
Alles beginnt an einem sonnigen Samstagnachmittag im Oktober 1993. Keisuke Shimamura, Geschäftsführer und einziger Angestellter einer kleinen, abgeranzten Bar und allein lebender Alkoholiker, verbringt den Nachmittag, wie immer, im Shinjuku Chuo-keon. Einem Park im Stadtteil Shinjuku in Tokio. Als eine Bombe explodiert, hilft er spontan einigen Verletzten und haut ab, bevor Polizei und Sanitäter eintreffen. Denn vor über zwanzig Jahren, im April 1971, war Shimamura schon einmal in einen terroristischen Anschlag verwickelt. Danach tauchte er unter.
Kurz nachdem er den Tatort verlassen hat, fällt ihm ein, dass er seine Whiskyflasche mit seinen Fingerabdrücken dort vergessen hat. Damit ist klar, dass die Polizei ihn wieder ganz oben auf ihre Fahndungsliste setzen wird. Vor allem weil, wie er durch die Nachrichten erfährt, bei dem Anschlag Yuko Endo und Makoto Kuwano starben. Mit ihnen war er in den späten sechziger Jahren in revolutionär-studentische und terroristische Umtriebe verwickelt.
Shimamura beschließt auf eigene Faust, den Bombenleger zu suchen, der mit seinem Anschlag fast zwanzig Menschen ermordete und fast Fünfzig verletzte. Bei seiner Suche helfen ihm Toko Matsushita, die Tochter von Yuko Endo, und Shiro Asai, ein Ex-Polizist und gebildeter Yakuza. Und, weil Shimamura notgedrungen im Milieu der für Normalsterbliche unsichtbaren Obdachlosen untertaucht, die Obdachlosen, die teilweise ebenfalls über eine beträchtliche Bildung verfügen.
Iori Fujiwara (1948 – 2007) schrieb den Roman „Der Sonnenschirm des Terroristen“, der jetzt erstmals auf Deutsch veröffentlicht wurde, um mit den Buchverkäufen und Preisgeldern Spielschulden zu tilgen. So heißt es und in jedem Fall ist es eine gute Geschichte. Fujiwaras Krimi gewann nämlich mehrere Preise, unter anderem 1995 den Edogawa-Rampo-Preis vom Verband der japanischen Krimi-Autoren. Das japanische Fernsehen verfilmte den Krimi. Und, wie ein Blick auf die aktuelle Krimibestenliste oder in den Perlentaucher zeigt, kommt der spannende Thriller auch bei den hiesigen Kritikern gut an. Immerhin hat „Der Sonnenschirm des Terroristen“ alles, was man von einem Thriller erwartet, inclusive einem Einblick in eine fremde Welt. Denn japanische Krimis werden kaum übersetzt und über die dortige Studentenbewegung wissen die meisten Leser wohl auch wenig.
Diese Vergangenheit verknüpft Fujiwara mit der damaligen Gegenwart (der Roman spielt 1993 und wurde erstmals 1995 veröffentlicht) zu einem dichten Geflecht, in dem es um Terrorismus, Politik, Yakuza, Halbweltgeschäfte, globalen legalen und illegalen Handel, das Leben der Obdachlosen, persönliche Verwicklungen und Beziehungen geht. Weil die Schicksale aller in die Handlung involvierten Personen schon seit Ewigkeiten auf die eine oder andere Art, mehr oder weniger gewollt, miteinander verknüpft sind, fügt sich am Ende alles zu einem Bild zusammen, das dann mehr mit der Fiktion als der Realität zu tun hat.
„Der Sonnenschirm des Terroristen“ ist ein leicht trashiger Pulp-Thriller, dessen Ende mich an Sergio Leones Gangsterepos „Es war einmal in Amerika“ erinnerte. Jedenfalls soweit ich mich noch an Leones Opus erinnere. Davon abgesehen ist ein cineastisches Meisterwerk, bei allen Unterschieden, nicht die schlechteste Referenz für einen Verschwörungsthriller, der in der US-amerikanischen Hardboiled-Tradition steht, ein, zwei Dinge über Japan erzählt und verdammt spannend unterhält. Denn selbstverständlich ging die Bombe nicht zufällig hoch, als Shimamura gerade seine Nachmittagsration Alkohol genoss.
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Iori Fujiwara: Der Sonnenschirm des Terroristen
(übersetzt von Katja Busson)
Cass, 2017
352 Seiten
19,95 Euro
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Originalausgabe
Terorisuto no Parasoru
Kōdansha, 1995
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