Grenzen, auch wenn sie nötig sind, haben immer etwas irrationales und wenn sich in einem Grenzgebiet zwei Gruppen treffen, die seit Jahrzehnten spinnefeind sind und ihre Feindschaft mit ihrer jahrhundertealten Tradition begründen, dann ist das Leben dort, zwischen verschiedenen Befindlichkeiten, ausgesprochenen und unausgesprochenen Regeln, ziemlich anstrengend und das Potential für eine Komödie ist definitiv vorhanden. Sylvain Estibal hat mit „Das Schwein von Gaza“ eine solche Komödie gedreht.
Im Mittelpunkt seiner Geschichte steht Jafaar (Sasson Gabay), ein herzensguter, aber vom Pech verfolgter Fischer. Er lebt mit seiner Frau Fatima (Baya Belal) in einem Haus, das von israelischen Soldaten zum Wachposten erklärt wurde und damit ein dankbares Ziel für Gespött und Anschläge ist. Immerhin versuchen Jafaar und Fatima möglichst viel Abstand zu wahren und die ungebetenen Gäste nach Kräften zu ignorieren, was natürlich schwer fällt, wenn die Soldaten das Bad benutzen dürfen und die gleichen Telenovelas ansehen.
Sein Kutter ist ein kaum noch seetüchtiger, verrosteter Kahn und sein Fang so bescheiden, dass er von dem Fischkäufer nur mit einem mitleidigem Lächeln bedacht wird.
Jafaar ist schon ziemlich weit unten, als er den Fang seines Lebens macht: er angelt ein lebendes Schwein aus dem Meer. Als gläubiger Moslem darf er das Schwein nicht töten. Sowieso sind für ihn alle Kontakte zu einem so unreinen Geschöpf verboten. Aber die schlauen Juden, so hört er, würden seinen Fang kaufen.
Jafaar will es an die jüdische Gemeinde verkaufen, was gar nicht so einfach ist. Denn auch nach dem jüdischen Glauben sind Schweine keine besonders erwünschten Tiere.
Und so nimmt, weil niemand etwas von Jafaars Fang erfahren darf, das Verhängnis seinen Lauf.
In seinem gelungenem Debütfilm formuliert Sylvain Estibal einen herzergreifenden Aufruf zur Toleranz, der dank seiner schnörkellos-unpathetischen Erzählweise und dem trockenen Humor glänzend unterhält. Denn Jafaar steht ziemlich hilflos zwischen den Israelis und den Palästinensern. Er versucht sich bauernschlau aus seiner Malaise herauszuschlawinern und richtet, eher unschuldig (Er hätte das Schwein ja gleich wieder ins Meer werfen können. Das wäre, im Vergleich zu seinen späteren Sünden eine kleine Sünde gewesen.) einen ziemlichen Schlamassel an. Dabei hat Estibal einen feinen Blick für die Absurditäten des israel-palästinenischen Alltags.
Das ziemlich plötzlich, aus heiterem Himmel, kommende, märchenhafte, aber auch ziemlich offene Ende gibt dann keine Antwort auf die Frage, wie die miteinander verfeindeten Völker friedlich miteinander leben können. Aber das ist vielleicht auch zu viel verlangt von einem Film. Immerhin haben die Israelis und Palästinenser es in den vergangenen Jahrzehnten auch nicht geschafft.
Aber der vom Schicksal geknechtete Fischer Jafaar hat am Ende wirklich etwas Glück verdient. Und ein Schwein als Glücksbringer ist ja auch nicht so schlecht.
Das Schwein von Gaza (Le Cochon de Gaza, Frankreich/Deutschland/Belgien 2011)
Regie: Sylvain Estibal
Drehbuch: Sylvain Estibal
mit Sasson Gabay, Baya Belal, Myriam Tekala, Gassan Abbas, Khalifa Natour, Lotfi Abdelli, Ulrich Tukur
Länge: 98 Minuten
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Hinweise
Film-Zeit über „Das Schwein von Gaza“
AlloCiné über „Das Schwein von Gaza“
Wikipedia über „Das Schwein von Gaza“ (deutsch, französisch)
Kultura Extra: Interview mit Sylvain Estibal zum Film
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Bonus
Zwei schöne Filmausschnitte (weitere hier)
