Beide haben gesagt, dass das ihr letzter Film sei. Beide haben das in der Vergangenheit schon öfter gesagt. Aber dieses Mal könnte es stimmen. Immerhin ist Michael Caine neunzig Jahre alt. Ken Loach ist drei Jahre jünger.
Und wenn es so ist, würden beide sich mit einem gelungenem Film verabschieden. Kein revolutionäres Werk, sondern ein Alters- und Abschiedswerk, das noch einmal überzeugend zeigt, warum wir Michael Caine und Ken Loach seit Jahrzehnten lieben.
Michael Caine spielt in „In voller Blüte“ den 89-jährigen Weltkrieg-II-Veteran Bernard Jordan. Zusammen mit seiner Frau Rene (der am 15. Juni 2023 verstorbenen Glenda Jackson) lebt er in Hove bei Brighton in einem Altersheim. Als er sich entschließt, bei den Feierlichkeiten zum siebzigsten Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie teilzunehmen, sind die bei der organisierten Reise für Veteranen verfügbaren Plätze bereits ausgebucht. Deshalb macht er sich, mit den guten Wünschen seiner Frau, auf eigene Faust auf den Weg nach Frankreich.
Oliver Parker („Swimming with Men“) erzählt in seinem Feelgood-Drama mit viel Gefühl, etwas Witz, Rückblenden in Bernard und Renes Kriegserlebnisse und ihre frühen gemeinsamen Jahre, eine wahre Geschichte, die damals um die Welt ging. Wahrscheinlich weil 2014 Hashtags noch etwas Neues waren, wir uns damals immer noch über die Möglichkeiten einer weltweiten Kommunikation wunderten und #The GreatEscaper (so auch der Originaltitel des Films) ein schöner Hashtag ist. Und nachdem klar war, dass Bernard Jordan quicklebendig in Frankreich bei den D-Day-Feierlichkeiten eine gute Zeit hat, konnten alle sich an der Geschichte des alten Mannes, der aus dem Altersheim nach Frankreich flüchtete und sich dort amüsierte, erfreuen. Dass er nicht aus dem Heim flüchten musste, weil er es jederzeit verlassen konnte, und dass seine Frau wusste, wo er war, war da egal. Es ist eine dieser kleinen Geschichten, die in einer Tageszeitung zur Erbauung des Publikums auf der „Vermischtes“-Seite abgedruckt werden.
Die mehr oder weniger wahre Verfilmung folgt kurzweilig und vergnüglich den wahren, nicht sonderlich dramatischen Ereignissen. Außerdem, und das macht diesen Feelgood-Film wichtig und sehenswert, gibt er Michael Caine und Glenda Jackson noch einmal die Gelegenheit groß aufzuspielen. „In voller Blüte“ ist eine rundum gelungene Abschiedsvorstellung.
Ken Loach begibt sich in „The Old Oak“ mit seinem Stammautor Paul Laverty wieder in den Nordosten Englands. Dort spielten bereits ihre beiden vorherigen Filme „Ich, Daniel Blake“ (2016) und „Sorry we missed you“ (2019). Dieses Mal spielt die gewohnt nah an der Realität entlang erzählte, 2016 spielende Geschichte in einer kleinen Bergbaugemeinde, die ihre besten Jahre hinter sich hat. Bergbau und die Gemeinschaft der Arbeiter gibt es nur noch in Erzählungen der älteren Dorfbewohner. Die Jüngeren haben das Dorf verlassen oder sie sind arbeitslos und ohne Perspektive auf eine Arbeit. Aus London werden Flüchtlinge zu ihnen geschickt. Denn im Norden sind die Wohnungen, die angemietet werden müssen, billig. Und das Problem ist aus den Nachrichten und der damit verbundenen öffentlichen Aufmerksamkeit verschwunden.
Als ein Bus mit syrischen Flüchtlingen in dem in der Grafschaft Durham liegendem Dorf ankommt, protestieren einige der Dorfbewohner dagegen. TJ Ballantyne (Dave Turner), der Betreiber des örtlichen Pubs, versucht zu deeskalieren. Mit mäßigem Erfolg. Als einer der hasserfüllt herumbrüllenden Dörfler, der nicht fotografiert werden möchte, den Fotoapparat von Yara (Ebla Mari) beschädigt, fordert sie vehement eine Reparatur. Die zwanzigjährige Yara ist gerade in dem Bus mit ihrer Familie angekommen. Die Kamera hat sie von ihrem in Syrien inhaftiertem, wahrscheinlich toten Vater. In einem Flüchtlingslager lernte sie Englisch. Sie ist freundlich, aufgeschlossen, neugierig und beharrlich.
In dem Moment könnte aus den Pöbeleien eine Schlägerei werden. Deshalb erklärt TJ sich bereit, den Schaden zu beheben.
Schon in diesem Moment, wenn TJ den Neuankömmlingen gegen die aufgebrachten Einheimischen hilft, wissen wir eigentlich schon, wie es weitergehen wird. Denn TJ ist ein hilfsbereiter Mensch, der andere Menschen akzeptiert und, auch wenn er sich unwohl dabei fühlt, hilft. Als Pub-Betreiber, der auf jeden Kunden angewiesen ist, hält er sich aus politischen Diskussionen heraus.
Wenn er Yara einige Minuten später das seit zwanzig Jahren nicht mehr benutzte Hinterzimmer seines Pubs zeigt, sie die eindrucksvollen SW-Fotografien vom Bergarbeiterstreik aus den frühen achtziger Jahren betrachtet und er ihr versichert, dass das Zimmer nur noch eine Rumpelkammer sei, die man nicht mehr benutzten könne, wissen wir, was bis zum Abspann passieren wird. Denn selbstverständlich wird die Rumpelkammer wieder zum Zentrum der Gemeinschaft – und vorne im Pub diskutieren die Einheimischen über ihren Umgang mit den Neuankömmlingen.
Diese Vorhersehbarkeit der Geschichte ist allerdings kein Problem. Ken Loach erzählt die aufbauende Geschichte über das Entstehen einer neuen Gemeinschaft mit einem genauen Blick für die Details und mit der ruhigen Souveränität eines Meisters, der sein Metier beherrscht und der immer noch auf der Seite des kleinen Mannes (und der Arbeiterklasse) steht, ihnen eine Stimme verleiht und für sie kämpft.
Diese wichtige Aufgabe muss künftig jemand anderes übernehmen. Freiwillige vor!

In voller Blüte (The Great Escaper, Großbritannien/USA 2023)
Regie: Oliver Parker
Drehbuch: William Ivory
mit Michael Caine, Glenda Jackson, John Standing, Wolf Kahler, Carlyss Peer, Laura Marcus, Danielle Vitalis, Will Fletcher
Länge: 97 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Moviepilot über „In voller Blüte“
Metacritic über „In voller Blüte“
Rotten Tomatoes über „In voller Blüte“
Wikipedia über „In voller Blüte“ (deutsch, englisch)
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The Old Oak (The Old Oak, Großbritannien 2023)
Regie: Ken Loach
Drehbuch: Paul Laverty
mit Dave Turner, Ebla Mari, Claire Rodgerson, Trevor Fox, Chris McGlade, Col Tait, Jordan Louis, Chrissie Robinson
Länge: 113 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Rotten Tomatoes über „The Old Oak“
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