Neu im Kino/Filmkritik: „Teheran Tabu“ – von Frauen, Männern und Sex ohne Trauschein

Das Bild, dass die westliche Bevölkerung vom Iran hat ist immer sehr verzerrt und voller Klischees. Es ist geprägt durch Stereotypen, die von „1001 Nacht“ bis zum nuklearen Disput mit dem strengen islamischen Regime reichen. Aber die Realität, die man auf den Straßen Teherans erlebt ist vielfältiger. Frauen im Iran haben oft einen besseren Bildungsgrad als Männer und eine viel sichtbarere Rolle im täglichen Leben als in vielen anderen Islamischen Ländern, wie z. B. Saudi-Arabien. Aber es gibt nicht die eine moderne iranische Frau. Es gibt viele Typen, von der religiösen Fundamentalistin bis zur westlich geprägten Feministin. Natürlich hat letztere nicht die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Mein besonderes Interesse galt der Rolle der Frau im gesellschaftlichen Spiel der Tugenden. Sie sind diejenigen, die am meisten leiden. Von Frauen wird grundsätzlich erwartet, dass sie sich selbst und ihren Kindern Regeln und Tabus auferlegen, die ihre Freiheit und die der nächsten Generation eingrenzen.

Ali Soozandeh (Regie, Drehbuch)

 

Teheran ist die Hauptstadt der Islamischen Republik Iran, eines weltpolitisch nicht unumstrittenen Gottesstaates. Wenn man sich „Teheran Tabu“ ansieht, ist Teheran auch eine erstaunlich normale Millionenstadt, in der es alles gibt, was es in jeder anderen Großstadt auch gibt. Allerdings unter einem repressiven religiösen Regime, in dem alles, was mit Sex zu tun hat, hinter zugezogenen Vorhängen stattfindet und Frauen vollkommen vom Wohlwollen ihrer Männern abhängig sind.

Pari hat einen fünfjährigen, stummen Sohn. Ihr im Gefängnis sitzender Mann weigert sich, die Scheidungspapiere zu unterschreiben. Er zahlt auch keinen Unterhalt. Paris einzige Möglichkeit, an Geld zu kommen, ist die Prostitution. Immerhin bietet ihr ein angesehener Richter an, ihre Scheidung anzuerkennen, wenn sie seine Liebhaberin wird. Er quartiert er sie in einer ihm gehörenden Mietwohnung ein.

Im gleichen Haus lebt Sara, die nach zwei Fehlgeburten wieder schwanger ist. Ihre tiefgläubige Schwiegermutter (ein rechter Hausdrache) ist begeistert. Sara hätte wohl nichts gegen eine Abtreibung. Außerdem möchte sie dem Leben als gutsituierte, fügsame Hausfrau entkommen. Sie hat sich auf einen Job beworben. Jetzt benötigt sie nur noch die Einverständniserklärung ihres Mannes, ohne die sie die Arbeit nicht aufnehmen darf. Der weigert sich.

Und dann ist da noch Donya. Nach einem One-Night-Stand mit Babak ist ihr Jungfernhäutchen zerstört. Aber ihr künftiger Mann besteht darauf, eine Jungfrau zu heiraten. Babak versucht ihr zu helfen. Aber als Student hat er selbst kein Geld.

Diese drei Geschichten verknüpft Ali Soozandeh, ein seit über zwanzig Jahren in Deutschland lebender Iraner, in seinem Spielfilmdebüt zu einem Sittengemälde Teherans und der dort stattfindenden alltäglichen Unterdrückung von Frauen.

Dabei war vieles, was er für den Iran zeigt, vor wenigen Jahren auch bei uns verboten. So durften in Deutschland bis 1977 Frauen ohne die Erlaubnis ihres Mannes nicht arbeiten. Bis 1958 hatte der Ehemann das alleinige Bestimmungsrecht über Frau und Kinder inne. Sie durften kein eigenes Bankkonto haben und waren bis 1969 nicht geschäftsfähig. In Bayern mussten Lehrerinnen, wie Priester, zölibatär leben. Für außer- und vorehelichen Geschlechtsverkehr galten ähnlich rigide Vorstellungen. Und bis in die siebziger Jahre war Kuppelei, vor allem wegen der Gefahr der Unzucht, strafbar. Entsprechend schwierig war es für Verliebte, ungestört zusammen zu sein. Im damaligen Kino wurde all das normalerweise ignoriert.

In „Teheran Tabu“ wird es, teilweise in expliziten Bildern, gezeigt. Soozandeh zeigt die die gesamte Gesellschaft durchziehende Doppelmoral, das Schweigen, die Lügen, die Heimlichtuerei und die Vermeidungsstrategien der von der Unterdrückung ihrer Gefühle und Triebe betroffenen Frauen und Männer. Er zeigt auch, wie andere iranische Regisseure, dass nicht alle den Regeln der religiösen Gesetzesgeber folgen wollen und können.

Soozandeh drehte den Film im Rotoskopie-Verfahren, in dem echte Schauspieler die Szenen spielen, die dann so bearbeitet werden, dass sie wie ein Animationsfilm aussehen. Der banale Grund dafür war, so Soozandeh, dass er nicht in Teheran drehen konnte und andere Städte nicht wie Teheran aussähen. Insofern war die Verwendung des Rotoskopie-Verfahren am Anfang eine Notlösung, die am Ende zum Gelingen des Films beiträgt. Denn weil man die echten Gesichter der Schauspieler nicht sieht, erkennt man in ihren gemalten Gesichtern und den atmosphärischen Stadtansichten eher die Gemeinsamkeiten zwischen Teheran und anderen Großstädten.

Teheran Tabu (Deutschland/Österreich 2017)

Regie: Ali Soozandeh

Drehbuch: Ali Soozandeh

mit Elmira Rafizadeh, Zar Amir Ebrahimi, Arash Marandi, Bilal Yasar

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Teheran Tabu“

Moviepilot über „Teheran Tabu“

Metacritic über „Teheran Tabu“

Rotten Tomatoes über „Teheran Tabu“

Wikipedia über „Teheran Tabu“ (deutsch, englisch)

Ali Soozandeh und Elmira Rafizadeh über den Film (Hamburg, 8. Oktober 2017)

 

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