Kurzkritik: Leonhard F. Seidl: Fronten

Was habe ich da gelesen?

Eigentlich fragte ich mich schon während der Lektüre von Leonhard F. Seidls Kriminalroman „Fronten“, was ich da lese. Nach dem Klappentext geht es um einen bosnischen Waffensammler, der im oberbayerischen Auffing auf der Polizeistation Amok läuft, nachdem die Polizei seine Waffen konfiszierte.

Während des Amoklaufs ist auch eine muslimische Ärztin auf der Station. Später wird sie, aus nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen, von der Polizei als Verdächtige behandelt.

Und ein ‚Reichsbürger‘ sinnt auf Rache. Unter anderem an der Ärztin.

Das ist die durchaus vielversprechende Ausgangslage, die, nun, auf sehr verschiedenen Wegen zu einem Ende geführt werden kann.

Seidl entschließt sich für einen sehr seltsamen Weg. Während des gesamten Romans springt er von der Gegenwart in die Vergangenheit der drei Protagonisten zurück zu genau datierten, aber eher unspezifischen Tagen in den Jahren 1988, 1995, 2001, 2007, 2013 und 2015. Diese über viele Seiten ausgebreiteten Ereignisse sind wenig interessant. Mit den aktuellen Ereignissen in Auffing haben sie praktisch nichts zu tun. Außer man will, in einer sehr gewagten Ursache-Wirkungskette, einen monokausalen Zusammenhang von einer bestimmten Erziehung oder Demütigung auf ein späteres Verhalten herstellen.

Die Ereignisse in der Gegenwart gewinnen vor allem durch die zusammenfassenden Berichte ihren Zusammenhang. Aber Berichte und Zeitungsartikel sind in einem Roman (oder Film) vor allem ein Mittel, um schnell Informationen zu vermitteln oder eine Perspektive einzufügen, die wichtig ist, aber zu sehr von der Haupthandlung ablenken würde. Manchmal ist das auch der erzählökonomische Weg, um den Protagonisten über bestimmte für ihn wichtige Dinge zu informieren.

In „Fronten“ ersetzen diese Zeitungsartikel und Berichte die Geschichte. So wird über den für den Roman zentralen Amoklauf in der Polizeistation nichts geschrieben. Es gibt nur, auf Seite 52/53 den Einsatzbericht des Roten Kreuzes über den Ausgang des Amoklaufs (ein toter, vier verletzte Beamte, ein schwer verletzter Täter). Was wie geschah können wir uns dann ausmalen.

Mit dieser durchgehend angewandten Collage-Technik will Seidl den Leser zum mit- und nachdenken bewegen. Nur: es funktioniert nicht. Alles ist zu kryptisch, vieles überflüssig und die angebotenen Erklärungen bleiben oberflächlich.

Leonhard F. Seidl: Fronten

Edition Nautilus, 2017

160 Seiten

16 Euro

Hinweise

Edition Nautilus über den Roman (mit mehr Synopse und den Daten der Lesetour)

Homepage von Leonhard F. Seidl

Wikipedia über Leonhard F. Seidl

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