Leistungsschutzrecht oder Wie der Qualitätsjournalismus sich selbst demontiert

Was mich bei der Debatte um das Leistungsschutzrecht (Bundestag-Drucksache 17/11470) am meisten ankotzt, ist nicht, dass Journalisten in den „Qualitätszeitungen“ (also Blätter wie FAZ, FR und SZ) in ihren Artikeln und Kommentaren Teile der Wirklichkeit nicht berücksichtigen. Das kommt öfter vor. Vor allem in Kommentaren. In Artikeln sollten dagegen die Fakten möglichst objektiv dargestellt werden. Alle Fakten. Alle wichtigen Nachrichten und Meldungen dazu.

Da hätten sie über die vernichtende Stellungnahme des Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, die von GRUR-Fachausschuss Urheber- und Medienrecht und zahlreichen namhaften Professoren unterstützt wird, berichten müssen. Deren auf mehreren Seiten sehr lesbar und sehr überzeugend begründetes Fazit ist:

Der Bedarf für ein solches Schutzrecht wurde bislang in keiner Weise nachgewiesen. Es besteht die Gefahr unabsehbarer negativer Folgen. (…)

Gesamthaft betrachtet scheint der Regierungsentwurf nicht durchdacht. Er lässt sich auch durch kein sachliches Argument rechtfertigen. Dass er überhaupt vorgelegt wurde, erstaunt schon aufgrund der Tatsache, dass bereits in einer Anhörung des Bundesministeriums der Justiz vom 28. Juni 2010 ein solches Schutzrecht praktisch einhellig abgelehnt wurde. Dahinter stehen selbst die Presseverleger nicht geschlossen.

Es fehlt damit jede Grundlage dafür, die vorgeschlagene Regelung zu verabschieden.“

Mit dieser fundierten Totalklatsche hätten sie sich in ihren Texten auseinandersetzen müssen. Wenigstens einmal. Aber ich habe nichts dazu gefunden.

Sie hätten etwas über die gemeinsame Stellungnahme der Jugendverbände der Parteien sagen müssen:

Junge Union, Jusos, Grüne Jugend, Junge Liberale und Junge Piraten sind sich darin einig, dass dieser Eingriff in die freiheitliche Architektur des Internets nicht hinnehmbar ist. Es gibt keine Notwendigkeit für diese Innovationsbremse. Die Verlage müssen sich — wie andere Branchen auch — dem Strukturwandel stellen: Statt an analogen und nicht umsetzbaren Regelungen festzuhalten, sollten sie neue, an das Internet angepasste Geschäftsmodelle entwickeln.

Das dürfte das erste Mal gewesen sein, dass sie eine gemeinsame Erklärung veröffentlichten.

Stattdessen steht, das dürfte das aktuellste Beispiel sein (weitere Beispiele bei Stefan Niggemeier), im „Tagesspiegel“, unter der poetischen Überschrift „Das Leistungsschutzrecht nutzt langfristig allen“ (weil Poesie sich nicht um Rationalität kümmern muss) Google als der Bösewicht, der eigene Geschäftsinteressen als Gemeinwohl tarne, am Pranger und

dass diese Einsicht einem unabhängigen Journalismus zu danken ist, und drittens, dass es deshalb weder verwerflich noch unzeitgemäß sein kann, für die Nutzung sogenannter „Snippets“, also Anreißertexte, honoriert werden zu wollen.“

Ich ignorier mal, dass diese kurzen Texte eigentlich durch das Zitatrecht gedeckt sein müssten und dass ein Snippet zum Lesen des gesamten Textes auf der Ursprungsseite (wohin die Suchmaschinen ja brav verlinken) verführen soll.

Diese einseitige Berichterstattung erinnert mich an die Berichte über die Tagesschau-App. Und ratet mal, wer in der Zielgerade noch getroffen wird? Genau: der „ gebührenfinanzierten Rundfunk“, der „rücksichtslos ins Netz expandieren“ gelassen wurde.

Es ist auch nicht, dass Journalisten, Lobbyisten und Politiker sich für ein Gesetz aussprechen, das Unfug ist. Das gab es ja auch bei dem Zugangserschwerungsgesetz gegen Kinderpornographie. Obwohl damals, so meine Erinnerung, in den Qualitätsmedien auch einiges gegen das Gesetz stand.

Das Gesetz wurde, wie bekannt, vor der Bundestagswahl schnell durch die Gremien gewunken, danach nie in Kraft gesetzt und inzwischen, auch mit Unterstützung der CDU, die es vor der Wahl unbedingt haben wollte, wieder abgeschafft.

Das Internet überlebte diesen Unfug. Es wird auch das Leistungsschutzrecht überleben. Dann werden Google und die anderen Suchmaschinen, wie Bing oder Yahoo, halt nicht mehr auf deutsche Presseerzeugnisse verweisen. Einige gute Projekte, wie Rivva, werden vielleicht eingestellt. Bildblog wird wohl die tägliche Presseschau stark verändern. Andere, wie die Alligatorpapiere oder die Krimi-Depeschen, werden halt nur noch auf Blogs, gewerbliche Seiten (wie die der Buchhandlung „Hammett“) und auf nicht-deutsche Seiten verlinken. Ist zwar schade, weil ich dann keinen Überblick über deutsche Krimikritiker, die in Zeitungen publizieren, habe, aber: So ist das Leben.

Es wird auch nicht mehr, in einer kleinen Presseschau, auf deutsche Zeitungsartikel, garniert mit kleinen Zitaten verwiesen werden (Uh, kleiner Einschub aus eigener Erfahrung: keine Verlinkung – kein Klick auf die Seite der Tageszeitung; nur der Link – keine bzw. sehr wenige Klicks; Link mit einem aussagekräftigem Zitat: viele Klicks). Das könnte zwar durch das Zitatrecht gedeckt sein, aber der Gesetzestext ist da etwas unklar. Vor allem weil „gewerblich“ hier sehr weit ausgelegt wird.

Es kann sogar sein, dass mehr gebloggt wird und dass es, nach dem Ende der „Netzeitung“, eine deutsche „Huffington Post“ gibt.

Nein, am Schockierendsten bei den Texten über das Leistungsschutzrecht in den „Qualitätszeitungen“ ist die blinde Energie mit der diese „Qualitätszeitungen“ gerade das „Qualität“ und, damit verbunden, alle journalistischen Grundsätze, über Bord kippen. Es wird Lobbyismus in eigener Sache (oder der des Verlegers) unter der Flagge des Journalismus betrieben. Fakten werden ignoriert oder verbogen. Gegner diffamiert. Als sei man die Werbeabteilung eines Konzerns.

Oh, halt. Zeitungen gehören zu Konzernen, die Geld machen wollen.

Und wir wissen jetzt, nachdem sich die Qualitätsjournalisten beim Leistungsschutzrecht hemmungslos entblödeten, dass alle ihre Texte unter Lobbyismusverdacht stehen. Wenn sie demnächst wieder über die Tagesschau-App und GEZ-Haushaltsabgabe schreiben, dann spricht vieles für die Annahme, dass sie auch hier, unter der Tarnung des unabhängigen Journalismus, der Lautsprecher des Konzernherrn sind.

So liefern die Qualitätsmedien im Moment selbst die besten Argumente gegen sich selbst.

Und noch ein Lesetipp: Ein langes Interview mit Jeff Jarvis zum Leistungsschutzrecht:

I think the Leistungsschutzrecht is dangerous to the web, to the link itself. It’s an indication of an industry that doesn’t have any ideas of how to fix itself. (…)

As if the publishers have not been using their market power to push this idea of the LSR through and through.

 

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