber“ und „Jerichow“ liefen, entdeckten die Kritiker eine neue „Lust am Genre“ bei den von ihnen hoch angesehenen deutschen Regisseuren. Wenige Monate später richtete die Deutsche Kinemathek im Oktober 2010 die Tagung „Die Lust am Genre“ aus und jetzt, nachdem die Lust am Genre wieder der Vergangenheit angehört, liegt der hochinteressante Tagungsband vor. In ihm sind alle Vorträge, teilweise ergänzt und überarbeitet und einige weitere Aufsätze, die für diesen absolut lesenswerten Sammelband geschrieben wurden, dokumentiert:

 

Rainer Rother: Die Lust am Genre (Vorwort)

Malte Hagener: Der Begriff Genre

 

Entwicklungen in Deutschland

Michael Wedel: Schuld und Schaulust – Formen und Funktionen des deutschen Kriminalfilms bis 1960

Ralf Schenk: Mörder unter uns – Die DEFA und der Kriminalfilm: Eine Spurensuche 1953–71

Jan Distelmeyer:»Das war deutsch, wenn ich mich nicht irre« – Mit dem besten Mann vom BND zum Genrekino der 1960er Jahre

Ulrich Kriest: Großes Kino – die Diktatur des Mittelmaßes – Notizen zum Genrediskurs im deutschen Film 1964–87

Stefan Pethke: Von Wellen und Schulen – Wiederannäherung an Genre durch Poptheorie

Andreas Kilb: Der deutsche Kinothriller findet nicht statt – Notizen zum Stand der Dinge

 

Fallbeispiele

Chris Wahl: Die Stimme des Verbrechens: „Das Testament des Dr. Mabuse“

Hans-Christoph Blumenberg: Gerechtigkeit für Gerd Oswald

Julia Pattis: Gangster im Kiez – Mafia, Migranten und Subkulturen

Bert Rebhandl: Prinzipielle Gesetzlosigkeit – Neuere deutsche Genrefilme reflektieren die Grundlagen des Erzählens

Britta Hartmann: »Berlin ist das Paradies« – Inszenierung der Stadt in Dominik Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“ und Thomas Arslans „Im Schatten“

Kathi Gormász: »All in the game yo, all in the game« – Die Polizeiserie „The Wire“ als Anti-Cop-Show und TV-Roman

Kathrin Rothemund: „KDD – Kriminaldauerdienst“ – Das Brüchige im Krimigenre

 

Die Qualität der Vorträge ist natürlich verschieden. Einige sind arg wissenschaftlich geraten. Wenn Malte Hagener Genre definiert, spürt man in jeder Zeile den akademischen Diskurs und eine Wortklauberei mit minimalem Erkenntnisgewinn. Immerhin liest sich der Vortrag interessanter, als er sich während der Tagung anhörte, und er erspart den Griff zum Lexikon.

Stefan Pethke gibt in „Von Wellen und Schulen“ einen schönen Einblick in das Leben und Studieren an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) in den Achtzigern. Was das allerdings mit dem Kriminalfilmgenre, außer dass sie an der Uni auch Kriminalfilme sahen, zu tun hat, war mir damals, während der Tagung, und heute, während der Lektüre, schleierhaft.

Wesentlich interessanter sind die historischen Abrisse, die oft für den Sammelband erstellt wurden, und die Hinweise auf vergessene Werke, wie, als Beispiel für die große Krimiproduktion der sechziger Jahre, den „Mr. Dynamit“-Film mit Lex Barker als taffen Agenten des Bundesnachrichtendienstes und Hans-Christoph Blumenbergs launig-liebevolle Eloge „Gerechtigkeit für Gerd Oswald“. Auf der Tagung konnten wir uns danach Oswalds Berlin-Gangsterfilm „Am Tag, als der Regen kam“ ansehen – und ich fand ihn verdammt gut.

Bei vielen Aufsätzen fällt auf, dass es in den letzten Jahren, ungefähr seit 1970, im Kino fast keine Genrefilme mehr gab. Denn, so Andreas Kilb, in seiner präzisen Abrechnung mit dem deutschen Kriminalfilm: „Der deutsche Kinothriller findet nicht statt“. Denn: „die kinetische Energie, die ein Thriller erfordert, ist mit dem Bedürfnis von Fernsehredakteuren und Fördergremien nach Sinnstiftung, Charakterzeichnung, Familienfreundlichkeit und Positivität prinzipiell unvereinbar. (…) Die finanzielle Schere, die zugleich eine ästhetische ist, steckt eben in allen Köpfen, sie hat mit einer Haltung zu tun, die vom deutschen Kino von vornherein nicht mehr erwartet als das, was man im deutschen Fernsehen zu sehen bekommt. Und schließlich sind die Regisseure, von denen man das deutsche Thrillerwunder erwartet, in der Mehrzahl selbst beim Fernsehen groß geworden.“

Entsprechend oft kreisen die Vorträge um die gleichen Filme, vor allem um Thomas Arslans „Im Schatten“ und Dominik Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“. Beide Regisseure waren auch bei der Tagung dabei, beteiligten sich intensiv an den im Buch nicht dokumentierten Diskussionen und die Filme wurden gezeigt.

Dominik Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“ ist allerdings eine zehnteilige TV-Serie, die auf der Berlinale im Kino gezeigt wurde. „KDD – Kriminaldauerdienst“ ist auch eine TV-Serie, die es als Prestigeprodukt auf beachtliche drei Staffeln brachte. Beide Serien wurden von der Kritik abgefeiert und floppten im Fernsehen. „The Wire“ ist eine US-amerikanische Polizeiserie und damit hat sie wirklich nichts mehr mit „Verbrechensgeschichten aus Deutschland“, so der Untertitel des Buches, zu tun. Denn bis auf „Im Angesicht des Verbrechens“ und „KDD – Kriminaldauerdienst“ stehen Kinofilme im Fokus.

Und, was sehr seltsam ist, weil Julia Pattis in „Gangster im Kiez“ sich mit Fatih Akins „Kurz und schmerzlos“ und Detlev Bucks „Knallhart“ beschäftigt, Lars Becker, der „Nachtschicht“-Macher, der auch für das Kino die Kriminal- und Ghettofilme „Kalte Sonne“, „Schattenboxer“, „Bunte Hunde“ und „Kanak Attack“ (nach dem Roman von Feridun Zaimoglu) inszenierte, wird nicht erwähnt.

Doch das sind eher kleine Mäkeleien. Insgesamt bietet „Die Lust am Genre“ nämlich einen sehr guten Ein- und Überblick über die Geschichte des deutschen Kriminalfilms und den derzeitigen Stand der Dinge des Kriminalfilms im Kino, mit einem Seitenblick auf das Fernsehen, der dort allerdings über das Abfeiern der eigenen Lieblinge nicht hinauskommt.

Rainer Rother/Julia Pattis (Hrsg.): Die Lust am Genre – Verbrechergeschichten aus Deutschland

Bertz + Fischer 2011

224 Seiten

19,90 Euro

Hinweise

Homepage der Deutschen Kinemathek

Bertz + Fischer über das Buch


TV-Tipp für den 7. März: Der Dritte im Hinterhalt/Ein Fall für Harper

März 7, 2012

HR, 23.15

Die Dritte im Hinterhalt (USA 1969, R.: Paul Bogart)

Drehbuch: Stirling Silliphant

LV: Raymond Chandler: The little sister, 1949 (Die kleine Schwester)

Im Auftrag einer mysteriösen Blondine soll Marlowe deren Bruder finden.

Ziemlich langweilige Chandler-Verfilmung, aber ein Privatdetektivkrimi mit „Jim Rockford“ kann nicht ganz schlecht sein.

Mit James Garner, Rita Moreno, Jackie Coogan, Bruce Lee (vor allem Stunts)

Hinweise

Thrilling Detective über Raymond Chandler und Philip Marlowe

Wikipedia über Raymond Chandler (deutsch, englisch)

Raymond Chandler in der Kriminalakte

HR, 00.45

Ein Fall für Harper (USA 1966, R.: Jack Smight)

Drehbuch: William Goldman

LV: Ross MacDonald: The moving target, 1949 (Reiche sterben auch nicht anders, Das wandernde Ziel)

Privatdetektiv Lew Harper soll den verschwundenen Mann der reichen Mrs. Sampson finden.

Wenn wir von einflussreichen Privatdetektivromanautoren sprechen, darf ein Name nicht fehlen: Ross MacDonald.

Hier die kommerziell erfolgreiche Verfilmung des ersten Archer-Romans. Lew Archer heißt im Film Lew Harper. Der Grund dafür war, so Goldman im Audiokommentar zur DVD, dass MacDonald die Rechte am Namen nicht abgeben wollte. „Ein Werk nur mittlerer Qualität“ (Meinolf Zurhorst: Lexikon des Kriminalfilms)

Drehbuchautor William Goldman schreibt im lesenswerten „Das Hollywood-Geschäft“ (Adventures in the Sreen Trade, 1984) über „Ein Fall für Harper“ und die Qualität seines Drehbuchs: „Der daraus entstandene Film war übrigens aus einer Vielzahl von Gründen sehr erfolgreich, von denen ich keinen für mich verbuchen kann.“

Mit Paul Newman, Lauren Bacall, Julie Harris, Janet Leigh, Arthur Hill, Robert Wagner, Robert Webber, Shelley Winters, Strother Martin

Hinweise:

Krimi-Couch über Ross MacDonald

Thrilling Detective über Ross MacDonald

Thrilling Detective über Lew Archer

January Magazine über Ross MacDonald und Lew Archer