https://vimeo.com/ondemand/embryofree4everythink
Einige alte Säcke werden sich bei „Embryo“ an ihre Jugend erinnern. Für mich war die Band in meiner Jugend ein Haufen alter Krautrock-Säcke. So ist das halt, wenn das eigene musikalische Gedächtnis gerade bis zur letzten Saison reicht und man sich erst durch die Stars der nächsten Saison hört. Man will ja nicht hören, was alle hören. Viele dieser Stars sind inzwischen vergessen oder wiederholen in einer Endlosschleife ihre alten Hits vor einem Publikum, das nur die alten Hits hören will. Möglichst ohne irgendeine Variation.
„Embryo“ ist da anders. Heute, fast fünfzig Jahre nach ihrer Gründung, spielen die Musiker von „Embryo“ immer noch auf jeder verfügbaren Bühne. Gründer Christian Burchard ist zwar am 18. Januar 2018 verstorben (was im Film, in dem er sehr präsent ist, nicht erwähnt wird), aber die Band spielt weiter. Seit zwei Jahren wird das Kollektiv von Burchards Tochter Marja geleitet. Soweit man bei einem Ensemble, das von Kollektivimprovisationen und mehr oder weniger spontanen Begegnungen mit Musikern aus unterschiedlichen Kulturkreisen und musikalischen Traditionen lebt, davon reden kann.
In dem Dokumentarfilm „Embryo – A Journey of Music and Peace“ zeichnet Michael Wehmeyer, selbst Musiker, langjähriges Mitglied von „Embryo“ und Gründungsmitglied von „Dissidenten“ (zunächst „Embryo’s Dissidenten“) die Geschichte von „Embryo“ nach. Mit vielen historischen Aufnahmen und Statements von „Embryo“-Musikern, die man im Off hört. Und das ist, wie in Asif Kapadias „Amy“ (über Amy Winehouse), ein Problem. Denn wir erfahren hier nie die Namen der Sprechenden und erst durch ihre Statements, welche Verbindung sie zu „Embryo“ haben. Sehr präsent in der Doku ist „Embryo“-Gründer Burchard, der auch von seinen Anfängen in Jazzbands erzählt und wie sich „Embryo“ nach seiner Gründung immer mehr zu einem Impro-Kollektiv entwickelte.
Außerdem wird die Geschichte ausschließlich aus der Binnenperspektive erzählt. Andere Musiker, Journalisten, Wissenschaftler oder Zeitzeugen kommen, soweit erkennbar, nicht zu Wort. Es gibt deshalb keine objektivierende Einordnung der Musik und der Bedeutung der Band für den Krautrock, den Jazzrock und die Worldmusic. Denn „Embryo“ gehörte zu den ersten Bands, die mit Musikern aus anderen Kulturkreisen zusammenspielten und die deren Musik produktiv aufnahmen. Das geschah in langen, improvisierten Konzerten. Die ersten Begegnungen erfolgten auf ihren Tourneen durch Afrika und Asien, vor allem Indien. Sie fuhren mit ihrem Tourbus durch die Länder und planten zwischen den offiziellen Konzerten lange Pausen für spontane Begegnungen ein. Damals war das revolutionär.
Wehmeyer konzentriert sich in „Embryo – A Journey of Music and Peace“ vor allem die Anfangsjahre von „Embryo“ und ihre Haltung, die von Neugierde und Offenheit geprägt ist. Es geht ihnen nicht um den nächsten großen Hit oder das stupide recyclen alter Erfolge, sondern um neue Entdeckungen.
Das und der große Schatz historischer Aufnahmen (Hey, in den Siebzigern gab es in Deutschland eine Hippie-Szene, die sich optisch nicht von der US-Szene unterschied.) machen „Embryo – A Journey of Music and Peace“ sehenswert.

Embryo – A Journey of Music and Peace (Deutschland 2018)
Regie: Michael Wehmeyer
Drehbuch: Michael Wehmeyer
mit Christian Burchard, Roman Bunka, Michael Wehmeyer, Uve Müllrich; Mal Waldron, Fela Anikulapo Kuti, Trilok Gurtu, Marja Burchard
Länge: 98 Minuten
FSK: –
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Die Filmpremiere und ein Liveauftritt mit Second Generation Embryo ist am Mittwoch, den 5. September, um 18.30 Uhr im „silent green Kulturquartier“ (Gerichtstraße 35, 13347 Berlin).
Eintritt: 11 Euro (Vorverkauf), 12 Euro (Abendkasse)
Ab dem 6. September läuft das Bandportrait dann im Kino.
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Hinweise
Wikipedia über Embryo (deutsch, englisch)
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Jörg van Hooven (München.tv) unterhält sich mit Christian und Marja Burchard (online seit 20. Juni 2017; also ziemlich aktuell)
Ein aktuelles Konzert der Band (15. April 2018, Seidlvilla, München)